vonfrida 27.08.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Der Sommer bringt Leichtigkeit. Alles fühlt sich unbeschwerter an durch die Wärme. Menschen gehen raus, tuen Dinge, die Freude machen. Aufregendes wird erlebt, Spaß und Freude mit anderen geteilt, es wird getanzt und gerauscht. Die Dunkelheit ist kürzer und lädt zu Aktivitäten ein. Laue Nächte und freie Zeit, Urlaube und Reisen.

Gerade jetzt, wo die Leichtigkeit des Lebens empfunden werden kann, wollen wir über den Schmerz sprechen, will ich über Schmerzen schreiben. Weibliche Schmerzen, denn die kenne ich.

 

Lebensschmerz

Unsere westliche Zivilisationsgesellschaft hat den Schmerz überwunden. Er kommt eigentlich nicht vor, dachte ich.

Dann beobachtete ich den Schmerz an meinem Kind, denn kleine Kinder dürfen nicht einfach Schmerzmittelchen nehmen. Zahnungsschmerzen: ein Zahn bohrt sich durch die zarte Schleimhaut ins Freie. Wachstumsschmerzen: die Knochen ziehen sich auseinander und schmerzen insbesondere in den Ruhephasen der Nacht. Unfälle durch Unbeholfenheit: die Kinderärztin begutachtete zufrieden die blauen Flecken und Schrammen an Knien, Beinen und Armen bei einer der vielen Us. 3-Monats-Koliken und anderes Bauchweh: der Verdauungstrakt muss erst lernen, unsere Nahrung zu verarbeiten.

Leben bedeutet Schmerz, zumindest am Anfang und wie ist es eigentlich danach?

 

Weibliche Körper

Viele Menschen plagen sich all monatlich mit Menstruationsschmerzen herum, der Aufbau und das Abreißen der Schleimhaut kosten Kraft. Manche empfindet das Ziehen des Eisprungs unangenehm krampfend. Die Haut muss sich an die Schwere der Brüste gewöhnen. Und hast du jahrzehntelang BHs getragen, müssen sich deine Brustwarzen schmerzhaft wieder an schubbernde Kleidung gewöhnen, willst du den BH ablegen.

Geburt- und Stillschmerzen wären nochmal eine ganz eigene Betrachtung, die hier nicht ausgebreitet werden soll. Denn es geht um den Alltag, es geht mir um die Negation des Schmerzes in unserer Gesellschaft.

In der Jugend erfahren viele den Schmerz als vertrauten Begleiter, um sich überhaupt noch lebendig zu fühlen. Die Narben an Armen und Beinen scheinen häufiger bei weiblich sozialisierten Menschen zu finden zu sein.

Das erste Mal blutet die Yoni, wenn auch häufig ohne wahrgenommenen Schmerz. Als Schmerzhaft wird häufiger die Folge von rubbelnder Penetration oder auch bei unpassenden Größenverhältnissen empfunden. Ganz zu schweigen von der Notwendigkeit der Sex-Nachsorge, die frau erst im Laufe ihrer Sexualität „heimlich“ lernt: Vaginalzäpfchen mit Milchsäurebakterien, Gel gegen Übersäuerung und bakterielle Infektion oder direkt die Pilzzäpfchen und -salben, das Abpinkeln nach der Penetration und erst recht nach einem Erguss.

Ich bin gespannt, was das Ende der Menstruation noch bereit hält…

 

Fickbar werden, sein und bleiben

Kosmetische Schmerzen finden sich bei den Ansprüchen nach dauerhaft glatter Haut und anderem inzwischen bei allen Geschlechtern und je nach Kulturkreis unterschiedlich ausgeprägt. Auch was andere gängige Schönheitsnormen angeht, wird jungen Menschen nichts erspart und kommt das Altern, wird noch mehr unters Messer gelegt. Der Markt ist eröffnet.

Die pragmatisch verschriebene Pille hält für einige Patientinnen ebenfalls unangenehme Nebenerscheinungen bereit. Die Forschung nach der Pille für den Mann wurde übrigens eingestellt wegen der „unzumutbaren“ Nebenwirkungen.

Andere höchst populäre Verhütungsmittel, natürlich nur für die Yoni-Menschen zu leisten, wie Spiralen verschiedenster Ausführungen halten weitere Schmerzerfahrungen bereit.

Und nicht zuletzt die immer gesellschaftlich heimlich mit kalkulierte Option der ungewollten Schwangerschaft. Denn eine Vasektomie bekommt Frau erst nach 40 und bei mindestens schon einem Kind überhaupt in Aussicht gestellt. Jüngere Frauen dürfen über ihren Körper in dieser Hinsicht nicht selbst entscheiden, sondern haben den körperlichen Schwangerschafts- und Geburtsschmerz oder zumindest den emotionalen Schmerz bei Schwangerschaftsabbruch selbstverständlich zu ertragen. Frag mal deine Frauenärztin. Du wirst dich wundern…

Als weiteren Bereich gibt es da noch den emotionalen Schmerz, das gesellschaftliche Ideal von Liebe, Romantik, Beziehung zu betrachten: muss Liebe weh tun, um „echt“ zu sein; müssen Beziehungszustände ausgehalten werden; müssen Regeln und Modelle allgemeingültig akzeptiert und ausgehalten werden; muss beim Ficken immer ein emotionaler Bindungswunsch empfunden werden; sind (romantische) Gesten der Ersatz für das Fühlen und Jährungen werden nach vorgeschriebenen Abläufen zelebriert in der Wahren Liebe; muss die Wertschätzung in Konsumgeschenken gemessen werden; müssen empfundene Verletzungen allein im stillen Kämmerlein ertragen werden… um nur mal ein Paar der vielen Normen an Liebe und Sexualität aufzuzählen.

 

Mit Schmerzen brüsten

Angeblich hält der weibliche Körper biologisch betrachtet mehr aus. Ich finde diese Verwissenschaftlichung schwierig, weil das Schmerzempfinden bei Menschen völlig unterschiedlich scheint. Trotzdem ist es ein gesellschaftlich akzeptierter Fakt, der häufig mit dem Aushalten des Geburtsschmerzes untermauert wird.

Trotzdem brüsten sich besonders harte Jungs damit, wie viel Schmerz sie aushalten können, was ihre Körper ertragen, welche Narben sie jeweils davon getragen haben.

Auch das Eingehen von Risiken um körperliche Schmerzen wird besonders an männlich sozialisierte Menschen herangetragen.

Weibliche Körper leben im Alltag mit ihrem Schmerz unbemerkt, manche haben zufällig Glück und wenig Probleme damit.

Jedenfalls ist es unangebracht für weiblich gelesene Menschen, Schmerzen zu haben, ihren Schmerz auszudrücken, ihren Schmerz zu thematisieren, Schmerz zu suchen, Schmerz zu empfinden oder gar davon zu erzählen.

 

Schmerz im Leid verehrt

In unserer Kultur finden wir den Schmerz des jungen Mannes, das Leid über seine gesellschaftliche Existenz, egal, ob wir Schillers Helden, den jungen Werther oder Cobain betrachten. Wir wissen um die Anbetung dieser verzehrten Gestalten, um die ergreifende und nachahmungsvolle Begeisterung für solche Leben bzw ihr Nicht-leben-wollen.

Doch wo hat das eigentlich Platz in der Emanzipation?

Hier steht immer das Machen im Vordergrund, das Gestalten, Betrachten, Definieren, Erklären, Begründen, Fordern, Durchsetzen, Für-Eintreten, Überzeugen usw. Der Anspruch nach einem produktiven Umgang.

Deshalb frage ich: Wann dürfen auch weiblich sozialisierte Menschen ihrem Schmerz erliegen, im Leid verrecken? Und werden sogar noch dafür gefeiert?!

Doch nur als Hexe auf dem Scheiterhaufen.

 

Frida Kahlo

Ich bin begeistert, wie populär sie inzwischen ist, auf Postkarten, Tassen, Handtaschen, Kissen wird sie, werden ihre Porträts, ihre Augen abgebildet und offensichtlich gekauft und betrachtet. Sie ist eine der wenigen Frauen, die ihr Leid, ihren vielfältigen Schmerz künstlerisch ausgedrückt und für uns nachvollziehbar abgebildet hat. In ihren Werken sehe ich nicht nur ihren körperlichen Schmerz, ihre bröckelnde Wirbelsäule, ihren schmerzverzehrten Körper, sondern auch ihren seelischen Schmerz über ihre Weiblichkeit. Ganz ungeniert stellt sie ihren gekrümmten Körper, ihr Blut, ihre Blutung, ihre Auseinandersetzung mit dem Tod, ihr umfassendes Leid in ihren Bildern dar.

Jede Zeit, jede persönliche Lebensgeschichte hat ihre Ausdrucksweise der marginalisierten Weiblichkeit.

Betrachte dies als Aufforderung, deine Kräfte nicht damit zu vergeuden, dich an den zumutbaren Grenzen deiner Gesellschaft aufzureiben. Lass die Bewertungen los, fühle hinein und finde deinen Ausdruck, drück deine Empfindung deiner marginalisierten Rolle aus. Erzähle uns davon, schreib ein Gedicht, mach einen Rap, schluchze laut, schrei deinen Schmerz hinaus in diese Welt.

 

Wie immer biete ich keinen Ausweg. Ich stoße an oder zeige auf. Nimm dir, was du brauchst und vergiss den Rest.

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