vonHans Cousto 31.03.2022

Drogerie

Aufklärung über Drogen – die legalen und illegalen Highs & Downs und die Politik, die damit gemacht wird.

Mehr über diesen Blog

Das Narcotic City Project untersucht die Diskurse, Imaginationen, Praktiken und Folgen des öffentlichen Drogenkonsums von den 1970er Jahren bis heute mit einem Fokus auf west- und mitteleuropäische Städte. Vom 23. bis zum 26. März 2022 veranstaltete das Narcotic City Project eine Tagung im Aquarium im Südblock am Kottbusser Tor in Berlin Kreuzberg. Referenten diverser Projekte aus ganz Europa berichteten von der Situation in ihren Städten und diskutierten Perspektiven zur Lösung anstehender Probleme. Ein Schwerpunkt der Tagung war das Thema Drug-Checking. Auch eine Besichtigung des Görlitzer Parks stand auf dem Programm. Da die Veranstaltung im Aquarium bedingt durch die Pandemie unter strikter 2G++Regeln (geimpft, genesen, getestet und mit Mundnasenschutz) stattfand, entwickelten sich Treffen im Görlitzer Park als Alternativen für Besprechungen und dem Erfahrungsaustausch in lockerer Atmosphäre.

Partner des Projekte Narcotic City
Partner des Projektes Narcotic City

Drug-Checking

Im Aquarium stellte Prof. Dr. Thomas Bürk von der IB Hochschule für Gesundheit und Soziale Arbeit Berlin drei engagierte Persönlichkeiten aus der Praxis des Drug-Checkings vor. Der bekannteste ist wohl August de Loor von der Stichting Adviesburo Drugs in Amsterdam, der im Winter 1987-1988 begann vor Ort auf Partys Drogen zu testen. Er gilt als Erfinder des Drug-Checkings im Kontext von Partys. Dann waren noch der Chemiker Guy Jones (The Loop / Reagent Test, London) und die Psychologin Helena Valente (Kosmicare, Lissabon) mit von der Partie. Kosmicare hat vor allem auf dem Boom Festival, das größte und bekannteste Psytrance-Festival in Portugal, vielfältige Erfahrungen beim Drug-Checking sammeln können. Die Gesprächsrunde wurde auf Video aufgezeichnet. Da es sich um eine internationale Veranstaltung handelte, war die Konferenzsprache Englisch.

Gesprächsrunden im Görlitzer Park

Der Görlitzer Park, kurz „Görli“ genannt, war ein idealer Ort für Gesprächsrunden dieser Tagung. Dies nicht nur, weil er international bekannt ist als Treffpunkt für Kiffer und Dealer und dort auch große Kifferversammlungen an Tagen wie dem 20. April (4:20) oder dem Global Marijuana March stattfinden, sondern weil der Park in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts ein zentraler Treffpunkt für Psychonauten war. In der Görlitzer Straße 71 war das Am­bientcafé Nautilus direkt am Park gelegen. Dort wurde im Oktober 1994 Eve & Rave Berlin gegründet, ein Verein zur Förderung der Party- und Technokultur und zur Minderung der Drogenproblematik. Und dort, in der Nautilus, konzipierte Eve & Rave Berlin sein Drug-Checking-Programm und dort wurden im Februar 1995 die ersten Ergebnisse der Analysen der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf der anderen Seite des Parks war der KitKat Club in der Glogauer Straße 2 angesiedelt, der 1994 noch Turbine hieß und ab 1995 KitKat genannt wurde. Das KitKat entwickelte sich zu einem der bekanntesten Clubs von Berlin. Die Raver pendelten damals so stets vom KitKat Club durch den Görlitzer Park in das Am­bientcafé Nautilus und wieder durch den Park zurück. Natürlich wurde auch im Park gefeiert.

Außer den oben genannten Teilnehmer der Diskussionsrunde im Aquarium trafen sich im Park unter anderem der Chemiker Daniel Martins von Kosmicare aus Portugal, eine Studentengruppe der Technischen Universität Berlin und Hans Cousto (Autor dieser Zeilen), Mitbegründer von Eve & Rave Berlin und Eve & Rave Schweiz. Eve & Rave Berlin ist seit langem nicht mehr aktiv, Eve & Rave Schweiz feierte letztes Jahr sein 25jähriges Jubiläum und war maßgeblich an der Etablierung von Drug-Checking in der Schweiz beteiligt. Das Drug-Checking von Eve & Rave wurde stark von den Erfahrungen von August de Loor geprägt, wie man in den Ergebnissen einer Informationsreise von Eve & Rave Berlin im März 1995 nachlesen kann. Berlin hatte in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts die besten Voraussetzungen in Sachen Drug-Checking und Schadensminderung beim Drogengebrauch eine führende Metropole zu werden, doch die Politik hat die Chance nicht wahrgenommen und die Weiterentwicklung des Drug-Checkings verhindert. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert herrscht diesbezüglich in Berlin tote Hose.

Das „basic word“ des Drug-Checkings ist „give service“, das heißt, die Grundlage des Drug-Checkings (Dogentestens) hat das Leitmotiv eine Dienstleistung erbringen. Nur so kann das Vertrauen der Konsumenten, Dealer und Produzenten gewonnen werden. Dieses Vertrauen ist wiederum die Grundlage des Monitorings, das heißt Hintergründe der Bedürfnisse der Menschen zu erfahren und, auf diese aufbauend, Strategien zu entwickeln, wie eine Schadensminderung im Zusammenhang mit dem Drogengebrauch erreicht werden kann.

Extrem hochdosierte Ecstasypillen (MDMA-Pillen) mit mehr als 200 mg Wirkstoff
Extrem hochdosierte Ecstasypillen (MDMA-Pillen) mit mehr als 200 mg Wirkstoff

Drug-Checking mildert politische Fehlentscheidungen

August de Loor kann sehr anschauliche Beispiele zeigen, welche Auswirkungen politische Fehlentscheidungen haben und wie diese mittels Drug-Checking gemildert werden können. Beispielsweise ist es in den Niederlanden erlaubt, Haschisch und Marihuana in Coffeeshops zu kaufen. Der Verkauf dort ist geregelt, der Einkauf der Shopbetreiber wie auch die Produktion der Cannabisprodukte sind nicht geregelt und werden schwarzmarktmäßig bewerkstelligt. Deshalb wissen die Betreiber von Coffeeshops nicht, ob die angelieferte Ware mit synthetischen Cannabinoiden besprüht worden sind. Und deshalb hat August de Loor ein Drug-Checking-Back-Door-Programm (Drug-Checking-Hintertür-Programm) initialisiert. Dies, damit die Betreiber der Coffeeshops wissen, ob ihre Ware kontaminiert ist oder nicht und auch, damit sie wissen können, wie viel THC und CBD in den Produkten enthalten ist.

Rückblick: Im Jahr 1976 wurden in den Niederlanden bemerkenswerte Entscheidungen getroffen, die die Gelegenheit boten, angesichts der bevorstehenden Legalisierung von Cannabis eine fortschrittliche und flexible Politik für weiche Drogen und Coffeeshops zu entwickeln. Im Jahr 1997 wurde ein Kriterienkatalog für die Coffeeshops mit klar definierten Beschränkungen eingeführt: Es darf keine Werbung für Drogen erfolgen, es dürfen keine harten Drogen wie Kokain, Heroin, Amphetamin, LSD, etc. verkauft werden, es dürfen keine Belästigungen für die Umgebung entstehen, es dürfen keine Drogen an Personen unter 18 Jahren verkauft werden und es dürfen pro Kunde höchstens 5 Gramm Cannabis abgegeben werden. Regelungen für den Einkauf der Coffeeshopbetreiber wurden keine getroffen. Es gibt bis heute, außer dem Drug-Checking-Back-Door-Programm von August de Loor, keine Qualitätskontrolle bei der Ware, die in Coffeeshops angeboten wird. Hier hat die Politik versagt und eine Gefährdung der Konsumenten billigend in Kauf genommen. Deshalb fordert August de Loor einen legalen und kontrollierten Anbau und Großhandel mit Cannabisprodukten um diese Mängel bei der Qualität zu beseitigen.

Ignore Street Dealers

Smartshops – Drogenfachgeschäfte

Im Jahr 2008 hat die Stadt Amsterdam verboten, dass Zauberpilze (Psilos) in Smartshops verkauft werden, was bis dato legal war. In der Folge wurde mehr LSD und Ecstasy (MDMA) konsumiert. Da die Nachfrage nach diesen Drogen nach dem Zauberpilzverbot plötzlich rasant gestiegen ist und nicht genügend LSD und MDMA verfügbar war, tauchten vermehrt Falsifikate dieser Drogen auf. Die Dealer verkauften alles Mögliche unter dem Label LSD und MDMA, so dass die Konsumenten vermehrt unter unerwünschte Nebenwirkungen litten.

Ein Verkauf von Psychoaktiva in Smartshops (Fachgeschäfte für Drogen und Paraphernalien) mindert die Risiken für die Konsumenten, da sie genau wissen können, wie viel von welcher Substanz in der angebotenen Ware enthalten ist. In Deutschland wurde zum Beispiel der Verkauf von Salvia divinorum (Azteken-Salbei, Wahrsage-Salbei) am 1. März 2008 verboten, in den Niederlanden ist der Verkauf von Salvia divinorum jedoch immer noch legal und die Pflanze wie auch Extrakte können in Smartshops erworben werden. Psychoaktive Produkte, die in Smartshops erworben werden können, verschwinden vom Schwarzmarkt. Um den Schwarzmarkt zu marginalisieren, sollte das Angebot in Smartshops erweitert werden.

Warnstreifen

Vor diesem Hintergrund wurde die Kampagne „ignore street dealers“ gestartet. Diese Safe-Use-Kampagne wird von der Union der Coffeeshop-Besitzer (Bond van Coffeeshop Detaillisten, BCD) und der Union der Smartshop-Besitzer (Vereniging Landelijk Overleg Smartproducten, VLOS) mit Hilfe von August de Loor / Stichting Adviesburo Drugs durchgeführt. Ziel der Kampagne ist Schadensminderung, zufriedene Kunden, Austrocknung des Schwarzmarktes und das geben konstruktiver Impulse an Parlament und Regierung.

Ignore Street Dealers
Ignore Street Dealers

Narcotic City Archiv

Narcotic City baut derzeit ein freies Archiv über die Geschichten und Orte des Konsums psychoaktiver Substanzen auf. Das Narcotic City Archiv enthält das Erbe städtischer Drogenkulturen des 20. und 21. Jahrhunderts und den damit verbundenen sozialen, ökonomischen und politischen Aspekten. Das Ziel des Archivs ist es, vielfältigstes historisches wie zeitgenössisches Material von verschiedenen Gruppen und Organisationen zu sammeln. Das Narcotic City Archiv ist eine Plattform, die durch öffentliche Beteiligung wächst. Ziel des Narcotic City Archivs ist es, Materialien zu sammeln, zu bewahren und frei zugänglich zu machen, die bislang oft verschwunden, kaum zugänglich oder tabuisiert waren.

Das Narcotic City Archiv baut das erste frei zugängliche Archiv öffentlicher Drogenkulturen in Europa auf. Das Narcotic City Archiv wird das materielle und immaterielle Erbe des Drogenkonsums und der Regierungsführung in europäischen Städten der Nachkriegszeit sammeln und bewahren.

Das Archiv umfasst bereits eine Vielzahl von Materialien, darunter historische Dokumente, mündliche Überlieferungen, Kartierungen, Interviews, Fotos und Objekte. Um das partizipative Archiv zu erweitern, arbeitet Narcotic City mit diversen gemeinnützigen Organisationen in ganz Europa zusammen. Diese Verbände arbeiten seit Jahrzehnten in den Bereichen Drogenaktivismus, politische Debatte und lebendige Geschichte.

Die vorhandenen Beiträge befassen sich mit einer Reihe von Themen im Zusammenhang mit Drogenkonsum im weitesten Sinne, wobei der Schwerpunkt auf den europäischen Städten des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts liegt. Einige Beispiele sind Drogenpolitik, Kriminalisierung, Aktivismus, Stigmatisierung, Party-Praktiken und Geschlechterfragen sowie städtischer Drogentourismus. Privatpersonen wie auch Organisationen sind herzlich eingeladen, das Archiv um weitere Beiträge und Perspektiven zu bereichern!

Vergleiche hierzu in diesem Blog

[19.10.2021] 25 Jahre Drogenaufklärung
[12.03.2021] Drug-Checking in der Schweiz
[07.01.2021] Vorerst kein Drug-Checking in Deutschland
[16.11.2020] Gesetzesantrag des Landes Hessen

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/drogerie/2022/03/31/narcotic-city-project/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert