vonfrida 05.12.2025

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Vorgestern war ich in dem einzigen Kinofilm über das Thema ‚Kinderfrei‘, Menschen, die sich so bezeichnen, dazu stehen und darüber berichten, wie sie mit dieser Entscheidung leben. 

Der Film ist ein Dokumentarfilm und heißt: me time. Produziert wurde er 2022 von der Regisseurin Ayla Yildiz für einen Wettbewerb bei arte. 

Der Film wurde in Bonn, in der Film-Bühne, gezeigt und bot zum gestrigen Abend als Highlight eine anschließende Diskussion mit der Regisseurin. 

Mir wurde gestern Abend wieder einmal erschreckend deutlich, dass es bei dem Thema auch immer noch um ein großes Tabu geht. Das zeigten die Antworten und Erzählungen der Regisseurin und auch die Fragen und Kommentare aus dem Bonner Publikum. 

Die Regisseurin sprach sehr offen und persönlich, wie sie zu diesem Thema gekommen ist, welche persönlichen Auseinandersetzungen sie damit hatte, dass sie den Film z.B. zwar für einen Wettbewerb produziert hatte, ihn aber vor allem auch ihrer Familie zeigen wollte, um dort Verständnis für ihre Entscheidung zu bekommen.

In dem Dokumentarfilm wird sehr unterhaltsam in Form von Interviews gezeigt, wie unterschiedliche Menschen – mit und ohne Gebärmutter geborene – dazu gekommen sind, sich für Kinderfrei zu entscheiden, wie sie damit leben und vor allem, was sie in dem Entscheidungsprozess und auch noch danach erlebt haben, in Diskussionen mit ihrer Familie, ihrem privaten, aber auch öffentlichen Umfeld. Darunter sind auch zwei Personen, die Kinder bekommen haben. Sie erzählen auch von ihrem Prozess und wie es ihnen mit dieser Entscheidung ergangen ist.

Den Begriff „Kinderfrei“ habe ich so noch nicht kennengelernt und scheint mir, eine Wortneuschöpfung für diesen Film zu sein, in dem die Interviewpartner*innen sich vor allem davon lösen möchten, dass bei dem geläufigeren Begriff „Kinderlos“ mitschwingt, dass ihnen etwas fehlen würde, dass mit dem „-los“ ein Defizit akzeptiert wird, das sie aber eigentlich gar nicht empfinden.

Den Titel me time begründete die Regisseurin gestern Abend damit, dass sie bei ihrer Recherche zu dem Thema darauf gestoßen ist, dass genau dies ein zentraler Aushandlungspunkt zwischen den Menschen ist, die sich gegen, aber auch denjenigen, die sich für Kinder entscheiden, nämlich die Frage: Wie viel me time möchten sie in ihrem Leben haben / brauchen sie für ihr Leben?

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Die sechs Personen, die von Ayla für ihren Film interviewt wurden, sind Freund*innen aus ihrem persönlichen Umfeld und ihnen allen, auch Ayla selbst, war während der Produktion nicht klar, dass dieser Film nicht nur für eine Jury produziert und von ihr angesehen wird, sondern dass es im Rahmen der Preisverleihung, damals 2022 in Wuppertal, auch eine öffentliche Vorstellung geben würde. Ayla beschrieb gestern Abend sehr anschaulich, wie sie damals und auch noch einige Male danach, wenn ihr Film in einem Kino einer Öffentlichkeit gezeigt wird, Angst davor hat. Sie schilderte, dass sie Angst vor Protesten und Protestaktionen gegen ihren Film, aber auch gegen ihre Person hat. 

Diese Angst kennt tatsächlich jede Person, die sich in einer größeren oder kleineren Öffentlichkeit dazu äußert, dass mit einer Gebärmutter geborene Menschen eine Wahl haben sollen, eine Wahl, selbst zu entscheiden, ob sie diese Funktion in ihrem Leben nutzen möchten oder lieber nicht. Und diese, offensichtlich sehr provokante Frage stellt Ayla in ihrem Film noch gar nicht mal direkt, die stelle ich!

Ich finde es immer noch massiv erschütternd, dass diese simple Frage, diese Frage nach einer „freien“ Entscheidung über den eigenen Körper – denn ein Körper, heutzutage gleichbedeutend mit einem Individuum, ist ja immer symbiotisch mit dieser Gebärfähigkeit einer Gebärmutter verbunden – so viele negative Gefühle auslöst. Es wird Hass beschrieben, es werden wüsteste Beschimpfungen und empörte Ausrufe, Anklagen und persönliche Angriffe beschrieben von Menschen, die sich in einer Öffentlichkeit nicht gesellschaftskonform dazu äußern oder auch nur in Frage stellen, ob sie die Funktion ihrer Gebärmutter in ihrem Leben benutzen möchten. 

Die Fragen und Kommentare aus dem Bonner Publikum zeigten, dass dort junge Menschen waren, die sich genau mit dieser Frage auch gerade beschäftigen und sie äußerten, wie schwer es ist, damit ernstgenommen zu werden in ihrem persönlichen Umfeld. 

Eine Person in der Schlange vor dem Kino beschrieb diesen Umstand für sie so: „In meinen linken Bubbles kann ich darüber reden und mich austauschen, ob ich vielleicht keine Kinder bekommen möchte, aber sobald ich in meiner Familie darüber spreche, wird mir gesagt, dass ich mal abwarten solle, dass ich das noch gar nicht entscheiden können. Ich werde nicht ernstgenommen, insbesondere von älteren weiblichen Verwandten.“

Die Diskussion nach dem Film gestern Abend zeigte, dass dort auch verständnislosere Menschen zugegen waren, die anprangerten, dass nicht auch das Erfüllende einer Mutterschaft in diesem Film gezeigt wird. Die Regisseurin sagte dazu: „Alle Filme und Serien, mit denen ich aufgewachsen bin, enden mit Hochzeit oder glücklicher Schwangerschaft. Das ist das Happy End und suggeriert mir: Das habe ich auch zu erreichen. Mein Film soll Lebensentwürfen einen Raum geben, die sonst kaum gehört werden. Es ist der erste (Kino-)Film über kinderfreies Leben.“

Meine Leser*innen, die mich vielleicht schon eine Weile kennen, wissen, dass ich zu diesem Thema eine sehr klare Position habe, dass ich ein Mensch bin, die sich einmal in ihrem Leben für die Funktion ihrer Gebärmutter entschieden hat und seitdem damit hadert, wie diese Entscheidung mein Leben verändert hat und wie ich zu der zentralen Frage nach der me time trotzdem kommen könnte oder ob ich für immer gezeichnet bin von dieser Fehlentscheidung.

Für mich persönlich interessant war an dem Film gestern, dass eine Person darin beschrieb, wie ihre Freund*innen sich plötzlich (so ab Anfang 30) mit dem intensiven Bedürfnis nach einem Baby konfrontiert fühlten, wie eine Sehnsucht, ein körperlich beschriebenes Bedürfnis wahrgenommen wurde, ein Kind bekommen zu wollen. Sie bezeichnete das als eine Art „Hunger“, was ich sehr treffend fand.

Ich kenne dieses Gefühl nämlich. Ich weiß noch sehr genau, wie meine Gebärmutter in meinen Mitte 30igern immer vernehmlicher wurde, wie sie immer lauter zu schreien schien, dass ihre Funktion langsam abliefe und sie aber unbedingt genutzt werden müsste. Ich weiß noch, dass ich mich Hals-über-Kopf in einen wirklich schwierigen Typen verguckte und völlig entgeistert davon war, wie intensiv meine Träume und Gefühle zu diesem zeugungsfähigen Menschen waren und wie klar ich das auf meine Körpermitte zurückführen konnte. 

Wie ihr wisst, habe ich ein Kind bekommen, bin dem Drängen meines Körpers nachgekommen (allerdings mit einem anderen Typen) und frage mich seitdem, was genau mich damals eigentlich „geritten hat“?! 

Seit ich mich so langsam in den Wechseljahren befinde und mich mal wieder mit den Auswirkungen meiner Gebärmutter beschäftige und über Hormone und Langzeitwirkungen informiere, dämmert mir immer stärker die Befürchtung, dass ich einem Hormoncocktail erlegen bin, einem körpereigenen Drogengemisch, das mich damals überlistet und danach völlig im Stich gelassen hat.

Denn wie ihr vielleicht wisst, habe ich nach der erfolgreichen Zeugung dieses Babys zu keinem Zeitpunkt mehr im mothering ein irres Glücksgefühl, das Leid-ausgleichende glückselige Empfinden, das einem in besagten Serien und Filmen und allen anderen Zusammenhängen rund um Babys immer versprochen wird, wahrgenommen.

Ich fühle mich dahingehend ganz schön betrogen; von der Gesellschaft, aber auch von meinem Körper. 

Denn mein Körper braucht viel me time, aber das hat er damals offensichtlich mal völlig ausgeblendet und jetzt hadern wir fast täglich mit dieser Entscheidung.

Und, wie Pia (eine von mir sehr nah empfunden Person) in einem Interview aus dem Film ausdrückte: Diese Entscheidung kannst du nie wieder zurücknehmen. Egal, was du tust und wie du dich danach in deinem Leben weiter entscheidest, aus dieser Nummer kommst du nie wieder raus.

Und nein, derzeit auch noch nicht nach 18 Jahren; wenn du mehr von mir dazu lesen möchtest: mothering von GenZ – Hängend auf Mamas Sofa 😉

Meine Fazit aus fast vier Jahren Blogging zum mothering sind drei Schlagworte: Schuld, Scham und Verantwortung!

Und das oben erwähnte Tabu kann ich euch auch gerne noch einmal aus meiner Perspektive zusammen fassen: Es hat noch nie in der Menschheitsgeschichte, egal welchen Landes oder welcher Zeit, einen Gebärmutterstreik gegeben, Sexstreiks ja, die gab es schon, aber noch nie ist die Frage nach der Verfügungsgewalt über eine Gebärmutter öffentlich gestellt, geschweige denn diskutiert worden.

 

Weitere Informationen zum Film:

  • Wettbewerb: Wenn dich der Wettbewerb, für den Ayla Yildiz den Dokumentarfilm ursprünglich gedreht hatte, näher interessiert, findest du einen kritischen Artikel dazu unter: https://taz.de/Frauenfoerderung-bei-Arte/!5727493/
  • Weitere Filmvorführungen von me time:
  • 10.12.25 im Le Sabot, Bonn
  • 19.02.26 – 15.03.26 wird Ayla Yildiz im Kult41 (Bonn) eine Ausstellung zu ihrem Film zeigen (Fotos aus dem Film mit Zitaten), die mit einer Finissage am 15.3.26 enden wird, bei welcher der Film auch noch einmal gezeigt werden wird.
  • Ansonsten kann ich die DVD sehr empfehlen, die du dir sicherlich über die Homepage besorgen kannst, dort gibt es auch die Möglichkeit von streaming Diensten: https://metime-movie.com/

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