vonErnst Volland 23.01.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Schon während des Studiums konnte ich eine eigene Ausstellung eröffnen und sogar vier Bilder verkaufen, ein verheißungsvoller Anfang. Dennoch musste ich mein Studium selbst finanzieren.

Über eine studentische Agentur wurden Tages und Stundenjobs vermittelt. Ich suchte einen

längeren Job, nicht nur für ein paar Stunden einen Keller leer räumen oder alle Teppiche einer Wohnung klopfen. Man konnte damit manchmal Glück haben und einen guten Stundenlohn erzielen, musste aber auch Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen, wie das völlige Verschmutzen der Kleidung, oder sehr üble Gerüche inhalieren.

Unangenehm war einmal das Aufräumen einer Wohnung in Anwesenheit einer alten Dame, die anschließend verreisen wollte und daher ihren Kühlschrank gereinigt und leer wünschte. Sie versuchte mich zu überzeugen, dass es auch zu meinem Job gehöre, von ihr angefangene Joghurtbecher erst aufzuessen und dann in den Müll zu werfen. Sie nötigte mich, jeden Obst und Gemüserest zu vertilgen, auch wenn der Frucht schon jeder Geschmack entwichen war. Als das Beharren auf den Jobpflichten mich nicht überzeugte, kam sie mit der moralischen Tour und bezichtigte mich als „Memme“ oder lamentierte über die allgemeine Not in der Welt. So in die Enge getrieben, und vor die Alternative gestellt, ganz ohne Bezahlung in die nächste Kneipe zu gehen, verdrückte ich den einen oder anderen angefangenen Becher und machte mich über das Dörrobst.

Einige aus meinem Semester arbeiteten nach dem Studium bei der Post oder einem anderen Dienstleister. Oft blieben sie dort in der Paketabteilung ein Leben lang hängen.

Nach dem Studium kam ich mit Gelegenheitsarbeiten und geringen Kunstverkäufen ein paar Jahre über die Runden, dann versuchte ich es mit einer eigenen Galerie, stellte nationale und internationale Künstler aus, musste jedoch nach zehn Monaten die Segel streichen, da ich kaum etwas verkaufte. Von Geschäften verstehe ich nichts.

Lustlos nehme ich die Tagespost vom Boden, die der Postbote durch den Schlitz der Galerietür geschoben hatte. Ich bin mehr oder wenig allein verantwortlich für die Galerie, die von 12 Uhr bis 18 Uhr geöffnet ist. Der Besitzer der Galerie schaut nur ab und zu herein, kontrolliert die Post und verschwindet wieder. Am Nachmittag arbeitet eine weitere Teilzeitangestellte mit mir zusammen, Charlotte. Der Job macht mir keinen Spaß. Die Anforderungen sind jedoch nicht sehr hoch und hin und wieder überrede ich Charlotte, für ein paar Stunden die Galerie allein zu führen, so dass ich mich um andere Dinge kümmern kann. Mein Fernbleiben wird vom Galeriebesitzer nicht bemerkt.

Zuerst öffne ich den Emailaccount, um Anfragen zu beantworten. Meine Gedanken wandern dabei automatisch zu Carol, der ich jetzt tausend Mails schreiben könnte.

Vielleicht soll ich doch eine Therapie machen, wenn das so weiter geht,“ überlege ich beim Beantworten einer Email aus Mailand.

Du brauchst eine Gestalttherapie, da arbeitest du mit deinem ganzen Körper“, schwärmte Charlotte vor einigen Tagen bei einer Schale Ingwer-Tee in der Galerie. Das ist eine ganz tolle Sache, für deine Seele und deinen Körper.“ Gleichzeitig machte sie mit ihren beiden Armen eine schwingende Bewegung, also ob sie einen imaginären Ball in ihren Händen kreisen lässt. Charlotte kennt sich aus mit Therapien. Seit zehn Jahren ist sie auf der Suche nach dem eigenen Ich. Sie beginnt jeden zweiten Satz mit „Pass mal auf“, und erzählt dann etwas von einem Rüdiger, der sie verlassen hat und den sie durch ein mehrstündiges tägliches Meditieren nach einem halben Jahr fast vergessen konnte. Ich schaute sie wortlos an und schlürfte an meinem heißen Teebecher. Charlotte kennt sich aus, auch in der Literatur, mit Esoterik, Gruppentherapie, Partnertherapie und Gesprächstherapie. „Pass mal auf“, sagt sie wieder und empfiehlt mir einen „Indianer“der an Wochenenden außergewöhnliche Therapiegruppensitzungen veranstaltet, „für nur dreihundert Euro pro Person“. Dem Indianer werden übernatürliche Fähigkeiten nachgesagt, die stark an Heilungen von Sharmanen erinnern. Jedenfalls sollen Blinde wieder sehen und Lahme wieder gehen können, wie es Charlotte ausdrückt. Sie muss es wissen, da sie die Kurse des Indianers schon drei Mal besucht hatte. Ich bedankte mich immer wieder, wenn unser Gespräch auf den Indianer kam, für den heißen Tipp, vergaß diesen aber im gleichen Augenblick, was Charlotte zu ahnen schien, denn mit einem „Pass mal auf“, drückte sie mir Telefonnummer und Adresse des Indianers in die Hand, ohne einen Hinweis auf die Dringlichkeit meines Falles zu vergessen.

Ich konterte ihre Fürsorge mit der kurzen Bemerkung, dass es mir ausschließlich darum gehe, dass Carol wieder zurück kommt, und ich eigentlich keine Therapie brauche. Schon hörte ich ein „ Pass mal auf“ und den Anfang einer endlosen Rede, die darauf hinaus lief, dass Carol nie wieder zurück kehrt. Ich stellte die Tasse in das Spülbecken.

Charlotte ist eine freundliche und etwas rundliche Frau, ihr Alter Ende dreißig, die für mich immer ein Ohr hat und ich für sie. Wie bei jeder etwas fülligen Frau, ist ihr Eigengewicht ein Thema, aber nicht nur das Gewicht, sondern auch etliche Programme und Diäten, mit den Versprechen, von den überflüssigen Pfunden herunter zu kommen. Ich habe kein Interesse an ihrem Abspeckprogramm. Meine Abneigung drücke ich sehr freundlich aus, indem ich betone, gerade ihre Körperfülle mache sie attraktiv.

Das Kompliment „Männer mögen Mollige“, beantwortete sie direkt mit „Männer manchmal Mist.“ Dabei lachte sie so laut und lang, dass ich ihre sämtlichen schneeweißen Zähne sehen konnte, von denen noch keiner künstlich eingesetzt wurde, wie sie mir einmal während eines Gespräches über Mundpflege erzählte.

Mit Charlotte kann ich alles besprechen, Privates als auch Geschäftliches. Die Arbeit in der Galerie ist nicht sehr aufwendig, so dass wir immer wieder Gelegenheit finden, uns auszutauschen.

Gestern bin ich einem netten Mann begegnet, ich kam gerade von meiner Therapeutin zurück. Er lächelte mich an, ich lächelte ihn an. Schade, der wärs vielleicht gewesen.“

Warum hast du ihn denn nicht angesprochen?“

Du bist gut, hast keine Ahnung von Frauen, spielst den Macho, manchmal den Supermacho und willst mir sagen, wie ich jemanden ansprechen muss.“

Langsam, immer langsam, aber lernt man das denn nicht in einer Therapie, ich meine Kommunikation und so?“

Pass mal auf, ich lach mich kaputt, du hast ja wirklich keine Ahnung, mein kleiner Macho. Heute wächst eine neue Generation von jungen Männern heran, die schnappen dir jede Frau weg, keine Weicheier, nein, auch keine Softies, die sind einfach nur nett, selbstbewusst und tun was für ihre Beziehung.“

Jajaja und warum hast du keinen von diesen Prachtkerlen, Charlotte?“

Immer wenn ich an ihrer Einsamkeit rührte, verstummte Charlotte und beendete den Dialog.

An diesem Tag legte sie nach.

Pass mal auf, darf ich dir etwas im Vertrauen sagen?“

Ihre Stimme wurde etwas leiser, und sie beugte ihren Kopf in meine Richtung.

So wie du in letzter Zeit herumläufst, ist das nicht gut für dich, das Geschäft, unser Job und auch nicht gut in den Augen der Frauen, aller Frauen. Besonders der Frauen, denen du noch begegnen möchtest, jajaja, du denkst nur an Carol, immer nur an Carol. Wenn du es endlich kapiert hast und mit einer Neuen turtelst, weißt du, was ich meine.“

Ich drehte mich wortlos in Richtung meines Computers.

Pass mal auf, es muss nicht das Teuerste sein, es muss nur gepflegt aussehen. Aber, hier, an deinem Hemd fehlt der unterste Knopf, wenn dein Hemd etwas verrutscht, was häufig der Fall ist, ist dein Bauch zu sehen.“

Ich spürte das Blut in meinen Kopf steigen. Es ist eher Wut als Peinlichkeit, jedoch eine Wut, die ich nicht steuern kann, die ich mir hinein fresse, tief in mein Innerstes. Umständlich korrigierte ich sofort mein Hemd, suchte tastend nach dem fehlenden Knopf.

Diesen Dialog führte ich erst gestern, er führte jedoch nicht zu konkreten Ergebnissen in Richtung einer Therapie. Im Gegenteil, Therapien nehme ich überhaupt nicht ernst, sie sind mehr eine Angelegenheit für Frauen wie Charlotte.

Das Telefon in der Galerie klingelt.

Ich setze mich auf den Schreibtischstuhl, meine Hände zittern, einfach so, ganz automatisch, ich kann die Bewegung der Hände nicht korrigieren. Mit einer Hand greife ich in meine eigenen Haare, beuge den Kopf nach unten, stütze einen Ellenbogen auf die Schreibtischplatte.

Carol ist am Apparat. Sie spricht nur drei Sätze, eindringlich und langsam. Ihre Stimme ist mir fremd und gleichzeitig vertraut. Sie ruft mich an, um mir zu sagen, dass sie keinen Besuch und auch keine Geschenke zu ihrem morgigen Geburtstag wünsche. Ich höre ein kurzes Knacken im Ohr, sie hat aufgelegt. Jetzt zittert mein ganzer Körper.

Nach meiner Meinung ist die männliche Psyche einiger Männern so angelegt, dass sie auf einen solchen Anruf mit einem Kommentar reagieren, wie „Leck mich doch am Arsch du alte Votze“ und sich dann endgültig von der Beziehung verabschieden, in den nächste Kneipe gehen, an der Theke ein Pils bestellen und nach „neuem Material“ Ausschau halten. Andere, ihre Anzahl kenne ich nicht, bekommen nach einem derartigen Anruf Weinkrämpfe, Übelkeit, wimmern „Mamma, Mamma, warum hast du mich verlassen!“ Nach Stunden wechselt ihre Stimmung zu ersten brutalen Rachegefühlen, wobei Rädern,Vierteilen und Federn noch eine der sanften Tötungsformen darstellt. So extrem die Wahnvorstellungen auch sein mögen, sie führen in seltenen Fällen zu tatsächlichen Tötungsaktivitäten und verflüchtigen sich nach wenigen Stunden. Diese Männer akzeptieren schließlich ihr Schicksal, werden nahezu unsichtbar, gehen ihrer Arbeit an der Hauptschule als Rektor nach oder als Abteilungsleiter einer Import und Export Handelsfirma, wagen die eine oder andere neue Beziehung, die gut gehen kann, was meist jedoch nicht der Fall ist oder gehen über zu einem ewigen Single-Dasein. Dazwischen finden sich viele Schattierungen männlicher psychischer Verletzungen, und sicherlich auch meine eigene.

Ich weiß nicht, wie lange ich den Hörer in der Hand halte, zehn Sekunden, vielleicht auch drei Stunden. Jetzt lege ich den Hörer auf den Tisch und meinen Kopf daneben schließe die Augen.

Unbemerkt betritt ein Besucher die Galerie. Er steht direkt vor mir, räuspert sich und fragt mich, ob ich tot sei, was ich mit „Ja“, beantworte und an das Ja noch den Satz anfüge, er solle morgen wieder kommen, heute sei ich wirklich tot.

Aus einer Entfernung von mehreren Kilometern, höre ich eine Stimme, die irgendetwas von mir will, ein Bild kaufen, die mich penetrant befragt, und die mir jedoch völlig gleichgültig ist. Instinktiv ist mir bewusst, dass ich nicht ewig meinen Kopf auf der Schreibtischplatte liegen lassen kann, neben dem Telefonhörer. Daher drehe ich den Kopf, ohne ihn zu anzuheben und spreche den Besucher an, wobei ich erfahre, dass der Besucher ein kleines Bild mit blauen Punkten, das gleich in der Ecke hängt, kaufen, bezahlen und gleich mitnehmen möchte. Als er hört, dass die Galerie grundsätzlich aus der laufenden Ausstellung keine Bilder abhängt, bedrängt der Käufer mich, es sei ein Geschenk und dieses solle heute noch übergeben werden. Außerdem würde er sich über ein passendes Geschenkpapier freuen, der Beschenkte feiere ein wichtiges Jubiläum.

Oh, wie ich diese Leute hasse, mit ihren Extras, denen das Geschenkpapier wichtiger ist als der Inhalt. Im Übrigen, Geschenkpapier, ich hasse euch Kunden, alle, besonders die, die ad hoc Geschenkpapier bestellen. Hier ist keine Boutique, kein Kosmetikshop, hier handelt es sich um Kunst, echte Kunst und nicht um einen Papierladen.

Ohne Murren, mit einem freundlichen Lächeln, gebe ich dem Käufer zu verstehen, dass ich in einer Minute vom Mc Paper Laden zurück bin.

Mir ist nicht unbekannt, wie man Kunden bei Laune hält. Doch jeder Kunde möchte mit Samthandschuhen angefasst werden und es bleibt einem gar nichts anderes übrig, freundlich zu tun, egal ob ein Großkotz in der Galerie herumlungert oder eine nette Person. Zur Zeit stehen die Sterne nicht günstig für gute Verkäufe. Die Preise für zeitgenössische Kunst sind nach der Bankenkrise eingebrochen, die Kunden vorsichtiger geworden.

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