vonfrida 27.03.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

Mehr über diesen Blog

Sehr geehrte Herren, weiße Herren dieser Welt,

hiermit reiche ich meine umfassende Kündigung als Teil der weißen weiblichen Menschen ein.

Als Tochter eines polnisch-italienischen Patriarchen geboren, war meine Existenz zunächst zwar fraglich, doch ich habe überlebt.
Meine Kindheit und Jugend verbrachte ich in vernachlässigter existenzieller Abhängigkeit, doch war geduldet und hatte meinen weiblichen Bastardplatz im Clan, der mir mein weiteres Überleben rechtfertigte.
Vom System zunächst gemobbt und auf meine Unterschichtenherkunft reduziert, lernte ich mich zurecht zu finden und machte ein gutes Abitur an einer Brennpunktschule, wo Diskriminierungen verschiedenster Art für Kinder alltäglich waren.
In der Studienzeit erlebte ich dann die üblich geduldete Freiheit einer weißen Frau, die sich intellektuell bildet und ausgiebig feiert, um den Richtigen zu suchen, zu finden und ihm zu gefallen.
Daneben war ich zwar noch beschäftigt mit den Grabenkriegen zwischen dem Patriarchen und seiner inzwischen abgelegten Komplizin, habe aber auch aus dieser Systemprüfung meinen sehr guten Lehramtsabschluss absolviert, obwohl es etliche Leichen, unter anderem die sexuelle Unschuld jüngerer Geschwister, aus dem Keller zu räumen galt.

Das Ende meiner Studienzeit gipfelte in dem versprochenen Happy End einer Liebes-Ehe zu einem intellektuellen, berufstätigen weißen Mann.
Nach der weiteren harten Systemprüfung, der institutionellen Ausbildung des Referendariats, das ich zwar leichtsinnig, aber idealistisch wieder an einer Brennpunktschule leistete, widmete ich mich als Vollzeitarbeiterin ganz dem Erziehungssystem an einer konservativen, kleinstädtischen Mittelschule.
Ich leistete meine ehelichen Pflichten in Haushaltsführung, Caring, Geldverdienen, Sex und geselligem Aktivismus im Karnevalsverein zur Ehre meines Ehemannes, dem ich ja auch meinen Nachnamen verdankte, der wiederum mich von dem väterlichen Nachnamen endlich entbunden hatte.Als mein Ehemann erkrankte, pflegte und begleitete ich ihn auf seinem medizinischen Weg durch das private weiße Gesundheitssystem, natürlich neben dem üblichen Alltagsgeschäft, bis er verstarb. Dann kümmerte ich mich weiter um alle Angelegenheiten: Beerdigung, Erbschaftsabwicklung, Schuldenbegleichung und Trauerarbeit; die kostete mich dann allerdings ein halbes Jahr meiner Vollzeitarbeit.

Nachdem ich also meine patriarchal angemessenen gesellschaftlichen Verpflichtungen erfüllt habe, bis auf die Mutterschaft – aber das lag an der mangelhaften Samentätigkeit meines Ehemannes – war mir das versprochene Glück auf Erden nicht zuteil geworden.
Die Mutterschaft mit dem nächsten Richtigen in partieller Monogamie habe ich danach auch noch gemeistert, aber trotzdem wurde mir das Seelenheil und die versprochene Erfüllung meiner Träume, als Mensch anerkannt, geachtet und entlohnt zu werden, nicht gewährt.

Im Gegenteil erlebte ich in der Mutterschaft die endgültige Abwertung meiner individuellen Person, obwohl ich bürgerlich intellektuell gewählt hatte und danach verantwortungsvoll im Geburtshaus gebar, voll stillte, Elternzeit ableistete, meinen Beruf pflichtbewusst wieder aufnahm, den Vater in seiner Depression umsorgte und den Sohn vor vielem Säuglingsunheil bewahrte und weiterhin für seine angemessene gesellschaftliche Stellung sorge.

Mehrfach gebrochen und wieder zusammengeflickt, von absoluter sowohl emotionaler, als auch körperlicher Erschöpfung dahingerafft, mit posttraumatischer Belastungsstörung, wie mein inzwischen regelmäßiges therapeutisches Gutachten an meine Krankenkasse lautet, finde ich mich nun als weiße Frau massiv verarscht: benutzt, getäuscht, ausgebeutet und nie als Mensch wahrgenommen, geschweige denn akzeptiert.

Deshalb, meine Herren, trete ich mit sofortiger Wirkung aus Ihrem Verein, Ihrer Gesellschaftsordnung, Ihrer Sicht der Dinge und Ihrem Umgang mit Menschen aus.

MfG
Nena Frei

Frida • Zottelhaube • Architektin • GothicDiva • Pennerin • Narr • Mahatma • La Feminista

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/frida/kuendigung-meiner-verfuegten-marginalisierten-weiblichkeit/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert