vonMathias Schwardt 01.11.2023

Von wegen Kultur

Obskure Musik, B-Movies und der Stand der Kultur: ein Blog von Mathias Schwardt. Foto: Peter Herrmann / unsplash

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Ein seriöser Autohändler sollte es tunlichst vermeiden, seinen Kunden einen dezibelstarken Dreifachauspuff zu verkaufen, wenn er weiß, dass die daran angeflanschte Karre nur in Kinderxylophongelb ausgeliefert wird. Wer Wert auf einen Dreifachauspuff legt, will kein Kinderxylophongelb. Da ist dann das Geschrei groß, und dem einst seriösen Autohändler bringt sein stolz in den Verkaufsraumboden eingelassenes Ausbildungszertifikat zu Aufbau und Wirkungsweise eines Dreifachauspuffs einen feuchten Dreck. Er wird in der Autoszene zum Paria und darf allenfalls noch Reifen verhökern.

Hätte er dagegen schon seit jeher einen schlechten Ruf gehabt, hätten sich seine Kunden also aus in der Opferrolle Verharrenden, Streitwütigen und, mangels Alternativen, Anschlusssuchenden zusammengesetzt, wäre das Angebot ein Perfect Match gewesen. Denn erfahrene Kunden kaufen beim unseriösen Autohändler ja deshalb, um enttäuscht zu werden und sich dann zuhause bei der Ochsenschwanzsuppe zu beklagen. Zum sechsten Mal übers Ohr gehauen, vom selben Händler!

Auch alte Bahn-App exzellent unausgegoren

Die Deutsche Bahn hat formidable Produktdesigner. Eine reibungslos schnurrende App würde die bundesweite Stotterei der zusammengedengelten Stahlschnecken derart konterkarieren, dass den Fahrgästen erst recht die Kämme schwöllen. Daher war schon die bisherige App exzellent unausgegoren.

Das Update jetzt muss außerordentlich schwierig gewesen sein. Eine neue App hat bessere Funktionen zu haben als die alte. Diesem Standard kann sich auch die Bahn nicht komplett verschließen. Gleichzeitig galt es mit Blick auf Angebote und Abläufe darauf zu achten, so wenig wie möglich Nutzer- und Serviceorientierung durchscheinen zu lassen. Bei einer übermäßig bedienerfreundlichen App hätte der Vorstand interveniert.

Aufgrund eines imaginierten Besuchs bei einem von David Hockney inspirierten Rollladendekorateur (ein besserer Grund will mir partout nicht einfallen) habe ich den „DB Navigator“ einem strengen Praxistest unterzogen. Und ich muss sagen: ein großer Wurf.

Gut: Bahncard nicht automatisch in Bestellvorgang integriert

Blitzgescheit ist schon mal der Einfall, bei der Installation die Daten aus der alten App zu übertragen, aber die Bahncard und die damit verbundene Ermäßigung nicht automatisch in den Bestellvorgang zu integrieren. Das soll der Kunde beim ersten Mal schön selber machen. Achtet er nicht drauf, die Schrift ist so groß wie in Büchern für Marienkäfer, latzt er den vollen Preis.

Und darf sich hinterher davon überzeugen, dass die Kohle-zurück-Funktion exakt so tief in den Gedärmen der App verborgen ist wie beim Vorgängermodell. Nein, in die verlockende Falle der erhöhten Transparenz sind die App-Designer bei den Complaints, dem eigentlichen Kernbereich der Bahn, nicht getappt. Da fühlt sich der Kunde gleich abgeholt und bedient.

Für meine Denkreise lege ich irgendein Datum fest: Am Freitag, 27. Oktober 2023, will ich von Stuttgart nach Bretten fahren und um 8.15 Uhr ankommen. Bretten, da war ich mal, das liegt bei Karlsruhe. Vor allem kommt man da mit dem Deutschlandticket hin. Das ist bei mir wie gewohnt in der App hinterlegt, und ich hoffe sehr, dass es auch nach dem Update nicht berücksichtigt wird. Wird es nicht, ich atme auf: 5,95 Euro soll ich zahlen, also zusätzlich zum Deutschlandticket.

Kompliment an Deutsche Bahn: Maximale Nutzerunfreundlichkeit 

Gleich danach hüpft mein Herz noch höher! Als früheste Verbindung erscheint eine Regionalbahn, die um 17.48 Uhr losrumpeln und um 18.55 Uhr in Bretten zum Stehen kommen soll. Das sind sensationelle zehn Stunden und vierzig Minuten nach der von mir gewünschten Zeit. Fünfmal muss ich auf „Früher“ tippen, bis Züge angezeigt werden, die vor 8.15 Uhr in Bretten sind. Nutzerunfreundlicher geht’s nun wirklich nicht. Mein Kompliment!

Jetzt bin ich richtig angefixt. Mit vor Aufregung klirrenden Brillengläsern suche ich nach einem ICE von Berlin nach Frankfurt und starte den Bestellvorgang. Jäh trifft sie mich mit voller Wucht: eine Verbesserung der App.

Man kann jetzt nicht nur einen Sitzplatz dazubuchen, sondern dafür, in einem Vorgang (!), auch noch Bonuspunkte einsetzen. Wussten Sie das überhaupt? Dass man Bonuspunkte, sofern man sie sammelt – bei der Bahn geht das nicht automatisch, obendrein verfallen sie irgendwann, was irgendwo in irgendeinem Kleingedruckten steht, ein die Bahn ganz wunderbar repräsentierendes Verfahren –, für Sitzplatzreservierungen einsetzen kann? Sehen Sie, wieder was gelernt. Jedenfalls musste der Kunde in der Ex-App ganz woanders hinnavigieren, wenn er Bonuspunkte verbraten wollte, und jetzt geht das plötzlich einfach.

Verbesserung der Bahn-App mit Verschlechterung aufgefangen

Doch zu sehr will die Bahn ihre Kunden nicht vor den Kopf stoßen. Das ist den Designern sicher mit der groben Schaffnerkelle eingebläut worden. Deshalb verknüpfen sie die Verbesserung mit einer hanebüchenen Verschlechterung. Bei mir kommt sofort wieder das wohlige Gefühl auf, verhöhnt zu werden.

Die Sitzplatzauswahl funktioniert jetzt wie bei Lufthansa. Weg ist das Menü mit der Auswahl zwischen Handybereich, Ruhebereich, Familienbereich, Hobbyimkerbereich usw. und jenes mit den Optionen Großraum, Großraum mit Tisch, Abteil, Karzer. Stattdessen muss der Kunde nun selbst per Finger durch sämtliche Waggons wischen, um seinen Hintern virtuell an einen Platz zu tackern.

Das Perfide und Bahngemäße daran ist, dass ein normaler Linienflieger einen Raum hat und sich ein ICE, ich hab‘ das mal oberflächlich gegoogelt, auch mal aus elf, zwölf Waggons zusammensetzt. Der längste ICE ist angeblich 374 Meter lang. Steigt ein Fahrgast am Bahnhof Köln hinten in einen Zug ein und marschiert bis zur Spitze, kommt er vorne in Leverkusen raus. Und der Zug hat sich keinen Millimeter bewegt.

Sinnlos lange Wischerei durch Bahn-Waggons

In der App dauert es deshalb sinnlos lange, bis man sich zum gewünschten Waggon (Aufschneidbereich für Großerben) gewischt hat. Außerdem muss man ständig auf die winzigen Symbole oben rechts achten, sonst sitzt man ungewollt und beispielsweise inmitten der Karies-Röntgenbildausstellung.

Ich will listig sein und drücke auf ein Symbol, sogleich klappt ein Menü mit allen Optionen auf. Wie wild drücke ich auf das Symbol „Ruhebereich“, bis ich merke, dass das gar kein Menü ist, sondern nur eine Legende. Wie die Dinger hinten in Speisekarten, die aufführen, welche Gifte man gerade in sich reinschaufelt.

Solche Assoziationen löst nur ein Unternehmen aus, das es draufhat. Die Bahn hat’s drauf, ich liebe sie. Auf die Fahrt nach Bretten verzichte ich allerdings, bis dort endlich ein gescheiter Rollladendekorateur sitzt.

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