vonDarius Hamidzadeh Hamudi 17.08.2025

Zylinderkopf-Dichtung

Essays, Glossen, Kommentare und Neuigkeiten aus der Menagerie der kleinen Literatur.

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»Wer Rechtsextreme mit Übernahme ihrer rechten Parolen bekämpfen will, stärkt am Ende nur das Original. Wer Rechtsextreme mit Übernahme ihrer rechten Parolen bekämpfen will, stärkt am Ende nur das Original. Wer Rechtsextreme mit Übernahme ihrer rechten Parolen bekämpfen will, stärkt am Ende nur das Original.« – Mit diesen Worten schloss Gareth Joswig seinen Kommentar zur Bundestagswahl 2025. Zwischen den Zeilen meine ich eine fast verzweifelte Ohnmacht zu erkennen, die mich berührt hat: Wie oft soll ich das denn noch sagen? Was muss noch alles passieren, bis sie es endlich kapieren?

Drehbuch aus den 1990ern? Oder aus Dänemark?

Von dem Philosophen Hans-Georg Gadamer stammt der Satz: »Ein Gespräch setzt voraus, dass der andere Recht haben könnte.« Bezieht man das Zitat auf den politischen Diskurs in einer pluralistischen Demokratie, dann sollte jede:r Bürger:in davon ausgehen, dass auch politische Positionen und Konzepte zielführend sein können, die vom eigenen Standpunkt abweichen. Immerhin möchte Alexander Dobrindt die AfD durch gute Regierungspolitik »wegregieren«. Der neue Innenminister verfolgt also durchaus hehre Absichten, wenn er den Kurs in der Migrationspolitik durch Zurückweisungen und Grenzkontrollen, aber auch durch europäische Allianzen (Stichwort: Zugspitze) verschärft.

Hat Alexander Dobrindt die späten 90er-Jahre im Sinn? Damals brannten in West und Ost Unterkünfte von Asylbewerber:innen. Die rechtsextremen »Republikaner« sprangen hier und dort über die 5-Prozent Hürde. Die schwarzgelbe Regierung Kohl und die damals oppositionelle SPD schaffte mit Zweidrittelmehrheit das Grundrecht auf Asyl de facto ab, übrigens gegen die Stimmen von Grünen und PDS. In der Folge verschwanden die Rechtsextremen wieder aus den Parlamenten. – Oder hat die Regierung Merz bei der Verschärfung der Migrationspolitik nach Dänemark geschielt? Tagesschau.de berichtet unter dem Titel »Härte statt Hygge« davon, dass Dobrindt sich an den nördlichen Nachbarn orientiert hat. (Was oft unterschlagen wird: Auch im lieblich-harten Dänemark sitzen drei radikal rechte Parteien im Folketing und repräsentieren immerhin 15 Prozent der Wählerschaft.)    

Das Kalkül des Kanzlers

Im Deutschlandfunk-Podcast Der Tag gerät Stephan Detjen, der Leiter des Dlf-Hauptstadtstudios, im Hinblick auf Friedrich Merz’ rhetorische Wendigkeit zunächst ins Schwärmen. Nachdem er sich wieder eingekriegt hat, erläutert er die Motive des Sauerländers. Zuallererst wolle Friedrich Merz die Stimmung im Land verändern. Das betreffe nicht nur den politischen Diskurs, sondern auch die Wirtschaft bzw. genauer gesagt das Investitionsklima.

»Friedrich Merz weiß natürlich genau, wie gefährlich solche sich hochschaukelnden Stimmungslagen in der Politik und auch in der Gesellschaft sein können.« Stephan Detjen (Deutschlandfunk)

Die Migrationspolitik der neuen Bundesregierung ziele darauf ab, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Im Hinblick auf die »technischen Gespräche« mit den Taliban und die Abschiebeflüge nach Afghanistan erläutert Detjen das Kalkül der Bundesregierung. Es gehe darum, Zeichen zu setzen. Sowohl Grenzschließungen als auch Zurückweisungen seien Symbole, die aus Sicht der Regierung notwendig seien, um die Stimmung im Land zu drehen. Friedrich Merz befinde sich gemäß Detjen in einem inneren Zwiespalt und fühle sich als CDU-Kanzler in der Nachfolge Helmut Kohls keineswegs wohl dabei, die Grenzen zu schließen, zumal sein CDU-Amtsvorgänger für die Abschaffung der Schlagbäume im Rahmen des Schengener-Abkommens steht.

»Der Friedrich Merz weiß auch ganz genau, dass das rechtlich …, europarechtlich ausgesprochen fragwürdig ist, was die grade an den Grenzen machen. Aber er ist eben wirklich beseelt von dem Gefühl: Das ist jetzt nötig. Letztlich, um die Stimmung zu beruhigen. Um die Stimmung zu drehen, die gerade den Populisten, den Rechtsextremisten der AfD in die Hände spielt.« – Stephan Detjen (Deutschlandfunk)

100-Tage-Merz

In der Forsa-Umfrage vom 12.8.25 ist die AfD erstmals an der Union vorbeigezogen. In den wenigen Wochen seit der Bundestagswahl konnte die AfD in Umfragen ca. vier Prozentpunkte zulegen, wohingegen Union und SPD jeweils ungefähr etwas mehr als zwei Prozent eingebüßt haben.

Die Sommerpause ist eine günstige Gelegenheit, um Friedrich Merz an Gadamers Zitat zu erinnern. Vielleicht haben »linke Spinner« wie Gareth Joswig ja doch Recht? Die Union sollte zumindest in Erwägung ziehen, dass ihre Strategie zum Wegregieren der AfD nicht nur ins Leere läuft, sondern der extrem rechten Partei sogar in die Karten spielen könnte.

Warum der AfD nicht mit »klarer Kante« in der Migrationspolitik beizukommen ist

Merz‘ grundlegender Fehler liegt darin, die AfD anhand politischer Maßstäbe und Kategorien zu vermessen, als würde es sich um eine gewöhnliche Partei handeln, die in erster Linie die Interessen ihrer Wählerschaft vertritt. Nach dieser konventionellen politischen Logik geht es darum, Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, zu adressieren und anzupacken. Bereits vor knapp zwei Jahren zeigte eine DIW-Studie jedoch auf, dass die Hauptleidtragenden einer etwaigen AfD-Regierungspolitik ihre eigenen Wähler:innen wären. Die AfD tickt nicht wie eine gewöhnliche politische Partei. Sie ist der politische Arm eines Massenphänomens, das der Mechanik von Masse und Macht folgt. Ihr Erfolg lässt sich anhand von sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten erklären.

abo

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Es ist bezeichnend, dass Donald Trump im Weißen Haus einen Käfigkampf veranstalten möchte. Steht doch der Käfigkampf sinnbildlich für die zunächst schleichende, aber grundlegende Veränderung des öffentlichen Diskurses im Zuge des Aufstiegs »sozialer« Medien: Differenzierende und vermittelnde Beiträge, komplexe Argumentationen und sachliche Hintergründe geraten ins Hintertreffen. Grelle Meinungsäußerungen, sachwidrige Behauptungen und ehrverletztende Bashing-Diffamierungen triumphieren. Es greift zu kurz, in den »sozialen« Medien lediglich einen Spiegel von Stimmungen zu sehen. Tatsächlich braut sich in gar nicht mehr so abgelegenen Winkeln von Chaträumen, »sozialen« Medien und weltweiten Plattformen etwas zusammen, was die Demokratie infrage stellt und ernsthaft bedroht.   

Der Kampf der Narrative: Politik als Käfigkampf

Der Politikberater Julius Van de Laar beschreibt Politik als einen »Wettlauf um die Definition, Wettlauf um die Deutungshoheit« und stellt fest: »Jeder versucht seine Geschichte zu erzählen.« Im digitalen Käfigkampf treten permanent Narrative gegeneinander an. Schlagen, Ringen, Würgen Beleidigen, Lügen, Aussagen aus dem Zusammenhang reißen … alles ist erlaubt. Das Geheimnis des Erfolgs der AfD ist, dass sie Hand in Hand mit rechtsextremen Vorfeldorganisationen die immer gleichen Narrative in Endlosschleife abspielt und den Menschen einbläut: »Wir leben in einer Dystopie, Deutschland geht den Bach hinunter.«| »Vertraut den etablierten Medien nicht, nur wir sagen die Wahrheit.« | »Migration und der Islam sind die Wurzeln allen Übels.« | »Es gibt keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit.« | »Wokeness ist irrsinnig: Wir geben Euch Eure Normalität zurück.«  – In der Zusammenschau fügen sich diese Narrative zu einer revolutionären Metaerzählung, die auf eine Abschaffung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzielt. Ungarn lässt grüßen.

Vom Versagen konventioneller politischer Rhetorik

Merz/Linnemann haben die CDU nach Angela Merkel als konservativen Traum in Cadenabbia-Türkis neu erfunden. Sie umgarnen konservative und rechtsextreme Wähler:innen und versuchen deren Ängste, Sorgen und Nöte ernst zu nehmen und anzusprechen: Kleine Paschas. Migrationswende. ZirkuszeltDiese auf den ersten Blick nachvollziehbare Strategie entpuppt sich jedoch in Zeiten politischer Käfigkämpfe als kontraproduktiv. Indem die Union wenn auch in mehr oder weniger abgeschwächter Form anti-woke, migrationsskeptische Narrative aufgreift und bedient, erzählt sie die Geschichte der AfD, »bewirtschaftet« den Populismus (Gareth Joswig) und treibt der AfD scharenweise potenzielle Wähler:innen in den Käfig.

Die Rechtsextremen verfügen über das politische Urheberrecht auf Sexismus und Rassismus, und für jede noch so geringfügige Verletzung dieses Urheberrechts zahlt die politsche Mitte einen Preis. Dem neuen Kulturstaatsminister Weimer gefällt die gendergerechte Sprache nicht. Das haben alle interessierten Bürger:innen inzwischen mitbekommen, herzlichen Dank für diesen Diskursbeitrag. Doch auch er sollte sich mal überlegen, welche Parteien und Politiker¹ davon profitieren, wenn er gegen das Gendern zu Felde zieht, als ob es kein Morgen gäbe, mein lieber Herr Gesangsverein!

Den Rechtsextremen die Stirn bieten 

In einem noch immer lesenswerten Beitrag formuliert Christian Stöcker im Januar 2024 fünf Maßnahmen, wie man die AfD klein kriegt. Erstens regt er an, dass alle demokratischen Parteien sich konsequent irreführenden Vereinfachungen und einer Spaltung der Gesellschaft widersetzen sollen. Maßnahme zwei besteht darin, dass alle demokratischen Parteien rassistische Positionen und Argumente stets als solche brandmarken und selbst meiden müssen. »Alle demokratischen Parteien müssen aufhören, die Themen der AfD ins Zentrum zu stellen« (Maßnahme 3). Stattdessen empfiehlt Stocker viertens, dass alle demokratischen Parteien die Unglaubwürdigkeit und Heuchelei, die Lügen und Scharlatanerie der AfD thematisieren. Maßnahme fünf richtet sich an die Zivilgesellschaft und jede:n Einzelnen. Zustimmung zu den Positionen der AfD und anderer Rechtsextremer muss gesellschaftlich geächtet werden.

Es ist nicht schwierig, der AfD entschlossen die Stirn zu bieten. Aber es ist höchste Zeit, damit anzufangen.

»Arsch huh, Zäng ussenander« lautet das Motto einer 1992 entstandenen Kölner Kampagne gegen rechtsextreme Gewalt (»Arsch hoch, Zähne auseinander«).

Fußnote

¹ Niemand zwingt Weimer, auf das generische Maskulinum zu verzichten.

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  • Eigene Aufnahmen.

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kommentare

  • Es gibt ein einfaches Rezept, der AdD Wähler zu klauen: „Hört nicht auf das, was die AfD will, sondern danach, was die AdD-Wähler wollen“,
    Denn dazwischen liegen Welten.
    Merz glaubt, die AdD -Wähler wollen das, was die AfD Funktionäre dauernd fordern: Zurückweisungen, Abschiebungen…“ All das hat die Regierung gemacht. Und was ist das Ergebnis: AfD +4 CDU/SPD -4

    Stattdessen sollte man mal beachten, dass viele AfD Wähler über zu Höhe Lebensmittelpreise, zu hohe Energiepreise, zu hohe Mieten, zu niedrige Rente, eine ungerechte Gesellschaft etc. klagen. Und solange da nichts passiert, wird auch die AfD nicht schwächer werden.

    Und was die Lügen betrifft, die Menschen durch ständige Wiederholung glauben, da haben Die etablierten Parteien das schon lange vor der AfD gemacht. Z.B. : „Es muss nur wieder Wachstum geben. Dann wird alles wieder gut“
    „Der Markt regelt alles besser als der Staat“
    „Unternehmen können alles besser als der Staat“
    „Durch Steuersenkungen für Unternehmen und die Reichsten wird alles besser“
    „Die ärmsten 30% muss man dazu zwingen, etwas für die Gesellschaft zu tun. Sonst liegen die der Gesellschaft nur auf der Tasche“
    „Den reichsten muss man eine Million (oder besser ich eine Milliarde) nach der anderen irgendwo hinschieben. Dann geht es der Gesellschaft besser“
    „Atomkraft führt die Menschheit in ein goldenes Zeitalter“
    „Erneuerbare Energien werden nie den Strombedarf einer Industrienationen decken können“

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