von 10.07.2013

taz Hausblog

Wie tickt die taz? Das Blog aus der und über die taz mit Einblicken, Kontroversen und aktuellen Entwicklungen.

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Vor zwei Wochen blieb bei der Protestaktion noch Platz auf dem Gehweg für Passanten - jetzt könnte es eng werdenDer Protest gegen den Rassismus der taz gewinnt an Fahrt: Für das zweite „taz watching“ haben auf Facebook bereits 32 Personen zugesagt. Zu der ersten Aktion vor zwei Wochen kamen lediglich rund zehn Menschen. Morgen wollen die Anhänger der Initiative „taz watch“ sich wieder von 12 bis 14 Uhr vor dem taz-Café in der Rudi-Dutschke-Straße treffen und die Redakteure dabei beobachten, wie sie Paella mit Muscheln, Gambas und Seelachs essen. In dem Protestaufruf auf Facebook heißt es: „schauen wir durch die Fensterfront des tazcafés, das auch Eingang zur Redaktion ist, und stehen ein für unsere Sache, für unser Recht, für die verwehrte Augenhöhe. Wir bleiben friedlich und bedeuten damit u.a. der taz, dass sie sich bewegen muss!!!“

Die Auseinandersetzung entzündete sich ursprünglich, als taz-Redakteur Deniz Yücel am 20. April auf einer Podiumsdiskussion einen Abschnitt aus der Rede „I Have a Dream“ von Martin Luther King vorlas und dabei zum wiederholten Mal das umstrittene N-Wort aussprach. Bei der Diskussion mit dem Titel “Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen” sollte es um Sprache, Diskriminierung und Zensur gehen. Die Stelle, an der es zum Eklat kam, ist im Audio-Mitschnitt im Teil 4 ab Minute 9.20 zu hören, hier ein Transkript:

Triggerwarnung: Rassistische Sprache

Deniz Yücel: “Und dann habe ich hier noch ein letztes Zitat für heute: ‘Aber einhundert Jahre später ist der Neger immer noch nicht frei. Einhundert Jahre später ist das Leben des Negers leider immer noch von den Handfesseln der Rassentrennung und den Ketten …’”

Zwischenruf aus dem Publikum: “Sag doch einfach ‘N-Wort’!”

Deniz Yücel ruft: “Ich sage was ich will! Und ich lese den Text so vor …”

Weitere Zwischenrufe

Deniz Yücel ruft: “Sag mal! Entschuldigung! Das könnt ihr vielleicht an der Universität machen, ich lasse mir das Wort hier nicht verbieten!”

Deniz Yücel brüllt: “Du kannst gerne vor die Tür gehen!”

Deniz Yücel sagt: “So. Und ich lese diesen Text so, wie er geschrieben wurde! ‘Und den Ketten der Diskriminierung …”

Zwischenrufe: “Sag das Wort nicht! Sag das Wort nicht!”

Deniz Yücel ruft: „Geh bügeln! – ‘Einhundert Jahre später – Einhundert Jahre später lebt der Neger immer noch auf einer einsamen Insel der Armut in der Mitte eines weiten weiten Ozeans des materiellen Wohlstands.’ Eine Passage aus Martin Luther Kings berühmter Rede ‘I have a Dream’…“

Weitere Zwischenrufe

Deniz Yücel: “Wir sind hier aber nicht an der Universität und wenn jetzt die versammelten Kulturwissenschafts-Spackos den Saal verlassen, dann können wir diese Veranstaltung in Ruhe zu Ende führen. Ist noch wer da, dann bitte jetzt gehen, es ist jetzt die Gelegenheit! Hallo, Du auch bittesehr, da ist die Tür, oder der Ausgang!”

Auch Sharon Otoo, Mitglied im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland e.V., verließ das Podium.

Deniz Yücel schrieb anschließend in der taz über die Zwischenrufer: „Es ist dies ein zwangsneurotisches Verhalten, das man weniger bei aufgeklärten Menschen, Intellektuellen gar, vermuten würde und das an ganz andere Leute erinnert: An katholische Nonnen, die versehentlich auf Youporn gelandet sind (‚Weiche, Satan!‘). Oder an Hinterwäldler in Pakistan, die mit Schaum im Bart und Schuhen aus Autoreifen an den Füßen gegen Karikaturen protestieren (‚Death to Amerikka!‘). Ähnlich ist nicht nur der religiöse Abwehrreflex, ähnlich ist auch der inquisitorische Furor, mit man zu Werke geht. In diesem Zusammenhang also: Das Wort ‚Neger‘ ist schlimm, schlimm, schlimm und muss weg, weg, weg.“

Sharon Otoo antwortete in der taz: „Das N-Wort ist traumatisierend, ruft grausame Erinnerungen und gewaltvolle Bilder hervor. Es wurde damals benutzt, um die Versklavung von Millionen von Afrikaner_innen zu legitimieren.“ Ihr sei natürlich klar gewesen, dass das Wort in der Veranstaltung vorkommen würde, aber sie habe nicht gewusst, dass es so häufig sein würde. Otoo: „Trotzdem bin ich erst aufgestanden, als Herr Yücel anfing, das Publikum lauthals zu beschimpfen. Ich bin gegangen, weil ich nicht mehr Teil einer so respektlosen, verhöhnenden Diskussion sein wollte.“ Sie wolle niemandem etwas verbieten, dazu habe sie ja auch gar keine staatliche Gewalt, sie wolle jedoch aufrufen: „Wenn ich für eine gendergerechte und rassismusfreie Sprache plädiere, dann, weil ich andere – und mich selber – für die eigenen Privilegien zu sensibilisieren versuche. Auch mittels Sprache kann ich mich solidarisch zeigen und es kostet mich wenig. Die möglichen ästhetischen Kosten (dieses Binnen-I sieht so hässlich aus!) erscheinen mir als das kleinere Übel gegenüber den Zumutungen, denen marginalisierte Menschen sonst täglich ausgesetzt sind. Sie haben keine Wahl.“

Chefredakteurin Ines Pohl und der Leiter des taz.labs, Jan Feddersen, haben gemeinsam ihr Bedauern öffentlich gemacht. Die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland warf Deniz Yücel in einem offenen Brief vor, er habe den Kolonialismus verharmlost, Genozide relativiert und sich als Moderator respektlos verhalten. Die Initiative verurteilt erneut die Benutzung des N-Wortes. Der Begriff werde “nach wie vor im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen und Alltagsdiskriminierung gegen Schwarze Menschen in Deutschland verwendet” und sei “integraler Bestandteil rassistischer Konzepte” gewesen. Es werde Zeit, “dass sich die taz, ebenso wie die breite Gesellschaft, endlich kritisch mit dem Thema Rassismus und Sprache auseinandersetzt” und die “Stimmen derjenigen ernst nimmt, die üblicherweise als die so genannten Anderen gelten” und die als “Expert_innen zum Themenfeld Rassismus und Diversity anzuerkennen” seien. Den offenen Brief haben zahlreiche Gruppen sowie mehrere hundert Menschen unterschrieben.

Unsere Chefredaktion hat darauf eine Stellungnahme veröffentlicht, in der es heißt, die Redaktion habe in vielen Gesprächen – durchaus kontrovers – über den Vorfall, unseren Umgang damit und das Thema Sprache und Rassismus diskutiert. Rassismus sei für die taz inakzeptabel, Respekt im Umgang miteinander unabdingbar. Die Redaktion nehme die Vorwürfe, die im offenen Brief der ISD genannt werden, sehr ernst. Sie wisse, dass sich die taz, wie die Gesellschaft überhaupt, diesem Thema stellen müsse. Dabei müsse es um Grenzen gehen, die wir nicht überschreiten sollten, aber auch um die Frage, wann Diskussion unmöglich gemacht werde und wo Zensur beginne.

Die taz druckte eine ganze Seite Leserbriefe zu dem Thema und begann eine Debattenserie. Unser Redakteur Daniel Bax unterstellte in dem ersten Artikel Deniz Yücel einen „Willen zur Verhöhnung“ und fragte: „Warum muss man ein Wort wie ‚Neger‘ verwenden, wenn sich andere dadurch verletzt fühlen?“ In einem zweiten Artikel antwortete Bettina Gaus: „Die Tatsache, dass es oft vernünftig ist, Betroffene selbst eine Sprachregelung treffen zu lassen, heißt jedoch nicht, dass im Konfliktfall alle anderen zu schweigen hätten. Diskriminierung bedeutet nicht nur Herabwürdigung, sondern auch Ausgrenzung. Wer meint, nur Betroffene seien zu einem Urteil berechtigt, fördert selbst die Ausgrenzung.“ Im dritten Teil der Debattenserie schrieb Hadija Haruna: „Sicher, es ist unbequem, sich bewusst zu machen, dass viele Worte eine Bedeutung haben, die über das hinausgehen, was man vielleicht sagen möchte. Doch leider können sich Menschen einer rassistischen Sprache bedienen, obwohl schwarze Menschen, Schwule und Lesben, Sinti oder Muslime zu ihrem Freundeskreis zählen. Und dass sie es nicht rassistisch gemeint haben, ist kein Argument dafür, dass ihre Sprache nicht auch rassistische Spuren aufweist.“

Der Protest von „taz watch“ ist aber deutlich weiter gefasst, es geht dabei nicht nur um das N-Wort. Als Kommentar zu den Diskussionen hier im Hausblog schreibt die Initiative auf Facebook:

Es ist uns wichtig klarzustellen, dass – obwohl wir zu der Diskussion um das N-Wort eine Position haben, uns mit Dr. Martin Luther King beschäftigt haben und auch mit Kolonialismus… – wir als taz watch in all unserer Unterschiedlichkeit eine ganz emanzipierte Forderung (nicht allein) an die taz stellen:
Auf Grundlage des Grundgesetz der BRD, des allgemeinen Menschenrechts und des Gleichstellungsgesetzes fordern wir, alle rassistischen und diskriminierenden Sprachhandlungen gegen die so wichtigen verschiedenen Teile unserer Gesellschaft einzustellen; ob sie sich auf Religion, Sexualität, Colour, Gender, Kultur oder anderes beziehen!
Das ist der springende Punkt. Kein Gejammer, kein Gezeter, keine Diskussion. Wir fordern Recht ein. PUNKT. Völlig farblos, alle Religionen einschließend, geschlechterübergreifend, mit Wissen und Können ausgestattet… und mit echt viel Spaß am Leben!
Denn wir können nur so frei, so rechtlich geschützt sein, wie es selbst die „unbekannten Nachbarn“ sind!

Am Dienstag hat die Initiative zudem ihre Antworten auf häufig gestellte Fragen veröffentlicht. Hier als Auszug der erste Punkt:

Warum beschäftigt ihr euch mit der taz? Es gibt doch viel schlimmereZeitungen!

Vorweg: Schlimmer geht immer!

Die taz steht augenscheinlich für einenbestimmten Blick auf die Gesellschaft und die Welt und hat einen bestimmten Anspruch an sich selbst. Sprache und Bilder sind auch Definitionsmacht…

„Fremddefinition ist auch Fremdbestimmung, und wer (…) ohne Diskriminierung bezeichnet werden will, muss sich auf einige Anstrengungen gefasst machen.“ (N.Sow: Deutschland SchwarzWeiss, 2009, S.29.)

In diese Anstrengungen reihen wir uns ein.

Hier der vollständige Aufruf zur Protestaktion: „Taz watching – Wir sehen uns auf Augenhöhe…

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https://blogs.taz.de/hausblog/morgen-vor-dem-taz-cafe-erneuter-protest-gegen-rassismus/

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kommentare

  • Man fragt sich ja, ob eine Aufruf zu einer „Geht Buegeln!“ Gegendemo erfolgversprechend waere, natuerlich nur im Sinne der Satirefreizuegigkeit…

  • Auf jeden Fall gibts sicherlich wenige Zeitungen, die so ausführlich berichten über gegen sie selbst gerichtete Kritik und dazu auch noch mithelfen entsprechende Demo-Aufrufe zu veröffentlichen! Mach weiter so, TAZ!

    • Genau. Einfach weiter machen wie bisher und dann ganz offen darüber und berichten und gelobt werden! Und dann wieder weiter machen… :)

  • „Fremddefinition ist auch Fremdbestimmung“. aha, weise einsicht. das gilt aber nicht für die gendersensitiven, rassismusfreien übermenschen von tazwatch & co., deren „Fremddefinition“ meiner sprache selbstverständlich keine „Fremdbestimmung“ ist, weil der höhere zweck der absoluten political correctness die mittel heiligt? ich lasse mir nicht von ein paar „versammelten Kulturwissenschafts-Spackos“ (danke deniz y. für diese wunderbar treffende [und garantiert diskriminierende] beschreibung) vorschreiben, was ich als rassistisch zu empfinden habe oder was ich sagen darf oder nicht.

    ————

    -Ich möchte, dass ihr… dass ihr mich von jetzt an Loretta nennt.
    -Was?
    -Das ist mein Recht als Mann.
    -Ja, aber warum möchtest du Loretta sein, Stan?
    -Weil ich Babys haben möchte.
    -Was möchtest du haben? Babys???
    -Jeder Mann hat das Recht, Babys zu haben, wenn er sie haben will.
    -Aber, aber du kannst keine Babys haben.
    -Unterdrücke mich bitte nicht.

    • Keine Sorge… Ihr Abwehrmechanismus ist ganz normal. Sie sind wahrscheinlich weiß und deshalb ist es ja auch logisch, dass Sie bestimmen, was rassistisch ist :). Und wenn Sie einen anderen Namen tragen möchten, dann hat das auch leider noch gar nichts mit den Herrschafts-/Vorherrschaftsverhältnissen zu tun, um die Rassismus kreist. Macht aber alles nix. Abwehren ist sowieso stressfreier! Und Zynismus ist auch immer ganz schön!

      • was ich bin oder nicht bin, geht dich a) überhaupt nichts an und hat b) mit dem thema nichts zu tun. es geht darum, dass mir hier eine gruppe sektierer ihre meinung aufdrücken will, ich dummerweise aber der meinung bin, dass jeder denken kann, was er will und leute, die anderen ihr weltbild aufoktruieren möchten, viellciht weniger rassistisch sind als ich es möglicherweise bin (was mich aber nicht wirklich belastet), als ausgleich aber sehr viel faschistoider.

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