vonChristian Ihle 27.01.2014

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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In manchen Kreisen wird dem letzten Ja, Panik – Album „DMD KIU LIDT“ ja eine Stellung wie Blumfelds „L’Etat Et Moi“ zugeordnet und es als Jahrzehnt-Werk betrachtet. Nur: wie folgt man einer Platte, die scheinbar so definitiv die Position einer Band formuliert hat?
Die in den Lyrics den revolutionären Gestus mit hedonistischem Anspruch verband und in der Sänger Andreas Spechtl seine Dreisprachigkeit (Deutsch, Englisch, Österreichisch) perfektionierte? Die dazu auf der musikalischen Seite den Ja,Panik-Indierock auslotete und kaum noch Weiterentwicklung zuließ?


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=7fcokBV9V4o[/youtube]


Man wird einfach eine andere, neue Band. In gewisser Weise beantworten die Österreicher also die Folgeplattenfrage wie damals Blumfeld mit „Old Nobody“ zurückkehrten: andere Bandbesetzung und frische Einflüsse. „Libertatia“ will Groove und Funk sein und ist dabei immer Pop: der frühe Prince, die späten Roxy Music und „Sandinista!“ von The Clash statt John Cale und Bob Dylan. Libertatia feuert Ohrwurm auf Ohrwurm auf die Dandytanzfläche und ist geradezu erschreckend catchy, aber dabei – und hier ist der große Unterschied zu Blumfelds „Old Nobody“ – textlich mitnichten ein Rückzug aufs Ich, kein Reiten auf den Wellen der Liebe, sondern noch kämpferischer, politisch klarer, ärger als je zuvor.


Ja Panik Libertatia


Kein Song fasst das besser zusammen als „Dance The ECB“ – da ist es wieder, das alte Emma-Goldman-Anarchisten-Bonmot, dass man zur Revolution aber auch bitte schön tanzen möchte! Lediglich die Stoßrichtung verändert sich: war „DMD KIU LIDT“ noch ein apokalyptischer Wutschrei, der alles inklusive Merkel und Sarkozy wegsprengen wollte, ist „Libertatia“ der Glaube an eine Utopie im Hier statt einer Enklave der wenigen Glückseligen. Die Idee, dass ein anderes Leben möglich wäre. (9/10)

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kommentare

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  • O.k., die 1982-Synchronizität ist natürlich dann der anschlussfähigere Vergleich, stimmt.
    Wobei ich dann das, was hier als „späte Talk Talk“ bezeichnet wird, eher bei Winston Tong’s „THEORETICAL CHINA“ wiederfinden würde (kam etwas später raus, gehört aber historisch in die ’82-Schiene), sowie in dem, wie ich finde, besten ’82-Werk überhaupt, nämlich „SULK“ von den Associates, das hier vor einiger Zeit mal aus mir völlig unverständlichen Gründen als „unhörbar“ bewertet wurde.

  • Generell vielleicht noch mal zum Roxy-Music-Vergleich: das ist auch gar nicht als positiver Quervergleich gemeint, sondern eher als wertfreies, beschreibendes Element. Talk Talk, von denen Spechtl spricht, macht sicher auch Sinn und man könnte auch das ganze New Pop Movement von 1982 mit heranziehen (also beispielsweise ABC, deren Look Of Love ja auch in den Lyrics mal kurz zitiert wird – oder Heaven 17, die ja zumindest in der Idee, Pop mit revolutionärem Gestus zu verbinden, Brüder im Geiste zu sein scheinen). Ich finde tatsächlich, dass gerade die langsameren Stücke etwas von den späten Roxy Music haben, aber kann besonders in „Eigentlich wissen es alle“ auch Talk Talk erkennen.

    Ich persönlich hab auch gar keine allzu positive Assoziation zu den späten Roxy Music, kann aber hier eine gewisse musikalische Nähe sehen, aber würde das so abschließen wollen, dass ich „Libertatia“ erheblich besser finde als alles, was Roxy Music ab den 80ern gemacht hat.

  • Also von einem unnötigen Abfeiern von Arcade Fire kann ich mich hier gänzlich freisprechen, ich habe das letzte Arcade Fire Album sogar als Flop des Jahres benannt:

    „Das „Be Here Now“ der Kanadier. Vom eigenen Größenwahn besoffener Discoprog. Zu viel von allem – nur zu wenig gute Songs.“

    TAZ Jahresumfrage

  • Wieso wird eigentlich jede „Entwicklung“ hin zu Musik die in den 80ern schon schrecklich war (Roxy Music war Musik für pullundertragende Popper die von Beruf Arztsohn wurden) von „den Kritikern“ immer so abgefeiert?
    War ja auch schon bei Arcade Fire zu beobachten, deren letztes Album klingt als hätte man den BeeGees die Drogen weggenommen.

  • Bei der recht ausgiebigen Beschäftigung mit JaPanik, die dieser Blog hier vorgenommen hat, sei mir mal geglaubt, dass ich bei den Österreichern nicht die Notwendigkeit habe, von einer Promoinfo abzuschreiben (was wir auch sonst hier nicht tun, weil wir generell nur Alben besprechen, die uns interessieren und zu denen wir glauben, etwas zu sagen zu haben).
    Wenn ich mich recht erinnere, gab es nicht mal eine Promoinfo klassischer Art, sondern mehr ein politisches Manifest von Seiten der Band.

    Laut Sänger Andreas Spechtl selbst ist es übrigens eher ein Einfluss der späten Talk Talk (Interview dazu kommt in ein paar Tagen).

  • @Roland: Roxy Music werden vermutlich auf dem Label-Waschzettel genannt. Es wird zwar um-, eigentlich aber nur abgeschrieben. Hätte dort Howard Carpendale gestanden, die Presse würde es drucken. Das ist wohl normal heute. Andrea Schröder ist ja auch die neue Nico.

  • Wobei ich mich, ich habe das jetzt schon ein paar mal auch an anderer Stelle gelesen, frage, was denn „späte Roxy Music“ sein soll.

    Für mich ist „späte Roxy Music“ ‚SIREN‘, danach war die Band leider kreativ tot bzw. untot.

    ‚Verklärung der Vergangenheit is not considered cool‘, frei nach The Residents.

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