vonmaggie 22.03.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

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Zunächst einmal bin ich selbst … tief unentschlossen. Ich meine, wer ist das in seiner Jugend nicht gewesen? Die vielen Möglichkeiten, die sich plötzlich auftun, sind doch für jeden überwältigend. Ich dachte, ich könnte mich im Protagonisten Simon wiederfinden und hatte gehofft, durch meinen 2/3-Tagesausflug nach Salzburg einige Schauplätze wiederzuerkennen. Leider hat weder das eine noch das andere funktioniert.

Simon kommt aus einigermaßen gutem Hause. Nach Kriegsende hatten sie übergangsweise in fast leerstehenden „Schloss“ in Parsch gewohnt, mit einem „weitläufige[n], terrassenförmig angelegte[n] Garten, [der] völlig verwildert [war].“ Im Sommer reiften die Quitten auf den Terrassen. Ihre Wohnsiedlung war für die amerikanische Besatzungsarmee freigeräumt worden.

Danach geht es ans andere Ende der Stadt, nach Liefering, wo der Vater das sogenannte „Behelfsheim“ baute, was unter keinen Umständen als solches bezeichnet werden darf. Simon interessiert sich für Motorräder, seit er alte Rennzeitschriften aus dem Altpapier fischte. Die Rennen für den Großen Preis von Österreich finden auf einer Autobahn ganz in der Nähe statt, Simon läuft jeden Nachmittag zur Rennstrecke. Über Umwege kommt er schließlich zu einer Ausbildung als Mechaniker der Werkstatt eines jungen Rennfahrers.

Zunächst scheint es, als könnte Simon nicht glücklicher sein. Nach der Ausbildung erfüllt er sich sogar den Traum von einer eigenen Maschine. Doch fest in der Werkstatt anzufangen kann er sich dann doch nicht vorstellen … sein ganzes restliches Leben an immer denselben ordinären Maschinen zu Handwerkeln. Über einen Kunden gerät er in die Theaterszene der Stadt, er fängt an, im Spazierengehen zu rezitieren und war „mit einer wilden Freude“, als einmal ein junges Paar stehen blieb und horchte. Er bewirbt sich schließlich an einer Schauspielschule nah München. Doch das ist kaum seine letzte Station – auch die Schauspielerei scheint ihm nach einiger Zeit nichts mehr zu sein; er treibt wieder ziellos in seiner Heimatstadt herum. Ein Reisebüro und eine veröffentlichte Kurzgeschichte bringen ihn danach in die nächste Branche. Ein Ende ist nicht in Aussicht.

Am Stil habe ich nichts zu mäkeln, die österreichischen Namen und Begrifflichkeiten waren ein Schmaus dazu. Von der Struktur bin ich leider einigermaßen enttäuscht. Die Orientierungslosigkeit wirkt allzu präzise geplant, durch die explizite Beschreibung aller Institutionen und Personen wird es noch verstärkt.

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Dazu kommt Simon als Charakter selbst, den ich bemängeln muss. Nicht nur, dass er in nichts aufzugehen scheint. Er wirkt auf mich fast identitätslos – da sind keine Konstanten, Gewohnheiten, keine übergeordneten Grundwerte erkennbar. Allgemeine Präferenzen, die den Lebensstil betreffen wie Unabhängigkeit oder die Art der Arbeit (Büro vs. Bühne) existieren quasi nicht. Deshalb wirken die winzigen Übergänge zwischen den Phasen teilweise völlig aus der Luft gegriffen, sie sollen zufällig wirken, sind jedoch einfach zu durchschauen. Natürlich bricht man während einer längeren Krankheit plötzlich aus der Routine aus und hat Zeit zum Nachdenken – aber warum wird diese Idee direkt zweimal hintereinander angewandt?

Die Geschichte steuert auf nichts zu, das Ende ist unbefriedigend für mich (obwohl ich offene Enden sehr liebe). Der Roman hat mich in meiner Orientierungslosigkeit weder getröstet noch kritisiert. Auch wenn Simon zweifellos liebenswürdig ist, finde ich es schwer, sich mit ihm zu identifizieren.

Ob er als gutes Vorbild angesehen werden kann? Dass ein gewisses Maß an Orientierungslosigkeit wundervoll ist, wusste ich davor auch schon. In gesellschaftlichen Subgenres dissoziieren und sich ausprobieren, kein stringenter Lebenslauf, Erfahrungen sammeln – all das ist manchmal notwendig, um irgendwann etwas zu finden, indem man aufgeht. Dass jedoch genau das bei Simon bis zum Ende des Buches nicht der Fall war, hat mich eher demotiviert.

Leider wirklich unbefriedigend. Und schade um den wundervollen Schreibstil. Ich sollte ein anderes Buch von ihm lesen.

ISBN: 978-3423139656

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