vonDarius Hamidzadeh Hamudi 21.06.2023

Zylinderkopf-Dichtung

Essays, Glossen und Neuigkeiten aus der Menagerie der kleinen Literatur.

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In Erinnerung an Franz Schlag

Bei manchen bedeutenden Ereignissen können viele Menschen sich noch genau daran erinnern, wie und wo sie die Nachricht erhalten haben. Am 11. September 2001 spazierte ich gerade mit einem Eis durch die Freiburger Innenstadt, als ein Zeitungsjunge mir ein Extrablatt der Badischen Zeitung in die Hand drückte. – Chat-GPT hingegen war irgendwann einfach da. Vielleicht werden sich die User:innen im Rückblick daran erinnern, welche erste Frage sie der KI gestellt haben. Ging es um Ausflugstipps oder Kochrezepte? Wie viele Abschiedsreden für verdiente Mitarbeiter hat die intelligente Maschine inzwischen verfasst? Ich habe Chat-GPT folgende Aufgabe gestellt:

»Schreibe eine Kurzgeschichte über einen Jungen, der im Sandkkasten eine Erkenntnis hat.«

Seit es diesen Sprach-Roboter gibt, erwische ich mich bei der Frage: »Ob das selbst geschrieben ist?« Wie viele hölzerne Reden habe ich schon gehört? Wäre es ein Verlust, wenn nicht so versierte Autor:innen sich von KIs mitreißende Texte schreiben lassen würden, sagen wir mal im Stil von Barack Obama? – Es dauerte nur wenige Sekunden, bis der Chat-Bot einen Text zu generieren begann. Was er mir zunächst als Kurzgeschichte anbot, war nicht gerade preisverdächtig:

Der kleine Junge saß im Sandkasten und schaufelte mit seinem Eimerchen Sand in eine kleine Schaufel. Sein Gesicht war ernst, fast schon nachdenklich, als er sich auf seine Arbeit konzentrierte. Plötzlich hielt er inne und blickte auf. Eine tiefe Erkenntnis schien sich in seinem Kopf auszubreiten, als er das universale Geheimnis erkannte. „Weißt du was?“, sagte er zu seinem Freund, der neben ihm im Sandkasten saß. „Ich glaube, wir sind alle nur aus Sand gemacht.“ Sein Freund blickte ihn erstaunt an. „Wirklich?“, fragte er. „Das ist ja wirklich tiefsinnig.“ Der kleine Junge nickte ernst. „Ja, wirklich“, sagte er. „Wir sind alle nur aus Sand gemacht. Und irgendwann, wenn wir sterben, kehren wir zu dem Sand zurück, aus dem wir gekommen sind.“ Sein Freund nickte langsam, als er die Bedeutung von dem, was der kleine Junge gesagt hatte, zu begreifen begann. „Wow“, sagte er leise. „Das ist wirklich erstaunlich.“ Der kleine Junge lächelte und fuhr fort, im Sand zu spielen, während sein Freund neben ihm saß und über die tiefe Erkenntnis nachdachte, die der kleine Junge gerade hatte. Sie wussten beide, dass sie etwas Wichtiges entdeckt hatten, und es fühlte sich an, als hätten sie ein Stück vom Universum offenbart bekommen.

Ich habe schon einmal erlebt, wie KI uns Menschen innerhalb weniger Dekaden überflügelt hat, und zwar im Schach. In den 1980er- und 90er-Jahren hatte ich im Verein gespielt. Damals saßen wir im Jugendtraining stundenlang zusammen, um ein Turmendspiel zu analysieren. Heutzutage würde das in fünf Sekunden ein »Engine« erledigen, so wird die Schach-KI genannt.

»Bitte beschreibe, was die beiden im Sandkasten bauen.«

Die besten Schach-Computer hießen damals »Mephisto« und waren schlechter als unser langjähriger Vereinsmeister, Herr S. Er hatte eine Eigenheit, er liebte Springer. Während man in allen Schachbüchern nachlesen konnte, dass das Läuferpaar überlegen ist, schien er in Blitzpartien gezielt Endspiele mit zwei Springern anzustreben. Ich sehe ihn noch genau vor mir, wie er am Brett saß und mit seinen Springern zauberte. – Vor zehn Jahren ist er leider verstorben. Seine Schwester hatte die Traueranzeige mit einem Springer illustriert, das hat mich gerührt.

»Bitte schildere das Spiel im Sandkasten noch genauer.«

Die Engines haben das Schachspiel völlig revolutioniert. Damals gab es noch Hängepartien. Nach fünf Stunden durfte die Partie abgebrochen werden. Man schrieb einen Abgabezug auf ein Formular und steckte es in einen verschlossenen Umschlag. An einem anderen Tag  wurde die Partie wieder aufgenommen. Im Zeitalter der Engines ergeben Hängepartien keinen Sinn mehr.

Ich erinnere mich noch genau an diese Partie, wir hatten gegen einen Kasseler Schachverein gespielt. Nach fünf Stunden stand es 6:1 für den SK 1876. Wir hatten klar verloren, alle waren fertig, aber meine Partie lief noch: Ich hatte ein schlechteres Springerendspiel auf dem Brett, war müde und habe abgebrochen: Hängepartie. Herr S. half mir bei der Analyse, wir haben stundenlang telefoniert. Am darauffolgenden Sonntag brachte mein Vater mich nach Kassel. Mein Gegner begrüßte ihn mit den Worten: »Ihr Sohn ist gleich fertig, maximal dreißig Minuten.« Tatsächlich endete die Partie nach mehreren Stunden mit einem Unentschieden und der Mannschaftskampf 6,5 zu 1,5. Ohne Herrn S. hätte ich diese Position nie Remis gehalten, er war mein Engine. Ich hatte mich gefreut wie ein Schneekönig.

»Bitte mache deutlich, wie die Hauptfigur auf ihre Erkenntnis kommt.«

Während der Pandemie habe ich auf YouTube Schach wiederentdeckt. »The Big Greek« alias Georgios Souleidis produziert täglich kurzweilige Videos, worin er in erster Linie interessante Partien kommentiert.  Besonders spannend finde ich Computer-Schach-Turniere. Dabei spielen die Engines gegeneinander. In dem Video »Schach von einem anderen Stern« hat TBG eine übermenschliche Partie gezeigt. Es ist unfassbar, welche Perfektion und Präzision die Engines an den Tag legen. Sie spielen in einer anderen Dimension.

1996 war es hingegen noch eine Sensation, als das Schachprogramm »DeepBlue« den amtierenden Weltmeister Garri Kasparow schlug. Seitdem haben Engines den Menschen weit überflügelt und sind um Klassen besser als die stärksten Super-Großmeister. Weltklassespieler sind heutzutage unglaublich jung; viele Teenager sind darunter. Sie erreichen ihre enorme Spielstärke, indem sie mit den Engines trainieren. Die Kooperation mit der Maschine ersetzt jahrelange Spielerfahrung, ohne die in früheren Zeiten niemand zum Spitzenspieler herangereift wäre.

Derzeit wird viel über KI geschrieben. Seit Chat-Bots überzeugende Texte generieren können, haben wir Menschen ein Alleinstellungsmerkmal verloren. Das wirft die sensible anthropologische Frage auf: Was macht das Mensch-Sein denn noch aus? Damit müssen wir erst einmal klarkommen … Zumindest im Schach arbeiten Mensch und Maschine gut zusammen. Die KI hat den Menschen nicht die Freude am Schach verdorben, eher im Gegenteil. Menschliche Spitzenleistungen sind ohne Engines allerdings nicht mehr vorstellbar.

»Bitte lass die beiden Kinder unterschiedliche Positionen vertreten.«

Während ich diesen Essay schreibe, fällt mir noch eine weitere Episode mit Herrn S. ein. Einmal habe ich ihn in der Buchhandlung getroffen. Ich erinnere mich, wie er philosophierte: »Wir Menschen sammeln unser Leben lang Erfahrungen, Erkenntnisse und geben sie an die nächste Generation weiter. Jeder Mensch ist bei seiner Geburt das vorläufig letzte Glied einer langen Kette.« – Ich frage mich, ob diese Beschreibung des Zivilisationsprozesses dreißig Jahre später noch stimmt. Ist künstliche Intelligenz eventuell dabei, uns den Platz als »vorläufig letztes Glied« streitig zu machen? – Wird es künftig überhaupt noch Ketten geben?  – Oder wird KI irgendwann in der Lage sein, blitzschnell eigenständig Netze zu knüpfen, denen wir kaum noch folgen können? –

Sternenstaub und Licht

Das kleine Mädchen schaufelte Sand ins Eimerchen. Ihr Gesicht war ernst, so sehr konzentrierte sie sich auf ihre Arbeit. Ihr bester Freund saß neben ihr. »Was denkst du gerade?«, fragte er sie. Das kleine Mädchen zögerte einen Moment, bevor sie antwortete: »Ich frage mich, was wir wohl sind.« Er runzelte die Stirn: »Ich glaube, wir sind Menschen.« Sie nickte, aber schien nicht überzeugt zu sein. »Ja, aber wir sind auch aus etwas gemacht«, sagte sie. Ihr bester Freund zuckte mit den Schultern. Die beiden arbeiteten Seite an Seite und gruben um die Burgen herum Gräben, die sie mit Löwenzahn auslegten. Das kleine Mädchen fragte sich, ob sie vielleicht aus irgendeiner geheimnisvollen Substanz gemacht waren. Schließlich wandte sie sich wieder an ihren besten Freund: »Was denkst du, aus was wir gemacht sind?« Der zuckte nur mit den Schultern. Sie bauten noch mehr Sandburgen und formten Türme und Zinnen aus nichts anderem als Sand und Wasser, bis sie eine ganze Wüstenstadt errichtet hatten.

Schließlich, als die Sonne langsam unterging und es Zeit wurde, nach Hause zu gehen, hatte der beste Freund des kleinen Mädchens eine Idee. »Weißt du was? Auch wir sind nur aus Sand gemacht.« Sie blickte ihn erstaunt an. »Das glaube ich nicht. Vielleicht aus Sternenstaub und Licht?« Der Freund des kleinen Mädchens schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Wir sind alle aus Wasser und Sand gemacht. Und irgendwann, wenn wir sterben, kehren wir zu dem Sand zurück, aus dem wir gekommen sind.« Die beiden wohnten fast Tür an Tür. Gab es mehr als Sand und Wasser? Das kleine Mädchen dachte über die Worte ihres besten Freundes nach, bis sie zu Hause angekommen waren.

generiert von Chat-GPT | Prompts und Lektorat: Darius H.Hamudi

»Waldeinsamkeit« – Auf poetron.de macht KI Poesie.

Bildnachweise:

Geralt: „Alphabet“ / OpenClipart-Vectors: „Android“ bei pixabay.

niki_emmert: „Schotterstraße“ / chathuraanuradha: „Roboter“ via pixabay.

Vielen herzlichen Dank!

 

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kommentare

  • Nur der Vollständigkeit und Kasparows Ehrenrettung halber: Deep Thought verlor beide Partien gegen Garri K. Der deutlich komplexere Nachfolger Deep Blue hingegen, hatte da mehr Erfolg… Ansonsten ist viel Elegie um nicht zu sagen beinahe Weinerlichkeit in dem Stück Prosa. Das wird uns die KI so schnell nicht nachmachen können.

    • Danke für den Hinweis, ich habe das korrigiert. 🙂
      Eigentlich ist das schon interessant: 1989 verliert DeepThought gegen Kasparow, 1996 gegen DeepBlue wendet sich das Blatt.
      Vielleicht wäre es heute spannend, die damalige Berichterstattung nach DeepThoughts Niederlage zu sichten.
      Ich erinnere mich nur vage: Wurde nicht diskutiert, ob ein Computer jemals einen Schachweltmeister schlagen würde?
      Einige Jahre später hatte diese Debatte sich dann erledigt.
      Ich finde es interessant zu erfahren, wie Sie meinen Text gelesen haben: Elegie, beinahe Weinerlichkeit…
      Das hätte ich durchaus nicht erwartet. Danke auch für dieses Feedback.

      • Lieber Herr Hamudi,

        vielen Dank für Ihre Antwort. Für eine Einschätzung der Diskussion über die anfängliche Überlegenheit der Schachmeister selbst gegenüber den besten Schachprogrammen wie Deep Thought anno 1989 kann ich nicht viel sagen, da damals zu jung und gerade in dieses Land gekommen. Die Diskussionen innerhalb derer, die daran arbeiten war – ich hatte die Gelegenheit es später mitzubekommen – eher geteilt. Gegeben die grundsätzlich gegebene Berechenbarkeit von Schach und mit Kenntnis der begrenzten „Rechentiefe“ menschlicher Spieler hing es scheinbar davon ab wie optimistisch man bei der Einschätzung der Entwicklung der Rechenkapazität war, ob man die menschliche Überlegenheit für ewig hielt oder eine Konvergenz der Fähigkeiten von Maschinen und Menschen erwartete. Moore’s Law war da aber längst bekannt und mehr oder weniger bestätigt, so dass man eigentlich davon ausgehen musste, dass selbst dümmste Brute-Force-Schachprogramme irgendwann besser sein werden. Mathematisch Affine verwiesen auf die Notwendigkeit eines anderen Weges in der Schachrechnerei, denn die grundsätzliche Berechenbarkeit und Rechenkapazitätswachstum ergeben erst mit Einbeziehung der Komplexität des Entscheidungsbaumes eines Schachspiels und des Faktors Zeit eine verlässliche Grundlage für eine Einschätzung. Mit anderen Worten, der Zuwachs der Zugmöglichkeiten mit zunehmender Rechentiefe könnte dennoch gegen Brute-Force für einige Zeit gewappnet sein, wenn z.B. die Rechenleistung so langsam zunahm, dass die Berechnungszeit für ein Schachspiel zu lange war. Andererseits war schon mit Chessmaster 3000 ein Schachprogramm unterwegs, in dem von echten Spieler übernommene Heuristiken eingepflegt waren. Dieses Programm verlor immer noch gegen einigermaßen versierte Laien- oder Vereinsspieler – es reichte aus sagen wir etwas unkonventionell zu spielen. An 1996 und Deep Blue kann ich mich hingegen erinnern. Da war die Stimmung im Kleinen (wer versteht schon die Fisimatenten von Schach) so wie heute angesichts von ChatGPT. Zwischen Euphorie und Verzweiflung – je nach Kenntnis der Sache und Standort (Spieler, Entwickler, Laie, Computerhasser). Am meisten enttäuschte Kasparow selbst – nicht mit dem Verlust der Partien, aber mit den Ausflüchten usw. Wie auch immer Sie fragen am Ende des Textes: Oder wird KI irgendwann in der Lage sein, blitzschnell eigenständig Netze zu knüpfen, denen wir kaum noch folgen können? Das kann und tut sie längst. Die Frage ist, wird sie dermaleinst (und ich schätze, es wird nicht mehr lange dauern) da die KI mit erschöpfendem Weltwissen ausgestattet (in unseren menschlichen Maßstäben) rückgekoppelte „Eigengespräche“ wird führen können, die zu einer Konsolidierung und Konsistenzbildung innerhalb dieses Wissens führen wird. Hans Moravec hat meines Wissens so etwas schon in den 1990ern mit einem massiv mit Trivialwissen gefüttertem Expertensystem versucht (durchaus mit überraschenden Ergebnissen, die wir eine Vorwegnahme heutiger ChatGPT-„Erkenntnisse“ ausschauten) Über kurz oder lang könnte allerdings so eine KI-befragt-KI-Struktur zur Entwicklung einer uns dann unverständlichen KI-internen Sprache führen so dass diese Struktur vielleicht die tiefsten Erkenntnisse generiert (nicht ergrübelt wohlgemerkt), die uns unbekannt bleiben werden.

        P.S. Die elegische Stimmung war vielleicht auf meiner Seite evoziert durch den Text, nicht aufseiten des Textes – wenn es diese Trennung geben sollte. Sehen Sie mir diese nach.

        • Lieber Herr Demian,
          haben Sie vielen Dank für Ihre Antwort, über die ich erst einmal in Ruhe nachdenken musste. Danke auch für Ihr relativierendes PS. Ihre spontane Rückmeldung ist für mich als Schreibmensch natürlich extrem wichtig und wertvoll. Ich muss Ihnen da nichts nachsehen. Ganz im Gegenteil, ich danke Ihnen dafür. 🙂
          Im Anschluss an Ihre Ausführungen stellen sich mir zwei Fragen. Vielleicht haben Sie Interesse, mir darauf zu antworten. Mich würden Ihre Gedanken interessieren:

          1.) Sind moderne Schachengines wie Stockfish letztendlich Brute-Force-Programme oder bauen Sie auf dem Prinzip des Chessmaster 3000 auf, d.h. werden Heuristiken von echten Spielern eingepflegt? Ich habe gerade über Stockfish gelesen, dass ein neuronales Netz, das mit Millionen Stellungen trainiert wurde, die Bewertung übernimmt. Das scheint mir ein dritter Weg zu sein, neben Brute-Force und dem Prinzip des Chessmaster 3000. Ist das korrekt?

          2.) Sie entwerfen das Szenario, dass KIs durch rückgekoppelte „Eigengespräche“ eine Art künstliche Superintelligenz (KSI) generieren, die uns Menschen in allen Belangen meilenweit überlegen ist. Dadurch entstünde ein neuer Diskurs, dem wir Menschen nicht mehr folgen können. Maschinen, die wir konstruiert haben, generieren Erkenntnisse, die wir nicht verstehen können. So ähnlich ist es im Schach, wenn die Engine unfassbar präzise Züge vorschlägt, auf die kein menschlicher Spieler je gekommen wäre.
          Den Gedanken, dass KIs eine neue Sprache generieren, kann ich gut nachvollziehen: Begriffe werden ausdifferenziert, zu Theorien verknüpft und weiter abstrahiert. So ähnlich habe ich im Rückblick mein Studium erlebt: In Bezug auf meine Studiengebiete wurde mein Denken auf eine höhere Ebene gehoben. Aber da ist noch viel Luft nach oben …

          Ich möchte zu meiner Frage kommen:
          Schach-Engines unterstützen uns Menschen bei der Analyse und sind bei Computerschach-Turnieren letztendlich mit sich selbst beschäftigt. Wenn eine KSI sich letztendlich vor allem mit sich selbst beschäftigt (Stichwort: „Eigengespräch“) und sich in immer abstraktere intellektuelle Glasperlenspiele versteigt, wäre sie sich selbst genug. Sie würde sich von ihren Erfindern abkoppeln und den Kontakt zu unserer realen Menschenwelt verlieren, wäre aber ungefährlich. Im Gegensatz dazu warnen 100 KI-Experten vor dem „Risiko der Auslöschung [der Menschheit] durch KI“ und fordern dazu auf, dieses Risiko einzuhegen. Ich bin ja Geschichtenerzähler und mir fallen natürlich sofort Katastrophenszenarien ein: Ressourcenkonflikte der KSI mit uns Menschen um Strom und Rechnerkapazität; zielgerichtete Beeinflussung/Manipilation des politischen Diskurses durch die KSI; Eingriff der KSI in die reale Welt, beispielsweise durch die „Übernahme“ von autonomen Produktionsstätten…..
          Kurzum: Wird die KSI eine Art versponnene:r, aber liebenswürdige:r Gelehrte:r sein? Oder wird die KSI sich als machthungrige:r, skrupellose:r Despot:in entpuppen? Wie beurteilen Sie das Risiko, das von einer KSI ausgeht?

          • Lieber Herr Hamudi,

            Vielen Dank für Ihre Antwort und die interessanten Anschlußfragen. Es ist viel Prophetie verlangt und Prophetie die Zukunft betreffend ist bekanntlich ein schwieriges Geschäft. Daher erst zu Bekanntem:

            Ad. 1. Brute-Force hat sich im Prinzip nicht bewährt. Zwar hat das, was heutige Engines rechnen im Vergleich zu den vielleicht 4 Halbzügen Vorausberechnung der CM3000-Verwandten schon eine Anmutung von Brute-Force (einfach weil es eine nicht exhaustive aber dennoch in toto umfassendere Rechnerei ist) – dennoch ist es das nicht. Heute steht die Bewertungsfunktion im Zentrum. Diese war bei CM3000 bloße Materialrechnung + rudimentäre Stellungsbewertung. Das ist bei modernen Engines komplett anders, da hier die Bewertungsfunktion der Optimierungspunkt ist. Das hat mit der Engine namens Rybka angefangen (so um 2005 ging es durch die Kreise der Interessierten) und ab da begann der Siegeszug. Später hat nochmal Shredder und Stockfish für Furore gesorgt, weil es die vorigen Platzhirsche jeweils mal eben bezwang. Der Einbruch der Revolution wie sie uns mit ChatGPT offenbar wurde (sprich die neuronalen Netze + Selbsttraining) geschah hier, wenn ich mich richtig Erinnere mit Leela Chess Zero. Anfänglich eher als Exot betrachtet mauserte sich die Engine nach knapp einer Million Trainingspartien zum fast stärksten Programm (nur die konventionelle – nicht NN-Version – von Stockfish war stärker). Inzwischen hat Stockfish auch eine NN-aufgepolsterte Version. Es ist jedoch kein genuiner Dritter weg, denn dieser Stockfish kombiniert meines Wissens die Stärken der alten Stockfishe und der NN-Optimierung. Wie gesagt, Brute-Force war als ernsthafte Strategie relativ früh eingegangen (wenn es überhaupt je eine war). Eine Entwicklung, die wirklich bemerkenswert ist, ist die Rechnung im Schachentscheidungsbaum vom Ende quasi herauf. So sind alle mölichen Endspiele mit 6 oder weniger Steinen berechnet und in einer Datenbank abrufbar. Man mag es für trivial halten, aber das ist wirklich ernorm! Wir wissen von allen solchen Endspielen wie sie ausgehen. Bei Shredderchess kann man z.B. jede beliebige sog. Sechssteinerstellung eingeben und voila Ergebnis kommt. An den Siebensteinern wird gerechnet.

            Ad. 2:

            Ich halte es für tatsächlich eine Frage der Zeit bis eine mit allem verfügbaren Weltwissen gefütterte KI zu einem praktisch allwissenden Orakel wird; und wir reden hier eher über Jahre denn Jahrzehnte. „Orakel“ bitte nur als Metapher lesen, weil wir nichts besseres haben um von etwas zu sprechen, das de facto irrtumssicher Antworten liefert; liefern wird. Das Unterfangen ist weniger trivial als ich es beschrieb, da sehr vieles von unserem Weltwissen kontextsensitiv ist und die KI noch zum Teil kontextblind ist. Zudem ist unser Weltwissen zum Teil sehr disparat und widersprüchlich. Das jedoch könnte letztendlich die Hauptstärke einer solchen Orakel-KI werden, nämlich dass sie das Konfligierende, Widersprüchliche oder noch nicht zusammengedachte konsolidiert und in ein konsistentes Ganzes überführt. Noch spinnt ChatGPT manchmal herum und fabuliert frei Schnauze (oder erfindet Quellen) – das wird jedoch verschwinden und zwar zugunsten einer strengen Konsistenz des Wissens. Ich vereinfache es hier, weil es noch weitere epistemische und logische Schwierigkeiten gibt, aber im Groben betrachtet steht der eben skizzierten Entwicklung nichts im Wege (außer machtpolitischen Interessen vielleicht, aber die verlieren am Ende immer gegen die vielfach bemühte normative Kraft der Wahrheit). Ähnliches müsste auch im Bereich der Wissenschaften passieren. Man kann z.B. eine KI anhand aller wichtigen und wesentlichen Paper im Bereich der Physik trainieren. Da diese meist streng logisch argumentieren und zudem formal konsistent sind, wäre es ein Leichtes. Selbst wenn sich dabei Widersprüche und Inkonsistenzen zwischen den Theorien/Formulierungen ergeben, wäre das produktiv und informativ. Ich bin mir sicher, die kommenden entscheidenden Erkenntnisse und Bestandteile von Theorien werden in den meisten Wissenschaften exakt auf diese Weise „entdeckt“.

            Die von mir (in vorangegangener Antwort) erwähnte Überlegenheit und mögliche eigene interne Sprache der im Selbstgespräch verfangenen KI, war nur eine Anmerkung zu potentiellen Schwierigkeiten, die uns ggf. erwarten. Ich weiß nicht ob – anders als bei gegen sich selbst spielenden Schachengines – gerade an solchen in Eigengespräche verwickelten KIs geforscht wird. Es wäre aber einfach, sogar mit „privaten Mitteln“ (ist mit Hardware für ein paar Zehntausend Euro), mehrere Instanzen von z.B. ChatGPT miteinander kommunizieren zu lassen und die Netze mit jeweiligen Ergebnissen weiter zu trainieren. Das wäre eigentlich der spannende Punkt – entwickelt sich daraus eine abweichende innere KI-Sprechweise? Ich würde damit rechnen, denn vieles in unserer sprachlichen Ausformulierung des Weltwissens ist kontaminiert von Firlefanz und Ausschmückung. Ferner würde ich davon ausgehen, dass vom aktuellen Grad der Konsistenz des Wissens in den Netzen abhängt, ob so ein Verfahren zu einer Konvergenz des Wissens und zu einem Fundament unverrückbarer Behauptungen führt, oder zu divergierenden Instanzen der KI. Wie gesagt, das sind alles eher educated guesses denn Prognosen meinerseits. Ihr Vergleich zur Konsolidierung des Wissens während eines Studiums ist sehr treffend – nur dauert es bei unsereins Jahre, bei der KI (die reine Lernzeit betrachtend und auf besserer Hardware als unserer) vielleicht Monate. Neben Ihrem Vergleich ist auch die Aussage eines der besten Go-Spieler der Welt bemerkenswert, der nach einem verlorenen Match gegen AlphaGo über den entscheidenden Zug seines Gegners sagte: „I thought it was a mistake“. Unsere erarbeiteten und vererbten Handlungsweisen und Heuristiken sind – das sollte man aus der KI-Debatte mitnehmen – oft auch tradierte und perpetuierte Fehler und Bequemlichkeiten.

            Zu Ihrer Frage:

            Sie fragen: Wird die KSI eine Art versponnene:r, aber liebenswürdige:r Gelehrte:r sein? Oder wird die KSI sich als machthungrige:r, skrupellose:r Despot:in entpuppen?

            Das alles, denke ich; plus noch gegenwärtig nicht voraussagbare Entwicklungen. Es wird die Allwissend-KI geben und jene, die das Potential zur Extinktion hat. Sie müssen bedenken, dass eine denkbare Lösung zur Rettung des Planeten, die Vernichtung des Menschen ist, den sich der Planet als üblen Parasiten eingefangen hat. In Begriffen einer wirklich global und universell räsonnierenden KI, ist es vielleicht eine für diese KI probate Möglichkeit. Das weiß selbst ChatGPT. Die Entwicklung hängt im Prinzip davon ab, wie wir es heute ausrichten. Am Ende werden auf jeden Fall die Maschinen übernehmen – das steht fest. Die Fortsetzung der präbiotischen Evolution war die biologische, die Fortsetzung der biologischen wird auf jeden Fall diese sein; denn wir sind aus ziemlich schlechtem Material gemacht. Dieses Ende jedoch ist in Jahrhunderten zu erwarten, nicht in 2033, wie diverse KI-Propheten es voraussagen. Bis dahin würde ich erwarten, dass ein üblicher Wettlauf zwischen konstruktiven und destruktiven Tendenzen stattfinden wird (wie jetzt schon mit den prä-KI-Technologien und vor Tausenden von Jahren mit Keule- und Faustkeil-Technologien). Der aus meiner Sicht entscheidende Punkt wird sein, ob wir irgendwann zulassen (auch unbemerkt da hineinschlittern), dass die KI eine solche Autonomie erlangt, dass sie ohne Schwierigkeiten zur Selbstreproduktion fähig sein wird, bzw. sich diese selbst organisieren wird können. Das wäre meines Erachtens der Startpunkt zum Ende unserer Spezies.

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