vonWolfgang Koch 10.12.2023

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Gewaltpolitiker Otto von Bismarck (1815-98) war garantiert kein Linker, er wies den grossdeutschen Anspruch der Habsburger Dynastie im deutschen Kaiserreich in die Schranken und brachte als Protest gegen seinen preussischen Militarismus (»Blut und Eisen«) bei seinen Gegnern die Volkswehr-Parole auf. Seither geistert der Milizgedanke durch alle Verteidigungskonzepte der wehrhaften Demokratie. Vorläufer, Vorbild und Matrize von Bismarcks markiger Kanzlerschaft: der von Fürst Metternich gegen die französische Revolution gerichtete Polizeistaat an der schönen blauen Donau. Damit ist aber noch nicht der ganze Bismarck erfasst, denn der mächtige Politiker plädierte auch für eine Grundversorgung der Bürger·innen durch den Staat. Am 26. Juni 1881 erklärte Bismarck mit prophetischen Worten: »Es ist möglich, dass unsere Politik einmal zugrunde geht, wenn ich tot bin. Aber der Staatssozialismus [verpflichtende Sozialversicherung der Arbeitnehmer] paukt sich durch. Jeder, der diesen Gedanken wieder aufnimmt, wird ans Ruder kommen«. 1877 plagten ihn übrigens Gewissensbisse; Bismarck beschuldigte sich drei Krieg provoziert und den Tod von achtzigtausend Männern verursacht zu haben. Hitler war später zu verrückt für solche Skrupel.

Wer sollte nach dem Tanz über den Gräbern des Ersten Weltkriegs das Chaos im zusammenbrechenden Kaiserreich zähmen? »Die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte sind die Organisation der Ordnung gegen die Anarchie eines zusammenbrechenden Militarismus«, verkündete Kurt Eisner (1867-1919), der beste politische Kopf der von der SPD abgespaltenen Fraktion der Unabhängigen (USPD). Eine Welle der revolutionären Zustimmung trug den Münchner Theaterkritiker am 8. November 1918 in das Amt des ersten Ministerpräsidenten der Bayerischen Räterepublik, von der uns nur der Ausdruck »Freistaat« erhalten geblieben ist. In der Ausübung seines Amtes wurde Eisner nach 105 Tagen von einem Rechtsextremisten ermordet. Das ungewöhnliches Bekenntnis des Mannes zur deutschen Kriegsschuld war nicht nur in Deutschland, sondern selbst in Frankreich angezweifelt worden.

1.219 Tage nach diesem politischen Mord folgte Aussenminister Walther Rathenau (1867-1922) Eisner auf den Opferthron der Attentate. Der jüdischer Patriot und liberale Weltmann war Chiliast, Visionär und strenger Diener des Gesetzes. Rathenau hatte Physik, Chemie und Philosophie in Berlin und Strassburg studiert, er bereiste Afrika, trat in den Vorstand und später in den Aufsichtsrat der AEG ein. Titel seiner Schriften 1912-17: ›Zur Kritik der Zeit‹, ›Zur Mechanik des Geistes‹ und ›Von kommenden Dingen‹. Die Stationen seines politischen Wirkens: Deutsche Demokratische Partei (DDP), Minister für Wiederaufbau, Rapallo-Vertrag mit der Sowjetunion. – »Er hat bewiesen, dass er an das Ende, an die echte Niederlage Deutschlands glaubte«, attestiert ihm der deutsch-amerikanische Rechtshistoriker Eugen Rosenstock-Huessy. »Es war notwendig, dass wir den Krieg verloren haben«.

© Wolfgang Koch 2023

 

Liste »Deutschlands politische Leuchtfeuer«

Moses Hess (1812-75)

Moritz Rittinghausen (1814-90)

Otto von Bismarck (181598)

Kurt Eisner (1867-1919)

Walther Rathenau (1867-1922)

 

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