vonChristian Ihle 08.01.2011

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Man wurde schon misstrauisch, als der Regisseur die Bühne betrat. Bei der Premiere von „Burlesque“ Mitte Dezember in Berlin hoppelte ein dauergrinsender Kerl Anfang 50, der auszusehen versuchte wie Mitte 20, mit schwarzer Brille und weißem Jackett vor der Leinwand auf und ab wie ein Teenager im Red-Bull-Rausch. An keinem Türsteher der Welt wäre Steve Antin an diesem Abend vorbeigekommen. Wie kann es sein, dass solche Pausenclowns in Hollywood 50-Millionen-Dollar-Filme drehen dürfen?
(…) Neben Antin stand damals eine Frau mit langen schwarzen Haaren auf der Bühne, die keine Miene verzog. Sie konnte es auch nicht, denn sie hatte sich offenbar in irgendeinem Kostümverleih eine Gummimaske von der Sängerin Cher gekauft und über das Gesicht gezogen. Das sah nicht schön aus, ehrlich gesagt. Irgendwie taktlos. Was sollte Cher dazu sagen? Neben der Frau mit der Cher-Gummimaske stand Christina Aguilera, sie ist ein Popstar und sieht eigentlich ganz hübsch aus. (…) Der Film beginnt, und Aguilera macht auf der Leinwand plötzlich den Eindruck, als habe sie eine dreimonatige Marshmallow-Diät hinter sich. Woran liegt das, wird der Film etwa im falschen Format vorgeführt? Nein, kann nicht sein, denn jetzt taucht die Frau mit der Cher-Gummimaske auf, und die sieht ganz normal aus, na ja, so normal, wie man eben mit einer Cher-Gummimaske aussieht, jedenfalls nicht übermäßig dick. (…) Ich weiß nicht, ob Sie schon mal in einem Chinarestaurant dabei zugesehen haben, wie der Koch das Gemüse zerkleinert. Steve Antin jedenfalls hat das Schneiden ganz sicher beim Chinesen gelernt. Da werden Schenkel und Brüste in winzig kurzen Einstellungen kleingehäckselt zu einem großen Fleischsalat. Was ist das für eine Art, so geht man doch nicht um mit schönen Frauen! Dazu singt die Cher-Gummimaske „You Haven’t Seen the Last of Me“, und das klingt echt bedrohlich. (…)

Wenn jemand ein Auto baut, das weder Räder hat noch einen Motor, weder Sitze noch ein Lenkrad, dem überdies auch noch die Karosserie fehlt, würde man sich irgendwann die Frage stellen, ob es sich überhaupt noch um ein Auto handelt. Leider gibt es eine solche allgemein akzeptierte Minimaldefinition für das Musical nicht. Deswegen darf jeder den Film „Burlesque“ ungestraft als Musical bezeichnen. Dabei bestehen seine Figuren nicht aus Fleisch und Blut, sondern nur aus Gummi und Marshmallows, und kein einziger Dialog geht über eine bloße Lautäußerung hinaus. Es gibt auch keine Choreografie, die sich dem Betrachter erschließen würde.

Aber andererseits: Wenn Hollywood selbst jemandem wie Steve Antin einen Film anvertraut, der, obwohl er sich alle Mühe gibt, am Ende nicht mehr schafft, als die Intelligenz und das Schönheitsempfinden seiner Zuschauer fast zwei Stunden lang zu beleidigen, lässt uns das hoffen. Hollywood gibt jedem eine Chance. Auch dir. “

(Lars-Olav Beier im SPIEGEL über den Film „Burlesque“)

Inhaltsverzeichnis:
* Die ersten 300 Folgen Schmähkritik
* Wer disst wen?

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https://blogs.taz.de/popblog/2011/01/08/schmaehkritik_384_der_film_burlesque/

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kommentare

  • der verriss auf fm4.orf.at von pia reiser ist auch ziemlich gelungen:

    „Es hätte so leicht sein können. Ich mag Pop, Eskapismus und Musical. Aber „Burlesque“, du hast ja noch nicht mal genügend Substanz für einen Verriss. (…)

    Aguilera ist nämlich Regieanweisungs-Sichtbarmacherin, selbst wenn sie eine Straße entlang geht und nach links und rechts schaut, sieht sie nicht aus, wie jemand, der nach links und rechts schaut, sondern wie jemand, dem gesagt wurde, nach links und rechts zu schauen. Das wird auf Spielfilmlänge ziemlich peinvoll. (…)

    „Burlesque“ kann sich noch nicht mal dazu aufraffen, camp zu sein, es bleibt ein kuschelweiches Beweisstück feiger und fader Dramaturgie, es singt die Evergreens filmischer Geschichtenschreibung von „You can get it if you really want“ und „There’s no business like show business“ in einem unenthusiastischen Kanon der inszenatorischen Einfallslosigkeit, erzählerischer Bisslosigkeit und der Verweigerung der großen Geste.
    Wer Geld sparen will, kann sich auch das Video zu „Lady Marmelade“ ganz oft hintereinander anschauen und dann noch einen Blick in die Pimkie-Unterwäscheabteilung werfen. That should do it.“

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