vonErnst Volland 11.10.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Am Abend bedient Jenny die Gäste. Roswita kümmert sich um die fünfjährige Tochter und den Haushalt. Roberto bleibt hinter dem Tresen.

Im ersten Augenblick wirkt Jenny wie die deutsche Ausgabe von Jessica Parker. Nach einer Woche weiß ich nahezu alles aus ihrem Leben, angefangen von der Geburt in Zwickau bis hin zum Urlaub an der westafrikanischen Küste. Von dort hatte sie einen Liebhaber mitgebracht, den sie in Deutschland nach vier Wochen heiratete. Er war der Trommellehrer eines esoterischen Kurses, der bei tropischen Temperaturen im Freien, direkt am Meer stattfand. Als nach drei Tagen klar war, dass Agbar nur noch für Jenny trommelt, kippte die anfangs gute Stimmung in der Gruppe um, die aus sieben Frauen und zwei Männern bestand. Jenny besorgte ihrem Trommellehrer Papiere und Geld für die Ausreise. Die Sache war nicht einfach, doch mit viel Charme, Geduld und reichlich Backschisch schaffte sie es, die afrikanische Trommel von Akbar nach Deutschland zu holen.

Nach einem halben Jahr saß er zum ersten Mal in ihrer Wohnung, mitten auf dem frisch gemachten Bett, rauchte und strahlte sie an. Jenny hatte nicht das gleiche strahlende Lächeln wie Akbar, der rauchen durfte, obwohl Jenny eine radikale Nichtraucherin war. Sie erlaubte Akbar in der ersten Zeit alles. Jenny übersah alle Ungereimtheiten. Sie engagierte sich auf seinen Wunsch für seine Großfamilie und schickte an manchen Tagen bis zu achtzehn Pakete in einem Rutsch an die afrikanische Küste zu den vielen Neffen und Cousinen Akbars. Als er anfing, Alkohol zu trinken, wunderte sie sich. Als er sich für andere Frauen interessierte, drückte sie alle Augen zu, solange er zu ihr zurückkam. Er klärte sie über die traditionelle Vielweiberei in seinem Heimatland auf, sie schluckte und schluchzte, er tröstete mit einem Trommelwirbel. An dem Tag, als er ihre zehnjährige Tochter schlug, rief sie die Polizei. Akbar lag am Boden, als die beiden Beamten erschienen und machte auf Vodoo. Aber das wusste Jenny noch nicht. Vodoo kannte sie nicht, schon gar nicht in ihren eigenen vier Wänden. Akbar lag auf dem Boden und rührte sich nicht. Er stellte sich tot. Aber wie sollte das ein Berliner Polizeibeamter erkennen, verstehen und entsprechend reagieren. Akbar, der eine Minute vor Erscheinen der Polizei noch quietschfidel mit einer Zigarette im Mundwinkel quer durch das Zimmer tänzelte, zuckte nicht mit der Wimper, reagierte auf keine Berührung, auch nicht auf Kitzeln an den Fußsohlen. Die Beamten äußerten, sie seien hier nicht zuständig, eher Grieneisen, und zogen wieder ab, eine unglückliche Jenny mit ihrer Tochter und einem Scheintoten auf dem Teppich zurück lassend.

Sie erzählte mir diese Begegnung am Ende eines langen Tages, kurz vor Schluss im Lido, nachdem ich sie zu einem Getränk eingeladen hatte und nur noch ein Single-Gast in sein Rotweinglas stierte.

Jenny, gelernte KFZ-Meisterin, brachte alle Voraussetzungen für den harten Kellnerjob mit, Humor und Schuhgröße 46, keine schlechte Grundlage, um die zehn bis zwölf Stunden zu überstehen.

Mit den Männern war sie durch.

Je älter du wirst, um so schwieriger ist es, den Richtigen zu finden.“

Als ich sie auf die vielen knackigen Kerle aufmerksam machte, die tagtäglich das gut gehende Cafe bevölkern und die Auswahl entsprechend riesig sei, konterte sie, ich sei auch nicht mehr der Frischeste.

Altes Lästermaul, die kannst du alle in der Pfeife rauchen, und nicht nur die hier. Ich werde mich wohl an daran gewöhnen müssen, allein zu leben. Mit knapp über fünfzig hast du als Frau kaum eine Chance, was Richtiges kennen zu lernen.“

Ich konnte sie in ihren Ausführungen über ihre Situation und die der Männer nicht stoppen. Sie redete sich in Fahrt.

Die meisten wollen doch nur versorgt sein, wie bei Mutti. Kommt bei mir nicht mehr in Frage, dass ich einem die Hemden bügele, geschweige wasche und auch noch zusammen lege, schrankfertig. Das sollen die mal schön alleene machen. Nee, mir geht’s solo besser. Wenn der Richtige kommen soll, dann kommt er schon. Aber nur auf Distanz, getrennte Wohnung und so.“

Wir hatten inzwischen den vierten Grappa getrunken. Der Single-Mann war verschwunden, sein Glas leer.

Wie unkompliziert doch einige Frauen waren, jedenfalls scheinen sie, wie Jenny, besser mit ihrer Lebenssituation fertig zu werden als die Männer.

Zurück in der Wohnung, springt mir die Leere ins Gesicht. Sofort drehe ich das Radio an, um fremde Stimmen zu hören, der Fernseher bleibt ohne Ton, das Bild flimmert in die Wohnung, RTL, „Deutschland sucht den Superstar“. Nur nicht das Gefühl von Einsamkeit aufkommen lassen.

Das Telefon klingelt. Bernhard, eine Nachbar, der den mobilen Essen Service „Leichte Küche-schnell gebracht“ betreibt, erinnert mich an unseren Termin, den wir vor einigen Tagen verabredet hatten. Er hat soeben die letzte Schraube mit Dübel in die Wand gebohrt, den Werkzeugkasten in der Hand und möchte jetzt vorbei kommen. Ich pflege gern Kontakt zu Menschen wie Bernhard, ich beneide ihre technische Fertigkeit, die mir gelegentlich nützlich ist. Bernhard geht nie ins Kino oder Theater, besucht keine Museen, kann dafür über tausend Fernsehsender empfangen, Neunhundert davon illegal, darunter etliche Pornoprogramme, rund um die Uhr. „Dauerständer garantiert“, mit diesen Worten versucht er mich in seine Wohnung zu locken. Seine vulgäre Sprache und sein genereller abfälliger Ton beim Thema Frauen ekeln mich an, Widerrede ist zwecklos, seine handwerkliche Hilfe ist kostenlos.

Ich lege mir einen Blondinenwitz zurecht, vergesse die Pointe, überlege, versuche mich an einen anderen zu erinnern und positioniere das defekte Bügelbrett in der Mitte des Raumes für die Reparatur.

Kannst nich mehr bügeln, wa, musste aber können, so rauf und runter mit dem Eisen, macht doch Spaß. Wie sieht’s denn aus mit die Weiber, hast jetzt doch freie Bahn, kannst voll zulangen oder tut der Arm weh vom Handbetrieb?“

Bernhard lebt seit Jahren mit einer Frau zusammen, die sich ihm „prinzipiell und aus freien Stücken“ unterordnet.

Ein Mann muss zeigen, wo der Hobel hängt, sonst wird das nischt mit der Beziehung.“

Sprüche dieser Preislage bringen mich zum Schweigen, was Bernhard nicht stört. Kaum in der Tür, monologisiert er ohne Punkt und Komma. Sein Sprachvermögen zwischen vulgär und Vulva erscheint unerschöpflich. Sein schamloses Mundwerk steht im totalen Kontrast zu seinen heilenden technischen Händen.

Ich darf nisch mehr im Stehen pissen, ein Leben lang habe ich im Stehen gepisst, ab heute soll ich

mich hinsetzen, will ich aber nisch. Sie besteht drauf. Ich versteh nisch, was die will. Macht doch heute plötzlich die Tür auf, ich halte meinen Lümmel gerade genussvoll ins Becken, als sie schreit. ‚Setzen‘, aber in einem Ton wie ein Peitschenhieb. Vor Schreck springt mir mein Schwanz aus der Hand, der dabei eine Drehung macht, und der Strahl streift den Rand der Toilettenschüssel und spritzt direkt in das Gesicht unseres Katers, der sich im Augenblick durch die offene Tür geschlichen hatte. Den Kater brachte sie ja in die Beziehung, Tierliebe geht vor Menschenliebe, das ist klar, aber wenn du mit so einem Kater zusammen lebst, der dir ständig vorgezogen wird, das nervt. Muckelchen hier, Muckelchen da. Ne.“

Er schaut auf das Bügelbrett, dass sich nicht mehr auf Hüfthöhe aufklappen lässt, zieht es, ohne seinen Werkzeugkasten zu öffnen, mit beiden Händen ein wenig auseinander und, wie ein Sesam öffne dich, springt das metallene Stehkreuz vom Brett ab und steht.

Als Honorar akzeptiert er widerwillig eine Flasche Metaxa. Ich gebe ihm zu verstehen, dass er die Flasche für die nächsten drei Hilfestellungen in meinem Haushalt anrechnen soll, womit er zufrieden ist.

Am nächsten Morgen steht Lukas Pürtzel vor der verschlossenen Tür der Galerie. Er schaut mich durch seine dicke schwarze Hornbrille mit starren Augen an. Seitdem er als Künstler und Maler in der Öffentlichkeit erscheint, ist er immer, bis auf ein kleines Detail, ganz in Schwarz gekleidet. Um sich in der schwarzen Uniformität von anderen zu unterscheiden, trägt Pürtzel seine Hosen in zwei verschiedenen Farben. Ein Hosenbein ist konstant in schwarzer Farbe, das andere variiert, heute trägt Pürztel gelb. Pürtzel besitzt ungewöhnlich lange Beine. Sein gedrungener Oberkörper, der leicht nach vorn gebeugt ist, unterstreicht die überdurchschnittliche Länge. Zwei verschiedene Jackenärmel könnten diese Wirkung nicht erzielen, sie wirkten albern, sogar deplaziert. Ein Sacco, mit zwei unterschiedlichen Farben, die sich in der Mitte treffen und das Kleidungsstück in zwei Hälfte teilen, würde eher einen clownesken Eindruck machen. Zwei verschiedenfarbige Hosenbeine, damit konnte man auffallen. Die Hose ist geschickt gewählt, sie unterscheidet ihn nicht nur von der Masse, sondern unterscheidet ihn auch von der Konkurrenz zu anderen Künstlern.

Josef Beuys beherrschte diese Inszenierung in der Öffentlichkeit perfekt, nicht nur durch seine ungewöhnliche Kunst. Sein ritualisiertes, asketisches Auftreten erinnerte an einen Medizinmann oder Schamanen, und die von Beuys vorwiegend benutzen Materialien, wie Filz und Fett, verliehen ihm in diesem Kontext übernatürliche Kräfte und stellten diese in den Dienst der Kunst. Hut und Weste entwickelten sich zum Markenzeichen, die sich im Gedächtnis einprägten.

Einen speziellen Schamanenmantel besaß er auch. Damit fegte er in einer Berliner Kunstaktion die Demonstrationsreste zusammen, die Teilnehmer am 1. Mai in den 70er Jahren beim Zug durch die Straßen zurück ließen. Der Müll wurde später in einer Glasvitrine auf Ausstellungen bis nach Los Angeles geschickt. Dort zierten die Reste zuletzt eine Schau beider Deutschen Staaten mit dem Titel „Kunst im kalten Krieg“.

In einer postmodernen Zeit der Remakes, in der jede Stilrichtung erlaubt ist, von abstrakt bis realistisch, bewegen sich alle Teilnehmer gleichzeitig auf einer Horizontalen. Eine künstlerische Avantgarde, wie sie in den 20er Jahren existierte, ist nicht mehr zu erkennen. Auf dem Markt bewerben sich tausende von unterschiedlich arbeitenden Künstlern, um die wenigen Plätze in Galerien und Museen. Demoskopisch zeigt der Beruf des bildenden Künstlers eine Pyramide. Oben an der Spitze befinden sich einzelne, die Erfolg haben, die Erfolglosen bilden den breiten Sockel, der sich nach oben verjüngt und sehr spitz zu läuft. Die Pyramide ist daher eher verzerrt zu sehen, mit einer sehr dünnen Spitze und einem riesigen Sockel.

Zu den bereits aktiven Künstlern gesellen sich regelmäßig neue Konkurrenten nach Abschluss an den Kunsthochschulen hinzu. Unterscheidet man sich auch nur minimal durch Kreativität und künstlerische Produktion von anderen, so kann die minimale Differenz durch ein geschicktes Marketing zum Erfolg führen, wobei das Outfit des Künstlers die Marketing-Strategie befeuert. Kunst und Künstler verschmelzen zu einem Label mit hohem Wiedererkennungswert in der Öffentlichkeit und bei den Medien.

Erst gestern las ich in der FIZ über einen 80jährigen Künstler:

Atmen mit dem Bild- Vom Farbkörper zum unendlichen Raum.

Mit „Bonjour, Monsiueur Cézanne“ begrüßte ihn einmal ein Wärter im Pariser Grand Palais, als er dort mit einer Pelzmütze erschien, wie sie der Meister getragen hatte. G.G. hatte sie sich anfertigen lassen. G.G. ist ein Künstler der pulsierenden lichtgetränkten Farbe. Sie gehört so sehr zu ihm, dass er sie auch für seine persönliche Erscheinung nicht ausspart. Wie Beuys hat er sein Äußeres bis in die Kleidung stilisiert. Lässt er sich vor einem seiner großformatigen „Farbraumkörper“ fotografieren, ist der Farbklang inszeniert. Olivgrün etwa vor einem Tintoretto-Rot. G. trägt Anzüge in Farben, die mit der Farbskala seines Oeuvres Korrespondieren. …

…Überwältigend sind seine großen Formate, in denen die Farben zu atmen scheinen. Wie G.G. sagt, interessiere ihn immer mehr der unendliche Raum, den die atmende Farbe zu erzeugen vermag. In der Betrachtung müsse man mitatmen, nur so trete man in sie ein. Wir stehen vor einem der monumental wirkenden Großformate (280 x 250 Zentimeter), mit dem Titel „Pudoluna“. In seiner irisierenden Gelbtönung erscheint es wie ein ausdehnendes Energiefeld. Auf das sinnliche Erleben ist seine Malerei seit ihren Anfängen in den sechziger Jahren reduziert: Farbe nicht als etwas Statisches, sondern Amorphes, Nuanciertes, Bewegtes, das sich aus der räumlichen Suggestion der Farbschichten um 1970 zum Farbraumkörper entwickelte. Es sind jene objekthaften, dick unterfütterten Leinwände, deren saugfähige Materialität diese tiefen, konturlosen Farbstimmungen hervorbringt. Das hat zur Folge, dass die Kompaktheit des Bildträgers in einem Gegensatz zur scheinbaren Schwerelosigkeit und lichtvollen kosmischen Erscheinung dieser Malerei steht. ….Für den Betrachter wird aus der Überwältigung ein Erstaunen. …“

(FAZ , 7. 6. 2010 Barbara Catoir, S. 32)

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