vonHelmut Höge 22.04.2012

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt. Gonzo-Journalismus der feinen Art.

Mehr über diesen Blog

 

Sigmund Freud erhoffte sich eine Überwindung des Opfers durch Verinnerlichung, „Natur“ muß überwunden werden. Wilhelm Reich und nicht wenige 68er-Feministinnen gingen davon aus, dass im Matriachat Natur und Kultur – ohne Märtyrer – versöhnt werden. (Wolfgang Dreßen „Handbuch der Moral für den Bürgerstand“, abgedruckt in „Der ‚Fall‘ Wilhelm Reich“, Frankfurt 1997)

 

Sterbende Amazone 1

Sterbende Amazone 2

 

Märtyrersterben – so oder so

Auf der Bonner Hardthöhe erläuterte uns 1998 ein Bundeswehr-Major die neue NATO-Verteidigungsdoktrin: „Sie ist nicht mehr nach Rußland hin angelegt, die russischen Soldaten haben inzwischen die selbe Einstellung zum Krieg wir wir auch – sie wollen nicht sterben! Außerdem ist die Stationierung von Atomwaffen in Ungarn und Polen z.B. so gut wie gesichert, es geht eigentlich nur noch darum, wie viel wir dafür zahlen müssen. Ganz anders sieht es jedoch bei den Arabern aus, mit dem Islam. Deswegen verläuft die neue Verteidigungslinie jetzt auch –  Ratsch zog er hinter sich eine neue Karte auf – „etwa hier: zwischen Marokko und Afghanistan.“

In einem Interview mit dem Spiegel erklärte der ehemalige Wehrmachtsoffizier und verhinderte Hitler-Attentäter, jetzt Rentner Ewald von Kleist im Zusammenhang des „Heinrich-von-Kleistjahres“ 2011 und dem Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan:

Der Spiegel: Wofür lohnt es sich zu sterben?

Ewald von Kleist: Wir sitzen hier und unterhalten uns, weil in der Vergangenheit die großen Atommächte, nämlich Amerika und Russland, die gleiche Einstellung zu Tod und Leben hatten. Beide sagten: Leben ist gut, Tod muss verhindert werden. Das sehen nicht mehr alle Länder so.

Der Spiegel: Wen meinen Sie konkret?

E.v.Kleist: Wir können uns noch alle an die Bilder erinnern, wie die iranischen Kinder mit grünen Bändern um die Stirn in die Maschinengewehrgarben der Iraker liefen. Die Eltern haben das geschehen lassen, weil sie glaubten, ihre Kinder erfüllten den Willen Allahs…

In dem Wandel der Einstellung zu Leben und Tod liegt ein ganz entscheidender Punkt. Bin Laden hat vor einiger Zeit gesagt: Der Unterschied zwischen uns und euch ist: Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod. Ich fürchte, er hat recht.“

Verwundete Amazone

In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat sich dazu nun auch ein israelischer Schriftsteller zu Wort gemeldet. Der „Essayist“ David Ranan hatte kurz zuvor sein Interviewband „Ist es noch gut, für unser Land zu sterben“ auf Deutsch veröffentlicht. Der FAS sagte er, der Titel beziehe sich auf die letzten Worte des bei der Verteidigung des Wehrdorfes Tel Hai gegen arabische Freiheitskämpfer 1920 gefallenen jüdischen Freiheitskämpfers Joseph Trumpeldor: Es ist gut, für unser Land zu sterben.“ Einer der in seinem Interviewband befragten jungen Israelis meinte dem gegenüber: „Ich glaube, das nicht mehr.“

Im darauffolgenden Teil dreht sich das Interview dann um die Folgen einer solchen Einstellungsveränderung in der „allgemeinen Wehrpflicht“ für das Land Israel, wobei die FAS Ranans Erklärung für diese Veränderung bei den jungen Israelis hervorhebt: „Die Besatzung korrumpiert uns.“

Anders die irische und vor allem nordirische junge Generation, die von dem bereits vielhundertjährigen Kampf der Katholiken gegen die protestantische Besatzung ihres Landes die Schnauze schlicht voll hat, wenn man diesbezüglichen Interviews glauben darf.

Bleibt die Frage: Sterben für was? – nachdem das Sterben für Wen? schon lange nicht mehr infrage kommt. Die letzten, die sich hierzulande bereit machten, für die Revolution, d.h. im Kampf gegen den US- und BRD-Imperialismus zu sterben, waren die RAF-Genossen. Das rechtfertigt vielleicht ihr  derzeitiges Verbratenwerden durch Funk, und Fernsehen – wobei mit jedem Buch zum Film das Antlitz von „Ulrike“ (Meinhof) strahlender wird.

 

Gewöhnliche Frau und Amazone

 

Sehen wir einmal davon ab, dass irgendwelche radikalislamischen „Schläfer“ von der US-Regierung angeklagt wurden, das World-Trade-Center gesprengt und einen gemeinen Anthrax-Krieg gegen „Amerika“ geführt zu haben, dann sind es jetzt vor allem die Bilder aus den seit Anfang 2011 eskalierenden „Arabischen Aufständen“ (Arabellion von der FAZ genannt) – sie legen nahe, dass „der Araber“, insbesondere der „junge und gebildete“, eher bereit ist, für seine Freiheit zu sterben als die gegen die US-Bankenmacht angehende „Occupy-Bewegung“ z.B..

Diesen Eindruck scheint der iranische Schriftsteller Navid Kermani bereits einige Jahre vor den Arabischen Aufständen – 2005 – gehabt zu haben, als er vier arbeitslose  jungen Marokkaner, die mit einem Schlauchboot nach Spanien wollten, am Strand interviewte: Alle hatten es schon mehrmals versucht. Sie waren jedoch stets von der spanischen Polizei geschnappt und zurück nach Marokko geflogen worden. Kermani erzählten sie nun: „Wir versuchen die Dinge realistisch zu sehen. Wir kennen das Risiko genau. Wenn wir ins Schlauchbott steigen, muß die Chance, daß wir durchkommen, groß genug sein im Verhältnis zu dem Risiko.

,Aber den Tod kalkuliert ihr schon ein?‘ frage ich. ,Gut, wir kalkulieren den Tod mit ein, aber der ist auch nicht schlimmer als das Leben hier.‘

 Wir schwiegen eine Weile. Schließlich meinte einer der Männer grinsend: ‚Das sind eben amaliyyat istischhadiya‘, was wir tun, Selbstmordattentate. Die Europäer denken doch, dass alle Araber Selbstmordattentäter sind. Ja, sie haben recht, wir sind alle hier Selbstmordattentäter. Das Paradies, für das wir unser Leben lassen, heißt Schengen.“

Im amerikanisch aufgeklärten Westen kalkuliert man das Risiko inzwischen anders ein. Die westdeutsche TV-Moderatorin Arabella Kiesbauer kalkulierte einmal keck: „Für 1 Million würde ich mit jedem schlafen““. Der russische  WirtschaftsforscherAnatol  Rapoport hat versucht, diese libidoökonomische Logik durchzurechnen– am Beispiel der Ope „“Tosca“ von Verdi. „Der Polizeichef Scarpia verspricht Tosca, ihren Geliebten Caravadossi freizulassen, wenn sie mit ihm schläft. Er denkt jedoch gar nicht daran, den Rivalen am Leben zu lassen. Tosca wiederum verspricht, sich Scarpia hinzugeben, um ihren Geliebten zu retten. Sie will jedoch dessen Freilassung ohne diesen Liebesdienst erreichen.“

Für den Ökonomen in der Oper ist deswegen klar: „Weder für Scarpia noch für Tosca gibt es ein Argument dafür, daß es besser wäre, den Markt zu respektieren – also ein ehrliches Spiel zu spielen, als den anderen zu verraten“. Aber zu welchem Preis? Ausgehend von einem Gewinn von plus fünf kostet es Tosca minus fünf, mit Scarpia zu schlafen, es bringt ihr aber plus zehn, Caravadossi das Leben zu retten. Eine Täuschung Scarpias bei gleichbleibenden Preisen brächte ihr jedoch plus 15 ein (d.h. plus zehn für Caravadossi und plus fünf dafür, „der Umarmung Scarpias entkommen zu ’sein“). Der Ökonom schreibt ihr nur plus zehn an, weil es zwar wirklich unangenehm ist, Scarpia nachzugeben, aber nichts zu tun „ganz einfach gleich null ist“: Daher null plus zehn und nicht plus fünf plus
zehn.

Ist diese Wertsetzung gerecht? Man kann sie laut Rapoport ökonomisch damit rechtfertigen, „daß der Gewinn einer Entscheidung, der mit plus zehn beziffert ist, für Tosca zwar hoch genug ist, um sie zu interessieren, aber doch noch so niedrig, daß sie zögert: Plus 15 würde zu einer unmittelbaren Entscheidung führen! Auf der anderen Seite ist es die gleiche Gewinnminderung, die Scarpia dazu bringt, Caravadossi zu erschießen, wenn er von Tosca bekommt, was er begehrt.“  Das Ende des Deals sprengt jedoch – fast unkalkuliert – den ganzen Handelsrahmen: Tosca tötet Scarpia!

 

Amazone gegen griechischen Krieger

 

Der Filmemacher Alexander Kluge wurde bereits als kleiner Junge in der Oper mit diesem „Ernstfall“ konfrontiert. Die FAZ schreibt zu dessen 80.Geburtstag und der Veröffentlichung seiner gesammelten Reden:

„Alexander Kluge schreibt das als Angehöriger einer Generation, deren Lehre Menschen waren, die noch ohne Fernsehen aufwuchsen. Der schönste Text des kleinen Bandes – der auch Reden auf Jürgen Habermas, Günter Gaus, Heiner Müller und Christof Schlingensief enthält – ist ein Plädoyer dafür, Kinder mit der Oper in Berührung zu bringen.

Nein, hatte sein Vater gemeint, zu Gounods „Margarethe“ könne man den Jungen nicht mitnehmen, da gehe es um Abtreibung. So sah er als Erstes „Tosca“, in der „an einem einzigen Tag alle Protagonisten aneinander sterben“.

Bei Humperdincks kindgerechtem Märchen habe er mehr geweint, aber weniger davon gehabt. Will sagen: Es gibt keinen Grund, dem Publikum den Ernstfall zu ersparen. Sei es noch so klein oder noch so zerstreut.“

Der Alexander Kluge hat recht: Wir sind eine Operngesellschaft geworden: Als-Ob. Der Pariser Philosoph Jean Baudrillard sagt es so:

„Es gibt kein Medium im buchstäblichen Sinne des Wortes“ mehr: „von nun an läßt es sich nicht mehr greifen, es hat sich im Realen ausgedehnt und gebrochen…“…Ebenso sei  es „mit dem Zeitalter der Repräsentation, dem Raum der Zeichen, ihrer Konflikte, ihres Schweigeens“ vorbei: „Es bleibt nur die ‚black box‘ des Codes, das Molekül, von dem die Signale ausgehen, die uns mit Fragen/Antworten durchstrahlen und durchqueren wie Signalstrahlen, die uns mit Hilfe des in unsere eigenen Zellen eingeschriebenen Programms ununterbrochen testen“.

Dazu gehören auch die „Nachrichten“ von den arabischen Aufständen und insbesondere der dortigen „Facebook-Generation“, wie sie hierzulande genannt wird. Auf dem taz-Medienkongreß 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt““ gab der Literaturwissenschaftler der Humboldt-Uni  Joseph Vogl in einer Podiumsdiskussion über Kulturelle und gesellschaftliche Folgen der Digitalisierung zu bedenken: „Wenn hier in den Medien so oft und gerne die Wichtigkeit von Facebook, Twitter und Bloggern in den Arabischen Aufständen betont wird, dann heißt das auch: Wir würden gerne teilnehmen, sind narzißtisch gekränkt– und überbewerten deswegen die Rolle des Internets dort.“

Und dies umso mehr, als wir inzwischen ahnen, was der brasilianische Philosoph Vilem Flusser bereits in den Achtzigerjahren postulierte: „Das wahre Zeitalter der Kunst beginnt mit der Computerrisierung, die die Gentechnik möglich macht. Erst mit dieser werden  selbstreproduktive Werke möglich.“ Alle Kunst davor war und ist demnach bloße  Vorkunst. (4)

 

Bürgerliche Amazone

 

 Indem ausgehend von den USA „das Leben“ als „Code“ am Beispiel der Viren und mithilfe von Kybernetik und Informationswissenschaften im Rahmen der amerikanischen Kriegsforschung begriffen, d.h. „geknackt“ wurde, konstituierte sich  nach und nach weltweit eine Molekularbiologie, für die „lebendige Entitäten“ wie (vorprogrammierte) Computer funktionieren. Während umgekehrt unsere Computer von immer mehr (deprogrammierenden) Viren überfallen werden. Dergestalt werden Mensch und Maschine quasi wesensgleich; ihre Austauschbarkeit war bereits gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nahezu besiegt. „Die neue Semiotik wurde in den neuen Bedeutungsregimen des industriell-militärisch-akademischen Komplexes und der Kultur des Kalten Krieges formuliert“, schreibt die Gentechnikhistorikerin Lilly E. Kay.

Die deutsche GentechnikkritikerinSilja Samerski  erklärte dazu in einem Interview:

„,GEN‘ ist nichts anderes als ein Konstrukt für die leichtere Organisation von Daten, es ist nicht mehr als ein X in einem Algorithmus, einem Kalkül. Aber außerhalb des Labors wird es dann zu einem Etwas, zu einem scheinbaren Ding mit einer wichtigen Bedeutung, mit Information für die Zukunft . . . über das sich anschaulich und umgangssprachlich reden lässt. Es ist doch sehr fraglich, ob man umgangssprachlich über Variablen von . . . oder Bestandteile einese Kalküls oder Algorithmus sprechen kann, ob sich also überhaupt außerhalb des Labors sinnvolle Sätze über ,GENE‘ bilden lassen, die von irgendeiner Bedeutung sind. Wenn aber solche Konstrukte in der Umgangssprache auftauchen und plötzlich zu Subjekten von Sätzen werden, mit Verben verknüpft werden, dann werden sie sozusagen in einer gewissen Weise wirklich.“

Halten wir fest: Die Westler sind drauf und dran, „in gewisser Weise wirklich“ zu sein.

 

Amazone mit Bogen

 

 

Dazu eine Ausstellungsbesprechung von Anita Nelde. Die westdeutsche Schülerzeitungsredakteurin nahm kürzlich an einem Journalisten-Workshop in Berlin, der vom Bundestag geförderet wurde, teil. Im Workshop ging es für sie darum, eine Ausstellung über die Arabischen Aufstände in der Hauptstadt zu besuchen und anschließend darüber einen Text zu schreiben. Das tat sie auch, zudem besuchte sie einen Tag lang die taz. Auf diese Weise gelangte ihr Artikel – „Revolution reloaded“ – in diesen blog-Eintrag:

Vor wenigen Wochen jährte sich der Beginn des Arabischen Frühlings. Diktatoren wurden gestürzt, alte Strukturen aufgebrochen. Doch die Gräueltaten gehen weiter. Können und sollen wir Verantwortung übernehmen?

Die Menge ist in Bewegung: Hände, Fahnen, Plakate ragen in die Höhe. Schreie des Protests und der Wut füllen Luft und Lunge. Jahre der Unterdrückung liegen hinter den Demonstranten, Jahre der Gewalt, der Ungerechtigkeit, der Angst. Am „Tag des Zorns“, dem 25. Januar 2011, beginnt in Kairo der Arabische Frühling zwischen Hochhäusern und Palmen. Ein Ereignis, das bald schon ganz Ägypten, Nordafrika, Arabien und die Welt in Bewegung setzen sollte.

Der Tahrir-Platz vor dem Deutschen Bundestag.

Bis zum 6. April zeigt die Ausstellung „egypt reloaded“ der beiden Fotografen Angelika und Bernd Kohlmeier auf dem Platz zwischen dem Paul-Löbe-Haus und des Kanzleramts die Anfangsstunden der Revolution mit Bildern der Aufständischen und einer Panoramaansicht der ersten Proteste.

Seit dem Beginn des Arabischen Frühlings im letzten Jahr unterstützt das Parlament die Transformierungsprozesse in der Arabischen Welt. Klaus Brandner (SPD) initiierte die Ausstellung mit dem Ziel, der arabischen Welt Verbundenheit und Unterstützung zu signalisieren: „Der Mut und die Zivilcourage, die die Menschen auf dem Tahrir-Platz und an weiteren Orten in Nordafrika und dem Nahen Osten aufgebracht haben, verdient nicht nur unseren tiefsten Respekt, sondern auch unsere aktive Hilfe.“

In-Bewegung-Stimmung“

Das Interesse und Engagement von politischer Seite, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen sind in der Zeit nach dem Umsturz in Ägypten unerlässlich. Wut und Zuversicht unter den arabischen Jugendlichen sind Unsicherheit und leiser Hoffnung gewichen, berichtet Karen Grass, Volontärin bei der TAZ, nach einer Recherchereise in Kairo. Die junge Generation sei enttäuscht über die ersten Wahlen, fühle sich von den religiös stark polarisierenden Parteien kaum vertreten und vertraue dem „Infomedium“ Facebook noch immer mehr als der inländischen pro-militärischen Berichterstattung. Dennoch ist die allgemeine Stimmung von Resignation weit entfernt. Die Jugend versucht im Dialog mit Politikern zu bleiben und träumt von einer Verfassung nach europäischem Vorbild. Die „In-Bewegung-Stimmung“ herrscht zwar nicht mehr so kampf- und kraftvoll wie am Anfang, ist aber immer noch spürbar.

Auch in Tunesien hat ein neues Selbstverständnis Einzug gehalten. Edith Kresta, Redakteurin im Ressort Reise und Interkulturelles der TAZ, berichtet von „einem neuen kollektiven Selbstbewusstsein“ der jungen Bevölkerung. Es scheint, als hätten die Menschen „ein Stück Würde zurück bekommen“, das ihnen den Mut gibt zu reden: über Politik, die Zeit der Unterdrückung und der Revolution und vor allem über die Zukunft.

Die Menschen suchen den offenen Austausch und den Dialog über Kontinente hinweg. Besonders das Internet bietet hier eine Plattform. So wurde die „Jugendbewegung des 6. April“ 2008 als Facebook-Gruppe gegründet und gilt als Mitinitiator der ägyptischen Revolution. Auch sie stellt den Rahmen für Gespräche zwischen arabischen und europäischen Jugendlichen. Das Redebedürfnis ist groß: Das europäische System und die einzelnen Verfassungen dienen als Vorbild für die von den jungen Arabern gewünschte Entwicklung.

Doch die Jugend begegnet sich nicht nur im Internet. Recherchereisen und Austauschprogramme werden vom Deutschen Bundestag gefördert und ermöglichen einen direkten Kontakt.

Mitkämpfen

Es ist ein sehr gutes Signal, nicht nur mit Worten, sondern auch sichtbar und aktiv Solidarität zu zeigen“, so Klaus Brandner. Er ermutigt auch junge Europäer, gegen Ungerechtigkeit und Unfreiheit zu kämpfen.

Denn die Unterschiede zwischen den einzelnen Arabischen Ländern sind enorm. Während Ägypten und Tunesien sich am Scheideweg zwischen Demokratie und einem Rückfall in alte Strukturen befinden, bleibt die Situation in Syrien weiterhin prekär. Aufstände werden blutig niedergeschlagen, Staatschef Assad ignoriert Forderungen der Opposition und des Auslands.

Der mittlerweile bei einem Granatenbeschuss der syrischen Armee getötete Blogger Rami al-Sayed ruft im Internet auf, auch im Ausland für die Revolution auf die Straße zu gehen. „Wir brauchen Demonstrationen vor syrischen Botschaften überall auf der Welt“, war der letzte Appell des jungen Syriers an die Bevölkerung. Wer für Veränderung in diesen Staaten protestiert, „kämpft mit“, so Edith Kresta.

Seit einem Jahr blickt die Welt auf die Entwicklungen in den arabischen Ländern. Noch nie war das mediale Interesse so groß, noch nie gab es so viele Möglichkeiten der Partizipation und des Engagements.

Besonders junge Menschen haben laut Klaus Brandner „besonders viel Kraft, gegen Unterdrückung und Chancenlosigkeit aufzubegehren“.

Die Welt ist in Bewegung.

 

 

Junge Amazone

 

 

Auf dem taz-Kongreß, der etwa zu selben Zeit stattfand, lag eine Zeitung aus „adopt a revolution“ – gemeint war der anhaltende blutige syrische Aufstand, der – anders als der in Libyen – nicht mit Waffen gegen das Regime von einigen Staaten im Westen unterstützt wird. Weswegen die Solidarität und die „Unterstützung des syrischen Frühlings“ – den Volksaufstand dort – von uns hier – von unten quasi – geleistet werden müsse.

Der Leitartikel aus der Syrien-Zeitung sei hier wiedergegeben, in ihm wird die Solidarität der hiesigen Linken mit den syrischen Aufständischen eingeklagt:

Seit einem Jahr revoltieren die Menschen
in Syrien gegen eines der brutalsten
Regime weltweit. Sie tun dies
weitgehend friedlich. Sie verlangen
Freiheit, Demokratie und ein Ende
der Diktatur. Mehr als 8.500 Menschen
kamen dabei ums Leben.
Hunderttausende wurden inhaftiert,
viele davon gefoltert.
Man verfolgt das am Bildschirm
und bleibt ratlos oder wie es Angela
Merkel ausdrückt: »Die Bilder und
Berichte aus Syrien wühlen mich
genauso auf, wie wahrscheinlich die meisten Bürger.« Doch aus der
Aufgewühltheit folgt nichts: Keine
Kerzenmeere vor syrischen Botschaften,
keine Massendemonstrationen
für die AktivistInnen in Syrien
und kaum praktische Solidarität.
In den 1980er und 90er Jahren gab
es eine breite internationale Solidaritätsbewegung
für Lateinamerika.
Weite Kreise der deutschen Linken
bis hin zur SPD und den Kirchen
unterstützten die Befreiungsbewegungen
in Nicaragua und El Salvador.
Heute spenden die Deutschen
jährlich vier Milliarden Euro, laut
Emnid Spendenmonitor geht davon
jeder vierte Euro ins Ausland.
Doch mit Solidarität für den Arabischen
Frühling im Allgemeinen
und für die Revolution in Syrien
im Besonderen tut sich so mancher
schwer. Was ist am 2797 Kilometer
nahen Syrien anders als am 9589 Kilometer
entfernten Nicaragua?

Das Fremde: Der Islam
Dort leben Muslime könnte eine
Antwort sein. Zwar wird die Kulturkampf-
These von Huntington
bis weit in die gesellschaftliche
Mitte hinein abgelehnt: Christian
Wulff befand, der Islam gehöre zu
Deutschland, Guido Westerwelle
verglich die Islamisten der tunesischen
Regierung mit den europäischen
Christdemokraten.
Trotzdem wird der Islam oft als
Anti-Aufklärung analysiert und es
bleibt Angst: Seit Beginn des Arabischen
Frühlings warnen ExpertInnen
vor Islamisten. Dahinter
verbirgt sich nicht nur die nach
dem 11. September zugenommene
Islamophobie. Das Trauma von
1979 sitzt tief, als eine demokratisch
gesonnene Revolution gegen
den Schah im Iran zum Wegbereiter
für ein Mullah-Regime wurde. Die
Wahlergebnisse in Ägypten und Tunesien
scheinen die Sorge vor dieser
Entwicklung zu bestätigen.
Dass es sich bei den syrischen
Lokalkomitees keineswegs um IslamistInnen
handelt, ist im Internet
nachzulesen. Ihre emanzipatorischen
Positionen sind inzwischen
so fein ausgearbeitet, dass niemand
sagen kann, man wisse nicht, wer da
unterstützt wird.
Die offene Frage, ob die Komitees
ihre Forderungen beim Sturz des Regimes sofort durchsetzen
können, kann kein Argument sein.
Die Französische Revolution, die
den Absolutismus hinweggefegt hat,
war schließlich auch kein Fehler, nur
weil am Anfang nicht klar war, ob
sich ihre Ziele wirklich durchsetzen
würden oder es bei der Schreckensherrschaft
der Jakobiner bleibt.
Postmoderne
statt GroSStheorie
Die Verhältnisse in Nicaragua waren
einfach: Auf der einen Seite standen
ArbeiterInnen und BäuerInnen,
angeführt von den SandinistInnen.
Auf der anderen Seite die von den
USA gestützte Diktatur von Anastasio
Somoza. Wer bis in die 1990er
Jahre hinein Nicaragua-Kaffee
trank, positionierte sich für eine sozialistische
Freiheitsbewegung und
gegen US-Imperialismus.
Für solch einfache Weltbilder
sind die SyrerInnen zu spät dran:
Es gibt die politischen Ideologien
nicht mehr, die sich unvereinbar
gegenüberstehen. Die Proteste in
Syrien sind vielmehr von großer
Pluralität geprägt, nicht von einer Großtheorie. Das macht es erst einmal
schwierig, sich dort politisch zu
verorten. Die junge Demokratiebewegung
kämpft für ideologiefreie
Räume, um eine Debatte zur Selbstpositionierung
einzuleiten. Für so
Manchen InternationalistInnen ist
befremdlich, dass die Bewegung
kaum soziale Forderungen stellt,
sondern Freiheit und Würde verlangt.
So fehlt ihr das Vorbildhafte:
Freiheit und Würde sind in unseren
Gesellschaften geschenkt, kämpfen
müssen wir um das Soziale.
Das verwirrende
Freund-Feind-Schema
Das syrische Regime gilt als sozialistisch.
Als Teil der »Achse des
Bösen« war Syrien im Nahen Osten
ein antiimperialistisches Bollwerk
gegen amerikanischen Einfluss.
Wer sich mit den RevolutionärInnen
solidarisiert setzt sich dem
Ruf aus, auf Seiten der USA und
der Golf-Diktaturen gegen einen
säkularen, fortschrittlichen Staat zu
stehen. Das ist verwirrend, aber es wäre fatal deswegen den syrischen
AktivistInnen die Solidarität zu
verweigern. Nicht nur in Syrien,
überall ist es legitim, wenn sich
Menschen gegen diktatorische
Regime wehren und ihre Proteste
für Selbstbestimmung sind unterstützenswert.
Seine eigenen Forderungen aufzugeben,
nur weil Akteure wie die
USA sie ebenfalls unterstützen, ist
absurd. Im Falle Syriens ist ohnehin
offensichtlich, dass westliche
Staaten und Golf-Diktaturen andere
Ziele verfolgen. Der Bundesrepublik
geht es nicht allein um
Menschenrechte und Demokratie,
wie sich nicht zuletzt an Panzerlieferungen
nach Saudi-Arabien zeigt,
die gegen Protestierende in Bahrain
eingesetzt werden.
Das klassische Freund-Feind-
Schema der 1980er Jahre passt
einfach nicht mehr, die Interessen
sind vielfältig und neue Fronten
sind entstanden: Russland liefert
Waffen, um mit dem Assad-Regime
nicht den letzten Partner in
der arabischen Welt und die einzige
Militärbasis am Mittelmeer
zu verlieren, und der Iran braucht
Syrien als Verbündeten gegen
Saudi-Arabien. Die westlichen
Staaten und Israel wollen vor allem
Stabilität, und sind dabei unterschiedlicher
Ansicht, wie diese
zu erreichen ist. Hinzu kommen
Einzelinteressen der Türkei und
der Hisbollah im Libanon.
Die Angst vor der Nato
Die SyrerInnen haben zudem das
Pech, dass die LibyerInnen vor
ihnen revoltierten. Die militärische
Intervention der Nato macht
den Widerstand gegen das Assad-
Regime bei Friedensbewegten wie
AntiimperialistInnen suspekt,
schwenkten die befreiten Bengasi-
LibyerInnen doch amerikanische
Fahnen. Mit ihrer Intervention
hat die Nato somit nicht nur die
Diktatur Gaddafis beseitigt, sondern
auch die Solidarität mit der
Revolution in Syrien. Selbst wenn
es nach einem Jahr Aufstand nicht
einmal die geringsten Anzeichen einer Nato-Intervention gibt, haben
Teile der Friedensbewegung
schon mal präventiv auf Solidarität
mit den SyrerInnen verzichtet.
Der fehlende
Wohlfühlfaktor
Zusätzlich zur einfachen politischen
Analyse fehlen auch die klaren
Bilder. Mohammed Al Attar,
ein syrischer Dramatiker, schreibt
in einem Essay: »Der Mangel an
Unterstützung für den friedlichen
Widerstand in Syrien kann
zum Teil mit dem Fehlen eines
symbolischen Bildes vergleichbar
mit Ägyptens Tahrir-Platz erklärt
werden.«
Schöne Bilder von entschlossenen,
fröhlichen Menschen, die
diskutieren, singen, campen wie
auf dem Tahrir, wie auf dem Platz
der Kasba in Tunis oder dem Platz
vor dem Gerichtsgebäude in Bengasi,
können die syrischen AktivistInnen
nicht produzieren. Sie demonstrieren
meist in Seitenstraßen
oder im Dunkeln. Denn wenn sie
es doch auf einem zentralen Platz
versuchen, werden sie oft nach nur
zehn Minuten auseinander getrieben
und verhaftet. Nur wenn die
Menschen an über 600 Orten
gleichzeitig auf die Straße gehen,
wie inzwischen an den meisten
Freitagen, sind die Sicherheitskräfte
überfordert.
Die Bilder der syrischen Revolution
bieten deshalb keinen
Wohlfühlfaktor. Sie sind geprägt
von Tod, Zerstörung, Folter und
Verzweiflung, aber auch von Verbissenheit
und Trotz. Sollte der
Aufstand scheitern, droht vielen
AktivistInnen und ihren Familien
die bekannte Härte des syrischen
Regimes. Sie werden deshalb ihre
Proteste fortsetzen, denn ein Zurück
gibt es für sie nicht mehr.
Es ist beschämend genug, ein
Jahr lang geschwiegen zu haben.
Es ist höchste Zeit, unsere Bedenken
und Vorurteile zu überwinden
und die syrischen AktivistInnen
solidarisch zu unterstützen. Wege
dafür gibt es genug, nur müssen sie
auch gegangen werden.

 

Eine Amazone auf Jagd

Viele Amazonen auf Jagd

 

Aus gegebenem Anlaß (des Als-Ob) sei hier außerdem noch eine Beobachtung von drei indonesischen Künstlern in Berlin 2000 angefügt:

Die drei Künstler aus Djakarta bekamen kurz nach dem Abflauen des dortigen Bürgerkriegs eine Einladung, sich an einer Ausstellung im „Postfuhramt“ (in Mitte) zu beteiligen, ihr Aufenthalt hier dauerte über den 1. Mai hinaus. Hochgespannt machten sie sich an dem Tag auf den Weg nach Kreuzberg: Alljährlich hatten sie mit leuchtenden Augen im philipinischen Fernsehen und auf CNN Bilder von den Straßenschlachten in Kreuzberg gesehen: brennende Barrikaden, Molotowcocktails, Tränengasschwaden, Krankenwagen, schweres Räumgerät, Blaulichtgeflacker und Sirenen…

Am Heinrichplatz machten sie spät nachts ihrer Enttäuschung Luft: „Das ist ja alles bloß Spiel hier – Räuber und Gendarm, der Arbeiterkampftag ist ein Medienspektakel bei euch. Selbst die Hubschrauber, die über den Demonstranten kreisten, filmten diese nur. Wenn bei uns in Djakarta Hubschrauber auftauchen, schießen die sofort mit automatischen Gewehren auf uns. Aber über zwanzig Jahre lang haben wir gedacht, in Berlin wird noch viel härter gekämpft – bei uns dagegen nicht wirklich.“

Ebenfalls aus gegebenem Anlaß noch einen intellectual guess vom Weddinger Reptilienforscher Heiko Werning anläßlich der Ankündigung einer linken Gruppe, erstmalig wieder im Wedding in den 1.Mai reinzurandalieren – um Gentrifizierung und Rassismus aus diesem ehemaligen Arbeiterbezirk walpurgisnachtmäßig niederzuringen:

Geboren wurde die “antikapitalistische Walpurgisnacht” in Prenzlauer Berg, danach rumpelte sie durch Friedrichshain. Ergebnis: beide Bezirke sind inzwischen total gentrifiziert. Sind es gar nicht, wie immer behauptet wird, die Künstler, die Hipster, die Studenten, die die Speerspitze der Gentrifizierung bilden? Sind es die revolutionären Antikapitalisten, die den Boden erst bereiten, die eine Gegend erst aufregend und interessant machen, sodass sich anschließend eben mit dem üblichen Zeitverzug der Rattenschwanz an Nachfolgern dorthin begibt? Ist nicht so eine antikapitalistische Walpurgisnacht bereits vollendete Gentrifzierung im Kleinformat: eine Bande neunmalkluger Zugereister fällt über einen Kiez her, weiß alles besser, macht den dicken Maxe und sorgt, zumindest hier im Wedding, dafür, dass sich garantiert kein einziger Einheimischer in der Nähe blicken lässt? Aber dass dafür die ganze Gegend groß in die Medien kommt? Und andere erst richtig auf sie aufmerksam macht?

 

Gemütliche Amazone im Sattel

 

„Das gute Leben“/Fait divers & accompli

 

Das gute Leben…so hieß der taz-Kongreß, der neulich – am 14.April 2012 – im Haus der Kulturen der Welt stattfand. Man hätte ihn besser „Das gesunde Leben“ nennen sollen. Nicht eine der vielen Diskussionsveranstaltungen widmete sich tatsächlich dem guten Leben: Also dem gemütlichen und anregenden Zusammensein von guten Freunden mit Tabak, Haschisch und Alkohol – und das nächte – ach was: jahrelang. Ein solches Leben zu führen wird immer schwieriger, weil man immer weniger verdient, weil die Mieten und die Drogenpreise steigen und das Nichtraucherverbot noch immer greift. Diese Misere zu ignorieren heißt, „das gute Leben“ als Kongreßthema zu verfehlen. Darüberhinaus wurde auch das  Abschlußveranstaltungs-Thema „Wo bleiben die Aufstände gegen eine aus den Fugen geratene Welt?“ verfehlt, denn die Referenten – Daniel Cohn-Bendit, Robert Misik u.a. – versteiften sich dabei auf das gegenteilige Problem: „Wie kriegen wir progressive Mehrheiten hin?“ Wobei sie an die (drei) linken Parteien dachten und nicht an „Aufstände“ und soziale Bewegungen. Letztere kommen und gehen und die schweigenden Mehrheiten wählen danach rechts, wie man seit dem Mai 1968 und jetzt wieder in Arabien sehen könne. Dass nur Minderheiten produktiv sind und jeder eine Minderheit sein kann, wurde von diesen Staatsdenkern nicht einmal in Erwägung gezogen.

Dabei lief zur selben Zeit im Haus der Kulturen der Welt eine wunderbare Ausstellung über „Animismus“, in der dies und nahezu alle anderen Themen des taz-Kongresses behandelt wurden. „Der Animismus ist die Ontologie von Gesellschaften ohne Staat,“ so die zentrale These dieser Ausstellung von Félix Guattari – basierend auf dessen Manifest „Die drei Ökologien“. In animistischen Gesellschaften fragt man stets nach dem „Wer?“ und nie nach dem „Was?“ Wenn etwas objektiv scheint, ist es noch nicht weit genug analysiert. Während bei uns –  umgekehrt – jeder subjektive Rest weganalysiert werden muß. Ich lernte in dieser Ausstellung schmerzlich, dass ich mein halbes Leben bloß krampfhaft versucht habe, zur (progressiven) Mehrheit zu gehören – beim Tanzen (in Benimmkursen, Diskos und Clubs), was eine einzige Einübung in Unterwerfung war. Drastisch vor Augen geführt wurde mir dies durch die armseligen Tanzübungsschritte einer Gruppe von Vorstadtjugendlichen in Pasolinis Film „Große Vögel – Kleine Vögel“, der ebenfalls auf der Animismus-Ausstellung gezeigt wird. Die radikale Alternative dazu führte dann der japanische Butoh-Tänzer Min Tanaka im Garten der psychiatrischen Klinik „La Borde“ vor. Dort arbeitete Félix Guattari als Psychiater. Tanakas  Tanz der Grausamkeit führte mir derart eindringlich mein verpfuschtes Mehrheitsleben vor Augen, dass ich Nasenbluten bekam. Der Film darüber heißt „Assemblage“ (1) und in der taz-Abschlußveranstaltung diskutierte man natürlich auch darüber, d.h. über die „Asambleas“  der Occupy-Bewegung: Sie wurden als bloß „virtuelle Größe“ abgetan. „Daraus folgt nichts,“ so Robert Misik. Mit dem Satz „mindestens bedürfe es einer Bündelung der Proteste – und ihrer Transformierung in Parteipolitik“, wurde erneut auf eine „linke Mehrheit“ im Staat abgezielt.

Zuvor war – auf zwei anderen taz-Podien – eine Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge gefordert und über eine gute „Anlageberatung“ diskutiert worden. In der Veranstaltung „Aufessen oder streicheln“ hatte die Schafhalterin Hilal Sezgin für einen radikalen Vegetarismus plädiert, wobei sie ebenfalls hoffte, dass ihr Verschmähen von Fleisch – zu Gunsten der Tiere und zu Ungunsten der Pflanzen, die dabei jedoch nicht leiden würden (das Gegenteil beweist ein Film in der Animismus-Ausstellung!“) –  irgendwann mehrheitsfähig wird. Dazu paßte eine andere taz-Veranstaltung, in der Thilo Bode, Leiter von „Foodwatch“, als Alternative zu dem ganzen Bio-Schwindel eine „Verbraucherdemokratie im Supermarkt“ forderte. Generell kann man sagen, dass die meisten (staatsuniversitär beschäftigten) taz-Referenten politisch korrekte Ich-Strategien verfolgten, von der sie hofften, damit irgendwann in diesem  antianimistischen Westen eine Mehrheitsposition zu vertreten. Die Masse  der etwa 2000 Teilnehmer des Kongresses schien diesbezüglich jedenfalls schon mal optimistisch zu sein, was hernach als ein „voller Erfolg“ gewertet wurde. „Der alternative Aufbruch vor 30 Jahren trägt heute Früchte,“ wie eine Veranstaltung mit dem taz-Geschäftsführer das nannte. Und in der Tat geht es der alternativen taz quasi saugut – in diesem Gesellschaftssystem, nur dass man hier nicht mehr täglich die Kacke des Seins umgräbt, sondern Öko-Komposthaufen damit anlegt – was „Am Ball bleiben“ genannt wird.

 

Berliner Amazone 1

Berliner Amazone 2

 

 

Dabei kam es jedoch irgendwann zu einem Wechsel von „harten“ zu „weichen Ideologien“, wie der Philosoph Jean Baudrillard das nannte: „Die Menschenrechte, die Dissidenz, der Antirassismus, die Ökologie, das sind die weichen Ideologien, easy, post coitum historicum, zum Gebrauch für eine leichtlebige Generation, die weder harte Ideologien noch radikale Philosophien kennt. Die Ideologie einer auch politisch neosentimentalen Generation, die den Altruismus, die Geselligkeit, die internationale Caritas und das individuelle Tremolo wiederentdeckt. Herzlichkeit, Solidarität, kosmopolitische Bewegtheit, pathetisches Multimedia: lauter weiche Werte, die man im Nietzscheanischen, marxistisch-freudianistischen und Situationistischen Zeitalter verwarf – zugunsten z.B. eines rabiaten ‚Her mit dem schönen Leben‘, wie Majakowski es verlangte.

Diese neue Generation aber ist die der behüteten Kinder der Krise, während die vorangegangene die der verdammten Kinder der Geschichte war. Diese jungen, romantischen, herrischen und sentimentalen Leute finden gleichzeitig den Weg zur poetischen Pose des Herzens und zum Geschäft. Sie sind Zeitgenossen der neuen Unternehmer, sie sind wunderbare Medien-Idioten: transzendentaler Werbeidealismus. Dem Geld, den Modeströmungen, den Leistungskarrieren nahestehend, lauter von den harten Generationen verachtete Dinge. Weiche Immoralität, Sensibilität auf niedrigstem Niveau. Auch softer Ehrgeiz: eine Generation, der alles gelungen ist, die schon alles hat, die spielerisch Solidarität praktiziert, die nicht mehr die Stigmata der Klassenverwünschung an sicht trägt. Das sind die europäischen Yuppies.“

 

Großbürgerliche  Amazone

 

Die taz im Film

Die Berliner Lokalistin Plutonia Plarre ist drauf und dran, die erste nur noch filmisch tätige taz-Redakteurin zu werden – und liegt damit weit vorne. Nach den „Berlinfolgen“ – auf taz.de – drehte sie nun aus Anlaß des 20jährigen Jubiläums der taz-Genossenschaft und des taz-Kongresses „Das gute Leben“ einen zwölfminütigen Videoclip über das taz-Kollektiv, das auch immer guter lebt – dank der vielen meist süddeutschen Big Spender, taz-Genossen auch genannt, die kürzlich erstmalig selbst eine taz-Ausgabe produzierten. Daneben gab die für die Genossen-Acquise und -Pflege zuständige taz-Abteilung ein Buch über die wohltuende Wirkung von Genossenschaften im Weltgeschehen heraus.

„Plullis“ filmische  Ist-Zustandsbeschreibung „die taz 2012“ wurde rechtzeitig zum taz-Kongress „Das gute Leben“ im Haus der Kulturen der Welt ins Netz, gestellt – von der taz-Onlineredaktion. In diesem „taz.de“-Clip kommen vom Vorarbeiter in der Druckerei über die Vertriebs-Mitarbeiter und die Redakteure bis zu den Autoren alle wenn schon nicht zu Wort dann wenigstens ins Bild. Umso merkwürdiger, das der  Online-Geschäftsbereich der taz ausgespart blieb – obwohl es umgekehrt der Print-Bereich ist, der in den nächsten Jahren verschlankt und schließlich abgewickelt wird – wenn man dem Herausgeber der New York Times glauben darf. In der taz äußert sich dies bereits dadurch, dass die Arbeitsräume für die (letzte?) Printausgaben-Mannfrauschaft immer hübscher und ergonomischer  werden, inzwischen gibt es sogar schon ein kommunikative Steh-„Lounge“ – um die Afrika-Kaffeeautomaten herum – für diese „Holzjournalisten“ (vor dem Internet gab es nur einen einzigen Holzjournalisten in der taz: Christian Specht). Über die Einstellung von ökologisch korrekten Dachgärtnern wird noch gestritten – seitdem der Hanfanbau dort von der Geschäftsleitung nicht mehr „gerne gesehen“ wird. Die taz ist nun also – fünf vor zwölf, da bereits die  „Bürgerjournalisten“ ante portas stehen – eine richtige – aktuelle – Zeitung. Und das äußert sich auch bei den von Plulli interviewten tazlern, ähnlich wie bei den bürgerlichen Politikern, die ebenfalls an ihrer Abschaffung arbeiten, überwiegend positiv.

 

Amazone mit nassem Handtuch

 

In sogenannten primitiven Gesellschaften fragt man stets „Wer?, in den westlichen dagegen „Was?“. So fragte denn auch Plulli die taz-Mitarbeiter:  Was ist die taz?  Zwischen deren optimistischen Statements nach Art von Werbespots wurden shots aus dem taz-Arbeitsalltag geschnitten und das ganze u.a. mit Musik der Gruppe „Blechreiz“ unterlegt (der „Brücke/taz1“-Redakteur Rüdiger Rossig ist Mitglied dieser Deutschska-Band). Das dabei am Ende rausgekommene politische Profil des ideellen Gesamttazlers zwischen An- und Abdruck macht den Eindruck, dass dessen „Linkssein“ sich von den Grünen über „Die Linke“ bis zur Piratenpartei erstreckt. In diesem „taz-spirit“ begreifen sich die  Leitungsfunktionsträger als „Moderatoren“ und die Drucker als Erstleser. Zudem sind die taz-Macher jünger als die taz-Leser und ihre Gesamt-„Seele“ ist „leicht verletztlich“, wie der Redakteur für Fernwirkung, Philip Gessler, meint. Während die eher im Nahbereich wirksame Assistentin der Chefredaktion, Gabi Sohl, von einer „im Großen Ganzen rabiaten Seele“ spricht, die schon einiges überlebt hat. Ob sie auch den derzeit grassierenden Optimismus überlebt, diese Seele, mag dahingestellt sein. Denn Unternehmen haben keine Seele (mehr), wie eine Forschungsgruppe der Uni Bielefeld jüngst festgestellt hat. Der  taz-Parlamentsbüro-Redakteur Stefan Reinicke spricht denn auch lieber vom „Herz“ der taz – in dem noch immer eine „spontane Veranstaltung“ schlägt oder vielmehr schlummert. Für die eher gründliche Finanzwirtschaftsredakteurin Ulrike Herrmann ist es dagegen immer noch erstaunlich, dass so ein doch ganz „normaler Durchschnitt der Bevölkerung derartig originell sein kann, wenn man ihn einfach mal machen läßt.“ Leider kommt das in den Antworten der dazu interviewten taz-Mitarbeiter irgendwie nicht richtig rüber, wie man in unseren  Filmkritikerkreisen so sagt.

 

Angreifende Amazone 1

Angreifende Amazone 2

 

 

„Marxistische Psychologie“

Bei unserer Beschäftigung mit den antidarwinistischen, d.h. lamarckistischen Biologien, manche sagen auch „Lamarxismus“ dazu, haben wir im Gegensatz zu dem Nazi-Ethologen Konrad Lorenz den sowjetischen Forscher Iwan Pawlow links liegen lassen: Seine scheußlichen Experimente an Hunden, die er am laufenden Meter verbrauchte, schreckten uns ab.  Aus Pawlows Theorie über die bedingten Reflexe entwickelte sich in den USA der Behaviorismus eines B.F. Skinner – eine nicht minder scheußliche Ratten-Psychologie, die jedoch ebenfalls quasi-lamarckistisch den Umwelteinflüssen über die „Konditionierung“ große Bedeutung beimißt. Beider Verhaltensforschungen konkurrierten dabei mit der „Ethologie“ von Lorenz, für den auf gut darwinistische Weise der angeborene Instinkt weitgehend das Verhaltensrepertoire der Arten bestimmt. In den USA konkurrierte die Lorenzsche Instinktlehre mit der „Soziobiologie“ – von Edward O. Wilson.

Aus dem Instinkt wurden dann die Gene. Und aus der unmoralischen Hundequälerei eine moralische Politik: Indem der Pawlowschüler Sergej Tschachotin gegen den erstarkenden Nationalsozialismus im Mai 1932 in der Arbeiterstadt Offenbach seine Theorie von der „Reflex-Konditionierung“ ins Feld führte – d.h. anwandte. Seine Propagandakampagnen für die „Eiserne Front“, einer militanten Untergruppe der Sozialdemokratie, mobilisierten allein in Hessen 10.000 Aktivisten. Tschachotin sprach von einem „psychogeographischen Guerillakrieg“. Zusammen mit dem Reichstagsabgeordneten Carlo Mioerrendorff veröffentlichte er im selben Jahr die Broschüre „Grundlagen und Formen politischer Propaganda“. Tschachotins politische und wissenschaftliche Aktivitäten sind sowohl in der Sozialdemokratie als auch in der Wissenschaftsgeschichte untergegangen. Seinen Widersachern in Deutschland galt er als das „Auge Moskaus“, in Russland nannte man ihn den „Roten Goebbels“. In der Tat richteten sich seine antifaschistischen Propagandaaktionen „Der Rote Dreipfeil“ auch gegen den Bolschewismus.

Margarete Vöhringer vom Zentrum für Kulturforschung, die über (sowjetische) „Avantgarde und Psychotechnik“ promovierte, hat ihm einen Aufsatz gewidmet: „Was hat der physiologische Reflex mit Kunst, Medien und Politik zu tun?“ Anlaß ist der kürzlich in den Kinos angelaufene Film von Boris Hars-Tschachotin über seinen Urgroßvater Sergej, der nach den antifaschistischen Aktivitäten vor den Nazis nach Paris floh. 1941 wurde er dort verhaftet, er überlebte das deutsche Internierungslager von Compiègne und gelangte nach dem Krieg über Umwegen wieder nach Russland, wo er bis zu seinem Tod 1973 weiter forschte.  In der Dokumentation über ihn: „Sergej in der Urne“, die u.a. von der Bundeskulturstiftung finanziert wurde, wirken neben seinem Urenkel, dem 1973 geborenen Regisseur, noch etwa ein Dutzend weitere Nachkommen von Sergej Tschachotin mit. Dieser engagierte sich 1902 und 1918 in der russischen Studentenbewegung, bildete sich in Rußland und, protégiert von Albert Einstein, in Deutschland zum Mikrobiologen aus, nahm eine Professur in Zagreb an, erfand ein „Strahlenskalpell“, das ihn laut Margarete Vöhringer zu einem Wegbereiter der heutigen Lasertechnik machte, entwickelte Vernetzungssysteme für die Wissenschaft, engagierte sich nach dem Krieg gegen die Atombombe, wurde immer wieder gezwungen, seinen Wohnort zu wechseln, „und während all dieser rastlosen Jahre heiratete er (nacheinander) fünf Frauen und zeugte acht Söhne,“ wie der Spiegel anläßlich der Premiere von „Sergej in der Urne“ achtungsvoll schreibt.

Vier von Tschachotins Söhnen leben noch, bei einem in Paris fand Boris Hars-Tschachotin die Urne mit seiner Asche auf dem Wohnzimmerschrank. Die Probleme bei ihrer vergeblichen Bestattung auf Korsika wurden Teil seines Films.  Margarete Vöhringer, die in ihrem Aufsatz über Sergej Tschachotin ausführlich auch auf die von Pawlow entwickelte Verhaltensforschung und die Geschichte des „Reflex“-Begriffs als Voraussetzung für Tschachotins Agitationskunst eingeht, erwähnt als weiteren Pawlow-Schüler den Arbeitspsychologen Wladimir Bechterev, von dessen Forschungen Tschachotin einiges übernahm. Diese hatte Margarete Vöhringer zuvor schon in ihrer Doktorarbeit thematisiert. Bechterevs „Kollektive Reflexologie“ war bereits auf „die Erforschung des Entstehens, der Entwicklung und der Tätigkeit von Versammlungen“ gerichtet, „die ihre gemeinsame korrelative Tätigkeit dank dem gemeinschaftlichen Verkehr als ein Ganzes äußert.“ Tschachotin machte daraus in Deutschland ab 1931 eine „politische Propaganda“, um die „Massen zu lenken und ihrem Zweck zuzuführen.“ 1939 erschien sein letztes Buch zu diesem Thema – und gegen den Faschismus: „Die Vergewaltigung der Massen“ – auf französisch und englisch, wobei er sich bewußt war, dass es „zu spät“ kam: „Wir sind im Krieg“. (3)

 

Kämpfende Amazone

 

…Und danach kam dann die DDR-Gründung.

In Zusammenhang dieses vorübergehenden Staatengebildes und der wissenschaftlichen Druchdringung dieses so gut wie abgeschlossenen Forschungsgebietes ist die Biographie über „Klaus Schlesinger“ von der Jenenserin Astrid Köhler nicht genug zu loben (1). Klaus Schlesinger, taz-Autor und Mitgeschäftsführer der im Januar 1990 (!) gegründeten „Ost-Taz“ wirft in seiner und Martin Stades Rücktrittserklärung, die bereits sechs Monate später erfolgte, der taz vor: auf die „rechte Seite des Boulevard“ übergewechselt zu sein. „Früher als der Springer-Konzern im Osten präsent zu sein, war uns ein unterstützenswertes Ziel. Kohl zu überholen, halten wir für einen peinlichen Ehrgeiz.“

In der Biographie von Astrid Köhler habe ich nur eine Episode im Leben von Klaus Schlesinger vermisst, die ich für sehr wichtig im Spektrum seiner diversen linken  Aktivitäten halte:

Die taz betitelte sie damals „Streitkultur als Exportschlager“.  „Ein Riesenerfolg“, titelte die Märkische Oder-Zeitung – und meinte damit das vorläufige Ende eines „öffentlichen Kampfes“ zwischen den Vorwerk-Bewohnern von Alt-Rosenthal, der „rabiatesten Bürgerinitiative Deutschlands“ (laut Tagesspiegel) und dem Grafen von Hardenberg, einem Düsseldorfer Porschevertreter, der einen Teil seiner ihm zusammen mit dem Schloß Neuhardenberg rückübereigneten Ländereien im Kreis Seelow an die Betonfirma Readymix verpachten wollte.

Dieser britische Konzern, dem weltweit 624 Firmen gehören, beabsichtigte unweit des Vorwerks auf drei „Aufsuchungsfeldern“ nach Kies zu schürfen und damit neue Arbeitsplätze zu schaffen („Alle Kraft für unsere Hauptstadt“).

Dann machte die Firma aber doch einen Rückzieher. Man werde das Projekt Aufsuchung von Kiesvorkommen im Raum Alt-Rosenthal unter Beibehaltung der Erlaubnisfrist nicht weiter bearbeiten: der Protest der Betroffenen war zu groß und zu laut. Zudem hatten die polnischen Kieslieferanten, die den Baustoff unweit des  Niederfinower-Schiffshebewerks direkt an der Oder mit Schwimmbaggern abbauen und ihn dann mit Lastkähnen über den Finowkanal nach Berlin schaffen lassen, noch einmal ihre Preise gesenkt. Und der Kies-Abtransport von Alt-Rosenthal mit LKWs benötigte neue, mindestens bessere Straßen.

Das Vorwerk Alt-Rosenthal ist zwar nur eine kleine Häuseransammlung, diese hat es aber in sich. Der dort lebende Schriftsteller Klaus Schlesinger schreibt, als noch alles offen ist: „Tageslang wie benommen. Wutanfälle, ja Haß. So lange hat es eine politische Macht nicht geschafft, uns zu vertreiben, und nun soll es dem Geld gelingen? – Seit 1973 sind wir hier. Neun Häuser zwischen den welligen Feldern zweier Dörfer gelegen. Fast die Hälfte stand damals leer.“

Dann zogen immer mehr Künstler dort hin. „Laut Akten des MfS hatte eine ‚Operation Vorwerk‘ das Ziel, die ‚Ansammlung feindlich-negativer Schriftsteller‘ wie Plenzdorf, Stade, Schlesinger und Wegner zu zerstreuen…“ Das gelang jedoch nicht.

So dass Adel und Kapital dort im Oderbruch jetzt nicht nur diese wütenden Intellektuellen gegen sich haben, einschließlich des sie damals bespitzelnden Stasi-Zuträgers (der heute ein Asylantenheim bewacht), und eines aus Westberlin inzwischen zugezogenen Psychoanalytikers – beide haben sich sogar aktivitätsmäßig an die Spitze des Protests gesetzt – „um sich quasi zu rehabilitieren“, wie Klaus Schlesinger meint.

Daneben ist aber auch noch fast die gesamte Bevölkerung und Kommunalpolitik ringsum auf ihrer Seite. Der Landrat in Seelow ließ eilends die Kiesgebiete unter einstweiligen Naturschutz stellen: „Für Berlin lassen wir unsere Landschaft nicht kaputt machen“, so die Umweltdezernentin. Das Potsdamer Wirtschaftsministerium wog die Angelegenheit jedoch dann anders ab.

Auf einer Protestversammlung im Sommer vergangenen Jahres meinten deswegen einige die Protestler beratende Juristen: Nur nach dem Motto ‚Wehret den Anfängen!‘ und zwar ‚Von Unten!‘ könne noch etwas bewirkt werden. Läuft das Verfahren erst einmal, sind alle Gesetze gegen die Betroffenen: Die Möglichkeiten der Bergbaubehörde reichen bis hin zur Enteignung von Eigentümern, die ihr Land nicht freiwillig hergeben.

Der Widerstand gegen die „Kiesräuber Readymix“  begann bereits im Frühsommer 1993 – initiiert von dem e.e. Wessi, der sich, ebenso wie wenig später ein Westberliner Kleinverleger, im Vorwerk ein Haus gekauft hatte. Erst sammelte er von jedem Vorwerk-Bewohner eine Protestunterschrift ein, dann gründete er die „Interessengemeinschaft Naturschutzgebiet Bergvorwerk“. Selbst seinen Gegner, den Grafen Hardenberg, bat er am 12.8.93 um Mitarbeit: „helfen Sie uns zu verhindern, dass zum dritten Mal Verwüstung über die ehemaligen Länder Ihrer Familie kommt“.

Die „Bürgerinitiative“, der der Psychoanalytiker fortan zusammen mit dem Plenzdorf-Sohn Morten, der ein Fuhrunternehmen in Seelow betreibt, vorstand, bewirkte erst einmal seine eigene Integration in die Vorwerk-Datschengemeinschaft. Des weiteren betrieb die Initiative eine erfolgreiche „Pressekampagne“, die Tochter des Psychoanayltikers arbeitete in der taz. Bald  interessierten sich aber auch die staatlichen  Medien für den „Fall“, z.B. der ORB, der sogleich sein „Vor Ort“-Team dort hinschickte.

Während der Live-Sendung gelang Ulrich Plenzdorf, der wohl ebenfalls „Wutanfälle, ja Haß“ in sich spürte, ein äußerst effektvoller Auftritt – „da kam fast Volksfrontstimmung auf“, berichtete der Psychoanalytiker hernach erfreut.

 

Amazonen-Gruppe

 

Als zum Jahresende bei seinem Vorwerk-Nachbarn – dem Westberliner Kleinverleger – ein Festessen stattfand, war diese neuerliche Schlacht um die Seelower Höhen bereits so gut wie geschlagen. Ausgerichtet wurde das vorzügliche Mahl von den Untermietern des Verlegers, einem Westberliner Bioladen-Ehepaar. Bei ihren Gästen handelte es sich sämtlichst ebenfalls um Westdeutsche, die sich in der näheren oder entfernteren Nachbarschaft ein Haus zugelegt hatten.

Ich erfuhr dort: Die Jagd sei jetzt an einen Westler aus dem Ruhrgebiet verpachtet worden. Das hätte der Förster erzählt, den im übrigen seine vorgesetzte Behörde angewiesen hatte, ja nicht bei Aldi einzukaufen – wegen seiner Vorbildfunktion. Das Schloß im nahen Wulkow gehöre ebenfalls einem Westdeutschen, der dort bereits zwei Millionen reingesteckt habe, es soll ein Fünf-Sterne-Hotel daraus werden. Und dann gäbe es in der Nachbarschaft noch einige junge Leute, die ökologischen Landbau betreiben …

Klaus Schlesinger, der nicht so recht glücklich über diesen Etappensieg war, meinte: „Ohne diese blöde Wiedervereinigung wäre uns all das erspart geblieben – das Kapital hat seine eigenen Widersacher gleich mitgebracht.“

Irgendwann gab der Graf von Hardenberg ganz auf – und verkaufte das Schloß an den westdeutschen Sparkassenverband, der daraus ein vornehmes Kulturzentrum machte.

Sein Ost-Widersacher Klaus Schlesinger starb unterdes, ebenso Ulrich Plenzdorf und der Psychoanalytiker,  der Kleinverleger zog wieder zurück nach Westberlin,  die anderen widmeten sich langsam wieder ihrer Landarbeit.

 

Pferd führende Amazone

 

Der Traum von der Auflagenkönigin im Osten…

…War für die tageszeitung im Dezember 1991 zu Ende: „da ging die Ost-taz im Mutterblatt auf,“ wie Astrid Köhler schreibt. Ihr war nicht nur die Autonomie verweigert worden, obwohl die Westredakteure vom Osten keine Ahnung hatten, wie Klaus Schlesinger ihnen vorwarf, es wurde ihnen – namentlich Jürgen Kuttner, Anja Baum  und André Meier, die heute mit „Videoschnipseln“ auf Vortragstournee gehen (am 19.April hatten sie in der Volksbühne die 104. Vorstellung) – auch noch der Autnomiestatus der Berlin-Kulturredaktion genommen, woraufhin sie 1993 kündigten. Zuvor hatte man bereits Stefan Schwarz wegen seiner vormaligen OibE-Tätigkeit, ohne darüber Näheres zu wissen, geschaßt.

Ähnlich wie das Netz von ostdeutschen taz-Mitarbeitern statt auszubreiten dergestalt sukzessive gekappt wurde (jetzt sagen bereits in Ostberlin sich engagierende  Kölner „Occupy-„Aktivistinnen: Ja, man könne sie interviewen, aber nicht für die taz), wurde auch der Nachschub an Nicht-Journalisten in die taz-Redaktionen zum Versiegen gebracht.

Während die taz sich aus dem Osten wieder zurückzog wollte ein anderer  Projektemacher zur gleichen Zeit (Ende 1989) Immobilienkönig im Osten werden. Das ließ sich dann auch gut an. Aber nun scheint es auch bei diesem „Real-Estate-Großprojekt“ – ähnlich wie in der ostdeutschen Solarbranche – bergab zu gehen:

Anno August Jagdfeld „mußte für die Grand Hotel Heiligendamm GmbH & Co KG in dieser Woche Insolvenz anmelden,“ schreibt die Süddeutsche Zeitung am 1.März 2012. Am selben Tag heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über das selbe Objekt von Anno August Jagdfeld: „Heiligendamm ist eben kein normales Hotel, es ist auch eine Strukturmaßnahme für die Mecklenburger Bucht, ein Denkmalschutzprojekt für ein beispielhaftes Villenensemble und eine Imagekampagne für die gesamte Ostsee. So etwas kostet Geld. Dass sich das Haus mittlerweile gerade so trägt, ist schon ein Wunder. Der Service jedenfalls, so unser Augenzeuge, sei ganz hervorragend. Für Mensch und Tier.“

Mit „Tier“ meinte der FAZ-Autor insbesondere Hunde, die bzw. deren Herrchen oder Frauchen in Jagdfelds „Grand Hotel“ zwischen folgenden Hunde-Gerichten wählen können: „Kaninchen mit Hirschschinken und Bohnen an Wildreis“; „Fasan an Wintergemüse und Hirse, verfeinert mit Thymianhonig“; oder: „Hirsch mit Vanillebirne und Preiselbeeren an Petersilienkartoffeln“ Und das alles nur für  sieben Euro fünfzig! „Kein Wunder,“ schreibt der FAZ-Autor, „dass das Hotel in Heiligendamm in Finanzierungsschwierigkeiten geraten ist, bei solchen Preisen…Es ist ja nicht das erste Mal, dass der Besitzer Anno August Jagdfeld um den unwirklich weißen, klassizistisch eleganten Komplex am Ostseestrand bangen muss.“ Bereits 2009  mußte die Landesregierung mit einer Vier-Millionen-Bürgschaft einspringen, gleichzeitig sprang das Management des Fünfsternehotels, die Kempinskigruppe, ab. Sie hatte zuletzt die „Übernachtungen bei Tchibo verramscht,“ wie das Hamburger Abendblatt am 20. März  schreibt, „zwischenzeitlich war das Hotel deshalb ausgebucht: mit Menschen, die morgens die Liegen am Pool mit ihren Handtüchern belegten, das Frühstücksbüfett plünderten – und das Zigarren-Löschwasser tranken.“ Jagdfeld sprach von einem „großen Imageschaden“ – weswegen er sich von der Kempinskigruppe getrennt haben will.  Zuletzt lief es aber laut FAZ „wieder ganz gut, das bestätigte uns auch der Bekannte am Ort, es sei anständig voll gewesen und er habe an Halbprominenz immerhin Benjamin von Stuckrad-Barre sichten können. Für ein unspektakuläres Wochenende Ende Februar gar nicht mal schlecht.“

Diese FAZ-Propaganda für „Heiligendamm“ und damit für das Filetstück in der Jagdfeldischen Immobiliensammlung kam aber wohl zu spät. Bereits 2007 hieß es – in der taz, dass „das Hotel, in dem vor wenigen Wochen noch die acht mächtigsten Staatschefs der Welt dinierten, Jagdfelds großes Sorgenkind ist. Erst gab es Krach mit Bürgern aus dem nahen Bad Doberan, weil die Hoteliers Normalbürger nicht mehr so nahe an ihre Anlage heranlassen wollten. Die Gäste kamen auch eher zögerlich, daher wurden Zimmer zu Sonderangeboten vergeben. Der G-8-Gipfel, so betonte Fundus immer, werde den Aufschwung bringen. Bisher muss man in Heiligendamm darauf noch warten.“

Probleme hat Hanno August Jagdfeld seit einiger Zeit auch in München, wo er angeblich das seinem „Fundus Fonds Nummer 12“ gehörende „Hotel Deutscher Kaiser“ zu billig an die Inka-Service GmbH“ des Augustiner-Brauereichefs Janik Inselkammer verkaufte. Die Anleger klagen.

 

Siegreiche Amazone

Einige andere Objekte machen dem  Immobilienhändler aber auch keine Freude: So meinte etwa der Pförtner des Jagdfeld-Hochhauses „Pyramide“ am Ortseingang von Marzahn 2003: „Die ist zwar nur halb so groß wie die Cheopspyramide, aber doppelt so tot!“ Im Jahr darauf, 2004, hieß es in der Presse bereits: „Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Betrugsverdachts gegen den Gründer des Immobilienfonds Fundus, Anno August Jagdfeld. Hintergrund ist ein Verkaufsprospekt des Fonds, in dem die vermietbare Fläche des Marzahner Bürokomplexes ‚Die Pyramide‘ deutlich zu hoch angegeben sein soll. Nach einem Bericht des manager magazins, den die Staatsanwaltschaft bestätigte, ist der Fonds praktisch pleite und der Komplex steht fast leer.“

Beim Prestigeobjekt „Hotel Adlon“ fehlte es Jagdfeld anfangs an Einlegern, so dass die Banken einspringen mußten, in der Presse hieß es: „Zwar versicherte Fundus-Chef Jagdfeld, daß eine Kreditaufnahme durch die dadurch entstehenden Verlustzuweisungen für die bisherigen Anleger nur Vorteile mit sich bringe. Experten befürchten jedoch, daß die Zinsbelastungen die jährlichen Ausschüttungen in der Zukunft weit überschreiten würden. Die Fundus-Gruppe ist einer der größten Investoren in Berlin. Neben den gestern vorgestellten Plänen für das Tacheles ist Fundus (auch mit persönlichen Vermögen der Familie Jagdfeld) in der Friedrichstraße mit dem Quartier 206 vertreten. In Lichtenberg baute die Gruppe die Büropyramide an der Landsberger Allee, in Friedrichshain das Frankfurter-Allee-Plaza und in Charlottenburg das Spreebogen-Plaza. Daß eine Kreditaufnahme bei den Banken ein Ausdruck aktueller Liquiditätsprobleme ist, weist die Kölner Gruppe allerdings von sich.“

Die Jagdfeld-Gattin Anna Maria hatte unterdes aus ihrem „China-Club“ – unterm Dach des Hotel Adlon – eines der feinsten Ausstellungen mit chinesischer Kunst gemacht – und dafür ein Vermögen ausgegeben. Der auf Mitglieder angewiesene „Club“ ist jedoch auch heute noch nicht ausgelastet, um es vorsichtig zu sagen. Ähnlich am Publikum vorbei scheint dann auch ihr  „Departementstore“ geplant worden zu sein: „Es mangelt darin an nichts, außer an Preisschildern, schrieb die taz, „ein ‚Ressourcing-Team‘ von 60 Mitarbeitern ist ständig unterwegs, um den Luxus der Welt auch nach Berlin zu bringen. Die Dame im Seidenkleid ist dennoch skeptisch. Ihren Departmentstore in einem der Blöcke der Friedrichstadt-Passagen findet sie zwar ganz passabel. „Aber das Umfeld, das lässt zu wünschen übrig.“

2012 kam Jagdfeld erneut ins „Gerede“ – dpa meldete: „Im Streit hinter den Kulissen des Berliner Luxushotels Adlon hat sich der Immobilienunternehmer Anno August Jagdfeld durchgesetzt. Der 64-Jährige ist persönlich haftender Gesellschafter der Jagdfeld Hotel Adlon Fundus Fonds Nr. 31 KG. Ein Teil der Anleger dieses Fonds hatte versucht, Jagdfeld zu entmachten. Auf einer Gesellschafterversammlung in dem berühmten Hotel am Brandenburger Tor scheiterten sie jedoch in der Nacht zum Samstag, wie der Sprecher der Jagdfeld-Gruppe, Christian Plöger, eine ehemaliger „Welt“-Journalist, sagte.“

Die FAZ schrieb 2012: „Anno August Jagdfeld sollte niemand unterschätzen – gerade wenn er vermeintlich mit dem Rücken zur Wand steht.“ Dennoch mußte auch die FAZ zugeben: „Mit Luxushotels hat der Immobilienunternehmer kein Glück“. Aber selbst wenn er das „Grand Hotel Heiligendamm“ nun verkaufen muß, wird Jagdfeld dem Ort erhalten bleiben: „Denn mit seiner Grundstücksgesellschaft ECH Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm ist der Unternehmer aus dem Rheinland als Bauträger in dem beschaulichen Luxus-Badeort an der Ostseeküste weiterhin aktiv.“ Und auch noch an so manchem anderen Orten: „Mit seiner Fundus-Gruppe verbaute Jagdfeld deutschlandweit fünf Milliarden Euro in 800 Objekten. Rund 60 000 Anleger steckten ihre Ersparnisse in seine Immobilienfonds. Ex-Bundespräsident Roman Herzog verlieh dem passionierten Rolls-Royce-Fahrer für sein Engagement in Ostdeutschland gar das Bundesverdienstkreuz,“ schreibt der Spiegel, „Jagdfeld hat jedoch nicht nur beeindruckende Immobilien erstellt, sondern auch ein undurchsichtiges Firmengeflecht geschaffen, das dafür sorgt, dass er selbst bei den Geschäften nicht zu kurz kommt.  Viele Positionen in seinem Imperium sind mit Familienmitgliedern besetzt, von einem Bruder, Söhnen und seiner Frau. Anne Maria Jagdfeld leitet in Berlin den Luxuszweig des Familienimperiums – bestehend aus Luxuskaufhaus, Luxusrestaurant, Luxusclub und Luxusinnenarchitektur für Fundus-Projekte.“

Dazu gehört in der Hauptstadt auch das „Luxushospital Meoclinic“, in der u.a. Araber aus den Golfstaaten behandelt werden. Aber auch „diese  feine Welt hat Risse bekommen,“ heißt es im Spiegel, denn „es gibt Zweifel daran, dass alle Versprechen der Werbeprospekte gehalten wurden. Zu Behandlungen mit noch nicht zugelassenen Impfstoffen soll es gekommen sein, für die von todkranken Patienten exorbitante Summen kassiert wurden. 2007 stritten sich Jagdfeld und sein einstiger Geschäftsführer Heinz R. Zurbrügg vor Gericht.“ „Vermögensschädigung und Vertrauensmissbrauch“ werfen die Jagdfeld-Anwälte Zurbrügg vor sowie „gröblichste Verstöße“ gegen seine Pflichten als Geschäftsführer. Auch mit seinem „Tacheles“-Erwerb hatte Jagdfeld wenig Glück – 2010 meldete der Spiegel: „Weil er mit seinen Plänen scheiterte, hat die HSH Nordbank die Immobilie in Zwangsverwaltung genommen; die angeschlagene Bank kann die Millionen gut gebrauchen. Zehn Interessenten gebe es, sagt ein Sprecher.“

Im Internet-Portal der „Fundus-Geschädigten“ (Anleger), in dem eine Anwaltskanzlei über den Stand der Prozesse im Zusammenhang der   „Fundus-Objekte 28 und 34“ berichtet, heißt es derzeit:  „Anders als prognostiziert blieben in etlichen der seitens des Initiators Anno August Jagdfeld aufgelegten Fundus-Fonds die Ausschüttungen weit hinter den gemäß Prospekt gehegten Erwartungen zurück. So wurde beispielsweise der Fundus Fonds 27 (Bürohaus Pyramide, Berlin) unter erheblichen finanziellen Verlusten für die betroffenen Anleger abgewickelt. Nicht minder verlustreich für die betroffenen Anleger stellte sich die Zwangsversteigerung der dem zuvor in die wirtschaftliche Schieflage geratenen Fundus Fonds 29 (Gutenberg Galerie Leipzig) zugrunde liegenden Immobile dar.“ Die Junge Welt bezeichnete Jagdfeld deswegen als „Investorenschreck“. Ein CDU-Hinterbänkler im Berliner Senat meinte mir gegenüber: „Was regen Sie sich bloß immer über diese Immobilienpleiten auf. Hauptsache ist, dass da erst mal was steht. Es ist doch oft so, dass der Bauherr und erste Besitzer sich zurückziehen muß, erst beim zweiten oder dritten wird das Objekt langsam rentabel.“

Die Stadt Bad Doberan scheint jetzt beim Grand Hotel Heiligendamm auf eine weniger exklusive Vermarktung zu setzen: Ihr gehört ein großer Teil der Flächen rund um die Luxusherberge, die sie nur  verpachtet hatte – und nun zurück haben will. 2007 ließ die Stadt auf Bitten von Jagdfeld die Zuwegungen zu seinem Hotel auf diesen Flächen mittels Zäunen sperren, weil die Tagestouristen die Hotel-Gäste stören würden, wie es damals hieß. Der Grand-Hotel-Chef warnt nun vor einer Öffnung der Wege:  Das könnte das endgültige Aus für das Haus bedeuten.

Einige Junglinke in Rostock begreifen diese „Öffnung der Wege“ und Anno August Jagdfelds Warnung davor bereits als „Wende der Wende“- als ersten Schritt der Rückkehr zur guten alten DDR, da jeder Arbeit hatte und keine Not, der Drogen-, Prostitutions- und Porno-Konsum sich noch ebenso in Grenzen hielt wie die Ladenöffnungszeiten, und überhaupt alles immer besser werden sollte, bis hin zum Zahnersatz – während es jetzt seit 20 Jahren immer schlechter wird: d.h. immer darwinistischer.

 

Amazone gegen Herakles

 

 

Witzisch

Auch die Prenzlauer Berg Boheme scheint optimistisch und guter Dinge zu sein – seitdem Bert Papenfuß und Mareile Fellien in der Metzerstraße eine Kneipe namens „Rumbalotte“ eröffnet haben, wo mindestens vier Zeitungen herausgegeben bzw. zusammengestellt werden. Dort fand vor kurzem die Vorstellung eines Buches über jüdische Wittze aus dem Neuberliner Verlag „Patchworld“ statt:

Es gibt jüdische Witze – von und über Juden. Und es gibt Judenwitze – über Juden von Nichtjuden. Letztere sind zumeist antisemitisch motiviert. Oft besteht der Unterschied zwischen beiden jedoch nur darin, wer ihn wem erzählt. Die große Sammlerin jüdischer Witze, Salcia Landmann, meinte, mit der Vertreibung und Vernichtung des osteuropäischen Judentums sei der jüdische Witz gewissermaßen ausgestorben. Dahinter steht eine Witztheorie, die besagt, je unterdrückter und marginalisierter eine Volksgruppe ist, desto schärfer sind ihre Witze. In den USA und in Israel konnte deswegen kein derartiger jüdischer Witz wie etwa in Galizien entstehen, zumal viele „Wize“ ursprünglich auf Jiddisch erzählt wurden.  „Der Witz ist die Wunderwaffe der Wehrlosen“, heißt es denn auch im Nachwort des Göttinger Philologen Peter Köhler zu seiner Sammlung jüdischer Witze: „Das Leben ist ein Hering an der Wand“, die er 2003 bei Reclam veröffentlichte. Darin erwähnt er den ersten Sammler jüdischer Witze, Alexander Moszkowski, der sie 1911 als „das Fundament und die Krone allen Witzes“ pries. „Jüdische Witze garantieren Qualität“, so Köhler, der seine „Wehrlosen“-Theorie allerdings selbst widerlegt, indem er den wehrhaften Israeli Ephraim Kishon erwähnt, dessen Satiren zu den „weltweit meistgelesenen“ zählen.

Im Jahr 2010 erschien im „Patchworld-Verlag“ eine Sammlung „moderner jüdischer Witze“ mit dem Titel „Sex am Sabbat?“, herausgegeben von Ilan Weiss. Der Autor stammt aus Israel, ist Versicherungsmakler und lebt seit zwanzig Jahren in Berlin. In seinem Vorwort widerspricht er Salcia Landmann, denn seiner Meinung nach gibt es „wunderbare moderne jüdische Witze, die zweifellos nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind“, was er mit seinem Buch zu beweisen sucht. Vielleicht verhält es sich mit diesen Witzen aber auch wie mit den „DDR-Witzen“, von denen ihr Sammler Clement de Wroblewsky annimmt, dass dabei „klassisches Witzgut verwertet“ wurde: unter anderem „jiddische Witze, die zum Teil aus Polen und Russland bzw. der Sowjetunion kamen“.  Einer seiner Witze – aus der österreichischen KuK-Zeit, der in modernisierter Fassung auch von Ilan Weiss in seiner Sammlung aufgenommen wurde, geht so: Zwei arme Juden, die ohne Geld in Belgrad angekommen sind, entdecken dort an einer katholischen Kirche ein Schild: „Für jeden Glaubensübertritt zahlen wir 100 Kronen.“ Sie beratschlagen sich lange und beschließen dann, dass erst mal einer von ihnen die Sache ausprobieren soll. Der geht dann auch in die Kirche, während sein Freund draußen wartet. Er wartet lange, schließlich kommt der andere wieder raus. „Na, wie war’s? War’s schlimm?“, wird er gefragt. „Nein, alles in Ordnung.“ – „Und hast du das Geld?“ – „Ja.“ – „Wirklich 100 Kronen?“ – „Ja.“ – „Und – zeig schon“, drängt der eine. „Das ist genau das, was wir Christen an euch Juden nicht mögen: Immerzu denkt ihr nur ans Geld“, erwidert der andere.

In der Köhler-Sammlung findet sich folgender Witz aus dem nationalsozialistischen Deutschland: „Levi spaziert im Stadtpark und begegnet Seligmann, der auf einer Bank sitzt und gemütlich den Völkischen Beobachter liest. „Seligmann!“, schreit Levi entsetzt. „Wie kannst du diesen Dreck lesen?“ – „Das kann ich dir sagen“, erwidert Seligmann. „Wenn ich eine von unseren Zeitungen lese, bin ich hinterher völlig deprimiert – nichts als Katastrophenmeldungen: Juden aus dem Staatsdienst geworfen, Juden ist der Arztberuf verboten, Juden dürfen nicht mehr Straßenbahn fahren, so geht es in einem fort. Hier dagegen steht, dass die Juden die Welt regieren, dass sie die Zügel der internationalen Finanz in der Hand halten, dass sie die Politik sämtlicher Länder kontrollieren und so weiter. Ich sage dir, Levi: die reinste Seelenmassage.“  Noch ein jüdischer Witz – aus der Sammlung von Ilan Weiss: Ein amerikanischer Jude und ein Asiate fahren im gleichen Zugabteil. Auf einmal gibt der Jude dem anderen eine schallende Ohrfeige und sagt: „Das ist für Pearl Harbour.“ – „Was kann ich dafür“, sagt der Asiate: „Ich bin kein Japaner, ich bin Koreaner.“ – „Japaner, Koreaner, Chinesen OE die sind doch alle gleich.“ Nach einer Weile bekommt der Jude die Ohrfeige zurück: „Das ist für das Versenken der ,Titanic‘.“ – „Das waren aber keine Juden. Das war ein Eisberg.“ „Eisberg, Goldberg, Greenberg OE das ist doch alles dieselbe Mischpoke.“  Und ein letzter Witz – aus der Sammlung von Peter Köhler: Wenige Jahre nach Gründung Israels organisiert die jüdische Gemeinde von Miami eine große Lotterie zur Unterstützung des jungen Staates. Erster Preis: eine Woche Aufenthalt in Israel. Zweiter Preis: zwei Wochen Aufenthalt in Israel. Dritter Preis: drei Wochen Aufenthalt in Israel.

Siehe auch den Eintrag „Witzforschung in diesem blog: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/wp-admin/post.php?post=716&action=edit&message=1

 

Amazone mit Peitsche

 

Anmerkungen:

(1) Der Film „Assemblage“ ist selber eine, indem er aus zwei mal drei und einmal einem Teil besteht  – zusammengestellt haben ihn Angela Melitopoulos und Maurizio Lazzarato 2011/2012

(2) Sein Freund aus Hausbesetzertagen und Mitbewohner Michael Sontheimer schrieb zum einen einen Nachruf auf den im Mai 2001 an Leukämie gestorbenen Klaus Schlesinger und zum anderen kürzlich – 2012 – eine Rezension der Biographie von Astrid Köhler:

Im Oktober 1980 tauchte er erstmals in der Wattstraße auf, in den Redaktionsräumen der taz in Berlin-Wedding. Mit seinen wilden grauen Haaren und dem Vollbart erinnerte er – ob er es wollte oder nicht, war unklar – an Karl Marx. Es stellte sich heraus, dass er Klaus hieß, Schriftsteller war und aus der DDR kam. Da wir jungen taz-Redakteure weder über die DDR noch über Literatur viel wussten, konnten wir mit seinem Nachnamen „Schlesinger“ nichts anfangen.  Klaus arbeitete in den Abend- und Nachtstunden, nachdem die Produktion der taz abgeschlossen war, an Sonderseiten, die den Titel „Literataz“ trugen und alle drei, vier Monate in die Zeitung eingefügt wurden. Zu den Redakteuren der Beilage zählten seine Kollegen Hans Christoph Buch und Helga Nowak, und, wenn ich es recht erinnere, György Dalos. Das autonome Redaktionskollektiv veröffentlichte Gedichte von Wolf Biermann, Kurt Bartsch oder Adolf Endler und Prosa von Monika Maron, Uli Plenzdorf, Peter Schneider oder Wolfgang Hilbig.  Klaus war Mitte 40, an die 20 Jahre älter als wir, sprach mit diesem schönen Berliner Akzent, der in West-Berlin nur mehr selten zu hören war, und rauchte unablässig französische Gitanes. Er kam aus einem Land, das uns West-Berliner Linksradikalen fremder war als Frankreich oder England, obwohl wir es jeden Tag mit der U-Bahn auf dem Weg von Kreuzberg zur taz-Redaktion unterquerten: die Deutsche Demokratische Republik. 

Erst zehn Jahre nachdem er in der taz aufgetaucht war, las ich den Satz, der ein Schlüssel zu Klaus Schlesingers Leben und Werk ist; in der 1990 veröffentlichten „persönlichen Chronik“ mit dem Titel „Fliegender Wechsel“: „Ohne meinen Lebenskreis, der einen Radius von höchstens fünf Kilometern hatte, jemals für längere Zeit als vier Wochen zu verlassen, habe ich die Nachteile dreier Gesellschaftssysteme erfahren können.“ Dieser Satz sagt zum einen, dass Schlesinger durch und durch ein Berliner Schriftsteller war. Der Mittelpunkt seines Lebenskreises lag etwa beim Alexanderplatz. Er wuchs in der Dunckerstraße in Prenzlauer Berg auf, als Berlin Reichshauptstadt war; er hatte in der Hauptstadt der DDR gelebt, in West-Berlin und in der wieder vereinigten deutschen Hauptstadt.  Zum anderen offenbart das unelegante Wort „Gesellschaftssysteme“, dass Schlesinger ein politischer Schriftsteller war, für den der Untergang, die Teilung und Vereinigung Deutschlands und seiner Heimatstadt Berlin mehr waren als die Kulisse für seine Erzählungen und Romane. Das deutsche Drama des 20. Jahrhunderts führte ihn zu einem Anarchismus mit sozialistischem Unterbau.  Klaus Schlesinger, der im Mai 2001 gestorben ist, wäre heute 75 Jahre alt geworden. Als Gegner von größeren Geburtstagsfeiern hätte er dies wohl weitgehend ignoriert. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es ihn übermäßig gefreut hätte, dass die Literaturwissenschaftlerin Astrid Köhler jetzt eine Biografie über ihn vorgelegt hat. Obgleich er auch Menschen verehrte, wie etwa seinen väterlichen Freund Stefan Heym, hatte er eine tiefe Abneigung gegen Personenkult und Autoritäten aller Art. Er empfand es selbst als zwanghaft, aber konnte nicht anders, als immer wieder gegen Vorgegebenes und Vorgesetzte zu rebellieren.  Deshalb war es nicht verwunderlich, dass er sich in West-Berlin nicht von der Konrad-Adenauer-Stiftung als Dissident feiern ließ, sondern 1981 schnell seinen Weg zu den Hausbesetzern fand.

In den besetzten Häusern in Berlin-Schöneberg, in der Winterfeldtstraße, lernte ich Klaus Schlesinger näher kennen, als sympathischen, überaus solidarischen Genossen; und als jemand, der wunderbar erzählen und vorlesen konnte. Er gehörte zu den Schriftstellern, deren Texte am besten klingen, wenn sie von ihnen selbst gelesen werden.  Seine Texte hatten viel mit ihm zu tun, mit dem in der Dunckerstraße geborenen Berliner Jungen, dessen Vater Angestellter bei Ullstein und Mitglied in der NSDAP war, aber im Endkampf um Berlin spurlos verschwand; mit dem Schüler, der aus der Oberschule geflogen war, weil er Mitschülern westliches Propagandamaterial in die Schultaschen gesteckt hatte.  An der Charité war Klaus Schlesinger Chemielaborant geworden und lernte seinen lebenslangen Freund „Ypsilon“ kennen, mit dem er Bücher verschlang: Sartre, Döblin, Böll und viele andere. Er begann selbst zu schreiben, seinen ersten Text veröffentlichte 1960 die Zeitschrift ndl (Neue deutschen Literatur). Er handelte von einem jüdischen Jungen im Warschauer Ghetto. Schlesinger hatte geheiratet, lebte mit seiner Frau Ruth und bald auch Sohn David in einer Einzimmerwohnung mit Außenklo in der Chausseestraße in Berlin-Mitte.  Der Bau der Mauer war ein Schock; noch mehr, dass Freund Ypsilon bald nach West-Berlin floh. Schlesinger absolvierte bei der Neuen Berliner Illustrierten (NBI) einen Kurs in Literarischer Reportage, nach dem Vorbild von Egon Erwin Kisch. Doch ein Schwenk der SED in der Kulturpolitik brachte Ende 1965 das Ende des Kurses. Der Rostocker Hinstorff-Verlag gab dem von Existenzängsten geplagten Schlesinger einen Vorschuss, um an einem Roman zu arbeiten. Es folgten Aufträge vom Rundfunk und Drehbücher. Da er sich in Jazzkneipen und anderen Treffpunkten der Ost-Berliner Boheme herumtrieb, versuchte die Stasi, ihn als Spitzel anzuwerben. Er erklärte, er stünde unter einem pathologischen Zwang, Geheimnisse sofort ausplaudern zu müssen. Der Systemvergleich  Anfang der 1970er Jahre heiratete Klaus Schlesinger die Schauspielerin und Sängerin Bettina Wegner, Tochter überzeugter Kommunisten. Es war seine zweite Heirat.

1971 erschien sein Roman „Michael“, die Geschichte eines junges Mannes, der seinen Vater als Kriegsverbrecher auf einem Foto erkennt. Das Buch brachte den Durchbruch und wurde in vier Sprachen übersetzt. Schlesinger wurde in den Schriftstellerverband aufgenommen, seine Erzählung „Alte Filme“ erschien auch in der Bundesrepublik und wurde vom ZDF verfilmt.  Wenn es 68er in der DDR gab, dann zählten Schlesinger, Wegner und ihre Freunde zu ihnen. Die Berliner Wohnung des Paares in der Leipziger Straße wurde zum Treffpunkt von Dissidenten. Günter Grass, Peter Schneider und andere West-Kollegen kamen zu deutsch-deutschen Lesungen und Diskussionen. Schlesinger und Wegner organisierten im „Oktoberclub“ eine Veranstaltungsreihe mit Musik, Literatur und Diskussion. Sie wurde bald verboten. Die Stasi eröffnete zu dem rebellischen Paar den operativen Vorgang „Schreiberling“. Später erarbeiteten Geheimdienstoffiziere einen „Zersetzungsplan“, mit dem Ziel, die Ehe der beiden zu ruinieren.  Schlesinger war kein Freund der Anpassung. Ende 1976 unterzeichnete er das Manifest von Künstlern gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann. Drei Jahre später protestierte er mit Kollegen dagegen, dass das Devisengesetz gegen die Oppositionellen Robert Havemann, Stefan Heym und Wolfgang Hilbig angewandt werden sollte. Der Schriftstellerverband der DDR schloss daraufhin neun Mitglieder aus, unter ihnen Schlesinger.  Nachdem er im Mai 1980 mit einem dreijährigen Ausreisevisum nach West-Berlin kam, gehörte er zu den wenigen Berlinern, die sich in beiden Teilen der Stadt ungestört bewegen konnten: ein großes Privileg, doch er bezahlte es mit dem Zwang zum Systemvergleich. Ost, West; West, Ost. Der Untergang der DDR bedeutete das Ende der Vergleiche und Alternativen für ihn: ein schwerer Schlag. Er fühlte sich seines möglichen Rückzugsgebietes beraubt. 

Nachdem er 1982 in die „Potse 157/159“, zwei besetzte Häuser in Berlin-Schöneberg, gezogen war, taten seine Schriftstellerkollegen aus Ost und West das Abtauchen in die anarchistische Lebenswelt als spätpubertäre Verirrung ab. Literarisch produktiv war er in diesen Jahren weniger. Seine wunderbaren Berlin-Romane „Die Sache mit Randow“ und „Trug“ schrieb er später, als er alleine wohnte und dann mit seiner dritten Frau Daisy zusammenzog.  Der Literaturwissenschaftlerin Astrid Köhler, die Schlesinger nie begegnete, ist eine gut recherchierte und erfrischend lebendige Biografie Schlesingers gelungen. Köhler lebt teils in London und ist vom englischen Biografiestil beeinflusst, der sehr viel mehr ins Persönliche geht als die Werkexegesen deutscher Literaturwissenschaftler. Und als Ostdeutsche kann sie auch das Leiden an der DDR besser verstehen als Westdeutsche. Schlesingers Jahre unter den Hausbesetzern sind das einzige, was sie nicht vollständig in den Griff bekommen hat. „Verweigerung der Bürgerlichkeit“, nennt sie diese Phase.  Dabei hat Schlesinger die Bürgerlichkeit im Sinne politischer und kultureller Anpassung sein ganzes Leben lang nicht interessiert. Zum einen war er in seiner Ablehnung des Kapitalismus unbeirrbar, zum anderen war er schlicht zu faul, sich zu rasieren.

(3)  Es gab damals noch einen kommunistischen Psychotechniker, der über die Pawlowsche Reflexologie hinausging: Wilhelm Reich. In der  Komintern-Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxismus“ war dies 1930 Thema eines Streitgespräch zwischen ihm und I. Sapir. Ersterer behauptete in seiner „marxistischen Psychoanalyse“, dass jede analytische Untersuchung eines Individuums zugleich auch Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse sei. Letzterer hielt zwar Reichs „Individualpsychologie“ für brauchbarer als den Pawlowschen Ansatz, statt einer „Dialektik“ sah er darin jedoch eher einen „Biologismus“ am Werk, weswegen die Reichschen  soziologischen Exkurse bloß zu idealistischer Geschichtsklitterung führen würden. Aus dem Grund gelte es eine „marxistische Psychologie“ erst noch zu schaffen. Diese Zusammenfassung der „Reich-Sapir-Kontroverse“ findet sich in dem Aufsatz des Paul Parin Schülers Emilio Modena: „Hommage à W.R.“, abgedruckt in dem Sammelband „Der ‚Fall‘ Wilhelm Reich“, Frankfurt 1997.

Angemerkt sei hierzu: Reichs Biologismus war ähnlich wie die Pawlowsche Relfexologie antidarwinistisch, d.h. lamarckistisch ausgerichtet, wie Peter Berz  in „Die andere Biologie des Wilhelm Reich“ (zusammen mit B. Steininger) darlegte, sein Text wurde 2008 veröffentlicht in: „Wilhelm Reich Revisited“ (hg. Birgit Johler)-  Katalog zur Ausstellung „Wilhelm Reich“ im Jüdischen Museum Wien (November 2007).

(4) Philippe Malière, ein Belgier in Diensten der amerikanischen Firma Heurisko USA Inc in Delaware, spricht von einem „Übergang von der Darwinschen zur Leibnizschen Evolution“. Gemeint ist laut FAZ die „zielgerichtete, von Chemikern und Ingenieuren geplante und letzen Endes von Genom-Automaten in Windeseile bewerkstelligte Konstruktion neuer, hochproduktiver Organismen…“

Praktisch ging es bei diesem „Übergang“ dann so weiter – laut FAZ:

„Die Erbmoleküle DNA und RNA sind nicht die einzigen Moleküle, die genetische Informationen speichern und weitergeben können. Philipp Holliger vom Medical Research Council in Cambridge und seine Kollegen haben künstliche Nukleinsäuren mit eigens dafür im Labor erzeugten Enzymen in DNA übersetzt und aus der entstandenen DNA wieder künstliche Nukleinsäuren gemacht. Sie haben damit die Grundlagen für die automatische Replikation einer künstlichen Erbinformation gelegt und auch den Prozess geschaffen, mit dem sie nach den Regeln der Evolution weiterentwickelt werden kann. Die Wissenschaftler wollen damit die synthetische Biologie voranbringen („Science“, Bd. 336, S. 341). Deren Anliegen ist es, völlig neue Lebensformen zu entwerfen und herzustellen.“

Im selben FAZ-Feuilleton ist jedoch auch davon die Rede, dass „das Werk selbst immer noch seine beste eigene Version ist.“ (Roland Barthes) Und dass die „sapientia“ (besonnene Behandlung) einer alten Lebensform zwar ein „staubiges Geschäft“ ist, zurück bleibe jedoch ein „Goldstaub des Sinns“ – wenn man sie mit „größter Delikatesse“ angehe.

Amazone at home

 

Amazone bei Nacht

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kommentare

  • Die SZ meldet:

    Ägypten dreht Israel das Gas ab:

    Ein äußerer Feind, um die innere Diktatur zu rechtfertigen: Ägypten hat den Vertrag über Gas-Lieferungen ins benachbarte Israel gekündigt. Mit Politik habe das nichts zu tun, beteuert der Chef der ägyptischen Gasholding, doch das glaubt ihm kaum jemand. Im Mai wählt Ägypten einen neuen Präsidenten, im Juni sollen die Generäle ihre Macht abgeben. Bis dahin erlebt das verwirrte Land ein kaum durchschaubares Ringen um die besten Plätze für die Zeit danach. Von Sonja Zekri

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