vonmanuelschubert 16.02.2019

Filmanzeiger

Texte, Töne und Schnipsel aus dem kinematografischen Raum auf der Leinwand und davor. Kinoverliebt. Filmkritisch. Festivalaffin. | Alle wichtigen Links: linktr.ee/filmanzeiger

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Edit, Juli 2019: SO PRETTY ist Teil des Programms der Sommer-Berlinale 2019 und läuft am 16. Juli um 21.30 Uhr im Freiluftkino Friedrichshain. Nachfolgend die Besprechung von SO PRETTY aus dem Februar 2019. Der Film war Teil des Programms der Sektion Forum der Berlinale 2019.


Sprechen wir zunächst über Körper auf der Leinwand: Schauen Sie sich einen Kinofilm manchmal nur wegen der Körper an? Was sind das dann für Körper, die Sie gerne sehen? Welches Geschlecht? Welche Phy­si­o­g­no­mie? Welches Alter? Sind Ihnen Augen wichtig? Bestimmt. Augen sind uns allen wichtig.

Ist die Statur eines Körpers für Sie wichtig? Meistens schauen wir doch alle lieber den weniger beleibten Körpern, den drahtigen, sportlichen, virilen Körpern zu. Zu dick. Zu dürr. Zu klein. Zu alt. Zu haarig. Deformiert. Unsere Augen mögen diese speziellen Körper im Kino nicht. Wir haben alle einen normierten Blick.

Der unmittelbarste Kommunikator im Film ist ein Körper. Wörter, Text, Gedanken, das kommt alles danach. Der Ausstellung des Körpers wohnt eine eigene erzählerische Kraft inne. Nur was sichtbar ist, existiert auch. Sichtbarkeit im Film kann Realität kreieren. Doch die Sichtbarkeit ist das Problem.

Fantasien heterosexueller Penisträger

Bis zum heutigen Tag dominiert der heteromaskulinistische Blick die Körper im Film. Was (weiße) Heteromänner nicht mögen, kommt nicht vor. Oder wird derart ausgestaltet, dass es abstößt. Solange das Kino noch als allein gültiges visuelles Massenmedium fungierte, ging damit die Prägung ganzer Gesellschaften einher. Das Fernsehen übernahm die Funktion als Massenmedium – und die Fähigkeit zur normativen Setzung gleich mit.

Egal wo das Bewegtbild stattfand, der weibliche Körper war jahrzehntelang nur als Projektionsfläche für die Moralvorstellungen und Fantasien heterosexueller Penisträger in Gebrauch. Frauen waren, vereinfacht gesagt und egal welcher Hautfarbe, hysterisch, schmachtend oder haben geputzt. Schwule Männerkörper kamen, wenn überhaupt, als Freaks im Fummel vor. Oder als verhärmte Gestalten. Bemitleidenswert. Abstoßend. Lesbische und Trans*-Körper existierten im Kinofilm überhaupt nicht. Wenn es Trans*-Figuren gab, handelt es sich dabei zumeist um Imitate – Männer in Frauenklamotten.

Die Frauen-, Schwulen- und Lesbenbewegungen der letzten Jahrzehnte mussten sich ihre Repräsentanzen im Film selber erkämpfen. Selber Filme drehen und jene (ihre) Körper dafür besetzen und von ihnen erzählen, die bis dahin auf Leinwänden und Bildschirmen nicht existierten.

Geldwerte Körper

In der jüngsten Vergangenheit hat die Diversität der Körper im Film jedoch zugenommen: Die  Streamingplattformen aus den USA sind die neuen Player im Markt und schaffen neue Möglichkeitsräume, indem sie mit der Körpervielfalt und unterschiedlichsten Hautfarben in ihren Film- und Serienprodukten kalkulieren. „Starke“ Frauen, „glückliche“ Schwule und „selbstbewusste“ Trans*-Personen – sie rennen durch diese Bewegtbilder, weil es sich derzeit gut verkauft. Ausstattungsmerkmale. Keine politische Agenda, keine „corporate responsibility“, kein aktivistischer Bezug. Diese Körper sind Geldwert. Man könnte das als Fortschritt bezeichnen. Ob er von Dauer sein wird – zweifelhaft.

Die Notwendigkeit, Sichtbarkeit marginalisierter Körper selber herzustellen besteht unverändert. Doch am Ende geht es beim Film immer um mehr als bloßes anwesend sein. Resonanz kann in Zuschauenden nur durch die Erzählung erzeugt werden. Ohne Resonanz keine Nachhaltigkeit. Resonanz entsteht durch Identifikation. Wir suchen in den Geschichten und Figuren eines Films nach Anknüpfungspunkten – unbewusst, bewusst, immer. Identitätsfragen kommen ins Spiel. Und damit fangen die Probleme an. Identitäten sind Kriegsgebiete, um die gegenwärtig auf allen Ebenen erbittert gekämpft wird.

Identitäten sind Kriegsgebiete, um die gegenwärtig auf allen Ebenen erbittert gekämpft wird

Jessie Jeffrey Dunn Rovinellis Film SO PRETTY beginnt im Auto. Der Blick geht aus dem Seitenfenster der Beifahrerseite heraus. Wir befinden uns auf einer Autobahn, Stadtlandschaft fliegt an uns vorbei, bis der Wagen vor einem Flughafenterminal zum Stehen kommt: Abholbereich. Eine Aufseherin weist die im Auto sitzenden an, mit dem Wagen noch einige Meter vorzufahren. Mit wem die Aufseherin im Auto spricht, wissen wir nicht.

Eine junge Person kommt dem Auto entgegen. Hochgewachsen, lange blonde Haare, markantes Gesicht, weiße Hose, dass bauchfreie Oberteil verdeckt die kleine Oberweite des hageren Körpers. Eine Person steigt aus dem Auto aus, Küsse, Umarmung. Die zweite Person ist ebenfalls sehr dünn, lange schwarze Haare, ebenfalls ein markantes Gesicht. In ihrer Geschlechtlichkeit sind sie nicht einzuordnen. Ein alter Mann beobachtet die beiden irritiert. Und wir als Zuschauende ebenfalls. Schnitt.

Traumwandlerische Bilder

Filmemacher*in Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli erzählt in SO PRETTY eine Art Ménage à quatre, basierend auf der Erzählung „So schön“ von Ronald M. Schernikau. Die Geschichte beginnt mit Tonia (in Schernikaus Vorlage trägt die Figur den Namen Tonio) und Franz. Sie sind ein Paar, haben sich jedoch längere Zeit nicht gesehen. Nun treffen sie in einer Großstadt
(hier New York, im Buch Berlin) für eine kurze Zeit wieder zusammen.

Paul in den Armen von Franz – ohne Tonia | (c) Bild: 100 Year Film/IFB 2019

Franz teilt eine Wohnung mit Paul, der eine Beziehung mit Helmut hat. Sie quatschen, essen, tanzen, spazieren zusammen, haben Sex miteinander. Zärtliche Momente des Alltags – für die Kameramann Bill Kirstein nicht minder zärtliche und traumwandlerische Bilder findet – werden durch Einstellungen gerahmt, in denen der Film Schernikaus Text mittels Lesungen ins Zentrum rückt. Plansequenzen und langsame Schwenks prägen die Erzählung.

Wo sich das Beziehungsgeflecht zu sehr zu verknoten scheint, sorgt die Kamera mit viel Einfühlungsvermögen für Transparenz und verortet die Figuren an ihrem jeweiligen Entwicklungsschritt neu. SO PRETTY darf ausdrücklich als für das Kino gemacht verstanden werden.

Friss oder stirb?

Und trotzdem ist dies ein irritierendes, vielleicht sogar widerborstiges Werk. Gleichwohl die Figuren bis auf Tonia Männernamen tragen, sind an ihren Darsteller*innen binäre Geschlechterordnungen nicht ablesbar. Mann oder Frau, Penis oder Vulva? Schwul, lesbisch, trans*, hetero? Niemand ist in SO PRETTY einfach in eine Schublade zu packen.

Mensch könnte sagen, Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli, die die Figur der Tonia selber spielt, und ihr Ensemble verweigern sich mit ihren Körpern unserer Suche nach Projektionsflächen und Anknüpfungspunkten. Friss oder stirb. Doch dies stimmt nicht. Identifikationsangebote gibt es hier reichlich, nur sind es eben nicht jene, die unsere normierten Sichtweisen als klassisches homo- oder heterosexuelles Publikum erwarten.

Es liegt an uns, diese Einladung anzunehmen oder in unserer abwehrenden Haltung zu verbleiben und den Film zu verlassen

Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli hält ihren Film von jeglichem dogmatischen und denunziatorischen Furor frei, wie er im Kontext der Trans*-Bewegung(-en) allzu üblich ist. An den Identitäts-Kriegen beteiligt sie sich nicht. Ein Glücksfall. Sie setzt auf Dialog, Verständigung und Erkenntnis. Ihr Film bietet uns an, in ihre Welt und ihre Wahrnehmung von Körper(n) einzutreten. Es liegt an uns, diese Einladung anzunehmen oder in unserer abwehrenden Haltung zu verbleiben und den Film zu verlassen.

Hans und Tonia – Gefährt*innenschaft | (c) Bild: 100 Year Film/IFB 2019

Mit SO PRETTY nimmt die Regisseur*in ihr Coming Out als Trans*-Frau vor. Es ist also eine Welt, in der sie sich mitunter genauso unbehaust fühlt wie wir als Publikum. In der sie tastend und erkundend voran geht und uns mit großer Warmherzigkeit auffordert, ihr zu folgen. Gemeinsam erobern wir dieses noch neue Leben – und Schernikaus Geschichte, die dank der Magie des Kinos, an einigen sommerlichen Tagen in New York zum Leben erwacht. Die neben all der Poesie aber auch einiges an Schmerz enthält.

Schmerz, bei dem es keine Rolle spielt, welches Geschlecht ein Mensch hat und zu welchem sie*er sich hingezogen fühlt: Liebe und deren Ende ist ein Resonanzraum, den jede*r von uns versteht. Das Gefühl des Verlassenwerdens ist für uns alle gleich. Wir spüren Tonias Schmerz, weil es auch unserer wäre.

Unruhige Zeiten

Schernikaus Text will es so, dass sich die Wege von Tonia und Franz am Ende trennen. Wie ihre Zukunft aussehen könnte, bleibt unserer Vorstellung überlassen. Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli markiert in SO PRETTY allerdings deutlich, dass unsere Zukunft in einer gesellschaftlich und politisch unruhigen Zeit stattfinden wird.

Wir können dem zuversichtlich entgegen gehen, wenn wir Gefährt*innen wie Paul, Helmut, Franz und Tonia an unserer Seite haben und sie uns. SO PRETTY ist auch ein Appell an die Überwindung des Trennenden und ein Aufruf, neue Gemeinschaften und Bündnisse zu wagen. Allein schon, weil wir dann viel besser darüber diskutieren können, ob „Zweisamkeit“ nun besser mit „coupledom“ oder „togetherness“ übersetzt wird.

SO PRETTY | USA 2019 | 83′ | Jessie Jeffrey Dunn Rovinelli | Forum


Erstveröffentlichung des Textes auf filmanzeiger.de am 16.02.2019


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