vonfrida 15.06.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Liebe Freundin,

du wunderst dich vllt über diese kontextlose, aber lange Nachricht von mir, aber ich habe letzte Nacht von dir geträumt, von dir und deinem Freund.

Und seitdem beschäftigen mich Gedanken um mich, uns, unsere Ziele und Partner, unsere Generation im Allgemeinen.

Wir, Kinder der ersten „fortschrittlichen“ Eltern im Sinne einer gleichberechtigten Partnerbeziehung, von Frauen, die Karriere und Kinder vereinbaren wollten, die scheinbar eine echte Entscheidung ihrer Lebensplanung hatten und von Männern, die „starke“ Frauen liebten und Beziehungen mit ihnen eingingen. Nun ja, das ist das, was unsere Eltern uns als Narrativ mitgegeben haben, als Chance, aber auch als Anforderung: etwas daraus zu machen!

Ich stelle in unserer Generation (so um die 80iger geborene) immer wieder erstaunt fest, wie schwierig dieses „daraus etwas zu machen“ für die einzelnen Menschen ist. Ich habe durch meinen Nachbarn und seine drei Freunde (auch alle in unserem Alter), durch meine Freundinnen und mich selbst viel Begegnung und Austausch darüber, wie wir leben, was wir wichtig finden, was wir anstreben und was uns glücklich macht, aber auch, was uns verzweifeln lässt und einsam macht. Und dabei muss ich immer wieder feststellen, dass das nicht auf das eine oder andere Geschlecht zu begrenzen ist. Obwohl mensch zuerst einmal denken könnte, dass alles an dem anderen Geschlecht und seiner Unvereinbarkeit mit den Ansprüchen des eigenen läge. Mir scheint hingegen, dass wir die selben Probleme haben und keine Lösungen sehen: jede Menge Ansprüche, die in der Erfüllung unweigerlich zum klassischen Rollenbild zurück führen.

Folgst du meinen Gedanken? Oder ist das vllt ein bisschen zu abstrakt? Ich will gerne versuchen, das an konkreten Beispielen zu erklären, wenn es dich interessiert?!

Ich will dir zuerst einmal ein Bild von meinem Nachbarn aufzeigen, danach würd ich dir etwas zu einer Freundin und dann zu mir schreiben.

 

Mein Nachbar

Er ist mit einem ähnlichen Background wie ich aufgewachsen: alternative Hippie-Mutter, aufgeschlossener Vater, beide schon lange kein Paar mehr. Er studierte lange, Geografie, reiste viel in der Welt herum, hört gerne Metal, ist politisch aufgeschlossen und linksorientiert, hatte eine lange große Liebe, die an unvereinbaren Gewohnheiten und Ansprüchen und entgegengesetzten Entwicklungen vor einigen Jahren scheiterte, bevor Kinder entstanden. Er arbeitet in der Verwaltung einer Universität, ist damit zufrieden, nicht ausgefüllt, aber verdient gut, geht an den Wochenenden auf Partys oder Fußballveranstaltungen, hat viele Freunde und ist nett und freundlich. Er ist ein normal attraktiver Mann. Er wünscht sich eine Partnerin, eigentlich auch Kinder, aber irgendwie ergibt es sich nicht. Die Jahre gehen ins Land und sein Alltag ändert sich nicht. Er arbeitet sehr viel, hat nur an den Wochenenden Zeit für sich, wo er viel Schlaf nachholen muss, genießt die Auszeiten im Urlaub auf Mallorca mit Freunden, bei Festivals/Konzerten oder auch beim Tauchen. Dann trinkt er viel zur Geselligkeit und fühlt sich wieder wie früher: jung, voller Energie und zufrieden. Sexuelle Aktivität gibt es kaum. In seinem Freundeskreis sieht es genauso aus. Ich kenne den inzwischen ganz gut, weil ich viel mit ihnen gemacht habe, war auf Partys, Festivals usw. Alle haben Jobs, einige haben Partnerinnen oder auch mal hier und da ein Kind, aber die meisten leben allein mit ihrem Job und ihren Wochenendkontakten auf Partys mit Alkohol. Dabei wird viel gesoffen. Ziele oder Träume hat keiner mehr, auch nichts, worauf sie stolz sind. Ich würde sie inzwischen die Vergangenheitsritter nennen.

 

Eine Freundin

Sie führt seit einem Jahr eine Fernbeziehung. Er scheint ein sehr normaler patriarchaler Mann zu sein: egoistisch, freundlich, unterhaltsam, erfolgreich, wohlhabend, keine besonderen Laster oder großen Auffälligkeiten, hat einen Freundeskreis, eine große Beziehung hinter sich, aus der sich keine Kinder ergaben, managet sein Leben selbstständig, sieht nicht schlecht aus. Also eigentlich gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Partnerschaft, erstaunlich also, dass er mit inzwischen Ende 40 keine eigene Familie hat, wie unsereins irgendwie auf der Suche nach der idealen Frau ist. Genauso meine Freundin: auch eine ernsthafte Beziehung hinter sich, ohne Kinder, normal normiert im Verhalten, gut aussehend, fest im Leben stehend, einen guten Job, selbstständig, keine großen Laster usw. Trotzdem immer wieder so massive Schwierigkeiten in der Beziehung, dass sie kurz vor dem Aus zu stehen scheint. Diese Schwierigkeiten aber nicht, weil irgendwer betrügt, lügt oder sonstwie offensichtlich unfair wäre, sondern einfach aufgrund von… ja, was eigentlich? 

Und genau da kommen wir zu dem Punkt meiner Gedanken. 

Ich habe inzwischen die Theorie, dass wir, aufgrund unserer Generation, unseres Elternbackgrounds die erste Generation sind, die eigentlich frei von alten Geschlechternormen aufgewachsen sein müsste. Frei von: Jungen weinen nicht, Mädchen können keinen Nagel in die Wand schlagen, Väter gehen arbeiten, Mütter bleiben zuhause usw. Wir sind eigentlich damit aufgewachsen, dass wir eine Wahl haben, dass wir entscheiden können, was und wen wir in uns stärker ausleben möchten. Ob wir uns lieber einen Handwerker für das Regal bestellen oder es selber montieren, ob wir arbeiten oder einen Haushalt führen wollen. 

Aber wie sieht das bei der Partnerwahl aus? Ich vermute, dass die Frauen zwar gerne einfühlsame, liebevolle uns umsorgende Partner haben wollen, dass sie aber auf der anderen Seite nicht-männliche Männer nicht so attraktiv finden. 

Oder haben wir keine (Aus-)Wahl?? 

Gibt es in unserer Generation überhaupt Männer, die sich selbst eine weibliche Seite zutrauen auszuleben? Ich vermute weiter nämlich, dass zwar wir Frauen zur Selbstständigkeit erzogen und ermutigt wurden, zusätzlich zu unserem anerzogenen Einfühlungsvermögen und Rücksichtnahme (natürlich!), dass aber die Männer unserer Generation von ihresgleichen, also anderen Männern, von ihren Vätern, Onkles, Großvätern, Freunden/Kumpels weiterhin in der Rolle der Männlichkeit ausgeprägt und unterwiesen wurden. Denn, dass Männer einfühlsam, umsorgend, aufmerksam und unterstützend sein sollen, sind eigentlich nur theoretische Werte, die wir in der folgenden Generation wieder nur als allgemeinen Anspruch in den Raum stellen.

Um den Gedanken in seiner Radikalität auszuformulieren: Wir sind mit dem Anspruch einer emanzipierten Grundhaltung großgeworden, aber eigentlich sind wir, wie schon seit Jahrhunderten, ganz klar männlich und weiblich in unseren Rollen sozialisiert und diese Sozialisation bricht sich bei der langfristigen Partnerwahl ganz klar ihre Bahn, spätestens bei der Realisierung eines Kindes.

 

Meine Beziehung zu einem netten Cis-Mann

Ich habe einmal eine Beziehung zu einem Mann beendet, der auf den ersten Blick ein sehr einfühlsamer, emphatischer und sich um seine Freunde-kümmernder Mensch war, der vornehmlich Frauen zu Freundinnen hatte, auch weil er ein guter Zuhörer war. Gleichzeitig aber auch sehr männliche Attribute hatte, wie eine tiefe Stimme, der Älteste von drei Brüdern war, seinen Job gewissenhaft machte, ordentlich saufen konnte, Konzerte mochte und Handwerklich begabt war. Im Laufe der Beziehung rutschte ich seltsamerweise vom Status der zu umsorgenden Freundin in die Rolle des Weibchens. Ich war halt irgendwie da und war für die Gestaltung der Beziehung zuständig. Aufmerksamkeit, Empathie und gemeinsame Zeitplanung waren im Laufe der Zeit meine Aufgaben geworden. Er plante vllt noch schöne gemeinsame Außenaktivitäten, nahm mich bei der Hand oder freute sich, wenn ich hübsch aussah, aber von tatsächlichem Interesse oder Anteilnahme an meinem Leben war keine Spur mehr. Als ich die Beziehung dann beendet habe, hat er das, denke ich, nicht wirklich verstanden. Er hat das auf die Aktion, die ich dann zum Anlass genommen habe, reduziert, dass es aber um einen längeren Prozess ging, in dem ich mich missachtet, nicht gesehen und nicht emotional aufgefangen fühlte, konnte er gar nicht nachvollziehen, obwohl er mich sicherlich gerne behalten hätte. Aber für ihn war der Beziehungsstatus nichts, woran Mann mitwirken müsste, sondern etwas, das eben einmal beschlossen nun existierte und zwar so lange, bis vllt jemand etwas ganz schlimmes machte oder die Liebe aufhörte. Doch ich habe die Beziehung beendet, obwohl ich noch verliebt war, aber ich mochte mich nicht mehr, mochte nicht mehr, dass ich mich nur noch um ihn drehte und dabei immer wieder frustriert wurde, mich frustrieren ließ. Eine Freundin hatte das damals „emotionale Abhängigkeit“ genannt, was ich sehr passend fand.

Als ich mich trennte, verfolgte mich vor allem die Angst der Einsamkeit, die Möglichkeit, keinen Mann mehr für eine mögliche Familiengründung zu haben, vllt so schnell nicht mehr zu finden und vor allem eben wieder alles allein machen zu müssen, auch die schönen Dinge. Reduziert zu sein auf Arbeiten, Party-machen, Saufen. Erst allmählich kam ich dazu, die Dinge, die ich erleben will, auch allein machen zu können, zu erfahren, dass ein Partner nicht unbedingt ein Mehr an Erfahrungen ist, sondern vllt sogar auch Bereiche bestimmt und begrenzt. Etwas, was ich auch eigentlich schon in früheren Männer-Beziehungen erfahren, aber nicht realisieren wollte. Weil mensch Dinge gemeinsam machen möchte, macht mensch Dinge, die beide machen wollen, nicht Dinge, auf die sie alleine Bock hätte und so schön es ist, gemeinsam Erfahrungen zu machen, wie viel verpasst mensch, wenn sie nicht das macht, wozu sie Lust hat?!

Wenn frau zu dem Entschluss kommt, dass ein Zustand für sie nicht mehr tragbar ist, muss sie sich auch dem Ende anderer Perspektiven stellen und sich letztendlich damit auseinandersetzen, ob und wie sie eine patriarchale Beziehung leben will, anstatt den nächsten Menschen zu suchen und wieder enttäuscht und einsam in ihrer Beziehung zu werden.

Denn es geht nicht darum, ob du die perfekte Beziehung führst, den Super-Partner endlich gefunden hast, sondern ob du in den dir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten deiner Lebenszeit das lebst und machst, was du willst und kannst. Und dass du dir klar darüber bist, dass du die Wahl für enorm viel hast, dass es aber auch Vieles gibt, dass du einfach nicht „machen“ kannst.

Denn selbstwirksam und authentisch zu sein, dich selbst wertzuschätzen und deine Entscheidungen wahr- und anzunehmen, ist das, was die Lebensspanne unserer Generation an Freiheit hat!

Von Herzen liebe Grüße

Nena

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kommentare

  • Das Zitat war zu kurz, dieses meine ich:

    „Denn es geht nicht darum, ob du die perfekte Beziehung führst, den Super-Partner endlich gefunden hast, sondern ob du in den dir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten deiner Lebenszeit das lebst und machst, was du willst und kannst. Und dass du dir klar darüber bist, dass du die Wahl für enorm viel hast, dass es aber auch Vieles gibt, dass du einfach nicht „machen“ kannst.“

    • Noch ein Gedanke dazu, den ich noch nicht ausformuliert hatte, ist, dass diese, meine Generation, meist in soliden Beschäftigungsverhältnissen lebt und nicht, wie die Generationen danach in prekären Arbeitssituationen ihre Existenz behaupten muss. Sie hat also eigentlich sehr gute Voraussetzungen, um glücklich zu sein, die Individuen sind es aber trotzdem nicht, sondern kranken herum an ihren scheinbar unerfüllten / unerfüllbaren Bedürfnissen.
      Vielen Dank nochmal für´s aufmerksam machen!

  • Hallo Nena!

    „…ob du in den dir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten deiner Lebenszeit das lebst und machst, was du willst und kannst.“

    Das finde ich sehr sehr schlau, vielen herzlichen Dank fürs Teilen.

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