vonHelmut Höge 29.09.2009

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

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Der erste gelbe Poller in Meiningen! Der Hausmeister der Dresdner Bank kann es noch gar nicht fassen, muß ihn anfassen – und prüfen, ob es sich dabei nicht doch wieder um eine bloße Papp-Requisite des berühmten Meininger Theaters von schräg gegenüber handelt. Meiningen befindet sich am Ostrand der Rhön in Südthüringen und nennt sich „Theaterstadt“. Wir besuchten sie auf dem Rückweg von der bayrischen Rhön – und blieben ein paar Tage, um uns ein Bild von ihr zu machen. An Hausmeisterpollern gibt die Stadt nicht mehr viel her – seit der Wende, aber an Geschichten noch immer – vornehmlich Hubschrauber-Geschichten…

Die DDR war nicht nur ein Leseland, sondern auch eine Autorenrepublik, meint der Wiener Erzähler Robert Menasse, weil so viele Menschen angehalten wurden, „zu recherchieren und dann alles in eine schriftliche Form zu bringen“. Davon profitiert die deutsche Literatur noch heute – und ganz speziell die Meininger.

So berichtet z.B. der DDR-Autor André Kubiczek 2009, der einst bei der Hubschrauberstaffel 16 in Meiningen stationiert war: „Fast jeder auf dem Flugplatz trug am Tag, an dem die Öffnung der Mauer verkündet wurde, einen Bart: die Piloten, die Offiziere, die Soldaten. Der Stabsfeldwebel schickte mich in den Kurzurlaub, damit ich mir das Begrüßungsgeld abholen könne.“

Stolz zeigt hier ein Meininger Hausverwalter den neuen Poller, den er auf seinen Hinterhof pflanzte.

Auch das Pflanzenschutzamt Meiningen setzte  Hubschrauber ein, u.a. zur „aviochemischen“ Bekämpfung des Unkrauts „an der Staatsgrenze West“. Der DDR-Autor Herbert Mesch berichtet 2005: 1966 war „der Kontrollstreifen am Niemandswäldchen so stark verunkrautet, dass es jedem ungesehen gelingt, die DDR illegal zu verlassen. Unkraut-Ex kann aber momentan nicht eingesetzt werden.“ Einige Offiziere der NVA haben Verbindung zum BGS aufgenommen und „sind öfters zu Einkäufen auf westdeutscher Seite gewesen“.

1976 wurde bei einem Hubschrauber-Einsatz  ein „Getreidefeld in der BRD“ in Mitleidenschaft gezogen. Zuvor war bereits eine „Kuh der LPG Hermannsfeld“ vergiftet worden. 1978 wurde zwar sorgfältiger gearbeitet, und „der Pflanzenwuchs restlos beseitigt. als Folge traten jedoch örtlich erhebliche Erosionen auf“. Zudem gab es „gesicherte Erkenntnisse“, „dass die Agrarflieger im Blickpunkt feindlich-negativer Kräfte stehen“. Dazu wird die „Klärung der Frage ‚Wer ist wer?‘ intensiviert.

1981 zeichnet man  den Agrarflug ACZ Hildburgshausen „mit dem Ehrenbanner des ZK“ aus.  1985 wurde im Auftrag der LPG Herpf die Kartoffel-Krautfäule aus der Luft bekämpft, dabei kam es bei einer Forellenaufzuchtanlage zu einem „Fischsterben“. 1987 kamen bulgarische Piloten zur Walddüngung und Bekämpfung von Waldschädlingen zum Einsatz. Dazu wurden 5 sowjetische und zwei bulgarische Hubschrauber gechartert. Allerdings gingen „die Charterbesatzungen nicht mit der gleichen Einstellung an die Sicherheit heran“.  An der juristischen Hochschule Potsdam befaßten sich zwei Diplomarbeiten – von Major Weiß und Major Eisenkolb – mit diesem Problem, das auch eine „Wer ist wer?“-Klärung beinhaltete.

„Vermutlich hatten viele Agrarpiloten irgendwelche Weibergeschichten. Frauen liefen ihnen hinterher, ob ledig oder ob verheiratet. Das Fliegen faszinierte. Im Bett waren sie sicher nicht besser als Andere.“ Der Autor Herbert Mesch will in dieser Hinsicht jedoch zur Abwechslung mal keine Namen nennen. Im Pauschalen bleibt er auch bei seiner Bemerkung: „Die Agrarpiloten flogen manchmal gerne eine Kurve mehr oder besprühten benachbarte Kleingärten, aus Dummheit oder eben so.“ Die Betroffenen konnten danach ihr „erntereifes Obst und Gemüse“ vergessen.

Pollerputzer – ein neuer Beruf? Hier im Theaterfoyer im Einsatz.

1986 machten sich umgekehrt „Probleme mit Umweltschützern“ bemerkbar, „die den Einfluss westlicher Publikationen erkennen lassen. Sobald das Flugzeug am Himmel ist, schreit irgendwer, dass Schäden und Vergiftungen eingetreten seien. Die meisten Fälle sind völlig aus der Luft gegriffen.“

Besonders stark ist die „ablehnende Haltung zum Agrarflug in der Rhön-Gemeinde Bremen“, wo der Flugorganisator als „Umweltvergifter“ beschimpft wird. (Diesen Ort kuckten wir uns natürlich auch an auf unserer diesjährigen Rhön-Tour.)

1987 wurden beim Ausbringen des Pflanzenschutzmittels Bayleton (ein BRD-Import) einige „Hausgärten“ in Motzlar besprüht. Die Bürger beschwerten sich mit einer Eingabe. Selbst über  Hubschrauber der Geodäsie „diskutierte die Rhönbevölkerung“. Und bei der LPG Geisa kam es zu „Auseinandersetzungen“ mit dem Vorsitzenden, der den „Arbeitsflugplatz“ von Kühen vollscheißen ließ, so dass das „Flugzeug bereits nach dem zweiten Start schwarz verschmiert“ war. 1988 heißt es: „Alles wirkt wie eine Kampagne gegen den Agrarflug“. Die Ursachenforschung ergab jedoch, dass z.B. für das Fischsterben in Unterbreizbach nicht der Agrarflug, „sondern der erhöhte Nitratgehalt des Teichwassers“  verantwortlich war.

1988/89 vermehrten sich die Disziplinprobleme bei den ausländischen Piloten: „Die Bulgaren hatten immer Durst, 12 von 16 waren meist besoffen. Besoffen sind die Piloten auch bedenkenlos geflogen. Die Arbeitsleistungen der Russen waren bedeutend besser als die der Ukrainer“. Sie haben „zwar auch getrunken, sind aber nur nüchtern geflogen. Alle bekamen gutes Essen und deutsche Weiber hatten sie noch obendrauf. Die flogen ihnen zu.“(Bei den Piloten muß immer alles fliegen.)

Nach der Wende wurde der Agrarflug, der zu Interflug gehörte, abgewickelt.  2003 berichtet „Freies Wort“: Auf dem verlassenen Hubschrauber-Flugplatz in Masserberg „standen die Cannabis-Pflanzen in Reih und Glied“, die Zeitung spricht von einer „fabrikmäßigen Drogenproduktion“. Die „Kreispflanzenschutzstelle Meiningen“, die dagegen – z.B. mit Unkraut-Ex – hätte rechtzeitig vorgehen können, gibt es nun auch nicht mehr.

Meiningen kommt also langsam zur Ruhe. Einzig das Meininger Theater erzählt noch lauthals Geschichten. Als nächstes hat dort das US-KZ-Stück „Hüter der Zeit“ Premiere. Und wenn man schon mal da ist, kann man auch gleich noch die nahe Goetz-Höhle besichtigen: „Die Goetz-Höhle ist die größte begehbare Kluft- und Spaltenhöhle in Europa.“ Sie wurde 1991 nach dem Aggro-Schriftsteller Reinald Goetz benannt, vorher hieß sie Paul-Klinger-Höhle – nach einem Meininger Agrarpiloten, der 1984 oberhalb der Höhle abgestürzt war.

Aus der Kreisstadt des Landkreises Schmalkalden-Meinin selbst sei noch vermeldet, dass dort demnächst wieder einmal der große „Schokolade-und-Champagner-Ball“ stattfindet. Und vor dem Meininger Landgericht müssen sich demnächst zwei Männer und eine Frau verantworten, die 2007 ein Kind entführt hatten. Anderswo versucht man/frau, seine/ihre Kinder irgendwie zu entsorgen, in Meiningen besorgt man/frau sie sich dagegen – notfalls illegal. Die Stadt hat aber auch nur noch 21.686 Einwohner. Eng wird es da jetzt trotzdem. Das hat was mit der aktuellen Wirtschaftskrise zu tun – um da gegenzusteuern lassen die kommunalen Verwaltungen überall in Deutschland irgendwelche Straßen, Brücken etc. ausbessern.

Die  Tageszeitung „Das Freie Wort“ gibt bekannt: „Die Stadtwerke Meiningen lassen den Abwasserkanal erneuern. Seit Montag gilt daher ein ausgeklüngeltes Umleitungs- und Sackgassensystem im Stadtzentrum. An der Kreuzung Ludwig-Chronegk-Stgraße/Wettiner Straße enden die Straßen aus allen Richtungen als Sackgasse.“ Die mit den Bauarbeiten befassten Firmen haben schon mal damit angefangen, alles regelgerecht abzupollern! Das ist in Meiningen nicht anders als im Rest der von der Krise betroffenen Welt…

In Kuwait z.B. sind sie so stolz auf ihre Poller, dass die Hausmeister angewiesen wurden, sie zur Hauptverkehrszeit vor Schmutz und Staub zu schützen:

In Moskau denkt man eher praktisch – und hat sich erst mal für Poller entschieden, die sich notfalls mit einem Kran schnell wieder entfernen bzw. umsetzen lassen:

Aber an einer Stelle hat die Moskauer Stadtverwaltung sich doch gesagt: „Hier machen wir mal was ganz Schickes. Und hat einen Bildhauer beauftragt, eine Reihe Poller zu gestalten:
Was den Pragmatismus angeht, da läßt sich Amerika natürlich nicht die Butter vom Brot nehmen. Hier ein Pollerensemble in Alaska (in der Nähe von Anchorage):
Und hier noch ein Beispiel – aus der selben Region :
Ganz anders dagegen die Franzosen bzw. die Stadtverwaltung von Niort, die sich für einen langen metallenen Drachenpoller sowie ein Dutzend kunststeinerne Würfelpoller entschied (alle Photos: Peter Grosse):
Außer Straßen Abpollern und Ausbessern tut sich aber noch was in Meiningen:
Rund 1100 Graffiti-Schmierereien hat der Vollzugsdienst des städtischen Ordnungsamtes in der Stadt Meiningen festgestellt. Mit einem sogenannten Schonstrahlgerät will man diesem „Missstand“ (Freies Wort) nun zu Leibe rücken. Einen illegalen Sprayer hat die Polizei in diesem Jahr bereits auf frischer Tat ertappt. Zwölf weitere Rowdys  gingen den Beamten aufgrund von Ermittlungen ins Netz. Bürgermeister Reinhard Kupietz: „Ohne, dass wir in Meiningen von einem massiven Graffiti-Problem sprechen, so sind doch sichtbare Zeichen von mehr oder weniger gelungenen Graffiti im gesamten Stadtgebiet zu sehen. 250 allein im Wohngebiet Jerusalem, 200 im Innenstadtbereich, 650 im übrigen Gebiet.“
Meiningen beweist damit einmal mehr, wie reaktionär seine Bürger und ihre Verwaltung sind: Denn sie gehen nur gegen die „illegalen“ Graffitis und Tags vor – nicht gegen die bezahlte Werbung, mit der die ganze Stadt vollgeklatscht ist. Dabei wird künstlich ein Unterschied gemacht – zwischen dem Markieren eines Territoriums mit Urin – z.B. durch einen Hund oder Tiger, mit Gesang – von einem Nachtigallmännchen, mit einem Zaun – durch einen Nachbarn, mit einer Werbebotschaft – durch einen Konzern und mit einem Graffiti-Zeichen durch einen Jugendlichen. Es ist aber alles das gleiche „Naturrecht“, das hierbei dem Zivilrecht (Eigentumsschutz) vorausgeht. Noch heute, erst recht heute gilt Proudhons Satz: „Eigentum ist Diebstahl!“ bzw. um es mit dem neuen Merveband von Michel Serres zu sagen: „Das eigen(tliche Übel“.
Die Meininger Stadtverwaltung geht noch weiter bei ihrer künstlichen Unterscheidung von verschiedenen Formen des Eigentums: Sie unterscheidet beim Graffiti auch noch zwischen mehr oder weniger „künstlerisch“: „Es gibt Graffiti-Künstler, die wollen wir nicht diskriminieren, stellen ihnen sogar Flächen zur Verfügung, bieten ihnen Raum für ihre Kunstform – mehr städtische Flächen im Übrigen, als die Künstler bearbeiten können. Aber Schmierereien wollen wir nicht!“so Bürgermeister Kupietz.
Dies kann man nur akzeptieren, wenn auch bei den großen Werbebotschaften derart unterschieden wird: Also z.B. Opel-Werbung ja (wg. Eisenach), Mercedes-Werbung aber nicht (kann sich hier sowieso kein Schwein leisten!) usw..
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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/09/29/who_is_who_in_und_um_meiningen/

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