Die Generalversammlung der taz-Genossenschaft am 14. September in Berlin hat sich mit der Zukunft der taz beschäftigt. Das Team von Produktentwickler:innen skizzierte Konzepte für die taz im Netz, die Tageszeitungs-App, die gedruckte taz am Wochenende und die taz Community. Vorher sprach Chefredakteur Georg Löwisch zur Rolle des taz-Journalismus. Das leicht gekürzte Redemanuskript dokumentieren wir hier.
Die taz steht an einem sehr politischen Punkt. Es ist ein besonderer Moment.
Diese Zeit prägen zwei starke Strömungen. Sie haben sich beide im Grunde aus Szenarien des Weltuntergangs gebildet. Aber die beiden Strömungen könnten unterschiedlicher nicht sein.
Strömung eins ist eine rechte Strömung. Diese Strömung fürchtet sich vor dem Untergang einer alten deutschen Welt, vor dem Untergang einer sehr weißen Welt. Es ist eine Welt, in der am Samstag Autos gewaschen werden. Das ist polemisch, und von Polemik haben wir gerade ziemlich viel. Also sage ich es sachlich: Diese erste Strömung treibt die Sorge um Stabilität an.
Strömung Nummer zwei ist anders. Strömung zwei sorgt sich um das Klima dieser Welt. Die Menschen sorgen sich um ausgetrocknete Böden, um die Artenvielfalt, sie sorgen sich um Deiche, die immer mehr aushalten müssen. Diese Leute sorgen sich um Länder, die vom Meer überspült werden, wenn die Eisberge schmelzen.
Die beiden Strömungen unterscheiden sich durch ihr Menschenbild, ihre politischen Vorstellungen. Was die zwei Strömungen aber auch unterscheidet, ist das, was sie aus ihren Sorgen machen.
Die erste Strömung facht die Sorge zur Angst an. Dass die alte Welt untergeht, das Abendland und die Nation. Aus Sorge macht sie Angst. Und aus Angst macht sie Wut. Ein Gefühl von Sicherheit generiert diese Strömung aus Ressentiment, indem sie abgrenzt und ausgrenzt.
Die andere, die zweite Strömung speist sich aus apokalyptischen Ängsten. Aber sie ist dann wieder erstaunlich optimistisch. Sie streikt, sie warnt, sie fordert, sie schreibt Konzepte. Sie kämpft für die Rettung des Klimas. Ihre Schlagworte sind „jetzt“ und „machen“. Das „jetzt“ klingt ultimativ, aber das „machen“ doch sehr konstruktiv.
Die rechte Strömung will ins Retro, in die achtziger, die fünfziger Jahre – und manche in die dreißiger Jahre. Und die Klimaströmung möchte in eine bessere Zukunft.
Was bleibt für die taz?
Die Rechten sind seit Jahrzehnten ein taz-Thema. Das Klima ist es auch – in einer Zeitung, wo Wirtschaft und Umwelt traditionell zusammen in einem Ressort und sehr politisch betrachtet werden.
Das sind zwei Kernthemen der taz. Da waren wir immer vorn. Und jetzt machen das alle. Immer wieder fragen mich Leute: Wenn alle machen, was die taz immer gemacht hat – was bleibt dann noch für die taz?
Da ist es erst einmal wichtig zu sagen, dass wir auch immer dafür da sein werden, Themen zu beleuchten, die unterbelichtet sind. Beiträge über Teilhabe von Menschen mit Behinderung, über neue Schulkonzepte. Oder darüber, wie mit Dialyse-Patienten in der Ukraine umgegangen wird. Wir müssen breit berichten, wie die Lage sich in Äthiopien verändert oder in Kolumbien. Die taz muss auch genau dort hinschauen, wo es gut läuft, ins sächsische Dorf Nebelschütz, da geht es solidarisch zu und ökologisch, die Nebelschützer machen was. Kurz: Die taz muss die Themenvielfalt bereichern, auch wenn ihre Kernthemen trenden.
Aber trotzdem noch mal die Frage: Wenn alle die Topthemen der taz machen, hat dann nicht die taz ein Problem? Wäre doch logisch. Weil sie ja anders sein möchte. Kann sie das nicht mehr?
Schon die Fragestellung finde ich so defensiv, dass es mich schüttelt. Du betreibst jahrelang eine Sportart, die weniger im Rampenlicht steht. Und dann boomt diese Sportart und du sagst lieber alle Heimspiele ab.
Wenn die taz punkten kann, wo sie zu Hause ist – ist das eine riesige Chance. Klima und rechte Bewegungen – da kann sie nicht nur vorn bleiben, da muss sie vorn bleiben. Während andere auf diese Themen erst aufspringen, können wir auf einen Instinkt vertrauen und auf lange erarbeitete Fachkompetenz. Gerade jetzt ist die Kraft der taz gefragt.
Wir müssen allerdings schon findig sein, wir müssen genau hinschauen, genau zuhören und scharf analysieren. Wir müssen in den uns vertrauten Themen neue Wege gehen und neue Geschichten entdecken.
Die taz muss die anderen überzeugen
Zwei Beispiele. Das eine ist Hannibal. Die Hannibal-Recherchen.
Ehemalige und aktive Soldaten bereiten sich vor auf den Tag X. Sie schmieden Pläne, horten Vorräte, besorgen sich Waffen, trainieren Einsätze. Es gibt auch die Polizeivariante, im Nordosten Deutschlands heißt sie Nordkreuz. Das sind rechte Netzwerke. Sie schreiben Listen mit Leuten, die sie am Tag X abtransportieren könnten.
Die taz hat dieses Thema gesetzt, vor allen anderen. Sebastian Erb, Martin Kaul, Alexander Nabert, Christina Schmidt und Daniel Schulz. Wir sind damit durchgedrungen. Wir hatten die Recherchen in der taz am Wochenende. Wir haben immer wieder neue Recherchen gebracht, immer wieder auf dem Wochenend-Titel der taz.
Die Recherchen waren unglaublich komplex, eine Puzzlearbeit mit vielen Quellen und Unmengen von Details. Aber Christina Schmidt und die anderen haben all das sortiert. Sie haben es klar und verständlich erzählt in ihren Texten, ohne allwissende Attitüde, sondern in guter Sprache, die wir pflegen in der taz.
Die Texte, die entstanden sind, haben wir nicht nur in der taz am Wochenende gebracht, natürlich nicht, sondern auch auf der Website. Und der erste Text war der mit den meisten Klicks des Jahres. Weit mehr als eine halbe Million Menschen haben diesen Text angeklickt.
Wir sind durchgedrungen wie nie.
Im nächsten Schritt haben wir noch etwas anderes geschafft. Wir haben mit der ZDF-Redaktion „Frontal 21“ kooperiert. Wir haben mit dem Standard in Österreich und der WOZ in der Schweiz zusammengearbeitet, weil die Netzwerke bis dorthin reichen.
Es hat Monate gedauert. Aber schließlich ist ein Medium nach dem anderen eingestiegen. Die NZZ, die Süddeutsche, tagesschau.de und kürzlich auch die FAZ.
Die taz muss nicht nur berichten, was andere übersehen oder ignorieren. Die taz muss die anderen überzeugen. Wir berichten doch nicht nur für uns selbst im kleinen linken Kämmerlein. Wir müssen andere dazu bringen zu berichten. Wir müssen die anderen auch – ein bisschen – dazu zwingen zu berichten. Das ist unsere Rolle. Dazu ist die taz da.
Das zweite Beispiel ist das Auto. Diese zweite Septemberwoche war eine Autowoche. Sie begann mit den Schockwellen, die von einem Autounfall in Berlin ausgingen. Nur ein paar hundert Meter von hier starben vier Menschen.
In Frankfurt findet die Internationale Automobilausstellung statt. Anti-Auto-Aktivisten haben Proteste angekündigt, „Sand im Getriebe“ heißt die Gruppe. Sie hatte angekündigt, am Sonntag die Messe zu stören, in einem Akt des zivilen Ungehorsams. Die Fronten sind verhärtet.
Der taz-Redakteur Ingo Arzt hatte eine Idee: Die beiden Seiten zusammen bringen. Ein Wortgefecht veranstalten. Den Chef von Volkswagen, der größte Autokonzern der Welt. Und Tina Velo von „Sand im Getriebe“.
Der wahrscheinlich mächtigste Autoboss der Welt. Und die vielleicht präziseste Autokritikerin der Welt. Zwei, die noch nie miteinander geredet haben. Die eine will den anderen zu etwas zwingen, der wiederum unbeirrt seine Autos verkaufen will.
Und dann saßen sie in Frankfurt und haben gestritten, moderiert vom taz-Redakteur Malte Kreutzfeldt, gefilmt von taz-Livestreamerin Anett Selle.
Das ist die taz im Jahr 2019
Das ist die taz. Streit ist unser Metier. Kontroversen sind unsere Leidenschaft. Und da zitiere ich, was mir ein Genosse auf einer Generalversammlung gesagt hat. „Ich bin zu alt, um immer nur meine eigene Meinung in der Zeitung zu lesen. Wenn ich einen Chor hören will, dann gehe ich in die Kirche.“
Es ist wichtig, sich nicht so zu zerstreiten, dass gar nicht mehr geredet wird. Es ist wichtig zusammen zu streiten. Ein guter Streit schließt ein, dass beide Seiten denken: Vielleicht irre ich mich ja doch. Das Auto-Gespräch war sehr hart, sehr konfrontativ. Aber zwischendurch scheint immer wieder durch, dass beide Seiten nach Lösungen suchen.
Das Auto-Gespräch ist von vielen Medien aufgegriffen worden – von der Augsburger Allgemeinen bis zum ZDF „heute journal“. Wir haben es in Schriftform in die Zeitung gebracht und auf der Website. Wieder haben andere Medien unsere Arbeit aufgegriffen.
Protestbewegung trifft auf Kapital – mitten in der Klimadebatte. Das ist die taz im Jahr 2019. Und eins zeigt das Beispiel auch, da komme ich zum Thema dieser Generalversammlung: Der taz Journalismus findet längst nicht nur morgens in der Zeitung auf Papier statt.
Sondern unter der Woche auch als digitale Tageszeitung. In der taz am Wochenende. Auf der Website. Auf Twitter. Bei Facebook. In Podcasts. Auf der Bühne. Im Livestream.
Wir wollten auf allen Kanälen spielen. Wir spielen auf allen Kanälen.
Wir wollten durchdringen. Wir dringen durch.
Wir wollen, dass das Team gemeinsam, aber auch jeder Autor einzeln, dass er oder sie mitdenkt bis in den Titel, den Teaser, die Verlinkung, den Tweet.
Wir wollen die taz. Als ganzes Haus. Nicht irgendwo in einer langweiligen Nische. Nicht als Klientelblatt. Sondern mitten in Berlin. Dort steht unser neues Haus. Mittendrin.
Wir streiten auch um Zukunftsentwürfe und Arbeitsabläufe. Und einfach ist es nicht. Viele in der taz arbeiten am Limit. Sie arbeiten viel für zu wenig. Das ist hart. Das ist ja immer so bei einer Genossenschafts-Versammlung, dass wir sagen: Schaut, was wir alles schaffen. Aber ich möchte auch sagen, dass es einfach hart ist für ganz viele Kolleginnen und Kollegen, denen die Miete erhöht wird. Die sich einschränken, um bei der taz zu arbeiten.
Viele in der taz wissen, dass das ein entscheidender Punkt ist. Politisch. Und zukunftspolitisch für dieses Medium. Und ja: Es läuft.
Wir wollten am Wochenende stark sein. Wir sind am Wochenende stark. Die tiefen politischen Recherchen wie Hannibal, die besonderen Projekte zur europäischen Vernetzung der Rechten, die große, die klischeefreie Reise durch Sachsen – all das lancieren wir am Wochenende. Aber wir werden am Wochenende noch kräftiger, noch politischer werden – die Grundlage dafür hat der Produktentwickler Jörg Kohn gelegt.
Wir wollten aufs Handy. Wir sind seit 2017 dort. Wir möchten auf dem Handy noch konsequenter, noch besser sein. Wie das geht, zeigen uns die Produktentwickler.
Wir wollten lebendige Kontroversen. Und der Streit lebt bei uns in der taz.
Wir wollten klar und berührend schreiben. Aber nicht nur das, wir wollten, dass diese Texte auch gut geprüft, redigiert und juristisch verteidigt werden. Und so ist es.
Wir wollten nicht nur die Zeitung mit den lustigen Überschriften sein, sondern auch Recherchemedium. Jetzt, in diesem wichtigen politischen Moment, haben wir schon ganz viel davon erreicht.
Hier sind wir angekommen. Ich bin froh, dass ich dabei sein darf. Es geht um viel. Es geht um mehr als um Papier und Vertrieb. Es geht um neue Leser aller Altersgruppen, die neugierig sind auf Neues, in neuer Form, in einer Gesellschaft, die medial geprägt ist wie nie zuvor.
Hier steht sie, die taz. Sie steht an der Schwelle zur Zukunft. Das ist ihr Moment. Das ist der Moment der taz. Und von hier bricht sie gerade auf.
Georg Löwisch, 14. September 2019, Rede auf der Generalversammlung der taz Genossenschaft
„Wir wollten aufs Handy. Wir sind seit 2017 dort.“
Besonders angenehm ist es, dass die Taz immer noch auf meinem etwas aelteren Smartphone zu lesen ist. Viele andere Zeitungen haben sich dort naemlich verabschiedet, was vermutlich mit der Verschluesselung der Seiten zusammenhaengt.
Das Jahr 2017 kann ich nicht verstehen. Jedes normale Smartphone kann normale Webseiten anzeigen, sofern sie nicht uebermaessig formatiert sind. HD-Aufloesung der Displays reicht auch fuer umfangreiche Texte.
„Wir möchten auf dem Handy noch konsequenter, noch besser sein. Wie das geht, zeigen uns die Produktentwickler.“
Ist das eine Drohung, dass jetzt zusaetzliche Formatierungen und Spirenzchen kommen, die die Nutzbarkeit einschraenken?
Solche IT Priduktentwickler arbeiten idR mit neuester Hardware und testen dann mit besten Datenraten. Das ist nicht unbedingt dasselbe wie bei der Samrtphone-Nutzung im Zug oder in Regionen mit langsamerem Netz.