vonfrida 26.10.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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In einem Essay von Virginia Woolf (Professions for Woman) schreibt sie über den Engel im Haus, den sie morden musste, um schreiben zu können.

Nun schrieb sie zu einer Zeit, in der sie hoffte: „You who came of a Younger and happier Generation may not have heard of her (the Angel)…“

Doch die Engel ist immer noch da, im Jahre 2022 ist sie noch immer in uns. Sie schaut uns über unsere Schulter und flüstert uns zu: Frauen müssen bezaubern, sie müssen besänftigen, sie müssen, um es ganz deutlich zu sagen, lügen.

The Angel ist nicht mehr so präsent, nicht mehr so deutlich im Vordergrund, denn die Rolle und das von einem Mann als Ideal poetisierte Bild der perfekten Frau (Originalgedicht aus der Viktorianischen Zeit „The Angel in the House“) hat sich im Laufe der Zeit verändert. Aber es ist noch da, sie hat sich angepasst, sie hat sich gewandelt.

Ich begreife sie als Komplizin des Patriarchats und ihr möchte ich auf die Spur gehen und dich einladen, mich dabei zu begleiten…

Sie tritt deutlich in Erscheinung, wenn eine männlich gelesene Person in den Dunstkreis tritt, in einer Gruppe vertreten ist, sich in einem persönlichen Gespräch uns zuwendet, uns im Job herausfordert, wir uns körperlich oder / und emotional mit ihm einlassen.

In solchen Momenten wird die Solidarität zur Konkurrenz, wird die Herausforderung angenommen, wird der Blick auf unsere eigenen Bedürfnisse zur Erfüllung seiner.

Die Beispiele dafür sind noch immer mannigfaltig in der Lebensgeschichte jeder von uns. Ich möchte drei davon herausstellen: Date Rape, vorgetäuschte Orgasmen, Pick me Girl oder die Kontrollinstanz der Spielplatzmütter

 

Date Rape

„Halb zog er sie, halb sank sie hin“, die Erwartungen des Augenblicks, denn schließlich mochte sie ihn doch – eigentlich – und schob das Stimmchen in sich beiseite, machte mit und heulte anschließend leise in ihr Kissen.

Dies passiert alltäglich, in Dating-Situationen, in langjähriger Ehe, in liebevollen Beziehungen. Es wird ignoriert, beiseite geschoben, vergessen, denn es ist peinlich, ja es ist auch irgendwie eklig.

Welche mag sich das schon eingestehen?!

Darüber geredet wird höchstens inkognito, auch wenn es endlich schon mal einen Begriff dafür gibt: Date Rape. Der aber noch lange nicht auf Paare angewendet wird, denn Beziehungen sind ja privat, sexuelle Vorlieben sind einer der wenigen geduldeten Bereiche unserer Zeit, wo mensch noch Privatsphäre und scheinbaren Gestaltungsspielraum hat.

Doch vergessen wir dabei immer die weibliche Sozialisation und auch die männliche. Wir vergessen, dass Mädchen in jungen Jahren lernen, mit Catcalling und Stalkern umzugehen, sich zu verhalten, meist flüchtend beschwichtigend, zumindest ertragend, dass dies zur Gewohnheit wird. Und diese Prägung setzt sich fort, sie bekommt eine Persönlichkeit in uns: die Komplizin, die nicht  schreit (weil als hysterisch bewertet), die nicht gelernt hat, effektiv zuzuschlagen und ihre Weiblichkeit, ihre Berechtigung als Mensch auf dunkler Straße, in der Bahn, dem tatschigen Onkel, dem väterlichen Umarmer eines älteren Herren gegenüber zu verteidigen und ihre Grenzen abzustecken. Sie hat gelernt, zu ertragen, mit sich machen zu lassen, die „harmlose“ Situation nicht mit ihren unangebrachten Gefühlen zu crashen.

Irgendwann verliebt sie sich oder schwärmt für einen, für einen, der nett ist.

Doch auch der Nette wurde sozialisiert, und zwar männlich. Auch er hat eine harte Schule hinter sich und seine zugeschriebene Rolle kennengelernt.

Sie mag ihn und er mag sie. Sie verstehen sich, sie reden aneinander vorbei und fühlen sich doch eins miteinander und dann passiert es, die Gelegenheit, die Lust, die Erwartung, die Ansprüche an sich selbst. Wer kann hier noch unterscheiden?!

Das „Nein“ kommt ihr nicht über die Lippen und kommt es doch, ist es hauchend leis, er kann es allzuleicht überhören oder müsste sogar nachfragen, was sie gesagt hat.

Das Opfer fügt sich in ihre Rolle, der Täter auch und doch bleiben sie beide Opfer ihrer Rollen, zurück bleiben Verletzungen. Die trägt sie still, denn das hat sie ja früh gelernt. Sie findet einen Umgang damit, reckt morgens ihr Haupt in die Höhe und schreitet als Komplizin davon. Die Komplizin schweigt über das, was ihr widerfuhr, ja sie leugnet sogar. The Angel lies.

 

Vorgetäuschte Orgasmen

In monogamen, heteronormativen Paarsituationen passiert es nach einer Weile, nach wenigen Monaten, nach einem Jahr, nach zweien, nach fünfen, dass beide im Bett landen. Er grabbelt sie unter der Bettdecke an; sie waren endlich mal wieder romantisch aus; die Gelegenheit ist da, Zeit auch. Doch irgendwie kommt ihr Saft nicht in Schwung, das Gleitmittel funktioniert, aber der Höhepunkt liegt in weiter Ferne. Ihre Gedanken schweifen ab, er gibt sich wirklich Mühe, doch sie fühlt nichts in sich, nur das unangenehme Drumherum, die Bettritze kneift, sie hängt vornüber vom Bettrand oder sein Schweiß tropft ihr ins Gesicht und er rammelt äußerst bemüht, dreht und wendet sie vielleicht sogar oder zieht die Session in die Länge, zögert den Abschuss gutmeinend oder genießend hinaus.

In solchen Augenblicken wäre es angebracht, einmal herzhaft und laut zu lachen, die Situation zu brechen und zu entspannen. Doch was passiert nur allzu häufig?

Sie kommt, zumindest für ihn und er kann sich nach all der Mühe endlich ergießen und sie seufzt erleichtert, es ist endlich vorbei.

Äußerst peinlich!

Entgegen der ständigen sexuellen Bereitschaft als Single erfahren Menschen irgendwann, dass ihre Triebigkeit doch nicht so dauernd ist, sondern vielem unterliegt; den Jahreszeiten, der körperlichen Verfasstheit, dem beruflichen Stress, der Selbstwahrnehmung, der Selbstwertschätzung, der Fantasie, den sporadischen Begegnungen usw.

In einer ähnlichen oder sogar derselben Paarsitutaion wie oben wurde geübt und gelernt Kompromisse zu machen, mal mehr, mal weniger für einen oder anderen, je nachdem welche Priorität dieses oder jenes in der Persönlichkeit der Menschen hat. Nun möchte niemand Sex haben, der überredet werden musste. Niemand möchte sich dabei vorstellen, dass er einen Kompromiss vögelt. Es wird nicht darüber geredet, es wird geschwiegen und hingehalten, gemacht und danach geduscht.

Irgendwie eklig!

Die heteronormative Sexualität hat trotz ihrer Entwicklungen noch immer den Makel, dass die zugeschriebenen Rollen eingehalten werden. Er penetriert, er besorgt es ihr. Die Komplizin in ihr wird also auf jeden Fall dafür sorgen, dass er sich wohl fühlt, dass er sich gut, dass er sich bestätigt im Bett fühlt, denn das ist ihre Rolle.

 

Pick me Girl oder die Kontrollinstanz der Spielplatzmütter

Sind Gleiche unter sich, könnte eine Atmosphäre des Vertrauens, des Verstehens, der gegenseitigen Unterstützung und Hilfeleistung entstehen. Ein mitfühlendes Ohr, ein aufmunterndes Wort, ein verstehender Blick, sogar eine gute Idee. Doch auch hier tritt die Komplizin in Erscheinung, allerdings sehr viel unbemerkter und hinterhältiger.

Auf dem Spielplatz, im linken Berliner-Szene-Mutti-Chat, im Stillcafe und an weiteren Ballungsorten des Mothering findet eine Person sich kritischen Blicken ausgesetzt, hört sie, was sie noch weiteres zu leisten hat, wird sie gedrängt, Termine und Events einzuhalten, bekommt sie Ratschläge um die Ohren geknallt… wenn sie weiblich gelesen ist (eine männlich gelesene Person erntet wohlwollend anerkennende Blicke, bezirzende Kommentare und umschwärmende Unterstützung).

Von wem eigentlich?

Von Menschen, die exakt das selbe erleiden, die genau und im selben Moment fühlen: wie sich eine durchwachte Nacht, ein geschlossener Kindergarten, unvermeidbarer Termindruck, ungewaschene Haare, hastig zusammen gepacktes Essen, ein nöliges Kind, ein Wutanfallmorgen, die unendlich lange, nie endende Mental Load anfühlen.

Warum also tun sich diese Menschen das denn gegenseitig und immer wieder an? Sie sind exakt in der selben Situation, sie durchleben den selben Alltag, sie leiden unter den selben Ansprüchen, sie haben die selben Vorstellungen und Ideale für ihr Kind, sie spüren denselben Druck.

Aber hier betritt mal wieder die Komplizin die Bühne: Sie wirft den Kopf in den Nacken und schreitet selbstbewusst voran, denn nun kann sie sich revanchieren, endlich das wohlverdiente Gefühl der strafenden Bewertung als Lohn für das ständig ertragene Leid ihrer Rolle bekommen. Und so stürzen sie hernieder, die geifernden Mäuler, und es fliehen die geschundenen Gemüter zurück in ihre Einsamkeit mit Kind.

Als Pick me Girl transportiert sie die Normen der patriarchalen Gesellschaft, indem sie sich zur Kontrollinstanz etabliert, die Andere in ihre Rolle verweist.

Zurück bleiben nur Verletzungen: mal als Opfer, mal als Täterinnen.

 

It´s time to kill her

Deshalb kehren wir gedanklich zurück zu Virginia Woolf und ihrem Essay über The Angel in the House. Sie beschreibt darin, dass sie morden musste, dass sie immer und immer wieder diesen Engel ermorden musste, sie beschreibt dies als Teil der Arbeit von Schriftstellerinnen. Sie führt auch aus, wie viel Zeit sie das gekostet hat und wie hart dieser Kampf für sie war.

Es ist also kein Leichtes, diesen inneren Engel los zu werden.

Und das habe ich auch erfahren. Wer den Anfang meines Blogs kennt, weiß um meine Kündigung ans Patriarchat. Seitdem morde ich meine innere Komplizin, immer und immer wieder und es ist ein harter Kampf, denn sie sitzt tief, sehr tief.

Sich der eigenen Rolle bewusst zu werden, sich gegen sie zu entscheiden, sie aufzukündigen, ist ein Anfang, ein Anfang nach außen. Doch die Arbeit im Inneren, in der eigenen Sozialisation, im Narrativ deines Lebens, die ist das Entscheidende.

Gib nicht auf, auch wenn du schon wieder zum Täter an dir selbst oder anderen Leidensgenoss:innen geworden bist, sondern gehe immer wieder in den Kampf. Du kannst die Komplizin in dir überleben, sie dich aber nicht!

„It is harder to kill a phantom then reality. She was always creeping back when I thought I had despatched her.“ … „But it was a real experience; it was an experience that was bound to befall all women…“

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