Der zweite Albert Schweitzer
Das Kempinski, Ecke Fasanenstraße, Ecke Kurfürstendamm,
dient als Austragungsort der Preisverleihung an einen Arzt
durch die Deutsch- Russische Gesellschaft.
Der ehemalige Botschafter der Bundsrepublik in Moskau, lobt seinen
Botschaftsarzt über alle Maßen, der Außenminister
ergeht sich allgemein in Ausführungen über die guten
Deutsch/Russischen Beziehungen, die aber noch ausgebaut werden müssten.
Dann holt der ehemalige Botschafter zur eigentlichen Laudatio
für seinen Botschaftsarzt aus. Der Saal, voll mit grauhaarigen Männern
in dunklen Anzügen, lauscht.
Anschließend spielen drei angehende Jungstars, der Älteste12 Jahre alt, auf
dem Flügel. Schostakowitsch, Brahms, Schumann.
In seiner Laudatio rühmt der Botschafter den Preisträger als einen
herausragenden Menschen, der mehr oder weniger allein während der
Perestroika das russische Gesundheitswesen revolutioniert habe.
Er sei ein Vorbild in unserer vergreisten Gesellschaft, da er seinen
revolutionären Elan nach der Pensionierung mit noch viel mehr
Schwung und Erfolg fortgesetzt habe und immer noch täglich
an der Front agiere.
„Die Sterblichkeitsrate für Leukämie Kinder ist
in Russland von 85 auf 30 % gesenkt worden. Die Heilungschancen von
Brustkrebs bei Frauen ist heute erheblich besser und
Infarktpatienten können jetzt wirklich aufatmen. Das ist allein das Verdienst
unseres Arztes! Wenn es einen Namen für einen
Arzt gibt, dann muss er heißen wie unser Botschaftsarzt.
Seit Albert Schweitzer….. !„
Dann übergibt der Außenminister den Preis, eine handschriftliche Urkunde,
und die Menge strömt zum Büffet.
Ich komme sofort mit einer mir bekannten Dame ins
Gespräch, einer Russland – Expertin, die lange in Moskau lebte.
Sie hatte Anfang der 90er Jahre
in der deutschen Botschaft in Moskau gearbeitet.
Anspielend auf die Preisverleihung erzählt sie mir von ihren
Erfahrungen mit der deutschen Medizin in Moskau.
Drei Wochen vor der Geburt verspürte sie große
Schmerzen im Unterleib, die nicht abklangen. Es sollte ihr erstes
Kind werden und sie machte sich mit ihrem Mann auf in Richtung
Deutsche Botschaft, um mit dem dortigen Arzt zu sprechen, es war der Arzt,
der auch den heutigen Preis bekommen habe.
Dieser lehnte eine Behandlung ab, verweigerte sogar das Messen des
Blutdruckes und verkündete, auch sein Personal stünde
für „solche Kleinigkeiten“ nicht zur Verfügung. Sie solle ein
russisches Krankenhaus aufsuchen, vielleicht werde ihr dort geholfen.
Drei Wochen nach der Geburt verspürte die junge Mutter wieder
erhebliche Schmerzen im Bauchbereich und rief in dieser Sache
den Arzt in der Botschaft an, mit der Bitte um Hilfe. Dieser
stellte eine Ferndiagnose und empfahl das Ausfliegen in ein
deutsches Krankenhaus.
An den Buffet Tischen stehen jetzt nur noch wenige Gruppen.
Rasch werden noch einige Kontakte gemacht und
Visitenkarten getauscht.
Der Außenminister, der ehemaliger Botschafter und der
preisgekrönte Arzt speisen in einem Salon, ein Stockwerk
über den Buffet- Räumen.
Noch lange stand die Limousine des Außenministers vor
dem Eingang des Kempinski.
Tod allen Kommunisten!
Es lebe das Albert-Schweitzer Tierheim für Hunde und Katzen in Essen!
In Bonn gibt es auch noch eins.
Dort wenigstens wären alle hochschwangeren TAZ-Bloggerinnen vom allgegenwärtigen sowjetischen Botschaftsterror verschont geblieben.