vonChristian Ihle 27.10.2008

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Mächtig. Mächtig. Kein anderes Wort kommt zunächst in den Sinn, wenn man dieses Debütalbum hört. Glasvegas lösen alle Versprechen ein, die mittels ihrer „Home Tapes“ Demosammlung und der „Daddy’s Gone“ Single letztes Jahr gegeben wurden.

Glasvegas

Die Schotten denken dabei das Erbe von Jesus & The Mary Chain konsequent weiter: deren Spezialität, aus white noise, feedback, Gitarrenlärm unvermutet schöne Melodien zu zaubern, wird von Glasvegas aufgenommen, aber mit Drums und Refrains versehen, die so verdammt mächtig sind, dass man sich an England 1994 zurückerinnert glaubt. Schlagzeugerin Caroline McKay erinnert mit ihrer stoischen, einfachen Drumarbeit zudem nicht nur aufgrund der ungewöhnlichen „Frau-am-Schlagzeug-in-Männerband“- Konstellation an Maureen Tucker, die backing vocals orientieren sich manchmal gar an Doo-Wop-Sounds der 50er, 60er. Obwohl sich Glasvegas freimütig im Gemischtwarenladen der Musikhistorie bedienen und einen Hybriden aus Rockabilly, Shoegaze, Dion & The Belmonts und den Ronettes erfrankensteinern, klingen sie dennoch derzeit wie keine andere Band auf der Welt.

Das Album ist trotz der unterschiedlichen Einflüsse ein ganzes, in sich geschlossenes Werk, das vom ersten bis zum letzten Song einer natürlichen Dramaturgie folgt. Eine Konsequenz dessen, dass sich Glasvegas dazu entschlossen haben, ihren früheren, schnellen Rock’n’Roll-Sound einzumotten und beinahe ausschließlich midtempo-Nummern von epischer Größe auf das Album zu packen. Am deutlichsten wird die Veränderung bei „Stabbed“, das zunächst ein schneller Rockabilly-Punksong war, sich dann zu dem nun üblichen Glasvegas-Midtempo-Epos entwickelte um nun als mit Beethovens Mondscheinsonate untermaltes Spoken Word Stück auf dem Debüt zu landen.

Neben dieser Konsequenz in der Gestaltung des Albumsounds sind es die brutal melancholischen Themen und Texte von James Allan, die „Glasvegas“ so einzigartig, aber auch angreifbar machen.
“Baby / why you’re not home yet / baby it’s getting late / I wish you would be home by now” – das Album beginnt mit einem Song über den Tod eines Kindes und rührt bereits mit diesem ersten Song „Flowers & Football Tops“ und seiner Coda „you are my sunshine
my only sunshine / you make me happy / when skies are grey / i hope you noticed / how much i loved you / how could they take my sunshine away”
so heftig an Emotionen, dass es als Bürde erscheint, mit diesem Song ein Album zu beginnen und nicht wenigstens nur enden zu lassen. Aber Allan arbeitet sich weiter an Themen ab, die Fröhlichkeit von vornherein ausschließen. In „Geraldine“ bleibt zumindest noch die Hoffnung, dass Selbstzerstörung überwunden werden kann („when your feet decide to walk you on the wayward side / up upon the stairs and down the downward slide / I will turn your tide”), während in “Daddy’s Gone” nur noch die Reminiszenz an den Vater, der dich als Kind verlassen hat, übrig bleibt, die bestenfalls noch in Wut übergehen mag. Faszinierend auch Allans Text im Untreue-Eigentribunal „It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry”, in dem wir erst von der Einfachheit mancher Reime überrascht sind, bis uns auffällt, dass Allan hier bewusst mehrfach Oasis-Vokabular heranzieht, um den sexistischen Lad zu charakterisieren, der in der Ich-Person über sein versautes Leben Klage führt.

So setzen Glasvegas unbeirrt einen großen Song an den nächsten und kontrastieren ihre Lyrics mit White Noise Gitarren, die sich immer wieder zu nicht erwarteten Melodielinien aufschwingen. Seit den Arctic Monkeys hatte Großbritannien keine Band mehr, die solch ein Potential in sich vereint, die – trotz aller Einflüsse aus der Vergangenheit – in der Gegenwart gänzlich singulär erscheint und das Gefühl gibt, hier wäre wieder eine Band, die einen Unterschied machen kann. Vielleicht sogar das beste britische, mit Sicherheit aber das wichtigste Album des Jahres für das Vereinigte Königreich. Here we fucking go. (Christian Ihle)

P.S.: das Glasvegas-Debütalbum ist im September nur in England erschienen. Die deutsche Plattenfirma hat sich – weißderliebegottwarum – rätselhafterweise dazu entschieden, die britische Presse erst abflauen zu lassen, um im Januar 2009 das Album dann umbemerkt auf den hiesigen Markt zu werfen. Einen Klaxons bauen nennt man das wohl.

Anhören!
* It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry (hier)
* Daddy’s Gone (hier)
* Flowers & Football Tops
* Go Square Go

Glasvegas im Popblog:
* Die zehn besten Songs 2007: It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry (demo)
* I Predict A Riot: 2008

Im Netz:
* Indiepedia
* MySpace
* Homepage

Zudem freut sich das Popblog die Band unseres aktuellen Albums des Monats auf ihrer ersten Deutschlandtour überhaupt präsentieren zu dürfen:

Glasvegas Tour 2008:

* So , 16.11.2008 Molotow, Hamburg
* Do , 20.11.2008 Magnet, Berlin
* Fr , 21.11.2008 Atomic Cafe, München

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https://blogs.taz.de/popblog/2008/10/27/album_des_monats_september_platz_1_glasvegas_-_glasvegas/

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kommentare

  • du weißt aber schon, dass die „coda“ „you are my sunshine
    my only sunshine / you make me happy / when skies are grey / i hope you noticed / how much i loved you / how could they take my sunshine away”
    eine reminiszenz an das lied „you are my sunshine“, u.a. interpretiert von johnny cash, ist?

  • bestätigt nur meine Vermutung, wie völlig unsinnig diese Entscheidung ist. Gerade in Zeiten einer problemlosen UK-Import-Bestellung per amazon/Internet – von Downloads will ich jetzt noch gar nicht mal reden.

  • obwohl das album erst im januar veröffentlicht wird, scheint es trotzdem schon ne große nachfrage zu geben. ich weiß aus einem saturn in münchen, dass es immerhin schon 25 importbestellungen gab und alle verkauft wurden. und es gab da ja keine große promoaktion oder sonstigen hype.

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