Bei Amazon wird dieses Buch oft zusammen mit Romanen von Ilija Trojanow gekauft. Ein grobes Missverständnis! Armin Thurnher ist fraglos einer der besten und konsequentesten Autoren Österreichs, und er ist klug genug, sich auf Bühnen und Podien, im Fernsehen und im Radio rar zu machen. Sein überragendes Können liegt im nachdenklichen Formulieren: Je knapper, desto treffender.
Dieses besondere schreiberische Talent zur kleinen Form macht Thurnhers Bücher quasi automatisch zu Episodenwerken, in denen Tagebuchnotizen und Zeitungsartikel, Glossarisches und Kommentarisches, Sammelsurisches und Bockstößiges zu einem irgendwie symphonischen Ganzen komponiert werden. Entsprechend wechseln Tonfall und Stil alle paar Seiten, Essayistik folgt auf Satire, Witz auf Gelächter, und manchmal auch umgekehrt.
Wir vernehmen Thesen zur EU-Finanzkrise, folgen einer launigen Chronik politischer Skandale, stolpern auf Seite 154 über einen ziemlich unkomischen Harald Schmidt, und und und –
Thurnhers Erzählstrom ist sicherlich dort am zwingendsten, wo er Robert Musils berühmten Ratschlag beherzigt, sich nicht als erkennendes, sondern als erlebendes, fühlendes und wollendes Objekt darzustellen. Zu den Glanzpunkten des Buches gehören die Schilderung eines Laptop-Diebstahls, eine Sozialreportage aus dem Weinviertel und die Chronik einer in historischen Etappen gescheiterten Berufstitelverleihung an den Autor.
Freilich sollte man auch bei letzterer Passage das Personal der österreichischen Innenpolitik gut kennen, sollte einen Heinz Fischer und sein »krawattenloses Alter Ego«, Bruno Aigner, als physische Gestalten vor Augen haben, um Sätze wie diesen goutieren zu können: »Waren die beiden anfangs fast gleich groß, wuchs der Präsident mit der Würde seines Amtes, während sein Sprecher unter den Pflichten des Amtes leicht zu schrumpfen schien«.
Wie jedes mutige Werk enthält auch dieses Buch eine Reihe von mehr oder minder anzweifelbaren Thesen: * dass die digitale Wende als Epochenbruch die Erfindung des Buchdrucks in den Schatten stellt; * dass die Zunahme des Plebiszitären und das Ansteigen von Korruption zusammenhängen; * dass Österreich »durch und durch katholisch« sei; * dass »humanitäre Militärintenventionen« unternommen würden, um für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen (das werden sie eben nicht: sie sollen das Schlimmste abwenden oder beenden, sie wollen den Vertrag auf gegenseitige Indifferenz überwinden … der Ursprung militärischer Interventionen ist, wie Michael Walzer lehrt, nichts als unsere Scham über den Massenmord).
Zu bezweifeln wäre weiters, * dass afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer »unter freudlicher Assistenz der italienischen Küstenwache ertrinken«. Und schließlich die Hauptthese des Buches: * dass die Privatsierung der Politik allenorts den Verlust ihrer Würde bedeute. Jeder Staat, behauptet Thurnher, besitzt eine Würde; und in der Hohlheit der öffentlichen Darbietungen unserer Politiker und Medien liege »Entwürdigung«.
– Wird fortgesetzt –
© Wolfgang Koch 2013
Armin Thurnher: Republik ohne Würde. 292 Seiten, Wien: Paul Zolnay Verlag 2013, ISBN 978-3-552-05603-9, TB 17,90 EUR