vonchina-watch 21.11.2022

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Was passiert hinter der Orwellschen Großen Mauer? Beobachtungen und Kommentare von Au Loong-Yu zu China und Hongkong.

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Xi Jinping ließ sich zwar erfolgreich vom 20. Parteikongress vom 16. bis 22. Oktober 2022 für eine dritte Amtszeit als oberster Führer bestätigen, aber er hatte nicht erwartet, dass ihm seine Ein-Mann-Show von einem Unbekannten namens Peng Zaizhou gestört würde. Pengs Einzelprotest fand in vielen Online-Kommentaren Beifall, wurde aber bald von der Behörde gelöscht. Die wichtigste Entwicklung war jedoch, dass die chinesischen Auslandsstudenten in London und New York den Anstoß zu Solidaritätsaktionen aufgriffen und Proteste veranstalteten. Kurz darauf folgten Proteste gegen den Lockdown in den Betrieben von Foxconn in Zhengzhou, wo die Hälfte der iPhones von Apple hergestellt wird. Zehntausende von Beschäftigten setzten sich über die Lockdown-Anweisungen hinweg und kehrten, viele zu Fuß, in ihre Heimatstädte und Dörfer zurück.

Während die erste Form von Protest hochpolitisch oder sogar radikal war, war die zweite nicht direkt politisch. Aber in einem totalitär regierten Staat mit einem Quasi-Kaiser an der Spitze und wo Politik ausschließlich heißt, der Welt immer wieder zu beweisen, wie unfehlbar und allmächtig unser großer Führer ist, sind auch ganz lokale Proteste bei unpolitischen Angelegenheiten politisch. Insbesondere, wenn dieser Xi hartnäckig an seiner Null-Covid-Politik festhält, obwohl sie dem Volk so viel unnötige Pein und Todesfälle beschert hat. Sein überzogenes Lockdown-Programm hat verbreiteten Unmut hervorgerufen und so ist es kein Wunder, dass Pengs erste Forderung: ”Wir wollen Lebensmittel und keine PCR-Tests” vielen Menschen aus der Seele sprach.

Das Programm von Peng

Dieser Kongress wird für immer in die Geschichte eingehen als einer mit dem Protest einer einzelnen Person im Hintergrund. Es handelte sich um ein weiteres und zeitgerechtes Moment, das den Hass des Volkes gegen Xi und seine Kumpane mit den ”roten Genen” symbolisiert, als Peng Zhaizhou (oder Peng Lifa) am Morgen des 13. Oktober auf der Sitong-Brücke in Peking seinen Protest organisierte (1).

Er ließ zwei Transparente von der Bücke herunter, das eine mit der Aufschrift:
– Wir wollen Nahrungsmittel und keine PCR-Tests
– Wir wollen Freiheit und keine Lockdowns
– Wir wollen Respekt und keine Lügen
– Wir wollen Reformen und keine Kulturrevolution
– Wir wollen wählen und keinen Führer
– Wir wollen Bürger und keine Sklaven sein

Das zweite Transparent war noch radikaler und rief auf zum ”Boykott von Schulen – Streiks, um den Diktator und Verräter Xi Jinping zu stürzen”. Peng rief  zu einem Aktionstag am 16. Oktober auf. Doch es passierte nichts und er selbst wurde noch am Tage seines Protests verhaftet.

Zu seinen Transparenten postete er obendrein noch ein detailliertes ”Aktionsprogramm” und ”Werkzeugkasten” für politische Aktionen. Er rief zur ”gewaltlosen und vom Volk getragenen bunten Revolution” auf – nicht, um das Regime der KP Chinas zu stürzen, sondern Xi Jinping. Sein Bestreben ist eine Reformregierung, die folgendes tun sollte:
• Einführung von Parteidemokratie, damit die Parteiführer gewählt werden können
• Einführung eines landesweiten allgemeinen Wahlrechts
• Beschränkung der Regierungsmacht
• Abschaffung des Verbots von politischen Parteien
• Veröffentlichung der persönlichen Vermögensverhältnisse der Amtsinhaber
• Schutz der Marktwirtschaft

Außerdem bezog sich Peng auf Liu Xiaobo, seine Charter 08 (2) und zeigt damit, dass er in die Fußstapfen von Lius liberalem Programm tritt. Doch was ihn von Liu unterscheidet, ist die Tatsache, dass dieser zu keiner Zeit zu Streiks und breiten gesellschaftlichen Protesten aufgerufen hat. Im Allgemeinen hatten nach der Niederschlagung der demokratischen Bewegung von 1989 sowohl die liberale als auch die “neue Linke”, obwohl sie sich erbittert bekämpften, die Gemeinsamkeit, dass sie die arbeitenden Menschen als Träger des gesellschaftlichen Wandels gänzlich ablehnten. Für sie war gesellschaftlicher Protest überhaupt gefährlich und Reformen sollten allein von der Partei kommen. Im Ergebnis betrachteten sich beide Strömungen als nichts anderes als Lobbyisten gegenüber der KPCh.

Liu unterschied sich allerdings ein bisschen, indem er öffentlich eine Kampagne für eine liberale/neoliberale Transformation (die eine ”Marktreform” noch über die Demokratisierung stellte) anstieß, wurde dafür eingesperrt und verstarb später im Gefängnis. Liu hatte zu keiner Zeit öffentlich für einen landesweiten Streik geworben, um den obersten Führer zu stürzen – und dieser Unterschied zwischen beiden Personen macht Peng zu etwas Besonderem.

Streikaufrufe und öffentliche Angriffe auf den obersten Führer sind in China sehr schwere Verbrechen. Peng musste sich selbst auf das Schlimmste gefasst gemacht haben, als er sich auf seine Aktion vorbereitete. Er arbeitet dem Vernehmen nach im wissenschaftlichen/technischen Bereich. Die Offenlegung der persönlichen Vermögensverhältnisse von Amtsinhabern zu verlangen ist ebenfalls ein Schlag ins Gesicht von Xi, der sich soeben auf dem Kongress seines ”überwältigen Sieges” im Kampf gegen die Korruption gerühmt hatte. Pengs Forderung nach Aufdeckung des persönlichen Vermögens von Amtsinhabern würde Xis Heuchelei entlarven, – wäre eine solche Maßnahme im Kampf gegen die Korruption nicht viel wirksamer als korrupte Amtsinhaber hinzurichten? (3) .

Stimmen von unten

Was man aber vor allem sehen muss, ist nicht nur diese mutige Tat. Als seine Transparente über die sozialen Medien verbreitet wurden (der einzigen Möglichkeit für die Öffentlichkeit, sich zu äußern, selbst wenn diese Äußerungen nur kurze Zeit verfügbar sind), gab es ein starkes Echo von Internetnutzern. Seine Unterstützung breitete sich nach Hongkong und in andere Erdteile aus, wo Studenten, vor allem chinesische Auslandsstudenten, Pengs Transparente teilten. Die Weiterleitung von Pengs Forderungen endete nach wenigen Tagen. Wir bringen hier einige Beispiele aus Festland China, die es wert sind, in voller Länge zitiert zu werden:

Qianfenghugang:
In der Tat eine starke Aktion, aber es werden wohl nicht viele Leute dem Aufruf folgen und auf die Straße gehen … Ich studiere an einer Hochschule und die Leute um mich herum machen nichts anderes, als sich auf den Lehrstoff zu konzentrieren, die ihnen diese kommunistische Banditen-Universität an die Hand gibt und ihre Freizeit verbringen sie mit Computerspielen. Schauen wir uns beispielsweise den Lock-down auf dem Campus an – sie sind darüber frustriert, aber niemand kommt und protestiert dagegen. Leute, die das gemacht haben, oder nur Briefe an die Mailadresse des Uni-Präsidenten geschickt haben (um sich zu beschweren), wurden bestraft. Die kommunistischen Banditen missbrauchen die Prüfungen zur Kontrolle der Studenten, wo diese ohnehin nicht viel Zeit übrig haben, um sich mit gesellschaftlichen Ereignissen zu beschäftigen. Die Leute könnten gegen die Campus-Regeln verstossen oder sich gegen ihre Tutoren stellen, aber diese können sie ebenfalls dafür bestrafen … Der Lehrplan interessiert mich nicht und ich hasse die hochgradig repressive Campus-Verwaltung. Jeden Tag mache ich mir Gedanken über alles Mögliche, was China betrifft. Wenn sich einmal Leute finden, die bereit sind real zu mobilisieren und anzugreifen, dann werde ich dabei sein.

Piaoliushe:
Er (Peng) ist nicht der erste … der Freiheit fordert. Erst vor einigen Monaten gab es große Proteste gegen die Gewaltigen in Shanghai, Zhejiang, Yiwu und Wuhan. Doch sie wurden alle wieder unter Kontrolle gebracht, aber es werden nicht die letzten gewesen sein. Der schnelle wirtschaftliche Niedergang ist deutlich zu sehen und die Instabilität verursacht hohe Kosten, um sie im Griff zu behalten. Aber es gibt immer eine Obergrenze für diese Art von Mitteleinsatz. Alle, die sich zur Wehr setzen wollen, sollten dies tun. Alle, die dazu nicht den Mut aufbringen, können zumindest ”tangping” (4) d.h. den Gehorsam zu verweigern, nicht härter arbeiten, um immer mehr zu konsumieren, nicht heiraten und Kinder groß ziehen, um auf diese Weise den Zusammenbruch dieser verrotteten Gesellschaft zu beschleunigen.

Fameidebaozi
Ich verzweifle an Leuten wie Li Keqiang (früherer Premierminister) und Wang Yang (früheres Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros der KP). Wir hätten auf niemanden in der KPCh unsere dummen Hoffnungen setzen sollen. Wer Veränderung will, muss sich selbst einsetzen … Meine früheren dummen Ansichten waren aus heutiger Sicht ein Witz.

Wacht die Jugend auf?

Die anschließenden Posts in den Sozialmedien zeigen, wie verbreitet die Unzufriedenheit mit dem Regime und die Sympathien mit Pengs Programm sind. Doch etliche Posts zeigen auch die Verzweiflung. Der große chinesische Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts, Luxun, gebrauchte einst die Metapher vom ”Eisernen Haus”, um das despotische China während der Kuomintang-Zeit und seiner Vorläufer zu beschreiben und erklärte, warum er seine Erzählungen schreiben musste – um die Menschen drinnen aufzuwecken, bevor alle den Erstickungstod sterben, bevor sie sich erheben. Heute gleicht China diesem ”Eisernen Haus”, wo die Menschen ersticken, bevor sie rebellieren.

Wenn die Verhältnisse so hoffnungslos scheinen, so kommt Peng das Verdienst zu, das Schweigen gebrochen zu haben, auch wenn für weniger als eine Stunde. Unerwarteterweise erhob sich dieser Aufschrei   so auch der Titel einer weiteren Erzählung von Luxun – nicht innerhalb des Eisernen Hause, sondern ausserhalb. Am 29.10.22 protestierten rund Einhundert von ihnen in London und es erhob sich ein ähnlicher Protest in der folgenden Woche in New York. Nach Einschätzung von Ruo Chang in seinem Artikel  Courage at Sitong Bridge ”haben sich innerhalb einer Woche von Pengs kurzem Akt zivilen Ungehorsams anonyme chinesische Auslandsstudenten und Verbündete an über 250 Universitäten und weiteren öffentlichen Institutionen weltweit solidarisiert, Poster und Schaubilder verbreitet, um Pengs Forderungen zu verbreiten” (3). Die Proteste waren noch klein und wir müssen annehmen, dass nur eine Handvoll Leute im Eisernen Haus selbst von ihnen gehört haben. Und dennoch handelt es sich um einen gewissen Durchbruch, nicht in dem Sinn, dass in absehbarer Zeit eine massive Erhebung gegen das Regime zu erwarten ist. Seine Bedeutung liegt vielmehr darin, dass zum ersten Mal seit den neunziger Jahren wieder junge Menschen Demokratie eingefordert haben.
Die Niederschlagung der Demokratiebewegung auf dem Tienanmen-Platz 1989 erwies sich als verheerend. Sie riss nicht nur die frischen Schösslinge der demokratischen Bewegung aus, sondern verwandelte die ganze Bevölkerung in rein wirtschaftliche Arbeitstiere, denen es nur erlaubt ist reich zu werden oder die gesellschaftliche Leiter aufzusteigen, wenn sie sich im Gegenzug unpolitisch und konform zeigen. Am Ende widmete sich die junge Generation von 1989 nur noch ihrer persönlichen Karriere. Diejenigen, denen es gelang, in den Westen zu fliehen, blieben noch einige Jahre nach dem Massaker vom 4. Juni aktiv, um sich danach beim neuen chinesischen Goldrausch zu engagieren. Von denjenigen, die dabei erfolgreich waren – insbesondere im Handel mit China – wurde ein Großteil Unterstützer Pekings. Es brauchte also 30 Jahre, bevor eine neue Generation von chinesischen Auslandsstudenten auftauchte, die dem Beispiel des tapferen Peng Zhaizhou folgen. Wir wissen nicht, wie lange diese neue Runde des demokratischen Erwachens in der Jugend andauern wird. Aber demokratisch gesinnte Kämpfer sollten nicht passiv bleiben, wenn es soweit ist.

Übersetzung von Hermann Dierkes

Anmerkungen

  1. siehe Bericht in The Guardian vom 15.10.2022 ‘We all saw it’: anti-Xi Jinping protest electrifies Chinese internet
  2. China’s Charter 08 in The New York Review January 15, 2009
  3. Eine umfassendere Einschätzung von Pengs Programm findet sich im Artikel von Ruo Yan Courage at Sitong Bridge -The call for mass action in China in Tempest vom 24. 10.20223
  4. tangping heisst wortwörtlich übersetzt flach liegen, eine volkstümliche Einstellung im Gegensatz zur offiziellen Ideologie, z.B. immer härter zu arbeiten, um die soziale Leiter aufzusteigen – Au

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