vonWolfgang Koch 08.09.2018

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, wer international das Eis für Nitsch gebrochen hat. In Italien war es die grosse Kunstdame Rosanna Chiessi, in Spanien die Galeristin Joana de Alzpuro, in Ungarn der Intellektuelle Lajos Adamik, in den USA der Doyen des Avantgardefilms, Jonas Mekas, und in Ozeanien der tasmanische Millionär und Mona-Gründer David Walsh. Ein Meeting dieser Köpfe müsste jedem TED-Changemaker die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Mit seinen besten philosophischen Kommentatoren – Psychologe Wolfgang Tunner, Ästhetikkoryphe Peter Gorsen, Altphilologe Ekkehard Stärk, Armin Zweite, Diastema-Autor Romano Gasparotti und dem Theoretiker der Transarvangardia, Achille Bonito Oliva – hätte man locker die Platonische Akademie wiedereröffnen können.

Ich kenne nur einen einzigen Künstler Österreichs, der vor Nitsch eine solche Aufmerksamkeit im Gebäude der Weltkultur erregt hat, und das war Mozart.

Unter den Mandarinen des internationalen Ausstellungsbetriebs sei an den Documenta-Leiter Harald Szeemann 1972 erinnert, 1989 holte Rektor Kaspar König Nitsch an die Städelschule in Frankfurt, Johannes Gachnang und Rudi Fuchs förderten ihn, das Nitoglyzerin-Duo Gabriele Lindinger und Karlheinz Schmid, sowie eine ganze Armada von Museums-, Theater- und Operndirektoren.

Staatsopernchef Ioan Holender liess Nitsch 2001 unter dem Druck der Mitte-Rechts-Regierung skandalöserweise fallen, rettete ihm dann aber zwölf Jahre später, durch einem zufällig am Tag des Schlosseinbruchs angesetzten Versöhnungstermin, mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben.

Musiker und Künstler

Ab 1995 stattete Nitsch Opernproduktionen von Massenet, Philip Glas und Le Renard optisch opulent aus, er schuf Vinyl-Raritäten mit dem US-Produzenten Bob Clark und erzog das Multitalent Andrea Cusumano zum Lieblingsdirigenten der eigenen Werke.

Die Liste der Künstlerfreunde ist endlos. Selbst die Viererbande, die als »Wiener Aktionisten« in die Annalen einging, ist nur die halbe Wahrheit. Neben Schwarzkogler, dessen Nachlass Nitsch rettete, dem Zerreissungsvirtuosen Brus und Gangleader Mühl, der als Sozialexperimentator und Grosskommunarde zum überführten Sexualstraftäter wurde, agierten in der heissen Viertelstunde des Wiener Aktionismus auch noch der Blutorgler Adolf Frohner, Kurt Kren, Peter Weibel, Jerzy Bereś, u.a.

Den zweiten wichtigsten Kreis bildeten 1966 die internationalen Avantgardisten des »Destruction in Art Symposium« in London rund um Raphael Montanez Ortiz und Gustav Metzger. Es folgten deutsche Malerfürsten, der Nietzscheaner Peter Friedl, die Unikat-Drucker Kurt Zein und Monique Har-El, deren Namen noch in vielen Dissertationen auftauchen werden. Schliesslich Nitschs Studenten und Schüler; vor zwanzig Jahren schätzte er Piotr Uklanski besonders, heute ist es der Türke Ekrem Yalçındağ.

Gegner und Feinde

Seit jeher zieht Nitsch Vorteile aus der Gegnerschaft. Nicht jeder hat Lust, sich in seinem extensiven Bewusstseinsraum zu bewegen, sich mit Dingen vertraut zu machen, die in den Heldenepen seit Homer nicht berücksichtigt werden.

Der erste Verfolger vom Dienst hiess György Sebestyén. Ab 1974 setzte der Linksjournalist Michael Siegert der »Paläopsychologie« mit dem Faschismusverdacht zu, gefolgt vom FAZ-Redakteur Peter Iden. Die Wiener Lokalphilosophen Rudolf Burger und Franz Schuh veräppelten Nitsch als »Krachledernen« und »überdimensionalen Heurigenwirt«.

Der Übergang von intellektueller Verachtung zur offener Feindseligkeit verlief oft fliessend. Ein Klima dumpfer Schrecken schufen der Medienzampano und spätere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk, der selbsternannte »Pornojäger« Martin Humer, Salzburgs Weihbischof Andreas Laun, FPÖ-Generalsekretär Peter Westenthaler, die Zeitungsherausgeber Kurt Falk und Hans Dichand. Martin Balluch führte – unter Beifall von Karikaturist Manfred Deix – militante Tierrechtler an, auf deren Konto eine Reihe nie geklärter Sabotageakte gehen.

Vollständig wird die Liste der Bösewichte mit Flavius Sferle, dem mutmasslichen Drahtzieher und Hauptverdächtige des Millioneneinbruchs 2013, der bis heute von den Behörden unbehelligt in Rumänien lebt; sowie mit dem Kärntner Privatdetektiven Dietmar Guggenbichler, der sich der Erpressung von Verbrechensopfern schuldig gemacht hat. Seine Niedertracht brachte Nitsch in steuerliche Bedrouille und rückte eine ganze Branche ins Zwielicht.

© Wolfgang Koch 2018

Fotos: 155. Aktion am 1. September 2018 im NMM, Bildrechte: Hermann Nitsch 2018, Aufnahmen: Wolfgang Kober, Team Niel, Reinhard Ehn.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2018/09/08/universum-aus-empfindlichen-reagenzien-34/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert