vonHelmut Höge 18.03.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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„Wo ein Pavian lebt, ist auch der Kummer nicht fern!“ (äthiopisches Sprichwort, das sich auf den Schweizer  Primatologen Hans Kummer bezieht)

Der Ethnopsychoanalytiker Paul Parin beobachtete 1972 den mit ihm befreundeten Pavianforscher Hans Kummer bei der Feldforschung. Als sie abends am Schlaffelsen der Affen standen kam es ihm vor, „als würden wir einer Freiluft-Theateraufführung beiwohnen“. Statt über Paviane diskutierten die beiden Freunde dann jedoch über die damals noch virulente Studentenbewegung.

Wenn ich mit Jeanette (9) in den Zoo gehe, will sie dort auch vor allem die Paviane sehen, die meist als kleine Horde auf ihrem Affenfelsen hocken – der aufgeplusterte  „Pascha“ auf dem höchsten Punkt, die anderen gleichsam zu seinen Füßen gruppiert. Das ist jedesmal mein Pavianbild. Das Heimkind Jeanette konzentriert sich glaube ich auf einzelne kleine Paviane. Sie will später mal Biologin werden – und Affen in ihrem wirklichen Leben in der afrikanischen Savanne oder im Hochland erforschen. Je nachdem wo sie leben, ist ihre soziale Organisation eine andere: Hier eher egalitär, dort eher haremsgleich:  „Bärenpaviane bilden in den südafrikanischen Drakensbergen Haremsgruppen und mutieren nur tausend Meter tiefer wieder zu Gruppen mit vielen Männern,“ schreibt der Biologe Cord Riechelmann. Darüberhinaus unterscheidet sich das Pavianverhalten z.B. zwischen den Mantelpavianen der Savanne und den Hochland-Dscheladas: Die Weibchen der letzteren „bleiben im Unterschied zu Mantelpavianen ihr Leben lang mit ihren Müttern, Tanten und Töchtern in enger Verbindung. Die verwandtschaftlich gebundenen matriarchalisch geordneten Kleingruppen bilden die stabilen Kerne der Herden“.

Man könnte inzwischen eine ganze Bibliothek mit Büchern über Paviane füllen. Die weißen männlichen Wissenschaftler redeten dabei erst von „Trieben“ und „Instinkten“ und dann von „Genen“, während die Japaner schon seit den Fünfzigerjahren das „Soziale“ beobachteten. Heute ist die Primatenforschung  eine Domäne von weißen Frauen – Biologinnen und Anthropologinnen. Der Durchbruch gelang ihnen mit dem internationalen Feminismus. Aber noch lange danach wurde auch von ihnen die Biologie als „natürliche Ökonomie“ in Analogie zur „politischen Ökonomie“ begriffen – und vice versa. Sie sprachen bei ihrer „Feldforschung“ von „Investitionen“ und „Profit“ und begriffen Verhalten unter dem Aspekt von  „Kosten-Nutzen-Rechnungen“. Der „American Way of Life“ war diesen Wissenschafts-Karrieristinnen derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass sie ihn als ganz natürlich – artübergreifend quasi – in den Affen bloß gespiegelt sahen. Die feministische Biologin Donna Haraway spricht hierbei von einer „neodarwinistischen Evolutionstheorie“, der sie sich (deduktionistisch) verpflichtet fühlten.

Dem abstrakt entgegengesetzt ist die „kropotkinsche“, mit der z.B. der holländische Primatenforscher Frans de Waal das Verhalten diverser Affenarten sowie auch die Beobachtungen diverser Affenforscher interpretiert. Die einen und die anderen „Erzählungen“, wie Donnar Haraway solche Forschungsberichte nennt, sind ihrer Meinung nach dem „Zeitgeist“ verpflichtet. Dort ein Neoliberalismus, dessen Begrifflichkeit schon in Darwins Schriften Eingang fand (den Utilitarismus, die Kosten-Nutzen-Theorie, von Jeremy Bentham, das „Überleben des Tüchtigsten“ vom Sozialevolutionisten  Herbert Spencer, die Idee der Konkurrenz als treibende Kraft der Entwicklung von Thomas Malthus). Und hier die anarchistisch-kommunistische Idee von sozialer „Assoziation“, „Kooperation“ und dem „Mitleiden“ auf der Basis von „Empathie“ – für das die derart inspirierten Forscher ebenfalls in „ihren“  Affenpopulationen viele Belege fanden. Um allen aus bloßer  Wiederspiegelung bestehenden Theoriebildungen zu entgehen, hat der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour eine (neue) „Akteur-Netzwerk-Theorie“ (ANT) entwickelt. Sie basiert nicht zuletzt auf der Pavianforschung von Shirley Strum in Kenja, die davon ausgeht, dass in den Herden bzw. Horden  schier permanent versucht wird, das soziale Zusammenleben (wieder) herzustellen. Und weil die Paviane dazu weitaus weniger Hilfsmittel haben als wir (Statussymbole, Sprache, Kleidung, Werkzeug etc.), deswegen sind sie quasi Sozial-Profis im Vergleich zu uns Menschen und machen das „wirklich nett“, während sich bei uns umgekehrt das „Soziale“, auch noch ideologiegestützt, langsam verflüchtigt. Zum Verständnis dessen gibt die (klassische) Unterscheidung zwischen Natur und Kultur nichts mehr her. Eine der ANT-Maximen von Latour lautet: Wirke der „vorzeitigen Umwandlung von umstrittenen Tatsachen in unbestreitbare Tatsachen“ entgegen!  Das weitet den Horizont des unvoreingenommenen wissenschaftlichen Beobachters, dem er darum gehen sollte, „Assoziationen nachzuzeichnen“. Dies  vergrössert den politischen Handlungsspielraum – um „das Soziale neu zu versammeln“. Dazu muß aber „das Globale wieder lokal“ gemacht und sodann das „Lokale neu verteilt“ werden. Alles klar?!

Das Arschgeweih in der Informationsgesellschaft

„Wer eine auf Tötung oder Sexuelles bezügliche Tätowierung freiwillig auf seinem Körper trägt“, schreibt Erich Wulffen in seinem 1926 erschienenen Werk „Kriminalpsychologie. Psychologie des Täters“, „der bringt erstens schon eine entsprechende Anlage mit und kann zweitens in seinem Gefühls- und Vorstellungsleben von diesen Bildern, die er täglich betrachtet, beeinflusst werden.“

Das gilt vielleicht sogar noch für denjenigen, der solche Tätowierungen bei anderen sieht – und dabei u.U. gar nicht  an „Tötung und Sexuelles“ denkt. So ging es mir immer mit den  „Arschgeweihen“. Bis ich auf einem Evolutions-Kongreß erfuhr, was Darwin dazu meinte. Seine „Ästhetik“ brach mit dem Begriff des „Naturschönen“, indem sie das allzu üppige Geweih des Hirsches ebenso wie den üppigen Arsch des Affenweibchens als Hervorbringungen der „sexuellen Selektion“ des jeweils anderen Geschlechts begriff. Deren Begehrlichkeit führte also zu solchen  Auswüchsen (wie z.B. auch das Rad beim Pfau), dass sie damit der „natürlichen Selektion“ quasi entgegenstanden, denn sie waren bei Flucht und Flug äußerst hinderlich. Auch die menschliche Nacktheit ist Ergebnis der sexuellen  Selektion, die damit begann, wie die Biologin Lynn Margulis meint, dass der erste Affe ein weniger behaartes Weibchen begehrte. Natur gewordene Kultur.

Im Endeffekt ermöglichte dessen Ästhetik dem  vollends nackten Menschen eine weitere Ästhetisierung – durch Bearbeitung der Haut, z.B. mittels Tätowierungen. Zwar wurden die künstlerischen Motive dafür nie gänzlich geschlechtsspezifisch gewählt, aber das Arschgeweih weist auf einen weiblichen Androgynitätswunsch hin, der ebenso proletkulthaft wie naturgeschichtlich daherkommt, insofern hierbei das Signum des agressiv röhrenden Hirsches – das Geweih – nicht mehr mit dem u.U. tödlichen Angriff nach vorne, sondern mit einem eher unterwürfigen Präsentieren des Arsches verbunden wird, der zudem bis über den Steiß entblößt und nicht selten mittels hochhackiger Schuhe noch in Aufforderungsposition gehoben wird, wodurch das Arschgeweih erst richtig zur Geltung kommt. In der freien Natur wäre das weder für Hirsche noch für Paviane ein lösbares Problem. Aber auch in unserer Kultur ist es noch das, was die Familienforschung als „Double-Bind“ bezeichnet: eine in Geste und Wort derart widersprüchliche Botschaft – gegenüber einem Kind z.B., dass dieses schier verrückt dabei wird (wenn es etwa von seiner Mutter gebeten wird  „Komm her!“, diese ihm aber gleichzeitig signalisiert „Bleib bloß weg!“). So eine „Double-Bind“-Ikone ist auch das Arschgeweih – nur unter gleich Halbstarken, aber dafür mit einer ganzstarken Symbolik, die den Modegag gleichsam naturgeschichtlich verankert: Der halb entblößte Arsch signalisiert die Bereitschaft, dass der andere „aufsteigt“, wie das in der Pavianforschung heißt, während das Geweih „Vorsicht, bleib zurück!“ sagt. Diese Widersprüchlichkeit fällt allerdings kaum noch auf, denn sie ist eingebettet in eine allgemeine Sexualisierung der Beziehungen und Prostituierung der Umgangsformen.

Zwei soziologische Befunde verdeutlichen sie jedoch: Zum Einen, dass der Arschfick auch buchstäblich immer häufiger praktiziert wird (viele Rapper kennen anscheinend schon nichts anderes mehr), und zum Anderen, dass derzeit weniger neue Tätowierungen angeboten bzw. neue „Tatoo-Studios“ aufmachen als vielmehr (preiswerte) Möglichkeiten zum Entfernen von Tätowierungen offeriert werden. Man kann hierbei schon fast von einer Trend-Wende sprechen. Es hieße jedoch, das Arschgeweih zu überinterpretieren, wenn man seine Entfernung (per Laser) bei gleichzeitiger Beibehaltung der halben Arschentblößung als Auflösung der Double-Bind-Botschaft zugunsten eines  eindeutigen Wunsches, bestiegen werden zu wollen, begriffe. Da hilft es, noch einmal auf das  eingangs erwähnte Wulffen-Zitat zurück zu kommen: Beides, Arschgeweihebenso wie halbnackter Arsch ohne Tätowierung deuten an, dass die Frauen lange genug Opfer (Natur) waren – und nun endlich auf die Seite der Täter (Kultur) übergewechselt sind. Unterstrichen wird dies durch den Bedeutungswandel des Begriffs „Opfer“ als Schimpfwort bei den Rappern und die häufige Verwendung des Wortes  „Arschgeweih“ in witzig sein wollenden Fernseh-Shows und z.B. auf „Jägermeister“-Events. Es sind Reaktionen auf den massenhaften „Aufstieg“ von Frauen in Wissenschaft und Wirtschaft.

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