vonMario Zehe 19.01.2021

[ˈkɒmik_blɔg]

Der Comic – einst das Schreckgespenst des Bildungsbürgers, heute dagegen der (heimliche) Liebling des Föjetong.

Mehr über diesen Blog

Mit der Erinnerung an den Kolonialismus im Medium des Comic ist es so eine Sache. Ab Juni 1930 erschien in der Kinderbeilage der belgischen rechts-katholischen Tageszeitung Le Vingtième Siècle eine fortlaufende Bildergeschichte des damals dreiundzwanzigjährigen Zeichners Georges Remi. Besser bekannt unter seinem Pseudonym Hergé erfand dieser mit seinem als „Ligne Claire“ bezeichneten Stil den Comic als Erzählform neu und besitzt seither in Belgien quasi den Rang eines Nationalheiligen. Die Geschichte trug den Titel Tim im Kongo und wurde später auch als zweites Album in der Reihe Tim und Struppi veröffentlicht. Über den höchst problematischen Inhalt der Erzählung ist in den vergangenen Jahrzehnten viel gesagt und viel geschrieben worden (und wer will, kann sich hier einen kurzen rezeptionsgeschichtlichen Überblick verschaffen), daher hier nur kurz und knapp: es handelt sich um eine unumwundene Rechtfertigung der Kolonialpolitik in Belgisch-Kongo, voll übler rassistischer Klischees und ohne jede Ahnung der beinahe schon singulären Grausamkeit des belgischen Kolonialregimes. Bemerkenswert ist jedenfalls der bis heute andauernde Publikumserfolg des Albums, als bediente der Comic eine heimliche Sehnsucht nach einer (längst verlorenen) Vergangenheit, in der Europa noch der Inbegriff von Zivilisiertheit und Fortschrittlichkeit war und der Kolonialismus das Leuchtfeuer der Aufklärung in die dunklen, unbleuchteten Ecken der Welt hinaustrug.

Seit April 2020 erscheint nun im vom Berliner Verlag Steinchen für Steinchen herausgegebenen Comicheft Mosaik eine Serie, welche die koloniale Vergangenheit Deutschlands in der Südsee thematisiert. Nicht nur aus oben genannten Gründen war ich skeptisch. Kann ein Kindercomic, der ja sein Publikum zunächst erst einmal unterhalten will, ein so problematisches Kapitel deutscher Geschichte angemessen darstellen, ohne in die Falle der Wiederholung kolonialer und rassistischer Stereotype zurückzufallen? Und selbst wenn man gute Absichten voraussetzt: Ist es umgekehrt möglich, Kindern den Kolonialismus als System der Fremdbestimmung und Unterdrückung nahezubringen, ohne dabei all zu sehr den Zeigefinger zu bemühen und die kolonialen Akteure (Siedler, Händler, Beamte) – wiederum schlicht und einfach – zu dämonisieren?

© mosaik steinchen für steinchen verlag 2020/21

Um es gleich zu sagen: Den Mosaikautor*innen gelingt es eigentlich bemerkenswert gut. Als ich das erste Heft der Serie aufschlug, schien sich meine anfängliche Skepsis jedoch zunächst einmal zu bestätigen. In einem dem Heft beiliegendem Leporello (dessen Rückseite hier einsehbar ist) wird in das Thema in Text und Bild in Form einer Abenteuerimagination eingeführt: Die Südsee als geheimnisvolle Inselwelt, in der uns (europäischen) Leser*innen sowohl Natur als auch Kultur fremd und faszinierend zugleich erscheinen. Zusammen mit einer Polynesierin tanzt Califax – einer der drei Abrafaxe – in landestypischer Kostümierung den Hula-Tanz. Ha! Ein klarer Fall von kultureller Aneignung, oder? Gemach, gemach. Sehr vorsichtig umkreisen die Autor*innen im nebenstehenden Text die Schwere der Thematik und erläutern, dass das Deutsche Kaiserreich im 19. Jahrhundert „Teile der Südsee zu seinem sogenannten [!] Schutzgebiet“ erklärte und dass in der Folge das Leben in der Südsee folgenschweren Veränderungen unterworfen wurde.

Der Plot lässt sich knapp so umreißen: Nach ihrem (obligatorischen) Zeit-Raum-Sprung in das Ozeanien (genauer: Melanesien) des späten 19. Jahrhunderts gehen die Abrafaxe an Bord eines deutschen Handelsschiffes, das getrocknete Kokosnüsse („Kopra“) von den einheimischen Pflanzern aufkauft und zu den Exporthäfen bringt. Dort treffen sie auf einen kleinen Jungen namens Pitipak, der sich heimlich auf das Schiff geschlichen hatte. Der Versuch ihn zu seinen Eltern auf seine Heimatinsel Ponape nördlich von Neuguinea zurückzubringen, gestaltet sich aufgrund der unterschiedlichen Interessen der beteiligten Akteure und der Verkettung ungünstiger Umstände höchst schwierig. Schnell werden Abrax, Brabax und Califax voneinander getrennt, worauf sie auf ihren unterschiedlichen Routen nicht nur mit der Natur und Kultur Melanesiens, sondern auch mit dem kolonialen Herrschafts- und Ausbeutungssystem Bekanntschaft machen.

© mosaik steinchen für steinchen verlag 2020/21

Erzählt wird die Geschichte aus einer dezidiert postkolonialen Perspektive, mit viel Humor und der mosaiktypischen Liebe für visuelle Details. Die Charakterisierung der Einheimischen und der kolonialen Händler, Siedler und Beamten ist dabei im besten Sinne stereotyp, weil diese Stereotype zugleich auf entlarvende Weise reflektiert werden. So etwa, wenn ein deutscher Kopra-Händler im Gespräch mit dem Kapitän des Transportschiffes bei einem Glas kalter Limonade im Schatten sitzend über die vermeintliche Faulheit der einheimischen Arbeiter sinniert, während diese die schweißtreibende Arbeit des Verpackens und Verladens der Ware übernehmen. Man trifft einige Hefte später aber auch auf den Typus jener deutschen Siedler, die ein recht bescheidenes Leben führten und mit der Kultur und Bevölkerung der melanesischen Inseln im wahrsten Sinne verschmolzen.

© mosaik steinchen für steinchen verlag 2020/21

Wenn ein junges Mädchen über den Pater der ansässigen christlichen Mission schimpft, weil hier wie dort alte Männer glauben, sie könnten jungen Frauen Vorschriften machen, bekommt man einen Eindruck vom Patriarchat als einem kulturübergreifenden Phänomen. Aber auch vom Widerstandsgeist, der mit dem kolonialen Kontakt erwächst und sich zugleich gegen die traditionellen Autoritäten richtet. Als metaphorischer Inbegriff des (antikolonialen) Widerstandsgeistes kann letztlich die Figur des kleinen Pitipak gedeutet werden, der sich von nichts und niemandem etwas sagen lässt – auch nicht von den Abrafaxen – und für reichlich Wirbel sorgt. Dahingehend ist er eine ziemlich dankbare Identifikationsfigur für die lesenden Kids, weil er dem gut gemeinten Ansinnen der Abrafaxe, ihn nach Hause zu bringen, eine selbstbestimmte Perspektive entgegengestellt. Hier wird schließlich niemand gezähmt! Zumindest ist das bisher die Stoßrichtung der freilich noch unabgeschlossenen Serie. Ich bin gespannt, wie’s weitergeht.

Mosaik: Abenteuer Ozeanien

erscheint seit April 2020 (# 532)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/comicblog/2021/01/19/mosaik-der-postkolonie/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • Danke für diesen Blogeintrag. Seit den 80er Jahren lese ich die Abrafaxe. Die aktuelle Serie sorgt bei mir für Unbehagen. Ich wollte schon einen Leserbrief schreiben. Vor allem die letzten Hefte (Dezember 2020 und Januar 2021) haben mich noch mehr Zweifeln lassen.
    Durch Ihren Blog konnte ich meine Sichtweise hinterfragen. Ein guter Beitrag zu einer wichtigen Diskussion und zum Schritt der Aufarbeitung.

Schreibe einen Kommentar zu Dennis Fink Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert