vonErnst Volland 08.11.2023

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Wir nehmen von jedem Künstler ein Bild in unsere Sammlung

Vor einigen Jahren konnte ich eine vielbesuchte Ausstellung in Berlin eröffnen.

Eine Freundin rief mich daraufhin an und meinte, sie sei an dieser Ausstellung interessiert und würde sie gern in ihre Stadt an der Katholischen Akademie zeigen. Ich stimmte zu, ohne über die ungünstigen Auflagen nachgedacht zu haben. Man musste, und das mussten alle Künstler, den Transport der Bilder selbst bezahlen, was teuer werden konnte, da der Ausstellungsort 800 Kilometer entfernt lag. Diese hohen Transportkosten konnten eventuell durch das Versprechen der Freundin kompensiert werden, die mir versicherte, die Akademie kaufe von jedem Künstler eine Arbeit an. Meine Freundin hatte sich auch schon ein Bild ausgekuckt. Dieses war wesentlich teurer, als sie dachte. Ich räumte ihr einen äußerst günstigen Preis ein, mit der Überlegung, es sei gut, in der Sammlung der Akademie auf Dauer vertreten zu sein. Vielleicht konnte der Preis in etwa die Transportkosten decken. Aber es kamen weitere Kosten hinzu.

Ich ging auf die Straße, um nachzudenken und einen Expresso im neuen Cafe zu trinken. Auf einem Liegerad radelte direkt vor mir ein guter Bekannter,

Manne, vorbei, den ich in Gedanken beinahe übersehen hätte. An einer Holzstange seines Fahrrades wedelte ein roter Fetzen Stoff. „Manne“ rief ich und Manne kehrte in einem großen Bogen um.

Ich lade dich zu einem Expresso ein. Dort drüben in das Cafe.“

Vor dem Cafe befestigte Manne mit einer dicken Kette sein Fahrrad an einem Laternenpfahl, griff die Holzstange und wankte in das Cafe. Ohne diese Holzstange wäre Manne umgekippt. Er litt an einer unheilbaren Krankheit. Sein Kleinhirn schrumpfte langsam zusammen, so daß er verschiedene haptische Fähigkeiten nicht mehr ausführen konnte. Dabei verlor er sein Gleichgewichtsgefühl und war somit auf diesen großen Stab beim Gehen angewiesen.

Kennst du jemanden, der einen Lieferwagen verleiht, preisgünstig. Ich muss einen Kunsttransport organisieren für meine Ausstellung.“

Wann ist denn der Transport?

Ich sagte das Datum. Manne nahm sein Handy und telefonierte.

Ich bin mit 5 % an einem Auto beteiligt, das du brauchst. Es ist dann frei. Wie groß sind denn deine Bilder?

Maximal 2 x 2 Meter. „

Einen Wagen haben wir. Moment, an welchem Wochentag wäre der Transport?“

An einem Donnerstag.“

Gut, mittwochs gehe ich regelmäßig in die Sauna. Weißt du was, ich fahre deine Bilder direkt zur Ausstellung.“

Man hat mir versprochen, ein Bild zu kaufen für die Sammlung der Akademie. Damit bezahle ich dich.“

Nach einigen Wochen fuhren wir los, hängten die Ausstellung in den Räumen der Akademie auf, eröffneten die Ausstellung und fuhren zurück. Fahren konnte Manne mit dem Lieferwagen, sogar ausgezeichnet. Die Behinderung war nicht zu bemerken.

Wenn du willst, hole ich mit dir die Ausstellung wieder ab“, meinte Manne auf dem Rückweg.

Zwei Monate später saßen wir wieder im Auto und fuhren über die Autobahn zur Akademie, um die Ausstellung abzubauen. Am Abend waren wir von meiner Freundin zum Essen in einem traditionellen Restaurant eingeladen.

Also, ich muß dir was sagen und es fällt mir sehr schwer.“

Sie machte ein Pause.

Ja, also, die Akademie wird kein Bild von dir kaufen. Das gab es noch nie, aber einige deiner kritischen Bilder sind in der Leitung nicht gut angekommen. Ich bin nur eine Stimme von dreien und die beiden anderen haben abgelehnt.“

Mir fiel die Kartoffel von der Gabel.

Manne, du mußt ein bisschen warten. Die Akademie kauft kein Bild.“

Am nächsten Morgen ging ich mit schlechter Laune in den Frühstückssaal der Akademie. Manne saß an einem langen Tisch, ihm gegenüber die einzige weitere Person im ganzen Raum.

Könnten Sie bitte an einen anderem Tisch sitzen. Ich möchte allein mit meinem Freund frühstücken, wie gestern.“

Der Mann schaute mich verblüfft an.

Ich gebe Ihnen 20 Euro, wenn Sie sich an einen anderen Platz setzen. Hier sind die 20 Euro.“

Ich legte sie auf den Tisch und ging an den Tresen, um mein Frühstück zusammen zu stellen. Als ich zurück kam, saß der Mann am Ende unseren langen Tisches.

Sie hätten die 20 Euro nehmen sollen“, sagte Manne. „Ich fange dann schon mal mit der Abhängung an.“

Abhängung?“ fragte der Mann. „Meinen Sie die Bilder der Ausstellung?“

Ja, das ist der Künstler.“ Manne zeigte auf mich.

Moment, einen Moment. Wenn Sie es wirklich sind, können Sie die Bilder ganz oben, die Sie „Eingebrannte Bilder“ nennen, zuletzt abhängen? Solche Bilder habe ich seit langem gesucht. Sie passen genau in mein neues Buch. Darf ich mich vorstellen, Prof. Dr. Braun, Universität Bonn. In einer halben Stunde kommen 10 Doktoranden von mir hier in die Akademie. Würden Sie bitte ein paar Sätze zu ihren Bildern sagen?“

Das mache ich gern,“ antwortete ich.

Ich lade Sie auch zu einem Vortrag an meiner Uni ein, wenn Sie möchten.“

Prof. Dr. Braun gab mir seine Visitenkarte.

Nach dem Gespräch mit den Doktoranden bauten wir die Ausstellung vollständig ab, verstauten die Bilder in dem Lieferwagen und fuhren aus der Stadt hinaus auf die Autobahn nach Berlin. Auf halber Strecke bat ich Manne, von der Autobahn 3 Kilometer abzufahren in Richtung eines kleinen Dorfes.

Ich kenne dort nette Leute. Vielleicht sind sie da. Habe aber die Adresse nicht parat. Kaffeepause.“

Es nieselte, als wir an einem größeren Platz anhielten, um uns zu orientieren.

Außer einem Mann, der an uns vorbei lief, war niemand zu sehen.

Hallo, kennen Sie die Familie Köller?“

Der Mann trat näher, schaute mich an.

Bist du der Ernscht?“

Ich war verwirrt. Der Mann meinte mich.

Ich bin der Bruder vom Franz. Die sind da, auch beide Töchter aus der Schweiz. Franz kommt gerade frisch von einer Operation, Bandscheibe.“

Im Hause Köller großes Hallo. Wir setzten uns an den reichlich gedeckten Kaffeetisch. Die Stimmung war optimal, die Operation ist gut verlaufen.

Beim Abschied fragte mich eine der Töchter, ob sie ein Bild von mir kaufen könnte. Ich jubelte innerlich. Die Akademie hatte abgelehnt und einen Tag später geschieht ein zufälliger privater Ankauf. Ich machte ihr einen sehr günstigen Preis. Jetzt möchte die andere Tochter ebenfalls ein Bild. Wir werden uns handelseinig. Abschied, Umarmungen.

Beschwingt stieg ich mit Manne in den Lieferwagen Richtung Berlin. Wir luden die Bilder sofort aus. Ich musste diese allein in mein Wohnatelier tragen. Jedes Bild war zu schwer für Manne.

Nach einer Stunde klingelte mein Handy. Gisela.

Du solltest in zwei Stunden ins Willy Brandt Haus kommen. Ich habe dein Willy Brandt Bild aus deiner Serie Eingebrannte Bilder aufgehängt.“

Das ist kein Grund zu kommen,“ sagte ich.

Es hängt direkt an einer Wand hinter dem Mikrophon. Jeder muss dein Bild sehen.“

Ich komme gerade von einer langen Tagesreise zurück.“

Sigmar Gabriel spricht zu Filmschaffenden der Berlinale.“

Gibt es ein gutes Catering?“

Jaaa!!“

In zwei Stunden bin ich da.“

Der Saal füllte sich. Gabriel, zur Zeit Bundesminister für Wirtschaft und Energie, erschien und redete druckreif aus dem Stegreif.

Nach seinem Vortrag bewegte ich mich in die Nähe der gedeckten Tische.

Gisela stellte sich mir in den Weg.

Hast du denn schon Kontakt mit Gabriel aufgenommen?“

Verstehe ich nicht. Warum?“

Wenn du schon mal hier bist, würde ich das machen.“

Sie schob mich von den Häppchen weg in Richtung Gabriel. Dieser war umringt von Menschen. Gisela zupfte an seinem Ärmel. Er unterhielt sich gerade mit dem polnischen Botschafter.

Sigmar, darf ich dir Ernst Volland vorstellen?“

Gabriel drehte sich um.

Ernst Volland. Ja. 1979 habe ich Sie nach Goslar eingeladen mit Ihren Karikaturen und Plakaten. Wir saßen gemeinsam auf dem Podium und diskutierten über Ihre Zensurfälle und Prozesse. Wissen Sie das noch?“

Ich erinnerte mich, dass Gabriel Vorsitzender der örtlichen Falken war, einer sehr linken Jugendorganisation der SPD. Gabriel war damals ein Jüngling von 20 Jahren. Ich erinnnerte mich schwach, da ich Ende der 70er Jahre in verschiedenen Städten auf dem Podium saß, um über meine Erfahrungen mit der Justiz zu referieren.

Gabriel drehte sich um, in Richtung meines aufgehängten Bildes.

Übrigens, die Wände in meinem Büro sind leer.“

Das werden wir ändern“, sagte Gisela, aber Gabriel hatte sich schon wieder seinen anderen Gesprächspartnern gewidmet.

Es dauerte noch einige Zeit, genauer ein halbes Jahr, bis das Bild MS 61, das er sich ausgesucht hatte, in seinem Büro hing. Die Geduld hatte sich gelohnt. Ich konnte den dreifachen Preis in Rechnung stellen, den ich der Freundin für die Sammlung der Akademie angeboten hatte. Auch Manne bekam sein Geld, mehr als verabredet war.

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