In einer Einladung zur taz-Mitgliederversammlung äußerte sich Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch zur Zukunft der taz. Hier finden Sie den Text der Broschüre.
Sie sehen es in der U-Bahn, am Bushäuschen oder in der Straßenbahn – überall dort, wo sich die lesenden Menschen die Zeit nicht mehr mit einer Zeitung, sondern mit dem Smartphone vertreiben. Die Verlage registrieren es an den Rückläufen vom Kiosk, die aus dem Zeitungsvertrieb eine aufwändige Art von Papier-Recycling gemacht haben: die Zeitungen werden am frühen Morgen an die Kioske ausgeliefert, um am Abend zu neunzig Prozent wieder als Altpapier dort eingesammelt zu werden. Die Zusteller der Zeitungsabonnements erdulden es mit extrem mageren Löhnen: Weil die Gewinnmargen in ihrem Niedriglohnsektor so gering sind, wurde die Einführung des Mindestlohns für Zusteller auf einen Zeitraum von drei Jahren gestreckt.
Wo man hinsieht wird deutlich: Was früher untrennbar zusammengehörte, geht nun getrennte Wege; das Zeitalter der gedruckten Zeitung ist zu Ende, der Journalismus lebt im Netz weiter. Praktisch jede Printpublikation – von FAZ bis taz, von Spiegel bis ZEIT – hat inzwischen eine digitale Publikationsstrategie. Auch die taz fokussiert sich längst nicht mehr nur auf einen Redaktionsschluss für die Printausgabe, sondern produziert stetig aktuelle Nachrichten für die digitale Leserschaft und denkt parallel zur gedruckten taz zugleich noch die „ausgeruhten“ Analysen fürs Wochenende mit.
Der digitale Wandel hat viele Vorteile: Die Vielfalt des Angebots ist gut für den Journalismus. Aber in einem Wettlauf fallender Printerlöse und steigender Kosten sind die meisten Verlage immer noch auf der Suche nach Geschäftsmodellen für eine digitale Publizistik. So steht nun eine ganz neue Frage im Raum: Was tun, wenn es mit dem Papiergeschäft gar nicht mehr weitergeht? Mitte Juni gab der österreichische Pressevertrieb Morawa bekannt, dass er den Vertrieb von Tageszeitungen zum Ende des Jahres 2018 einstellt. Nach 140 Jahren im Pressevertrieb rechnet es sich für Morawa nicht mehr. „Die Kosten, die der Vertrieb verursacht, sind so hoch, dass die Verkaufserträge diese à la longue nicht mehr decken würden“, so Morawa in einer Pressemitteilung.
An die Nach-Print-Zeit denken
„Den meisten Verlagen fehlt es an einer Strategie für die Nach-Print-Zeit“ mahnte der „Journalist“, das Verbandorgan der Journalisten-Gewerkschaft DJV in seiner Juni-Ausgabe. Seit ihrer Gründung hat die taz davon profitiert, dass sich neue Techniken am Horizont abzeichneten, die das Publizieren schneller, preiswerter oder vielfältiger machten. Um es mal überspitzt auszudrücken: Als in London die Setzer der TIMES noch für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze streikten, entwickelten die taz-Techniker in West-Berlin schon moderne Workflows, die auf der Basis von Fotobelichtungen funktionierten. Wir gehörten zu den ersten, die 1994 ihre komplette Druckausgabe ins Internet stellten.
Wir haben nicht nur seit langem eine digitale Publikationsstrategie, sondern mit „taz zahl ich“ auch ein funktionierendes, weil solidarisches Geschäftsmodell. Die taz hat mit einem neuen Redaktionssystem und ihrem neuen Verlagshaus wichtige Investitionen für die Zukunft getätigt. Neue Angebote wie das Wochenendprintabo oder das digitale E-Paperabo oder die Kombination aus beiden weisen den Weg in die Zeit nach der gedruckten täglichen taz. Und wir haben mit der taz Genossenschaft eine Geschäftsgrundlage, die es möglich macht, Risiken einzugehen, um die Zukunft der taz zu sichern.
Denken wir also mal an die Nach-Print-Zeit: Wir kommen zur Arbeit und müssen keine tägliche Druckausgabe der taz produzieren. Nicht mehr um 16 Uhr Redaktionsschluss, keine Reklamationen wegen fehlender taz im Briefkasten. Sie kommen morgens zur Arbeit und haben auf Ihrem Smartphone oder Tablet schon alles erfahren, was Ihnen wichtig ist. Sie haben dieses digitale Angebot vielleicht kombiniert mit der taz am Wochenende auf Papier, die sich noch mehr von der Werktags-Taz unterscheiden wird als jetzt schon. Wir sparen gemeinsam Papier und können alle die Zusteller der Wochenendausgabe anständig bezahlen. Wir haben den digitalen Wandel zur Veränderung genutzt. Und dabei mehr gewonnen: Eine Perspektive für die Zukunft.
Müssen wir Angst vor der Zukunft haben? Sicher muss man sich fragen: Kann das überhaupt funktionieren? Unser Szenario 2022 zeigt, dass mit den Umsätzen der täglich gedruckten taz auch erhebliche Kosten für Druck und Vertrieb wegfallen. Wir müssen also bei der Transformation in neue Erlösmodelle keine unrealistischen Annahmen machen. Wir müssen „nur“ anfangen, unsere Gewohnheiten zu ändern und die neuen Wege, die längst eingeschlagen sind, weiter ausbauen.
Zeit für Veränderung
Der Weg ins digitale Zeitalter ist kein Spaziergang, soviel ist längst klargeworden. Die taz-Redaktion wird bis 2022 noch einmal alle publizistischen Angebote weiterentwickeln und verbessern, um passgenaue Produkte anbieten zu können. Unsere LeserInnen werden neue Gewohnheiten entwickeln müssen, wenn die taz unter der Woche nicht mehr morgens im Briefkasten, sondern als elektronisches Dokument im E-Paper oder im Internet auf taz.de jederzeit erreichbar ist. Dieser Transformationsprozess erfordert Offenheit von allen und eine transparente Kommunikation nach innen und außen.
Wenn etwas aufhört zu existieren, macht das zunächst Angst. Wir sind sicher, dass wir die Existenz der taz sichern, wenn wir uns bereits jetzt gut darauf vorbereiten, dass der tägliche Druck und Vertrieb der Papier-taz bald nicht mehr möglich sein könnte. Wir müssen die Chancen nutzen, die darin liegen und neue Publikationsmuster entwickeln, die kostengünstiger, ökologischer und schneller sein können als zuvor. Die Akzeptanz dieser Prämisse wird die Antwort auf die Fragen nach der Zukunft jedes Einzelnen, jeder Abteilung oder jedes Ressorts in der taz leichter machen und Ängste nehmen.
Das gilt auch für Sie und alle Mitglieder der taz Genossenschaft. Wir möchten keine Zeit verlieren, um in Ruhe die notwendigen Veränderungen in allen Dimensionen erkunden zu können. Selbstbewusst setzt die taz dabei wieder auf die Aufgeklärtheit ihrer Unterstützer, dass dieser Prozess des Wandels von ihren Leserinnen und Lesern, AbonnentInnen und GenossInnen solidarisch unterstützt und mitgestaltet wird. Man kann es auch anders, kürzer sagen: Wer sich früher verändert, hat auch früher wieder liebgewonnene Gewohnheiten. Deshalb sagen wir: Es ist Zeit für Veränderung.
KARL-HEINZ RUCH, für die Geschäftsführung
Wie sollte Ihrer Meinung nach eine digitale taz-Publizistik aussehen? Welche Strategien für den Übergang von der gedruckten taz zu Online würden Sie uns vorschlagen? Schreiben Sie uns an: szenario2022@taz.de
Die Arbeit der taz braucht es heute genauso wie vor 40 Jahren. Die Frage ist: Haben wir die Weichen in Richtung Zukunft richtig gestellt? Im Innovationsreport haben MitarbeiterInnen der taz untersucht, was es braucht, um weiterzumachen.
gut bleibt halt noch die printausgabe am Wochenende. wird halt das abo angepasst, zahl ich halt noch weniger..