vonDarius Hamidzadeh Hamudi 26.02.2024

Zylinderkopf-Dichtung

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Die Correctiv-Recherchen haben die Debatte um ein mögliches AfD-Verbotsverfahren beflügelt. Einen wichtigen juristischen Fingerzeig für die Erfolgsaussichten eines solchen Unternehmens gibt ein Berufungsverfahren, das am 12. und evtl. 13. März am Oberverwaltungsgericht Münster mündlich verhandelt wird (Aktenzeichen 5 A 1218/22). Die Bundes-AfD wehrt sich dagegen, vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft worden zu sein.

Hetze mit Handschuhen

An der Verstrickung der AfD ins gesichert verfassungsfeindliche rechtsextremistische Milieu scheint spätestens seit der Correctiv-Recherche kein Zweifel mehr zu bestehen. Bereits 2020 bezeichnet der Extremismusexperte Wilhelm Heitmeyer die AfD als Kern eines Milieus des autoritären Nationalradikalismus, das die gesellschaftlichen Institutionen und die liberale Demokratie mit dem Ziel des »Systemwechsels« zu destabilisieren versucht.

Dennoch beteuert die AfD in programmatischen Verlautbarungen ihre Verfassungstreue. Akteure wie Tino Chrupalla weisen bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Vorwurf zurück, rechtsextrem zu sein, und stilisieren sich im selben Atemzug als Opfer staatlicher Willkür. Bei Lanz pochte Chrupalla kürzlich auf die eigene Gewaltlosigkeit. Diese Trumpfkarte der AfD beschrieb Heitmeyer bereits 2020: Eine »Gewaltmembran« trenne die AfD vom gesichert rechsextremistischen systemfeindlichen Milieu. Die von der AfD gepflegten Rhetoriken (z.B. »Volkstod« oder »Bevölkerungsaustausch«) erzeugen Gewalt, »ohne dass diese den Urhebern der Parolen juristisch zurechenbar wäre«. Doch gilt das ein paar Jahre später noch? Oder ist die Gewaltmembran inzwischen zerrissen? – Feststeht: Weite Teile der AfD verbreiten ihre menschenfeindlichen Parolen wesentlich subtiler als in der Vergangenheit die NPD.

Wie geschickt ist das Bundesamt für Verfassungsschutz?

Die Süddeutsche Zeitung berichtet am 25. Februar, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Neueinstufung der Bundes-AfD als »gesichert extremistische Bestrebung« vorbereite. Allerdings werde der Prozess am 12./13.3. noch abgewartet, damit etwaige  »Erwägungen« des OVG Münster berücksichtigt werden könnten. Am 18.2.24 war in der SZ zu lesen, dass die mündliche Verhandlung am 12./13.3. sich unter anderem damit beschäftigen werde, wie stark die AfD von V-Personen durchsetzt sei. Dies sind Parteimitglieder, die insgeheim mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten. Hinzukämen noch so genannte »virtuelle Agenten«. Gemäß SZ seien zusätzlich zu den V-Leuten  »mehrere Hundert hauptamtlicher Verfassungsschutzmitarbeiter im Einsatz (…), die in sozialen Netzwerken mit gefälschten Accounts als Rechtsextreme posieren.«

Ein Rückblick: 2003 scheiterte das erste NPD-Verbotsverfahren an der Durchsetzung mit V-Personen. Im anstehenden Berufungsverfahren in Münster habe die AfD gemäß SZ das Gericht aufgefordert, die Rolle und Bedeutung der V-Personen zu klären. Alles scheint auf die Frage hinauszulaufen, ob die V-Personen evtl. doch »steuernden Einfluss« ausgeübt haben könnten, obwohl die strengen gesetzlichen Vorgaben dies eindeutig verbieten …

Auch wenn de facto also wenig Zweifel an der extrem rechten Ausrichtung der AfD besteht, ist es durchaus spannend, wie de jure die Einstufung der Bundes-AfD als Verdachtsfall begründet wird: Welche Erwägungen führt das OVG Münster eventuell dagegen ins Feld?

Wie in einem schlechten Roman

Mich erinnert die Diskussion über etwaige V-Personen in der AfD an einen Unterhaltungsroman von Tom Sharpe, den ich vor über 30 Jahren gelesen habe: Die Sicherheitsbehörden entsenden verschiedene Agenten in alle zwielichtgen Ecken einer Großstadt. Diese lernen sich nach und nach inkognito kennen, bilden eine Art terroristische Zelle und jagen gemeinsam alles Mögliche in die Luft. Damals konnte ich dem hanebüchenen Plot ein bisschen Komik abgewinnen. Mit Blick auf die Anwesenheit des hessischen Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme bei der Ermordung von Halit Yozgat in Kassel durch den NSU bleibt von der Komik des Romans wenig übrig. Auch ein Interview, das der frühere Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans Georg Maaßen der Schweizer Wochenzeitung »Weltwoche« vor einigen Wochen gegeben hat, lässt aufhorchen. Der ehemalige Behördenchef bezeichnet die demokratischen Kräfte inklusive der CDU als sozialistische »Kartellparteien«. Außerdem legt der frühere Verfassungsschützer seine Überlegungen zu den Demokratie-Demos dar:

»Mir machen diese Demonstrationen gegen die AfD und gegen Rechts wirklich Sorgen, weil das sind Demonstrationen, die vom linken politisch medialen Komplex organisiert werden. Die Menschen werden regelrecht aufgehetzt und man muss sich wirklich Sorgen machen, wenn in einem Land nicht die Bevölkerung gegen die Regierung opponiert und auf die Straße geht, sondern die Regierungsparteien sich Demonstranten zusammen suchen, diese Leute durch Propaganda und Agitation aufhetzen gegen die Opposition. Das macht mir wirklich Sorge.«

Der Bock als Gärtner

Vom 1. August 2012 bis zum 18. September 2018 war Maaßen sechs Jahre lang Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Festhalten Horst Seehofers an Hans Georg Maaßen führte zu einer veritablen Zerreißprobe der damaligen Großen Koalition. Gemäß Correctiv-Recherche fiel Maaßens Name bei der Lehnitzseekonferenz in Potsdam, als über die Besetzung eines Expertengremiums gesprochen wurde, welches »die Vertreibung der Menschen mit Migrationshintergrund, auch deutscher Staatsbürger – ausarbeiten soll. Und zwar unter ›ethischen, juristischen und logistischen Gesichtspunkten‹«. Inzwischen wird Maaßen von seiner ehemaligen Behörde beobachtet.

Es stellt sich die Frage, wie nachhaltig Maaßen die Arbeit des Verfassungsschutzes geprägt hat, insbesondere seine Mitwirkung an etwaigen Personalentscheidungen sollte genau unter die Lupe genommen werden. Juso-Chef Türmer fordert einen Untersuchungsausschuss und sagt über Maaßen: »Seine permanenten rassistischen, antisemitischen und nationalistischen Positionen lassen nicht darauf schließen, dass diese Ideologie erst in den letzten fünf Jahren herangereift ist.«

Ich befürchte, Türmer hat Recht.

 

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Bildnachweis

Foto von Tobias Tullius aus Unsplash.

 

 

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