vonWolfgang Koch 12.08.2022

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Bildhauer Christoph Steinbrener und der Fotograf Rainer Dempf sind Gilbert & George von Wien, genau: die beiden waren jahrelang Gilbert & George an der blauen Donau, denn seit das Duo den Architekten Martin Huber mit ins Narrenschiff geholt hat, feiert nun ein Kunstkollektiv augenzwinkernd die ästhetischen Absurditäten unserer konsum- und leistungsorientieren Gesellschaft.

Das gewitzte Herrentrio hat sich mit stark intellektualisierter Kunst über Wien hinaus einen Namen gemacht. Vor allem Bezüge zum verglühenden Kometen des Arthouse-Kinos sind bei ihnen beliebt. Erkenntnis gilt SDH nicht als einmaliger Akt, sie ist kein Katalog fixierter Sätze, die sinnflexiblen Intenventionen sind ein mehrsträhniger, verzweigter Prozess, im öffentlichen Raum als Aktion oft zeitlich beschränkt, aber durch sorgfältige Dokumentation im Grund ohne Abschluss und Ende.

Das Kollektiv kooperiert eng mit Museen, Freizeitinstitutionen und Unternehmen, es trampelt gekonnt auf den Wünschen von Veranstaltern herum und tritt die Träume des Publikums mit Füssen. Als Meisterstück von SDH gilt bis heute das 2005 in der Wiener Neubaugasse ausgeführte Mega-Projekt ›Delete!‹, bei dem die Künstler eine im deutschen Sprachraum wenig bekannte Praxis des bulgarisch-amerikanischen Künstlers Christo mit einer ganz neuen Intention kopiert hat.

Der im Vorjahr verstorbene Land-Art- und Objektkünstler Christo war seit den 1960er-Jahren weltweit für die aktionistische Technik monumentaler Verhüllungen (Wrapping) bekannt. Doch Christo praktizierte gemeinsam mit seiner Partnerin Jean-Claude auch andere Techniken, um zu einer ästhetischen Erfahrung oder zu jenem berühmten Kreis aus Kreisen zu gelangen, den wir Kunst nennen, nämlich: Aufhängen, Bedecken, Bemanteln, Beschirmen, Stapeln, Überdecken, Umkleiden, Umkränzen, Umschnüren, Verankern und Verhängen.

Die Wiener Künstler variierten 2005 speziell Christos Verhängen von Schaufensterflächen zur »Entschriftlichung des öffentlichen Raumes«. Sie bedeckten und überklebten alle kommerziellen Zeichen wie Geschäftsschilder oder Werbeplakate mit gelben Papieren und Folien in der Neubaugasse, was einen absolut spektakulären Effekt ergab und die mittlerweile zur Begegnungszone umgemodelte Einkaufsstrasse in einem neuen, humaneren Licht erscheinen liess.

Im letzten Herbst widmeten sich SDH dem Donaukanal-Gelände vor dem Schwedenplatz, einer stadtplanerisch chaotischen Zone mit viel Geschichte, Kommerz und Tourismus, aber auch mit einem flachen Abstraktionsniveau, da in dieser urbanen Landschaft alle sympathischen Impulse des Lebens vom rauen Verkehr auf Wasser, Strasse und Schiene drangsaliert werden.

Da die Fragen zu ihrem neuen Werk auf der Fassade des Georg-Emmerling-Hofs bis heute nicht abreissen und die Austrian Guides ohne jedes Schuldgefühle ihre Fantasie zu dem ironischen Werk sprudeln lassen, dokumentieren wir im Folgenden die Hinführung zu der Arbeit aus der Feder des bekannten österreichischen Kunst- und Musikpublizisten Thomas Miessgang:

Steinbrener, Dempf & Huber, soviel muss geoffenbart werden, gehören seit Jahren zu meinem erweiterten sozialen und beruflichen Umfeld. Zuletzt habe ich in einem ZEIT-Artikel über ihre Installation ›Cliffhanger‹ geschrieben, die bis vor kurzem oder möglicherweise immer noch in den Ötschergräben zu sehen war / ist: Ein Touristen-Informationshäuschen, das so hoch in einer Felswand steht, dass es nur zu erreichen ist, wenn man entweder mit Bergsteigerausrüstung hinaufsteigt oder sich von oben abseilt.

Ich schrieb zur Eröffnung 2020: »Durch die Platzierung eines Informationsbüros an unwegsamer Stelle wird dessen Defunktionalisierung eklatant – so entsteht im günstigsten Falle ein Erkenntnisschock«. Zum Beispiel, indem ein ständig wachsender Overtourism Naturschönheiten und die Intaktheit der Umwelt mehr gefährdet als ein in einer Felswand platziertes Kunstwerk, das teilweise ja heftig kritisiert wurde.

Ähnlich wie ›Cliffhanger‹ funktionieren auch viele andere Projekte von Steinbrener/Dempf & Huber: Sie bieten auf den ersten Blick Schauwerte und provozieren bei genauerem Hinsehen Fragen, die sich meist nicht so leicht beantworten lassen. Es ist ja ein Qualitätsausweis guter Kunstwerke, dass sie keine einfachen Botschaften transportieren, sondern eine Vielzahl von Interpretationen und Deutungsmöglichkeiten anbieten und trotzdem in ihrer Erscheinung sehr klar und einfach sind – womit ich nicht gegen unklare und komplizierte Kunstwerke gesagt haben möchte.

Nun also ›Themroc‹, ein Werk, das sich auf den gleichnamigen Film von Claude Faraldo mit Michel Piccoli aus dem Jahr 1973 bezieht. Wer die Geschichte nicht mehr in Erinnerung hat: Dem Anstreicher Themroc reisst der Geduldsfaden, nachdem er von seinem Chef zusammengestaucht worden ist. Er mauert kurzerhand die Tür seiner Pariser Wohnung zu, zerlegt mit dem Vorschlaghammer die Aussenwand, zerrt sich die Klamotten vom Leib, wirft das Mobiliar auf die Strasse und beginnt seine nächste Lebensphase als kannibalistischer Höhlenmensch, für den auch Inzest mit der eigenen Schwester kein Tabu mehr ist.

Das Beispiel des rebellischen Arbeiters macht in dem Film Schule: Bald grölt, stöhnt und grunzt es überall in Paris – Regression als Möglichkeit der Revolution. Der imssen Geist der Anarchie der Post-68er-Epoche entstandene Streifen gibt die visuelle Leitmotivik für das Werk von Steinbrener/Dempf & Huber vor.

© Thomas Miessgang 2021

Fotos (teils Auschnitte): Steinbrener/Dempf & Huber

Steinbrener/Dempf & Huber – Themroc, Georg-Emmerling Hof, 1020 Wien, Obere Donaustraße 97–99

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