vonDarius Hamidzadeh Hamudi 21.06.2023

Zylinderkopf-Dichtung

Essays, Glossen, Kommentare und Neuigkeiten aus der Menagerie der kleinen Literatur.

Mehr über diesen Blog

In Erinnerung an Franz Schlag

Bei manchen bedeutenden Ereignissen können viele Menschen sich noch genau daran erinnern, wie und wo sie die Nachricht erhalten haben. Am 11. September 2001 spazierte ich gerade mit einem Eis durch die Freiburger Innenstadt, als ein Zeitungsjunge mir ein Extrablatt der Badischen Zeitung in die Hand drückte. – Chat-GPT hingegen war irgendwann einfach da. Vielleicht werden sich die User:innen im Rückblick daran erinnern, welche erste Frage sie der KI gestellt haben. Ging es um Ausflugstipps oder Kochrezepte? Wie viele Abschiedsreden für verdiente Mitarbeiter hat die intelligente Maschine inzwischen verfasst? Ich habe Chat-GPT folgende Aufgabe gestellt:

»Schreibe eine Kurzgeschichte über einen Jungen, der im Sandkkasten eine Erkenntnis hat.«

Seit es diesen Sprach-Roboter gibt, erwische ich mich bei der Frage: »Ob das selbst geschrieben ist?« Wie viele hölzerne Reden habe ich schon gehört? Wäre es ein Verlust, wenn nicht so versierte Autor:innen sich von KIs mitreißende Texte schreiben lassen würden, sagen wir mal im Stil von Barack Obama? – Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Chat-Bot einen Text zu generieren begann. Was er mir zunächst als Kurzgeschichte anbot, war nicht gerade preisverdächtig:

Der kleine Junge saß im Sandkasten und schaufelte mit seinem Eimerchen Sand in eine kleine Schaufel. Sein Gesicht war ernst, fast schon nachdenklich, als er sich auf seine Arbeit konzentrierte. Plötzlich hielt er inne und blickte auf. Eine tiefe Erkenntnis schien sich in seinem Kopf auszubreiten, als er das universale Geheimnis erkannte. “Weißt du was?”, sagte er zu seinem Freund, der neben ihm im Sandkasten saß. “Ich glaube, wir sind alle nur aus Sand gemacht.” Sein Freund blickte ihn erstaunt an. “Wirklich?”, fragte er. “Das ist ja wirklich tiefsinnig.” Der kleine Junge nickte ernst. “Ja, wirklich”, sagte er. “Wir sind alle nur aus Sand gemacht. Und irgendwann, wenn wir sterben, kehren wir zu dem Sand zurück, aus dem wir gekommen sind.” Sein Freund nickte langsam, als er die Bedeutung von dem, was der kleine Junge gesagt hatte, zu begreifen begann. “Wow”, sagte er leise. “Das ist wirklich erstaunlich.” Der kleine Junge lächelte und fuhr fort, im Sand zu spielen, während sein Freund neben ihm saß und über die tiefe Erkenntnis nachdachte, die der kleine Junge gerade hatte. Sie wussten beide, dass sie etwas Wichtiges entdeckt hatten, und es fühlte sich an, als hätten sie ein Stück vom Universum offenbart bekommen.

Ich habe schon einmal erlebt, wie KI uns Menschen innerhalb weniger Dekaden überflügelt hat, und zwar im Schach. In den 1980er- und 90er-Jahren hatte ich im Verein gespielt. Damals saßen wir im Jugendtraining stundenlang zusammen, um ein Turmendspiel zu analysieren. Heutzutage würde das in fünf Sekunden ein »Engine« erledigen, so wird die Schach-KI genannt.

»Bitte beschreibe, was die beiden im Sandkasten bauen.«

Die besten Schach-Computer hießen damals »Mephisto« und waren schlechter als unser langjähriger Vereinsmeister, Herr S. Er hatte eine Eigenheit, er liebte Springer. Während man in allen Schachbüchern nachlesen konnte, dass das Läuferpaar überlegen ist, schien er in Blitzpartien gezielt Endspiele mit zwei Springern anzustreben. Ich sehe ihn noch genau vor mir, wie er am Brett saß und mit seinen Springern zauberte. – Vor zehn Jahren ist er leider verstorben. Seine Schwester hatte die Traueranzeige mit einem Springer illustriert, das hat mich gerührt.

»Bitte schildere das Spiel im Sandkasten noch genauer.«

Die Engines haben das Schachspiel völlig revolutioniert. Damals gab es noch Hängepartien. Nach fünf Stunden durfte die Partie abgebrochen werden. Man schrieb einen Abgabezug auf ein Formular und steckte es in einen verschlossenen Umschlag. An einem anderen Tag  wurde die Partie wieder aufgenommen. Im Zeitalter der Engines ergeben Hängepartien keinen Sinn mehr.

Ich erinnere mich noch genau an diese Partie, wir hatten gegen einen Kasseler Schachverein gespielt. Nach fünf Stunden stand es 6:1 für den SK 1876. Wir hatten klar verloren, alle waren fertig, aber meine Partie lief noch: Ich hatte ein schlechteres Springerendspiel auf dem Brett, war müde und habe abgebrochen: Hängepartie. Herr S. half mir bei der Analyse, wir haben stundenlang telefoniert. Am darauffolgenden Sonntag brachte mein Vater mich nach Kassel. Mein Gegner begrüßte ihn mit den Worten: »Ihr Sohn ist gleich fertig, maximal dreißig Minuten.« Tatsächlich endete die Partie nach mehreren Stunden mit einem Unentschieden und der Mannschaftskampf 6,5 zu 1,5. Ohne Herrn S. hätte ich diese Position nie Remis gehalten, er war mein Engine. Ich hatte mich gefreut wie ein Schneekönig.

»Bitte mache deutlich, wie die Hauptfigur auf ihre Erkenntnis kommt.«

Während der Pandemie habe ich auf YouTube Schach wiederentdeckt. »The Big Greek« alias Georgios Souleidis produziert täglich kurzweilige Videos, worin er in erster Linie interessante Partien kommentiert.  Besonders spannend finde ich Computer-Schach-Turniere. Dabei spielen die Engines gegeneinander. In dem Video »Schach von einem anderen Stern« hat TBG eine übermenschliche Partie gezeigt. Es ist unfassbar, welche Perfektion und Präzision die Engines an den Tag legen. Sie spielen in einer anderen Dimension.

1996 war es hingegen noch eine Sensation, als das Schachprogramm »DeepBlue« den amtierenden Weltmeister Garri Kasparow schlug. Seitdem haben Engines den Menschen weit überflügelt und sind um Klassen besser als die stärksten Super-Großmeister. Weltklassespieler sind heutzutage unglaublich jung; viele Teenager sind darunter. Sie erreichen ihre enorme Spielstärke, indem sie mit den Engines trainieren. Die Kooperation mit der Maschine ersetzt jahrelange Spielerfahrung, ohne die in früheren Zeiten niemand zum Spitzenspieler herangereift wäre.

Derzeit wird viel über KI geschrieben. Seit Chat-Bots überzeugende Texte generieren können, haben wir Menschen ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Das wirft die sensible anthropologische Frage auf: Was macht das Mensch-Sein denn noch aus? Damit müssen wir erst einmal klarkommen … Zumindest im Schach arbeiten Mensch und Maschine gut zusammen. Die KI hat den Menschen nicht die Freude am Schach verdorben, eher im Gegenteil. Menschliche Spitzenleistungen sind ohne Engines allerdings nicht mehr vorstellbar.

»Bitte lass die beiden Kinder unterschiedliche Positionen vertreten.«

Während ich diesen Essay schreibe, fällt mir noch eine weitere Episode mit Herrn S. ein. Einmal habe ich ihn in der Buchhandlung getroffen. Ich erinnere mich, wie er philosophierte: »Wir Menschen sammeln unser Leben lang Erfahrungen, Erkenntnisse und geben sie an die nächste Generation weiter. Jeder Mensch ist bei seiner Geburt das vorläufig letzte Glied einer langen Kette.« – Ich frage mich, ob diese Beschreibung des Zivilisationsprozesses dreißig Jahre später noch stimmt. Ist künstliche Intelligenz eventuell dabei, uns den Platz als »vorläufig letztes Glied« streitig zu machen? – Wird es künftig überhaupt noch Ketten geben?  – Oder wird KI irgendwann in der Lage sein, blitzschnell eigenständig Netze zu knüpfen, denen wir kaum noch folgen können? –

Sternenstaub und Licht

Das kleine Mädchen schaufelte Sand ins Eimerchen. Ihr Gesicht war ernst, so sehr konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Ihr bester Freund saß neben ihr. »Was denkst du gerade?«, fragte er sie. Das kleine Mädchen zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: »Ich frage mich, was wir wohl sind.« Er runzelte die Stirn: »Ich glaube, wir sind Menschen.« Sie nickte, aber schien nicht überzeugt zu sein. »Ja, aber wir sind auch aus etwas gemacht«, sagte sie. Ihr bester Freund zuckte mit den Schultern. Die beiden arbeiteten Seite an Seite und gruben um die Burgen herum Gräben, die sie mit Löwenzahn auslegten. Das kleine Mädchen fragte sich, ob sie vielleicht aus irgendeiner geheimnisvollen Substanz gemacht waren. Schließlich wandte sie sich wieder an ihren besten Freund: »Was denkst du, aus was wir gemacht sind?« Der zuckte nur mit den Schultern. Sie bauten noch mehr Sandburgen und formten Türme und Zinnen aus nichts anderem als Sand und Wasser, bis sie eine ganze Wüstenstadt errichtet hatten.

Schließlich, als die Sonne langsam unterging und es Zeit wurde, nach Hause zu gehen, hatte der beste Freund des kleinen Mädchens eine Idee. »Weißt du was? Auch wir sind nur aus Sand gemacht.« Sie blickte ihn erstaunt an. »Das glaube ich nicht. Vielleicht aus Sternenstaub und Licht?« Der Freund des kleinen Mädchens schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir sind alle aus Wasser und Sand gemacht. Und irgendwann, wenn wir sterben, kehren wir zu dem Sand zurück, aus dem wir gekommen sind.« Die beiden wohnten fast Tür an Tür. Gab es mehr als Sand und Wasser? Das kleine Mädchen dachte über die Worte ihres besten Freundes nach, bis sie zu Hause angekommen waren.

generiert von Chat-GPT | Prompts und Lektorat: Darius H.Hamudi

»Waldeinsamkeit« – Auf poetron.de macht KI Poesie.

Bildnachweise:

Geralt: “Alphabet” / OpenClipart-Vectors: “Android” bei pixabay.

niki_emmert: “Schotterstraße” / chathuraanuradha: “Roboter” via pixabay.

Vielen herzlichen Dank!

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/zylinderkopf/ki-macht-poesie/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert