Wir reden über Konsens. Beim Sex meinen wir meistens Einvernehmlichkeit. Also die Grundlage, dass sexuelle Handlungen okay sind, weil alle Beteiligten damit einverstanden sind. Die Frage bleibt immer: Woher wissen wir, dass dem so ist?
Wenn Leute ‚Nein‘ sagen gibt es meiner Meinung nach und auch juristisch nichts mehr zu diskutieren. Ein ‚Nein‘ ist ein ‚Nein‘ ist ein ‚Nein‘. Aber ist kein ‚Nein‘ immer auch ein ‚Ja‘? Oder verlieren sich Zustimmung und Einverständnis irgendwo in den unendlichen Weiten der Missverständnisse von Non-Verbaler aber auch verbaler Kommunikation. Ist ein „Kommst du auf einen Kaffee mit nach oben?“ schon ein ‚Ja‘ zu Sex? Oder vielleicht viel mehr ein – ‚Ja‘ zu vielleicht Sex, wenn wir Kusstechnisch schon mal matchen und du kein Wandtattoo in der Küche hängen hast, was mir sagen will Carpe diem und so. Das stresst mich. Wobei: würde die entsprechende Person das Wandtattoo leidenschaftlich herunterreissen und etwas rufen wie: „Scheiß auf Carpe diem – ich will dich jetzt und hier. Wir hebeln die Gesetze von Zeit und Raum einfach aus und vögeln als ob’s kein Morgen und generell kein Sterben gäbe!“ Wer weiß – vielleicht würde ich ganz schnell ganz laut ‚Ja‘ rufen.
Kompliziert wird es dann, wenn alle Beteiligten unterschiedliche Schlüsse aus Kommunikation ziehen. Wenn mein Gegenüber meint, das mit dem Kaffee ist ein ‚Ja‘. Und für mich ist es nur ein Kaffee. Oder für mich ist der Kaffee ein ‚Ja‘ zu Sex und für mein Gegenüber nur ein ‚Ja‘ zu Kaffee. Wir fügen der ganzen Missverständnis-Komponente noch hinzu, dass wir einen wilden Mix an Bildern von Sexualität gelernt haben und wie wir Sex zu wollen haben (als Mann immer, als Frau schon auch aber niemals offensiv und bitte gerne auf die Befriedigung des Mannes fokussiert. Alles außerhalb des binären Hetero-Systems – ist einfach fast gar nicht sichtbar) – und schon wird es fucking kompliziert wann jetzt wer, wie und warum vielleicht, ‚Ja‘ sagt oder gar nichts und am Ende aber etwas anderes will.
Zurück zum Tür-Szenario:
Also wir stehen unten vor der Tür. Ich frage mein Gegenüber ob es mit hoch auf einen Kaffee möchte. Ich will zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall Sex. Mein Gegenüber sagt ‚Ja‘ zum Kaffee. Vielleicht weiß mein Gegenüber auch, dass das irgendwie eine Zustimmung zu mehr impliziert – will das zwar nicht in erster Linie, will aber nicht die gute Stimmung auf’s Spiel setzen. Möchte mich nicht enttäuschen. Es gibt wirklich genug Gründe Sex zuzustimmen, ohne grundsätzlich in erster Linie Sex zu wollen. Es ist möglich einvernehmlichen Sex zu haben, ohne dass alle ständig vor Freude ausflippen. Das wird auch in anderen Lebensbereichen nicht erwartet. Du stimmst zu, eine Aufgabe in der Arbeit zu übernehmen, da eine andere Person um Hilfe bittet und du rufst nicht erfüllt vor Glück ‚ja‘, weil du diese Aufgabe jetzt auch noch erledigen darfst? Du bist eher mittelbegeistert, aber tust es trotzdem, weil du diese Person gerne unterstützen möchtest? Das finden wir in dem Kontext irgendwie okay. Bei Sex und Gefallen? Schon schwieriger.
Ich denke das ist der Tatsache geschuldet, dass bei sexuellen Handlungen die persönlichsten Rechte eines Menschen berührt werden. Deswegen finde ich es sehr begrüßenswert, dass wir so viel darüber diskutieren. Wir sollten es noch mehr tun. Vielleicht jedes Mal bevor wir irgendjemand anfassen. Denn wenn zwei Menschen körperlich intim miteinander sind, ist es oft eine schmale Gratwanderung zwischen Konsens und übergriffigem Verhalten. Meine Gedanken richten sich in diesem Sinne an alle Leute, die gemeinsam eine gute Zeit haben wollen beim Sex. Die, die nur vielleicht noch nicht wissen, wie das so genau geht.
Und früher so?
Ich habe viele Grenzüberschreitungen beim Sex erlebt. Aber eben nicht weil mein Gegenüber bewusst oder absichtlich meine Grenzen überschritten hätte. (Auch diese Fälle gab es, aber das ist juristisch eindeutig und hat nichts mit Missverständnissen zu tun. Punkt). Es waren viele Grenzüberschreitungen weil ich nicht wusste, dass ich Grenzen haben darf, Grenzen habe und diese Grenzen auch kommunizieren kann und in letzter Konsequenz kommunizieren muss, wenn ich will, dass sie von mir respektiert werden. Auch weil mein Gegenüber und ich seltsame Vorstellungen davon hatten, wie Sex sein soll. Wie ein „schlechter“ Porno eben mit Laienschauspieler*innen. Wobei das Vorspielen von Orgasmen? Perfektioniert! Denn darum ging es doch am Ende. Das immer alle kommen. Ich als Frau, dass sich der Typ eben gut fühlt, weil er es „bringt“. Der Mann – weil irgendwie Sex ohne männlichen Orgasmus. Hä? Noch nie gehört. Gibt’s ja gar nicht. Naja, aber zurück zur Perfektion: wenn es eben unangenehm war, dann einfach den Höhepunkt schneller vortäuschen. Kein Problem. Unfair für die Person, die dachte sie hätte Wunder vollbracht. Unbefriedigend für einen selbst und verwundert, dass das nicht aufgefallen ist. Zumindest zufrieden mit den eigenen Performancekünsten.
Es würde also unter die Kategorie schlechter Sex, aber eben auch irgendwie Konsens fallen. Zwischen enthusiastischer Zustimmung und strafrechtlich relevanten sexuellen Handlungen stellen wir an Hand dieser Darstellung fest, gibt es so einiges. Nuancen und Graubereiche. Und genau mit diesen tun wir uns in Diskussionen oft schwer. Wo es nicht klare Opfer und Täter*in gibt. Sondern zwischenmenschliche Begegnungen, in denen vor allem Sensibilität, Transparenz und Informationen fehlen und am Ende ist es scheiße für beide Seiten.
Aber wenn wir jetzt davon ausgehen, die Mehrheit der Leute ist an Sex interessiert, der allen Beteiligten Spaß macht, die also grundlegend Interesse an einer gemeinsamen Befriedigung von sexuellen und anderen Bedürfnissen haben, ohne übergriffig sein zu wollen – und ich glaube wirklich, wirklich, wirklich, dass das die meisten sind – dann muss es doch Lösungen geben!
Am Ende will’s niemand gewesen sein
Also betrachten wir das grundlegende Problem: Vor allem Frauen artikulieren zunehmend in der Öffentlichkeit, dass sie übergriffige und grenzüberschreitende Situationen erlebt haben, aber niemand will’s am Ende gewesen sein. Aber irgendwer muss es ja gewesen sein. Also was, wenn die Menschen, die übergriffig waren, noch gar nicht verstanden haben, dass sie nicht unbedingt Profis sind, im Emphatisch-Grenzen-Wahrnehmen? Weil sie so damit beschäftigt sind zu liefern, und unter dem Druck gar nicht mehr so gut achtsam sein können. Was wenn wir gemeinsam als Gesellschaft neu lernen müssen, wie Sex realistisch „funktioniert“ damit alle sich wohl fühlen?
Ist also die Lösung immer ein explizites ‚Ja‘ und Zustimmung? Weil es sonst keine Sicherheit geben kann? Als ich damals vom Konsens-Prinzip gehört habe. Alles in mir so: JA JA JA. Das ist die Lösung. Denn wenn ich etwas nicht weiß, dann hilft meistens nachfragen. Vor allem wenn ich direkt die Person fragen kann, die meine Handlungen betreffen. Also super. Tolle Sache. Mein Gedanke: Wenn das alle machen, dann ist’s vorbei mit der Übergreiferei!
Exkurs Metzgerei: Die Frage „darfs ein bisschen mehr sein?“ wenn es statt 150 Gramm Salami doch 163 Gramm sind, ist Standard. Also wenn mir jemand gerade seine Salami in den Mund steckt: Darf’s ein bisschen tiefer sein? Zack. Und schon wird es schwierig. Würde mein Gegenüber jetzt bei verbaler Kommunikation den Unterschied von Ja und Nein verstehen? Wäre es nicht sinnvoller an dieser Stelle mit non-verbalen Methoden zu arbeiten? Und vor allem: Wie kleinschnittig brauche ich konkrete Zustimmungen?
Thema Konsens und Grenzen aus einer lustvollen Perspektive betrachten
Die Debatten zu führen, um sexuelle Übergriffe zu verhindern, sind unbedingt notwendig. Ich glaube, es gibt viele Menschen, die in ihrem Leben übergriffig waren, die Übergriffe erlebt haben, aber sich dessen gar nicht bewusst sind. Diese Debatten fokussieren sich oft auf – nennen wir es – gesellschaftliche Defizite und die Behebung von Missständen.
Bei Sex treffen Menschen aufeinander, die für einmal oder für längerfristig herausfinden, was die gemeinsame Lust-Schnittmenge ist. Und wenn man es schafft sich darin zu bewegen, können alle maximal Lust empfinden. Also sehen wir die Debatten um sexuelle Zustimmung doch bitte auch als eine große Chance, um viel mehr geilen Sex zu haben. Ich möchte also wirklich dringend dazu auffordern, dass wir das Thema Konsens und Grenzen aus einer lustvollen Perspektive betrachten. Finden wir doch bitte alle heraus wo unsere Grenzen sind und schreien sie in die Welt hinaus. Je mehr wir unsere Grenzen kennen und üben sie zu formulieren, umso mehr können wir sicher gehen, dass wir Spaß beim Sex haben.
Lernen wir doch alle gemeinsam, wie wir mit den eigenen und den anderen Wünschen, Bedürfnissen und sexuellen Sehnsüchten umgehen, ohne Arschlöcher zu sein. Wir wollen gerne zu Dingen ’nein‘ sagen dürfen? Also vielleicht üben wir es, nicht gleich persönlich zu nehmen, wenn jemand ein anderes Mal ’nein‘ sagt. Lernen wir ‚Nein‘ zu sagen und lernen wir ‚Nein‘ anzunehmen. Lernen wir einem vielleicht etwas Raum zu geben, um zu sehen, ob es ein ‚Nein‘ oder ein ‚Ja‘ werden will. Lernen wir (Achtung: Trendwort!) achtsam mit uns und unserem Gegenüber zu sein beim Sex, dass wir, wenn wir wollen, hemmungslos los vögeln können, ohne das Grenzen missachtet werden.
Nennt mich naiv und cheesy: aber am Ende wollen wir doch als Menschen alle gesehen werden und in unserer Verletzlichkeit wahrgenommen werden. Vielleicht ja sogar noch wer, wenn wir dabei nackt sind.