Kaum eine Metapher ist so abgedroschen wie die vom Haus Europa. Vor zwanzig Jahren noch als repräsentative Villa projektiert, ist seit der Ablehnung der Europäischen Verfassung 2005 eher eine Dauerbaustelle daraus geworden. Zum Auftakt von »Europapa« präsentiert sich dieses Haus als unfertiges Konglomerat aus verschiedenen Gebäudeteilen. Roh- und Pfahlbau schmiegen sich aneinander, im Hintergrund steht ein Kran. Funktionale Büroarchitektur verschwindet hinter grünem Gebäudebewuchs. Nicht fehlen darf natürlich eine Windmühle, schließlich handelt es sich um den niederländischen Beitrag zum Eurovision Songcontest. Eine kleine Hütte stellt das Entree dar; über ihrem Dachfirst flattert eine kleine Europa-Fahne im Wind. Irgendwie erinnert das fatal an eine Schrebergartensiedlung.
»Heb je een eurootje, please?« – »Haben Sie bitte einen Euro?«
Nach einem Zoom ins Gebäude sonnt sich Joost Klein am Rednerpult im Gewitter der Blitzlichter. Die Schulterpartien seines europablauen Anzugs sind grotesk aufgepolstert. Er lächelt das Lächeln all der von der Leyens, Junckers und Barosos. Die ausgestellte Stärke versucht noch nicht einmal, die Schwäche von Spitzendiplomat:innen ohne eigene Machtbefugnisse zu verbergen, denen jederzeit der Stecker gezogen werden könnte.
Joost Klein präsentiert Europa als eine Familie: Euro-Papa ist alt, ein aus der Form geratener Mann, der hektisch vor dem Spiegel Gewichte stemmt, ohne dass das Training auch nur ansatzweise anschlagen würde. Europa ist jung und pleite, ein Kind mit Fantasie, das trotz chronischer Geldnot auf Reisen geht und überall Freunde besucht. Ohne Reisepass geht es mit dem E-Vierrad-Roller überland nach Deutschland, Polen und Italien. Der clowneske Cowboyhut hat Übergröße, das leuchtend blaue Hemd ist mit gelben Sternen verziert. Joost Kleins Europa ist Uncle Sams lustiger kleiner Bruder. Ohne sich selbst sonderlich ernst zu nehmen, verbreitet er zunächst leichtfertig gute Laune.
»Blijf hier tot ik doodga« – »Bleib hier, bis ich sterbe«
»Sterben« heißt auf niederländisch »dood gaan«, was für deutsche Hörer:innen ungewöhnlich klingt. Gar nicht so ungewöhnlich ist der dahinterliegende Gedanke, Europa als Schicksalsgemeinschaft zu verstehen. Denn nicht nur Joost Klein wird erst durch seinen Tod von Europa scheiden. Wenn man von der Ukraine, Georgien, Berg-Karabach, Tschetschenien und Jugoslawien einmal absieht, haben wir uns in Europa inzwischen fast 80 Jahre lang nicht mehr bekriegt. Joost Klein und seine lustige niederländische Band laden all ihre europäischen Freund:innen zu sich ein. Am Fuß einer Windmühle tanzen sie durch die Nacht, es lebe die Europäische Union!
Doch immer mehr Misstöne schleichen sich in Joost Kleins Europa ein: »Ja, ik geef zelfs mensen geld, maar d’r is niemand die me helpt« (Ja, ich geb den Menschen Geld, doch da ist niemand, der mir hilft.) Beim von da Vinci inspirierten Abendmahl hat niemand Appetit auf die auswärtigen Spezialitäten. Die Party wird lauter, schriller und härter, bis sie in einem schockierenden Schlussakkord gipfelt: Unvermittelt findet sich Joost Klein in einem brennenden Raum wieder. Das Haus Europa steht in Flammen. Jede:r weiß, welche Parteien die Europäische Union am liebsten abfackeln würden und die Euopawahl steht vor der Tür. Erst im nachhinein erschließt sich also die Dringlichkeit der drei einzigen englischen Verse, mit denen Joost Klein seinen Bilderreigen bezeichnenderweise eröffnet hatte:
Europe, let’s come together.
It’s now or never.
I love you all.
Hier geht es zu Joost Kleins Wettbewerbsbeitrag (oder auf Bild klicken):
Weiterer Link
Europapa in der Wikipedia mit weitere Information zu Joost Kleins persönlichen Hintergründen.
Bildnachweis:
movprint: Sprechblase via Pixabay.
Schriftzug gesetzt aus der Mouse Memoirs Font.