Ich wiederhole hier in etwa die ersten Sätze und weitere Auszüge eines Zeit-Online-Artikels (https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/wahlprogramm-gruene-streichung-deutschland-bundestagswahl), wenn ich darauf verweise, dass die Grünen gerade wegen diverser Änderungsanträge zu ihrem Wahlprogramm in die Kritik geraten sind. Dabei ging es darum, den Begriff >Deutschland< aus dem Titel des Programmentwurfs >Deutschland. Alles ist drin< zu streichen. Das hat nun z.B. Leute von der CDU oder FDP verärgert – beispielweise wies Volker Wissing auf den vermeintlichen Widerspruch hin, einerseits >gegen< Deutschland zu sein, andererseits in Deutschland gewählt werden zu wollen. Natürlich haben Teil der Grünen ihrerseits reagiert mit dem Argument, im Mittelpunkt der Politik solle der Mensch in seiner Würde und Freiheit stehen, nicht Deutschland.
Obwohl sich in der Politik im Wahljahr immer irgendwie >alle auf alles< stürzen, da alles, oder zumindest sehr vieles die Möglichkeit bietet öffentlich Punkte zu sammeln oder Kritik auszuteilen, so dass man diese Aufregung vermutlich unter der Rubrik >eher weniger wichtig< verbuchen könnte, ist sie doch auch interessant.
Interessant ist nämlich zu sehen, wie gut man sich missverstehen kann, denn die Absicht, >Deutschland< aus dem Titel des Programmentwurfs zu streichen, lässt sich ja in der Tat mit dem Verweis auf Freiheit und Würde schnell klären – darauf hätte Wissing auch selber kommen können (schließlich ist es irgendwie ein sehr liberaler Gedanke). Es geht nicht darum, >gegen< etwas zu sein, sondern die Perspektive zu ändern.
Man kann den Gedanken der Grünen sogar noch radikalisieren und fragen, warum man generell oder überhaupt von Deutschland sprechen sollte? Man könnte den Begriff nicht nur aus dem Wohlprogramm kürzen, sondern aus der Selbstbezeichnung des >Gemeinwesens< überhaupt. Diese Namen sind mit allerlei Altlasten beladen, die nicht nur nicht zum politischen Fokus der Grünen (Würde und Freiheit) passen, sondern auch nicht so sehr zum gegenwärtigen Politikverständnis der meisten Parteien– das gilt natürlich auch für die Namen und Selbstbezüge anderer Staaten und Staatenverbunde, wie Europa. Man würde die postkoloniale Debatte, die ganze Debatte um die >richtige Rede< und das postmoderne Selbstverständnis überhaupt konsequent weiterführen, wenn man den Staatennamen z.B. computergenerierte Buchstaben- und Zahlenfolgen verpassen würde. Nach dem Motto: >Wo lebst Du?<; >In ..xxf12v!<.
Andererseits darf man mit der >grünen< Entgegnung, sich im Wahlprogramm nicht auf >Deutschland<, sondern auf die Menschen in ihrer Würde und Freiheit (die Menschen einer globalen Welt) beziehen zu wollen, nicht vorschnell zufrieden sein – auch wenn man sich für terminologische Neubestimmungen ausspricht. Denn es besteht durchaus ein großes konzeptuelles Problem darin nicht nur zu sagen: wir wollen die Altlast von Namen loswerden, sondern: wir wollen den Bezug auf Staatlichkeit sein lassen. Genau lässt sich aber in die Verteidigung und Engführung hineinlesen, Politik nur auf Menschen in ihrer Würde und Freiheit beziehen zu wollen – als ob man auf die Würde und Freiheit der Menschen unmittelbar zugreifen könnte, ohne einen Rahmen, der diese Begriffe überhaupt erst ins Leben ruft!
Hier in politischen Programmen und Diskussionen schwammig zu sein ist gefährlich, weil man über die Grundlagen, Politik zu machen, hinwegsieht oder sogar hinwegtäuscht. Dabei geht es auch nicht mehr nur um den Anspruch oder die Möglichkeit einer veränderten Perspektive, denn die Suggestion, nur von quasi naturwüchsiger Würde und Freiheit reden zu können, wird von einer substantiellen Auslassung begleitet. Man sieht a) darüber hinweg, was nötig ist, um Begriffen der Würde und Freiheit Geltung zu verschaffen – beide werden erst in einer kollektiven Harmonierung und Entfaltung von Freiheitspielräumen und Schutzansprüchen möglich. Man sieht b) aber auch darüber hinweg, wie sehr Politik immer schon involviert ist, die Art dieser Spielräume und Ansprüche auszugestalten. D.h. man sieht und täuscht darüber hinweg, wie sehr Veränderung und Kritik an eine Situation herangetragen werden können, die als natürliche Verwaltung von Freiheiten und Würde ausgegeben wird, doch aber durch und durch von politischen Einflüssen durchzogen ist. Mit Neoliberalismus und Globalisierung kommen zudem mehr denn je ökonomische Einflüsse hinzu, die gerade auf der inter- bzw. transnationalen Bühne den Eindruck erwecken, Freiheitsrechte heben mit einem Recht des Stärkeren zu tun und nicht einem Recht, das legitimen oder natürlichen Grundlagen aufruht, so dass Legitimität (oder Freiheit und Würde im egalitären Sinne) erst eigentlich (wieder-)hergestellt werden muss bzw. dem Machtzugriff global agierender Unternehmen aus der Hand genommen werden muss.
Werden diese Verwicklungen angenommen, ist man immer schon auf ein kollektives Regime festgelegt, das es auszugestalten gilt – nicht vom Staat zu reden, nicht auf die historischen, realpolitischen Bedingungen und Möglichkeiten von Freiheitsansprüchen einzugehen, impliziert Probleme für das Praktisch-Werden von Freiheit und Würde, nicht Vorteile. Damit lässt sich schließlich auch der Kritik von Wissing eine andere Wendung geben, die ja ihrerseits nicht ganz verstanden hat oder verstehen wollte, worum es geht – möglicher Weise wollte sie dem Risiko aus dem Weg gehen, ein kritisches Bewusstsein gegen das Recht des Stärkeren zu schärfen, das sich Ökonomien vielerorts angeeignet haben. Nicht also, ob es >gegen< Deutschland geht, steht in Frage, sondern die Bedingungen der Möglichkeit politischer Grundbegriffe selber. Es ist, nebenbei bemerkt, mutig, aber auch prekär, auf der einen Seite als Partei aufzutreten und gleichzeitig die kollektive Rahmung politischer Grundbegriffe zu stark einziehen zu wollen.