vonfreiraum 17.06.2024

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Wenn aktuell über Kindergrundsicherung diskutiert wird, dann wird zu oft eine Gruppe außer Acht gelassen: Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit Erfahrungen in stationären Jugendhilfeeinrichtungen. Eine Person, die an diese Gruppe erinnert, ist Anna Kücking. Nicht nur für die taz, aber auch in ihrem Debütstück „KASPAR HAUSER KILLJOY – Archive der Sorge“. Mit Verlaub: wird schön.

Es ist eines der ersten und aktuellsten Stücke zu Erfahrungen von Carereceiver*innen und Careleaver*innen. So heißen Personen, die einen Teil ihres Lebens in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung der Jugendhilfe verbringen (receiver*innen) oder verbracht haben (leaver*innen).

Strukturell wird es Carereceiver*innen und -leaver*innen schwer gemacht, durch ein Dickicht von Klassismus, Rassismus, Adultismus und Behörden hindurch zu Wort zu kommen. Statistisch studiert etwa nur ein Bruchteil von ihnen.

Dabei waren allein im Jahr 2020 in Deutschland 127.000 Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Jugendhilfe untergebracht. Ca. 90.000 Kinder und Jugendliche lebten in Vollzeitpflege bei Pflegefamilien. Umso wertvoller und bewegender ist es daher die Geschichten der Protagonist*innen des Stücks, Kaspar und Emire, diese Woche auf der Neuköllner Bühne hören zu können:

Kaspar und Emire sind aufgewachsen in der Jugendhilfe: In Wohngruppen und Pflegefamilien, inmitten beschrifteter Kelloggsverpackungen, aufreibender Behördenbesuche und Sätzen, die niemand hören will. Einige Jahre später treffen sie sich in Berlin wieder. Doch vieles hat sich verändert, seit sie gemeinsam in der Einrichtung gelebt haben.

Wie können sie ihre Kindheit erinnern, die wegen der vielen Wechsel kaum eine Person bezeugen kann? Wer hat die Möglichkeit sich zu erinnern, wer nicht? Und was bedeutet es, in einer Gesellschaft, die Familie zum höchsten Gut erklärt, ohne Eltern aufzuwachsen?

Kaspar Hauser Killjoy macht Erfahrungen aus der Jugendhilfe als assoziatives Gewebe sichtbar und stellt fest: Familie ist das, was wir gemeinsam tun. Unkontrollierbar, verletzlich. Ohne Oberhaupt, ohne Grenzen, ohne Staat.

Das Stück ist diese Woche zu sehen im Heimathafen Neukölln.

Tickets und nähere Infos hier.


Besetzung:

Regie, Text: Anna Kücking
Dramaturgie: Julla Kroner
Bühne, Kostüm: Louis Caspar Schmitt
Sound: Eldar Tagi
Video: Vincent Heppner
Mit: Olivia Purka, Alina Sokhna M’baye


 

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