An den Prognosen aus den Wahlkreisen kann man gut ablesen, welche politische Kraft in welchen Regionen die Nase vorn hat. Das Redaktionsnetzwerk Deutschland hat dazu eine interaktive Deutschlandkarte mit einer Prognose der Erststimmen veröffentlicht. Diese erinnert fatal an die politische Landkarte vor 1989. Westlich des früheren eisernen Vorhangs ist – abgesehen von einigen roten und grünen Einsprengseln – fast alles schwarz, östlich davon wählt das RND verschieden abgestufte Türkistöne anstelle eines satten Brauns. Das Aufscheinen der Grenzlinien der vormaligen Deutschen Demokratischen Republik und der westdeutschen Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2024 ist gespenstisch und erschreckend.
Union im Retro-Wahlkampf
Trotz des erstarkten rechten Randes macht die CSU vor allem gegen Bündnis 90/Die Grünen mobil, als ob es kein Morgen gäbe. Söder schwadroniert über die »Heizgrünen« und orchestriert mit seinem undifferenzierten Ampel-Bashing die Hetze der extrem Rechten in den Sozialen Medien. Dass die Union ihr Wahlprogramm in Berlin ausgerechnet im alten Telegraphenamt eröffnet, ist bezeichnend. »Weiter so ist keine Option.« – »Wir wollen, dass sich Fleiß wieder lohnt« – »Wir werden Recht und Ordnung in Deutschland wieder durchsetzen.« Von einer »Richtungsentscheidung« ist die Rede, als ob noch immer die beiden politischen Lager Rot-Grün und Schwarz-Gelb um die Vormacht kämpfen würden wie dazumal im 20. Jahrhundert. Egal ob es am Ende auf Schwarz-Grün oder auf Schwarz-Rot hinausläuft. Durchdachte, innovative Kompromisse zwischen den einstigen politischen Lagern wären das Gebot der Stunde.
Der Elefant im Raum
Das Wappentier der us-amerikanischen Republikaner ist der Elefant. Donald Trump beherrscht schon vor seiner Rückkehr ins Weiße Haus den politischen Raum. Findet in Kürze tatsächlich eine Säuberung der Exekutive nach dem Drehbuch des Projects 2025 statt? Wie soll die Bundesregierung sich gegebenenfalls dazu positionieren? Wird Trump einen Handelskrieg mit China und der EU anzetteln? Und ist es klug, im Fall der Fälle auf Vergeltungszölle zu verzichten, wie Christine Lagarde es vorschlägt? Wird in Anbetracht eines America-First-Protektionismus die Exportorientierung der deutschen Volkswirtschaft zu einer Bürde? Sollte die Bundesrepublik Deutschland ihr Engagement in der Ukraine erhöhen, falls die USA ihre Unterstützung zurückfahren? Auf wessen Kosten kann das trotz Schuldenbremse finanziert werden, oder ist eine Aufweichung unumgänglich? Welche Bedeutung haben die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premier Netanyahu, Ex-Verteidigungsminister Gallant und den Hamas Anführer Deif für die deutsche Nahost-Politik? Wie lässt sich die Medienmacht von libertären US-Milliardären in der EU wirksam reduzieren? Was kann Deutschland im Kampf gegen den Klimawandel unternehmen, wenn die USA als Mitstreiter vorerst ausfallen? Wie können Wähler:innen der AfD von den Parteien der politischen Mitte zurückgewonnen werden?
Wo der gemeinsame politische Gegner steht
Der politische Preis für einen simplen Retro-Lagerwahlkampf gegen künftige Koalitionspartner besteht in einem absehbaren Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust nach der Wahl. Der politische Wettstreit im Wahlkampf sollte sich stattdessen den anstehenden großen Fragen widmen, die die künftige Bundesregierung zu beantworten hat. Die Parteien der politischen Mitte könnten dabei einen konstruktiven und konzilianten Ton anschlagen und bereits vor der Wahl mit der dringenden Suche nach Lösungen und Kompromissen beginnen. Denn der gemeinsame politische Gegner steht am rechten Rand.
Weiterführende Links und Belege
- Johannes Christ: Umfragewerte: Wie die Bürgerinnen und Bürger wählen würden, RND vom 19.12.24
- Live: Vorstellung des Wahlprogramms der Union, ntv am 18.12.24.
- EU: EZB-Präsidentin rät von Vergeltung gegen US-Zölle ab, Süddeutsche Zeitung vom 28.11.24.
Bildnachweis
- Konrad-Adenauer-Stiftung: Plakate zu den Bundestagswahlen, CDU Bundesminister Hans Katzer. Die Aufnahme stammt von einer Plakatwand. Neben Hans Katzer klebt ein Plakat von Hans-Jürgen Wischnewski, ein für diese Wahl typisches SPD-Kandidatenplakat, Lizenz: KAS/ACDP 10-001 : 1305 CC-BY-SA 3.0 de.