vonErnst Volland 28.08.2006

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Als Fahrschüler musste ich vier Jahre von W. nach V. fahren. Vier Jahre sind für einen Schüler eine lange Zeit. Wo Schatten ist, ist auch Licht und so hat das Fahren auch Vorteile. Wenn man nicht in der Stadt wohnt, in der man zur Schule geht, ist man automatisch aus dem Kontrollbereich der Lehrer. Im letzten Jahr meiner Fahrzeit hatte ich eine Freundin, die von zu Hause ausgezogen war und sich eine 1- Zimmer Wohnung gemietet hatte, Ofenheizung, Außentoilette. Die Freundin befand sich im dritten Lehrjahr, ihr Einkommen war sehr gering und sie mussten sich in allem sehr einschränken. In meiner Schule in V. hatte ich eine zweite Freundin, Brigitte. Die Beziehung zu ihr war eher platonisch, obwohl Brigitte den größten Busen an der Schule besaß und der von allen Jungen bewundert wurde. Dass ein so großer Brustumfang auch erhebliche Nachteile mit sich bringen kann und auch psychologisch nicht einfach zu verarbeiten ist, war mir damals nicht bekannt. Ich fühlte mich zu diesem Mädchen hingezogen und sie hatte nichts gegen meine gelegentlichen Besuche einzuwenden. Meistens kam ich in das Haus ihrer Eltern, wenn diese nicht anwesend waren. Sie waren beide berufstätig und ich ging manchmal vom Bahnhof nicht zur Schule sondern direkt in Brigittes Zimmer. Wir hatten uns viel zu erzählen. Miteinander zu sprechen genügte uns. Zu der Zeit hatte Jimmy Hendrix noch nicht seine erste Langspielplatte „Electric Ladyland“ herausgegeben, sie kam erst ein Jahr später auf den Markt. Im verschlafenen Städtchen V. hatte man auch von Flower- Power und Gruppensex noch nie etwas gehört. Manchmal starrte ich bei unseren Erzählungen auf ihren Busen, wusste aber nicht, was ich damit anfangen sollte. Meinen langen starren Blick und die Absicht, die dahinter steckte, unterbrach sie mit der immer gleichen Frage. „Möchtest du noch etwas Tee?“, dabei schenkte sie mir nach, ohne eine Antwort abzuwarten. Im späten Herbst und den ganzen Winter hindurch nahm ich einen sehr frühen Zug und besuchte Brigitte drei mal die Woche schon um 8 Uhr morgens. Die erste Stunde ließen wir ausfallen, manchmal verzichtete ich auch auf die zweite Stunde und erschien erst zur dritten in der Schule. Im Winter trug ich neben einer alten Aktentasche für meine Schulsachen einen kleinen Koffer, dunkelbraun mit aufgesetzten hellbraunen Ecken, ein schönes 20er Jahre Modell, für das ich sogar noch zwei funktionierende Schlüssel besaß. Ich kam immer mit leeren Köfferchen in V. an und verließ die Stadt nach der Schule in Richtung W. mit einem wertvollen Inhalt. In W. ging ich mit dem Koffer sofort zu meiner Freundin, die nicht weit vom Bahnhof wohnte. Während des Unterrichtes stellte ich den Koffer, der sehr auffällig war, neben meinen Platz. Meine Mitschüler, die sich mit mir im mathematischen Zweig der Schule bewegten, konnten mit mir nicht viel anfangen. Ich war für meine Mitschüler so etwas wie ein „bunter Vogel“. Von der Marine hatte ich mir einen dunklen Second- Hand Mantel besorgt, der bis zu den Kniekehlen reichte und den ich eigenhändig mit einem Pelzkragen benäht hatte. Den gleichen Pelzbesatz nähte ich um die Enden beider Ärmel. Damit konnte man auffallen. Es wurde gemunkelt, ich sei ein Künstler, man wusste aber nichts Genaues, da meine künstlerischen Aktivitäten in W. , außerhalb der Schule stattfanden und V. nur mein Schulort war. Der Koffer reizte einige Mitschüler. Niemand konnte ihn eigenmächtig öffnen, er war immer abgeschlossen. „Was ist denn in dem Koffer drin, Fred?“ Ich ließ mich in V. mit dem Namen Fred ansprechen. Als ich zum ersten Mal in die Schule kam und nach meinem Namen gefragt wurde, sagte ich „Fred“. Der Name setzte sich durch. „Fred, was ist denn in deinem Koffer?“ Ich antwortete nicht auf diese Frage. Meine ruhige Haltung stachelte die Neugierde der Mitschüler an.„Fred, du kommst manchmal mit diesem Koffer in die Schule, was ist denn da drin, sag doch.“ „Ich frag doch auch nicht, was du in deiner Hosentasche hast.“ „Fred, sei doch kein Frosch, sag doch, was ist in deinem Koffer.“ „Willst du das wirklich wissen?“ „Ja, wir wollen das alle wissen.“ „Briketts!“ „Hahaha ist das komisch, Briketts, das ist aber witzig.“ „Fred, nun sach schon, was ist in dem Koffer.“ „Brikett, ganz normale Briketts.“ „Schwachsinn Fred, los, sag, was ist da drin, jetzt wollen wir das wissen.“ „Es ist bereits gesagt, es sind Briketts.“ Ich legte den Koffer auf den Tisch, zog einen Schlüssel aus der Tasche, steckte den Schlüssel in das kleine Schloss und wartete. „Na, was ist da drin?“ fragte ich und schaute in die Augen meiner Mitschüler. Keiner antwortete. Dann schlug ich den Deckel zurück. Im Koffer glänzten zwölf Stück Briketts, Stoß an Stoß, in zwei Schichten gestapelt. Sie passten genau wie dafür produziert in meinen kleinen 20er Jahre Koffer. Im Raum war es still. Einige reckten den Hals, um sich genauer zu vergewissern, dass dunkle schwarze Kohle in meinem Koffer lag. Ich erzählte natürlich nicht, woher und wofür die Briketts waren. Es waren Brigittes Briketts, jedenfalls aus der Wohnung ihrer Eltern. Jeder Koffer reichte in W. für zwei Tage und wärmte die ganze Wohnung.

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