vonErnst Volland 20.02.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Genau 12 Uhr

Dann, wenn der Himmel herunterfällt
und alle, alle Vögel schweigen
der Hund sogar stille hält
die Toten in die Lüfte steigen.

Feuer flackert, zischt, erlischt
Nebel trübt die ungläubigen Augen
an die Felsen brandet wild die Gischt
Säuglinge hastig die letzten Schlucke saugen.

1/1000 Sekunde noch geht der Atem
Ins Hirn schießt toxisches in Kammern
die Liebsten stammeln ein Amen
im Moment, wenn sie sich an dich klammern.

Du denkst, das wird nie geschehen
nicht jetzt in diesem deinem Leben
Drachen schwirren über die Seen
es wird heut kein Morgen geben.

 

Diesen Text habe ich nicht im kalten Berlin im Februar geschrieben. Ich hatte das Glück, zum ersten Mal auf Teneriffa zu sein, der schönen kanarischen Insel. Genauer in Icon, am Fuße des Teide, dem höchsten Berg Spaniens. Im Hause eines munteren kanarischen Zoologen (Gustavo), der mit einer deutschen Frau (Birgit) zusammen lebt. Manchmal trifft man Leute, mit denen man sich gut versteht. Das war hier der Fall, genauer, wir haben uns sehr gut verstanden. Ich bereite mich nie auf eine Reise vor, lese keinen Reiseführer. Ich möchte das Land unvoreingenommen authentisch erleben und bin daher am Tag 10 bis 15 km gewandert. In einem kleinen Laden kaufte ich Wasser, Obst und Brot, auch mal ein Stück Käse. Hundert Meter weiter wartete der erste Cortado, immer ein guter Cortado natural, mit frischer Milch und immer für einen Euro. Auf einer Passhöhe lief ich entlang, dann runter ans Meer, um einen am Morgen gefangenen Fisch zu essen, mit freundlicher Bedienung.

Mit Blick aufs Meer. Ich fragte mich, wie halten es Menschen aus, die aus dem Süden nach Deutschland kommen, Menschen, die in ihrer Heimat keine Arbeit finden und daher in den reichen Norden gehen müssen, wie halten die das Klima im Winter zb in Deutschland aus. Der Winter auf den Kanaren bringt in diesem Jahr  mehr Regen als jemals zuvor, wie mir eine 83jährige kanarische Frau auf ihrem Hühnerhof erzählte. “So lange ich denken kann, hat es nicht so viel und so oft geregnet”, sagte sie mir. Sie kann nicht lesen und nicht schreiben, verkauft Eier und Hühner, die um sie herum laufen. Ca 100 an der Zahl.

Trotz aller Schönheit der Insel erreichten mich Nachrichten vom Krieg. Durch Bananenfelder laufend, entwickelte sich das Gedicht Genau 12 Uhr. Ein extremer Kontrast zum blauen Himmel, den grünen Bananen und der Aussicht auf ein angenehmes Mahl. Gott sitzt nicht nur in Frankreich. Peace.

 

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