vonAchmed Khammas 16.03.2019

Der Datenscheich

Erneuerbare Energie, Science Fiction, Technikarchäologie und Naher Osten – verifiziert, subversiv, authentisch.

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Der Ausfall über zwei Wochen, für den ich mich entschuldige, ist dem Berg an Übersetzungen geschuldet, der sich vor mir aufgetürmt hatte. Dafür gibt es diese Woche ganz besondere literarische Leckerbissen:

Cryonic – Bruderschaft des Kreuzes von Vitali Sertakov (2005/2014) ist die Fortsetzung der unglaublichen Abenteuer von Artur Kowal, der sich 2006 in einen kryonischen Schlaf versetzen läßt – und 120 Jahre später in einer verseuchten, mutierten und teilweise völlig verrückten Welt erwacht. Was sich der Autor da an Wesen, Gestalten und Kräften ausgedacht hat, die sich Kowal in den Weg stellen – oder sich mit ihm verbünden –, ist schier unglaublich. Die interessanten sozialen und politischen Wendungen, die sich inzwischen bis nach Paris, Rom und ins ehemalige Istanbul erstrecken, lassen mich den 3. Band mit größter Spannung erwarten… der längst überfällig ist, lieber Piper-Verlag!

Apex von Ramez Naam (2014/2018) ist nach Nexus und Crux der 3. und letzte Band der umhauenden Reihe über die Nanodroge Nexuse, durch deren Einnahme man sich mental mit dem Internet – und natürlich auch mit anderen Menschen – zu verbinden kann. Es ist faszinierend, begeisternd und manchmal auch erschreckend, wie gut sich der ägyptischstämmige Autor in die Denk- und Handlungsweisen der weltweiten Akteure hineindenkt, seien es nun Staaten, geheime Organisationen oder globale Handelskonzerne. Und dann erst der Plot! Dieses Buch verdient – mitsamt seinen beiden Vorgängern natürlich – eine ganz besondere Empfehlung.

Ich bin viele und Wir sind Götter von Dennis E. Taylor ( bzw. 2017/2019) sind der 1. und 2. Band der (von mir so genannten) ‚Von-Neumann-Saga‘, die mit dem Start eines nadelgroßen Raumschiffs mit höchst interessantem – und ebenso höchst komprimierten – Inhalt beginnt, das in den Orbit und weiter in‘s nächste Sonnensystem geschossen wird. Abgesehen von der knackigen und schnellen Erzählweise des Autors, die nicht eine Millisekunde Langeweile aufkommen läßt, hat mich seine dimensions- und vorstellungssprengende Phantasie begeistert, mit der er die nachfolgenden Generationen des ‚Raumschiffs‘ und deren zum Teil haarsträubenden, aber auch lustigen und immer wieder verblüffenden Abenteuer beschreibt. Weniger gut fand ich, daß das hochgeladene Bewußtsein des Buchhelden Bob Johansson als als KI bezeichnet wird – was nun eindeutig zwei paar Schuhe sind. In jedem Fall sehe ich auch dem nächsten Band dieser tollen Reihe mit allergrößter Spannung entgegen.

Hologrammatica von Tom Hillenbrand (2018) ist ein ganz besonderer SF-Thriller, jedenfalls für mich, da er sich, wie der Titel ausdrücklich betont, mit den holographischen Technologien beschäftigt – allerdings in einem Maße, der die gegenwärtigen Anwendungsbereiche dieser phantastischen Darstellungsform weit übersteigt. Zudem geht es auch um die Künstliche Intelligenz – ihre Versprechungen und Gefahren. Besonders nett: Am Ende des Buches befindet sich ein kleines Hologramm-Lexikon. Was ich für äußerst konstruktiv halte, denn angesichts der Tatsche, daß sich die Verbreitung von Hologrammen in den letzten Jahrzehnten eher verringert hat, sollte man sich wirklich ein paar ernsthafte Gedanken darüber machen, warum dies so ist. Findet Ihr nicht?!

Die politische Anmerkung:

…betrifft heute Großbritannien, wo die Regierung im Schatten der Brexit-Verhandlungen – und natürlich „im Namen des Kampfes gegen den Terror und für mehr Sicherheit“ – ein neues Gesetz verabschiedet hat, das weitreichende Folgen für die Überwachung der Bevölkerung haben wird. Wobei angenommen wird, daß die britischen Parlamentarier so eingespannt sind, daß ihnen die Tragweite des Gesetzes vollkommen nebulös war, da sich sonst kam erklären ließe, wie der ‚Counter-Terrorism and Border Security Act 2019‘ fast ohne Einwände durchgewinkt und es Ende Februar 2019 zum Gesetz werden konnte.

Und damit – Tusch! – geht das Ganze einen ordentlichen Schritt in Richtung der orwellschen Gedankenkontrolle, denn nach dem neuen Gesetz muß man weder ein tatsächliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung sein, noch tatsächlich eine terroristische Handlung geplant oder ausgeführt haben, um einer Straftat bezichtigt und bestraft zu werden. Statt dessen reicht es schon, wenn eine Person „a) eine Meinung oder Überzeugung äußert, die unterstützend für eine verbotene Organisation ist, und b) eine Person, an die die Äußerung gerichtet ist, zur Unterstützung einer verbotenen Organisation ermutigt wird.“

Und das hier haut dem Faß ja wohl den Boden aus: In einer weiteren Neuerung hat man einen Straftatbestand nämlich schon dann erfüllt, wenn man online nach Informationen sucht (!), die „wahrscheinlich“ für die Vorbereitung eines Anschlags nützlich sein könnten. Hier bewirkte der Protest von Wissenschaftlern und Journalisten im Vorfeld eine Änderung, so daß die Regierung diesen beiden Berufsgruppen eine Ausnahme zu Recherchezwecken erteilt hat. Wie rücksichtsvoll aber auch!

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