vonfrida 24.12.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Hagazussas Erzählung:

Eine ganz junge Seele trifft auf eine alte Seele, die schon jede Menge Lebenserfahrung hat, und fragt diese nach dem Sinn des Lebens.

„Denn“, so sagte die junge Seele zu der alten Seele, „wenn ich auf die Erde komme und in einem Körper aufwache, dann ist es doch bestimmt für mich, aber auch für alle anderen enorm hilfreich, um zB das Leid auf der Erde zu beenden, wenn ich schon weiß und den anderen mitteilen kann, was du alles weißt, ja vielleicht sogar den Sinn des ganzen Lebens.“

Die alte Seele betrachtete die junge Seele eine Weile. Dann sagte sie: „Tja, der Sinn des Lebens. Den haben schon etliche Seelen in ihren Körpern gesucht. Und es gab in der Geschichte der Erde, in der Geschichte der Menschheit viele, viele Lösungsversuche darüber: Carpe Diem, wenn ich auf dem Sterbebett liege, will ich nicht gewahr werden, nicht gelebt zu haben, Lebensverlängerung, Hedonismus, Macht, Religion, Philosophie, Meditation, Transzendenz usw. Bis den ersten klugen Köpfen auffiel, dass es bei der Suche nach dem Sinn des Lebens zuerst auf die Frage ankommt.“

Die alte Seele hielt inne und dachte kurz nach. „Ja, entscheidend ist die Frage, denn sonst kannst du keine Antwort finden. Und die klugen Köpfe fanden viele Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Wozu bin ich? Sie kamen damit der Lösung schon verdammt nahe, aber es fehlte ihnen immer noch die richtige Frage, die Frage, die zur Antwort führt, was der Sinn des Lebens ist.“

Wieder hielt die alte Seele inne und die junge Seele spürte eine Spannung, eine unaufhaltbare Spannung. „Ja und was ist denn nun die richtige Frage?“, rief sie ungeduldig aus.

Die alte Seele lachte: „Du möchtest das Geheimnis des Universums, das Geheimnis der menschlichen Existenz wissen und willst dir nicht mal die Zeit nehmen, dir eine Geschichte darüber anzuhören?!“

Beschämt gab sich die junge Seele und sagte entschuldigend: „Nein, nein, bitte versteh mich nicht falsch, es geht mir ja gar nicht um die Zeit, das eilt nicht, und schließlich gibt es hier bei uns keine wirkliche Zeit, sondern ich frage mich, warum diese Geschichte denn notwendig ist, wenn es doch nur um eine Frage geht?“

„Diese Geschichte“, sagte die alte Seele, „ist deshalb notwendig, weil du sonst die Antwort nicht begreifen wirst. Wenn ich sie dir einfach sage, mit Worten sage, dann würdest du zwar die Worte hören, sie aber nicht verstehen können. Denn, und das ist das Merkwürde an dieser enorm wichtigen Frage der menschlichen Existenz, die Antwort auf die Frage, ist so simpel, so fast schon fürchterlich banal.“

Die junge Seele staunte ehrfürchtig und kuschelte sich an die alte Seele, um ihr zu zeigen, dass sie bereit war, bereit war zu warten.

Die alte Seele fuhr fort: „Irgendwann kamen die Menschen der Frage immer näher. Sie begannen sich zu fragen, was den Menschen von zB einem Tier eigentlich unterscheidet. Sie definierten die Seele. Sie fanden verschiedene weitere Definitionen, machten Tests, stellten Theorien auf, überprüften sie, verwarfen sie wieder und stellten neue auf. Was sie damit erreichten, war, dass sie noch viel mehr Fragen fanden und der Antwort zwar immer ein kleines Stückchen näher zu sein glaubten, sie sich aber unter so vielen weiteren Fragen, Theorien, Definitionen immer wieder verbarg, dass sie immer wieder aufgaben, auch wenn sie merkten, dass die Antworten auf ihre vielen Fragen, sie doch auch immer wieder ein Stückchen weiter brachten, von Gemeinschaft zu Gemeinschaft, von Generation zu Generation, von Gesellschaft zu Gesellschaft, von Kultur zu Kultur. Sie entwickelten sich, sie entwickelten etwas.“

Wieder hielt die alte Seele innen, tat einen tiefen Seufzer und fuhr dann fort: „Aber erst als einige Menschen anfingen zu meutern, sich zu beschweren, dass sie sich von der Suche nach der Frage nach dem Sinn des Lebens eigentlich ausgeschlossen fühlten, als sie sich beschwerten, dass ihnen die Suche nach dieser immens wichtigen Frage nicht zugestanden wurde, ja da fanden die Menschen plötzlich die Frage.“

Die alte Seele gluckste: „Ist das nicht irre komisch? Dass erst die von der Frage ausgeschlossenen Menschen die Antwort ergaben?!“

Die kleine Seele sprang auf, durchdrungen von einem Energiestoß, aufgeschüttelt durch die Erkenntnis, die sie in dem Moment durchzuckte und sie schrie, sie konnte nicht anders, als diese Energie in lauten Worten hinauszuschreien: „Wer bin ich?“

Die alte Seele lächelte milde: „Noch bist du nur eine Seele ohne Körper.“

Aufgeregt redete die junge Seele weiter: „Jaja, noch, aber wenn ich einen Körper habe, dann bin ich doch ein Mensch.“

„Du wirst dann so genannt, bezeichnet, definiert, aber sage mir doch einmal: Was ist denn das, ein Mensch?“, fragte die alte Seele.

Die junge Seele dachte angestrengt nach. Sie setzte sich wieder und dachte weiter nach, dann sagte sie zögerlich: „Also, also ist der Sinn des Lebens, herauszufinden, ob ich ein Mensch bin?“

„Diese Frage wäre mit einem einfachen Ja oder Nein zu beantworten. Solche Fragen bringen dich nicht weiter. Du musst die Frage anders, offener formulieren.“

„Der Sinn des Lebens ist die Frage danach, was ein Mensch ist?!“

„An dieser Stelle darfst du simpler denken und musst die Frage auf dich beziehen: Der Sinn deines Lebens ist die Frage danach, ob DU ein Mensch bist“, antwortete die alte Seele.

„Und“, fuhr sie fort, „darin stecken natürlich ganz viele Fragen: Was macht einen Menschen aus? Was ist nicht ‚ein Mensch‘? Wer kann diese Frage beantworten? Nur ein anderer Mensch? Viele Menschen? Nur du selbst? Gibt es die eine Definition oder muss eine Einigung getroffen werden?… Deshalb kann ich dir zwar die Frage mit in dein Leben geben, aber die Antwort wird sich erst im Laufe deines Lebens, durch dein Leben für dich einstellen.“

 

Märchen 3.Teil: Hänsel und Gretel Oder die Suche nach dem Sinn des Lebens III

Märchen 1.Teil: Hänsel und Gretel Oder die Suche nach dem Sinn des Lebens I

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