Nach ersten Veröffentlichungen in literarischen Zeitschriften und Auftritten vor Publikum verschwand Alfred Goubran für viele Monate in den Trichtern von portugiesischen Chillums. Er fingerte am Kickloch von Bongs und vibrierte im Schallloch der siebenseitigen braslianischen Gitarre. Wir sagen heute zu solchen Ausflügen: »Der war damals in einer Hippiephase«, und unterschlagen dabei, dass gegenkulturelle Praktiken und Hippie-Werte (Reisefreiheit, Drogenseligkeit, Selbstgenuss) auf dem Feld der Kultur einen gewaltigen Siegeszug angetreten haben und sich zu jener Form einer neuen Bürgerlichkeit verwandelt haben, die heute die herrschende Subjektivität definiert.
1993 gründete Goubran in Klagenfurt den Kleinverlag Edition Selene, übersiedelte 1998 damit nach Wien, und brachte im Verlauf von 17 Jahren rund 300 Bücher und Kataloge damit heraus. Seine Verlegerphilosophie war absolut radikal: Das letzte Wort in Design- und in Inhaltsfragen hatten immer die Autor*innen und Künstler*innen. Das hat nicht einmal der schrägste aller deutschprachigen Verleger, der Ex-Dealer Werner Piper, mit der Grünen Kraft in Lörbach zusammengebracht.
Als Goubran neun Jahre später noch immer keine Villa mit Swimmingpool besass, griff er beherzt selber in die Tastatur und verfasst eine wilde Polemik gegen die Erfolgsgeneration. Die Streitschrift erschien 2002 unter dem Titel »Der Pöbelkaiser oder Mit den 68ern Heim ins Reich« und rasierte mit einer giftigen Klinge aus Vorwürfen, Unterstellungen und Denunziationen über den Grünen-Politiker Joschka Fischer, den Rechtspopulisten Jörg Haider, den Theatermacher Christoph Schlingensief sowie über die Literaturheiligen Peter Handke und Elfriede Jelinek hinweg. Michael Köhlmeier warf er im selben Jahr vor, seinen Stoff nicht zu erzählen, sondern wie ein Discjokey zu Samplen, um sein Publikum zu unterhalten.
Im Unterschied zum literarischen Beschimpfungsvirtuosen Thomas Bernhard fehlte Goubrans Rundumschlag damals die melodiöse Sprache. Die Neue Züricher Zeitung schmetterte den Grabenkampf gegen die Kassenfüller des Kulturbetriebs gnadenlos ab mit »hundert Seiten Haarspaltereien« und »pure Idiosynkrasie«. Auch die Kopfschüttler in Wien übersahen den innovativen Grundgedanken dieser Polemik. »Wer in einer Zeit etwas gilt«, behauptet Goubran, »muss auch etwas mit der Zeit zu tun haben. Die Dichter, die hochkommen, kommen hoch, weil sie gerade nicht stören. Andere, die stören, kommen gar nicht hoch. Handke, Jelinek, Robert Menasse – das sind Opportunisten und sie wären es auch in einer anderen Zeit gewesen.«
Zwei Jahrzehnte bekräftigt Goubran seine damalige Sicht: »Die FPÖler nach Haider waren strohdumm, eigentlich eine Minderheit, auf die man da losging. Der ganze Antifaschismus war eine super Ablenkung von den wirklichen Verhältnissen. Doron Rabinovici, Robert Schindel, Jelinek, Handke – das waren doch genau die Leute, die in der Haider-Zeit etwas galten. Meiner Ansicht nach kommen immer nur die hoch, die die Wahrheit nicht stören. Wer sein Leben lang an seiner Integrität arbeitet, kann keine öffentliche Position einnehmen, auch nicht die des Warners oder Kritikers.«
Goubran radikalisiert damit Adrian Turels berühmte These, wonach der Erfolgsstreit eine Grundvoraussetzung für Kreativität ist. Wer erfolgreich ist, hat seine Kreativität bereits am Altar der Unterhaltung geopfert und stellt dann in der Öffentlichkeit die grundverkehrten Fragen. Ob jemand Hitler auf der Reichstagstreppe anhimmelt oder ob struktureller Rassismus in seinen Adern pocht, die Empörung darüber führt bloss in den Steinbruch der Symbolkriege. An diesem Ort aber werden die wirklich notwendigen Fragen gar nicht mehr gestellt. Zum Beispiel die Frage, warum es im österreichischen Parlament keinen Untersuchungsausschuss über die Opfer der Parteibuchwirtschaft gibt, also über die durch Proporz und Klüngel verbauten Möglichkeiten von Menschen. Hat es in diesem Land nicht schon Selbstmorde gegeben infolge der politischen »Injektionen« bei der Vergabe von öffentlichen Posten und Aufträgen? Die Ämterpatronage ist bekanntlich eines der Grundübel unserer Republik und geht vom kleinen Schulwart bis zu Direktoren staatlicher Betriebe quer durch alle Parteien.
© Wolfgang Koch 2020
Abbildungen: Wildalpen, Foto © Marie Obermayr 2020; Portrait Alfred Goubran, Foto: © Arnold Pöschl o. J.
Alfred Goubran: Schmerz und Gegenwart. Ritzungen, 120 Seiten, Braumüller Verlag 2019, ISBN-10: 3992002543, 15,- Euro