vongnu 30.09.2019

GNU – Literarische Grotesken

Damals wie Heute das zynische Lächeln über die menschliche Irrfahrt. | © Fabian Fox Fotografie

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C. Manello lädt ein. Teezeit.
Anwesend sind die Herren, William Seward Burroughs, Alfred Lichtenstein, sowie Carl Einstein.

C. M.: Meine Herren, ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind.

WSB: Einladung? Ist mir entgangen. Für gewöhnlich verweile ich hier, um mir ein Tässchen Tee zu genehmigen.

AL: Sie leben noch Burroughs?

WSB: Sehr verwundert darüber. Aber scheinbar ja. Es muss an der Luft liegen.

C. M.: Offensichtlich. Tee?

WSB: Was?

C.M.: Tee?

WSB: Haben Sie Honig?

C. M.: Bestimmt.

WSB: Im Honig liebt der Zauber. Ohne Honig ist der Tee leer, auch nur heißes Wasser.
Kenne ich Sie eigentlich?

C. M.: Wohl kaum. Deswegen sind wir ja auch hier. Tee?

Carl Einstein gießt sich in ein Porzellantässchen und lässt den kreisenden Löffel leise klirren.

WSB: Ich kenne Sie immer noch nicht.

AL: Deswegen sind wir ja hier.

WSB: Sie kenne ich, auch wenn van Hoddis, ungemein besser war. Und Sie? Kenne ich Sie? Ich bin mir nicht sicher?

C. M.: Ich bin Dichter.

WSB: Das dachte ich mir, deswegen sind wir ja auch hier, oder nicht?

AL: Die Frage sollte lauten, was erhoffen Sie sich?

C. M.: Inspiration. Burroughs, wenn Sie sagen, dass die Sprache ein Virus ist, das in latenter Symbiose mit dem Menschen, da nicht als solches wahrgenommen, vegetiert, so glaube ich, dass dieses Instrument gezähmt und von wenigen beherrscht, als Mittel zur Unterdrückung der Massen eingesetzt wird. Ich glaube nicht an den spektakulären Charakter einer offenen Revolution, eher an die Implosion einer sich verdichtenden Kugel aus Trugbildern, die letztendlich, das, was wir sind, von innen aufrisst. Die Revolution passiert eben in der Nicht-Revolution oder die Hypnose, im Stillstand oder der wiederkehrende Alptraum in der Wiederholung. Egal, der Virus strebt nach Stagnation, bis von seinem Wirt nur noch ein Gerüst aus Keratin übrigbleibt. Eine leere Welt wird die Folge sein, wie in diesen Westernfilmen, in denen Ballen aus toten Pflanzenmaterial vom Winde durch die gottverlassenen Straßen geweht werden. Nur hier sind es eben Kalkskelette, die davon künden.

Carl Einstein rückt sich sein Monokel zurecht und mustert die Buchstabensuppe.

WSB: Mein Gott, wie pathetisch. Ihnen geht es sicher gut?

C. M.: Wir haben neben den alten Opiaten, neue in den Laboren entdeckt. Der Virus hat neue Ausdrucksformen gefunden. Doch die Prinzipien verhalten sich zeitlos und bedienen das Schemata F von Religionen. Geräte mit Strahlung, die unsere Weichteile perforieren und die Brücke reißt ab. Das Flimmern der Bildschirme ist allzu stimulierend.

WSB: Dann würden Sie die Brücke als Stairway to Heaven bezeichnen oder da ich sie als blasphemischen Menschen einschätze als Utopia. Vernünftiger Denkansatz.

C. M.: Mich hält nichts in der Einsamkeit. Deswegen bin ich jetzt hier, sozusagen am der »Das Doppelte-ICH« Hangar, um hier im Exil mit ihnen zu plaudern und gewissermaßen mit dem passenden Aktivimpstoff zurückzukehren.

AL: Dann sind sie ein Fortschrittsgegner? Sehen Sie die positiven Aspekte des Viruses.

WSB: Der »Das Doppelte-ICH« Hangar. Ich war meinerzeit für längere Zeit in Tanger. Diese Region ist mir gänzlich neu. Ein guter Ort, um alt zu werden. Vermutlich kennen sie keinen Tot hier oder die Atmosphäre kommt ganz und gar ohne giftige Dämpfe aus oder ich bin das Atomdouble, des toten Seward Bs und wir sind uns kognitiv zu ähnlich, sodass ich die Verwechslung bis jetzt noch nicht konstatieren konnte.

AL: Tot sein hat durchaus auch positives. Ich mag die Spannungsverhältnisse. Jeder Zustand hat sein für und wieder. Wo ich mich jetzt erneut einer Tasse Tee und eines Bewusstseins erfreuen kann, spüre ich ein Stechen in meinem Brustraum. Das muss der Phantomschmerz sein. Dort waren einst meine Innereien. Der Phantomschmerz ist nicht wirklich da. Ich glaube nicht, dass ich wirklich atme. Der Phantomschmerz ist das Leben. Wobei wir trinken gerade Tee?
Einstein, was sagen Sie dazu, Philosophie ist doch ihr Gebiet, nicht wahr?

CE: Ich habe kein Gespür für eine belanglose Konversation. Und es ist mir eben kein Bedürfnis! Die Knigge bedurfte meine Anwesenheit.

AL: Wir haben zusammen gelesen. Es war der Höhepunkt meiner Karriere. Ein kluger Mann, ich war sozusagen die Vorband, damals, bevor ich jung und unverhofft verstarb. Ich bitte Sie Carl! Der alten Zeiten wegen?

CE: Alles was ich zu sagen habe, steht in meinem Bebuquin.

AL: Das Buch ist ein Wunder.

WSB: Artifizieller Dilettantismus.

AL: Sie haben diesen Begriff auf ein neues Level gehievt, William. Haben Sie es gelesen?

C. M.: Ich bin ein riesiger Fan.

AL: Sie haben es gelesen?

C. M.: Mehrmals, doch zugegebenermaßen nicht ein Wort verstanden.

AL: Geteiltes Leid.

WSB: Anarchismus. Lass mich raten.

AL: Sie haben es gelesen?

WSB: Nein, aber es geht aber immer um Anarchismus. Immer.

C. M.: Deswegen sind wir hier?

WSB: Ich bin hier, weil es umsonst Honig gibt.

AL: Sie wollen etwas bewirken?

C. M.: Ja.

AL: Warum sind sie dann so untätig in unserer illustren Runde? Da unten braucht es die revolutionäre Kraft des gedruckten Wortes.

C. M.: Ich ersuche Inspiration.

WSB: Für die Revolution oder für die Feuilletons.

C. M.: Ich glaube, der Mensch ist gescheitert. Wir haben die Anarchie verraten und sie freiwillig durch den Kapitalismus abgelöst.

Carl Einstein scheint etwas interessantes in der Buchstabensuppe gefunden zu haben.

CE: Das müssen Sie mir erläutern, Jimmy.

C. M.: Charlie.

WSB: Also für die Feuilletons! Ich kann es ihnen nicht verübeln, ich hatte stets eine große Affinität zu dieser klugen Erfindung der Kulturindustrie.

C. M.: Also der Mensch ist mit dem Anarchismus gestartet, als das Leben noch neu für Sapiens war. Stück für Stück wollte er sich sein Dasein erleichtern und die Plackerei, durch die Simplizität der Bürokratie ablösen. Mit Struktur wurde vieles einfacher und der Wohlstand kam. Aber nicht für alle.
Wie auch immer, wenn es uns gelingt, die große Uhr zu stunden, dann sind wir wieder dort, wo wir waren. Doch der Mensch ist zu komplex und zu hoch entwickelt. Er wird nach und nach, Schlupflöcher finden, um die Anarchie auszuhöhlen und die alte Ordnung wieder aufzubauen. So steht es in unserem vorprogrammierten, genetischen Baukasten. Die menschliche Natur. Wir können nicht anders.

WSB: Schreiben Sie für die Feuilletons, mein Lieber. Sie können Karriere machen.

C. M.: An sich verabscheue ich intellektuelle Pamphlete. Ihre Persiflagen auf die vorherrschende Ästhetik sind grandios, Alfred.

AL: Um sie zu verstehen, muss man zuerst das kennen, was karikiert wird und das erfordert wiederum einen scharfen Intellekt. Ich habe leider nicht allzu lange im Wohlstand gelebt, um Gedanken, über derartige unlösbare Fragen und Problematiken, anzustellen.
Meine Gedanken waren universeller Natur. Mir fehlte nur die Zeit, um sie auszuformulieren. Es blieben Notizen.

C. M.: Das Fragment muss massenkompatibel werden. Es benötigt nur den Gedanken des Anstoßes. Die Zeilen gilt es mit dem eigenen Leben zu füllen.

WSB: Da bleibt dann aber wenig für die Ewigkeit. Schustern sie ihre Bruchstücke zusammen und preisen den Flickenteppich als Roman an.

C. M.: Wenn sich die Ewigkeit mit ein paar Jahrhunderten bemessen lässt, stimme ich Ihnen zu.

WSB: Schauen Sie mich an! Ist das keine verlockende Vorstellung, ay. Wenn nichts mehr bleibt, ist nur noch das Wort im leeren Raum, ihr Wort, vorher sicher im Vakuum verpackt, wenn der Rest in der Hitze versengt. Und da draußen gibt es noch andere. Dessen sind sie sich doch gewiss oder? Wir sind schließlich das beste Beispiel. Und die studieren Manello. Manello ist das neue Atlantis. Denn es gibt im Weltraum nichts mehr mit Tiefgang und von der Erde bleibt nur noch Staub. Ihre Abschrift zwischen den Geisterschiffen voll mit toten Astronauten. Ist das nicht eine packende Vision, hähh? Die Manell´sche Sphinx. Ihre Literatur. Natürlich würden Sie dieser Rolle niemals gerecht werden. Wir reden nur rein hypothetisch, reine Gedankenspaziergänge. Aber ewig währende Kunst, selbst wenn wir davon nicht mehr in den Genuss weltlicher Vorzüge kommen, dass hat etwas religiöses, finden Sie nicht? Das gefällt doch sogar den selbstlosesten unter uns, oder? Einstein geben Sie zu, sie genießen ihren Status als Prophet der Avantgarde. Deswegen ist der Bebuquin doch auch der, der er ist. Mit Dilettantismus kommt man nicht weit oder soll das gerade, das eigentliche Wunder sein? Es ehrt sie ungemein, dass Sie die Bibel des Untergrunds geschaffen haben, nicht? Der Feuilleton reicht doch vollkommen aus, um von ihm fett zu werden. Lass die Massen den Klassenkampf zelebrieren und die Anonymen, flammende Reden, für ihre Populisten schreiben.

CE: Mein Buch ist eine Gebrauchsanweisung, das keine Gebrauchsanweisung sein will. Es ist alles und nichts. Der kryptische Charakter lässt Interpretationsfreiheit zu. Ich plädiere an den eigenen Willen. Meine Lektüre ist Meditation. Entschlüsse kommen von innen und nicht von der Bibel.

AL: Er ist der reine Idealist. Es gibt wenige, aber es gibt sie, die unabdingbare Haltung.

WSB: Manello, dann nur wir beide. Ich merke, dass nur wir zwei imstande sind, um über diese Dinge zu referieren. Sie verstehen mich? Und geben Sie zu, diese Geschichte mit der Sphinx, verdammt, mein Freund, wir können uns nicht belügen, sie haben es doch vorher selbst so plakativ mit ihrem Baukastenparabel verbalisiert!?

C. M.: Ich habe eine verdammte Schreibblockade.

WSB: Dann sind sie doch auf den besten Weg, um diese zu überwinden. Schreiben, ja, schreiben sie, schreiben sie irgendetwas. Lernen sie die richtigen Kritiker kennen und schätzen und schon sind sie Künstler. Schmeißen Sie ihnen etwas hin und sie werden es fressen.

C. M.: Soll ich noch eine Kanne Tee überbrühen?

Carl Einstein rückt sein Monokel zurecht sein Geist verlässt die Klamotte.

WSB: Sie sind zu schwermütig. Das ist ihr eigentliches Problem. Sie schreiben über vieles und geben vor, zu sein, von dem sie keinen blassen Schimmer haben.

C. M.: Ist das nicht die eigentliche Kunst! Ich weiß, dass bei Ihnen hier die Grenzen fließend waren, Burroughs!

WSB: Leben Sie Manello! Ja, leben Sie. Machen sie ihre Erfahrungen, werden sie authentisch. Wie alt sind sie?

AL: Schätze um die 50.

WSB: Dreißig. Tun aber so, als ob. Sie müssen in Ihren jungen Jahren nicht alles verhandeln. Mein Appell, auch wenn sich die Gefühle im Moment so pur anfühlen. Alles naiv und man wird situiert. Schaue mich an, ich wurde es und machte dort weiter, wo andere in jungen Jahren verbrannten. Ich bin wie ein guter Wein und reife mit dem Alter.

C. M.: Es geht nicht, um ihre Schriften, es ist ihre Person.

WSB: Deswegen, zum letzten mal, leben Sie. Mein Leben bleibt in Erinnerung, nicht meine Schriftstücke. Schreiben können Sie im Altersheim, wenn sie erst einmal im Rollstuhl ihre Zeit zubringen, hat diese eine ganz andere Bedeutung und sie würden sich innigst wünschen, nicht zuvor ihre Ladung verschossen zu haben. RAUSCH. Hören Sie, bei diesen Verhältnissen können wir uns betäuben.

C. M.: Rausch, um des Rausches Willen, nenne ich Sucht.

WSB: Sucht ist spannend, ein schönes Mittel und Ausweg, wenn kein Liebhaber zur Hand ist. Und Süchte können eine langweilige Biographie nur aufwerten.
Sie sind, wie wir, zum Scheitern verurteilt. Ich bewundere Sie. Gehören Sie nicht zum Klub der Looser. Danke für die Einladung. Im Honig liegt der Geschmack, jetzt schmecke ich nichts mehr. Au revoir oder besser nicht Au revoir. Ich will sie hier nicht mehr sehen.

AL: Sie wissen, welchen Auftrag wir Ihrer Generation aufgetragen haben. Ein Jahrgang war bemüht, der andere hatte Glück, dass die Uhr noch nicht zwölf schlug. Es sind ein paar Minuten.

CE: Vermeidet den Phantomschmerz der Menschheit. Wir brauchen mehr Modellcharakter im Großen. Lasst uns die Schwerkraft außer Kraft setzen.

AL: Der Phantomschmerz ist die Sehnsucht, die wir niemals stillen werden können. Der Phantomschmerz ist das Weltliche, der Herbst und der Kuss. Es zieht vorbei, schnell, wie in einem Spielfilm. Danach ist das Aufrollgerät zerstört. Doch einzig dieser nicht erlebte Moment, ist er jemals zum Greifen nah, kann das Gefühl vermitteln, das Wirken der Unendlichkeit mit süßer Schokolade aufzuwiegen.

C. M.: Dann werde ich jetzt gehen, zurück, wo es keine Geister mehr gibt, weil alle Gespenster sind. Wir sind nicht für das Weltall bestimmt. Ich weiß auch nicht, wie ich in diese große Halle gekommen bin.

AL: So groß ist es hier nicht. Und Walhalla ist es definitiv auch nicht. Ich weiß es, weil Burroughs hier ist.
Vielleicht war es auch nur der Tee, der sie gelockt hat.

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