vonElisabeth Wirth 30.09.2019

Kaleidoskop

Kühne Kunst, rare Objekte, kuriose Dinge – Elisabeth Wirth besucht besondere Ausstellungsorte in Berlin.

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An drei Tagen in der Woche öffnet Roland Albrecht die Tür zu seinem Museum in Schöneberg. Hinter der Schwelle wartet eine phantastische Welt, in der die Besucher*innen einer Traumabgabestelle und einem Kostümmodell des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer begegnen können.

Unverständnis ist eine Reaktion, die das Museum der unerhörten Dinge hervorruft. Amüsiert erzählt Roland Albrecht, der Mann hinter dem Museum, von den Bewertungen enttäuschter bis verärgerter Besucher*innen bei Google. Einem sind die Objekte nicht skurril genug, dem nächsten ist das Museum mit seinen 20 Quadratmetern schlicht zu klein. Manche fühlen sich veräppelt. Unerhört findet eine Besucherin diese „Anhäufung von Schrott“. „Daheim“, schreibt sie, „schmeiße ich die Dinge in den Müll.“

Andere wiederum nehmen die Dinge viel zu ernst und missverstehen die Idee hinter dem Museum. Die Anfrage eines Technikmuseums, welches Teile von Walter Benjamins Schreibmaschine von Roland Albrecht leihen wollte, konnte dieser nur ablehnen: Er besitzt sie gar nicht. Und auch die Qigong-Anhänger*innen, die ihn mit Nachfragen zu einem Buch über die Pinguine und die Grundformen des Qigong bombardierten, wollten nicht glauben, dass der wissenschaftliche Titel eine Fiktion ist. Was Roland Albrecht mit seinem Museum in der Schöneberger Crellestraße gelingt, ist etwas Rares. Scheinbar profane Objekte verwandelt der Künstler, Erzähler und Museumsmacher in Artefakte mit einer eigenen, phantastischen Geschichte. 

Der andere Blick

An einem grauen, regnerischen Tag im November vor ein paar Jahren fährt Roland Albrecht mit dem Fahrrad durch Schöneberg. Am Straßenrand sieht er etwas Weißes schimmern. Er hält an und fischt aus dem matschigen Laub den Arm einer Winkekatze. Sein erster Gedanke ist Mitleid. Eben noch hat der Arm das Glück herbeiwinken sollen, nun liegt er hier im Dreck. Einen kurzen Moment wundert er sich über sich selbst. Dann wickelt er den Winkekatzenarm in ein Taschentuch ein und fährt weiter. Monatelang recherchiert er zur Mythologie der Katzen in asiatischen Kulturen. Der Arm eröffnet ihm einen Zugang zu einer neuen Welt, die bevölkert ist von bösen Katzen, weisen Katzen und Monsterkatzen, und inspiriert ihn zu zwei Texten im Stil des japanischen Autors Haruki Murakami.

Heute hängt der Fund über einem weißlackierten Brett zwischen einer rostigen Rose und einem Pappmodell eines Stromverteilerkastens. Mindestens einundzwanzig weitere Objekte stellt Roland Albrecht derzeit in seiner literarischen Wunderkammer aus. Unter jedem Objekt baumelt eine laminierte A4-Seite. Sie erzählt die Geschichte hinter dem Ding. Oder wie sie sein könnte. Mal kunstvoll, mal humorvoll verwebt Roland Albrecht in seinen Texten Realität und Fiktion. Wer sich darauf einlassen kann, der verbringt hier schnell eine Stunde oder länger. Früher war das Publikum eher älter. Inzwischen kommen viele junge Leute und lesen andächtig, wie Kasimir S. Malewitsch ein Rennauto für Kinder entwarf oder wie die Traumabgabestelle von Dr. Almut H. Meyer funktioniert. Kunst habe die Funktion, fiktive Welten zu entwickeln, sagt Roland Albrecht, während wir vor dem Museum sitzen. Wenn eine Schriftstellerin einen Roman schreibt oder ein Schauspieler auf der Bühne sagt „Ich bin ein König“, ruft niemand Lügner. Zwischen der Schriftstellerin und den Leser*innen gilt dieselbe Vereinbarung wie zwischen dem Schauspieler und dem Publikum. Dass Politiker*innen immer weniger zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden, Geschichten erzählen, als seien sie Künstler*innen, beunruhigt Roland Albrecht. „Das ist nicht ihre Aufgabe. Das ist die Aufgabe der Kunst. Wer darf das machen? Ich darf das machen“, sagt er, sichtlich irritiert über die Politik in Zeiten von Fake News und Social Media.

Die Wunderkammer hinter der Wunderkammer

Das Museum der unerhörten Dinge erschöpft sich bei weitem nicht in den Objekten, die in der Ausstellung zu sehen sind. An den Museumsraum schließt sich ein weiterer kleiner Raum an: das Depot. Die Wunderkammer hinter der Wunderkammer. Hier liegen verstaut in Schubladen die lauten Dinge. Die Dinge, denen Roland Albrecht ihre Geschichte entlocken konnte und die gerade nicht ausgestellt werden.  Die leisen Dinge, deren Geschichten noch nicht gehoben wurden, hängen an den Wänden. 300 Objekte, sortiert nach Gewicht. In der Gewichtsklasse null bis fünf Gramm sticht eine Fotografie von Sigmund und Anna Freud ins Auge, darüber baumelt ein glitzernder Vogel. Ersatzhosentaschen zum Aufbügeln und eine angebrochene Tube Alleskleber findet man bei den Objekten, die zwischen zehn und 15 Gramm wiegen. Bei den Schwergewichten von 100 bis 140 Gramm hängen unter anderem drei Gartenharken, eine Mausefalle und ein Schaukelpferd. Pünktlich zum hundertjährigen Bauhaus-Jubiläum hat ein Objekt seine Geschichte verraten. Ein Schmuckstück entpuppte sich als Miniaturmodell eines Kostüms des Triadischen Balletts von Oskar Schlemmer. 

Alle Objekte und Texte macht Roland Albrecht schon seit Ende der 1990er Jahre im Internet zugänglich. Sobald ein neues Ding ins Depot aufgenommen wird, sobald ein Objekt seine Geschichte preisgegeben hat, veröffentlicht er ein Foto und den Text auf seiner Webseite. Einen Teil von Albrechts Geschichten hat auch der Wagenbach Verlag publiziert. Jüngst ist ein zweiter Band erschienen, eine überarbeitete Version des ersten Buchs, mit neuen und alten Geschichten.

Die Beseelung der Dinge

Ein Teil des musealen Bestandes ist einer Schatztruhe aus Kinder- und Jugendtagen entsprungen. Ein anderer Teil sind Fundstücke aus den letzten Jahren.

Ich muss an zwei große Umzugskartons denken, die bei mir im Keller lagern. Mehr Sammelsurium als Archiv. Alte Fotoalben, CDs und DVDs, Werke aus dem Kunstunterricht, Spuren vergangener kleiner Lieben, Zeug, an das ich mich jetzt nicht erinnere, von dem ich mich dennoch nicht trennen konnte. Ein früheres Leben in Dingen. Bedeutsam nur für mich. Biografische Souvenirs, wie sie wohl wie die meisten Menschen aufbewahren. Biografische Souvenirs hat auch Roland Albrecht. Da gibt es ein Austernmesser, dass er vor ein paar Jahren gekauft hat und nie benutzt. Oder die alten Bergwanderstiefel, die er nach vielen, vielen Touren im Wald begraben hat. Diese Objekte würde der Künstler niemals ausstellen. „Es wäre nicht interessant, wenn ich Dinge ausstellen würde, die nur eine subjektive Bedeutung für mich haben. Dann wäre es keine Kunst“, sagt er. Im Museum der unerhörten Dinge gibt es eine scharfe Trennung zwischen den leisen und den lauten Dingen, zwischen den Objekten, zu denen Roland Albrecht eine Anhänglichkeit verspürt, und den Objekten, die durch die Recherche und die literarische Arbeit eine objektive Bedeutung erlangt haben. Die Transformation der Dinge ist für das Museum essentiell. Es ist kein Zufall, dass Roland Albrecht mit seinem Museum Mitglied im Museumsbund ist. Das Museum der unerhörten Dinge ist ein Museum und zugleich die Inszenierung eines Museums.

Roland Albrecht lebt in einer Welt beseelter Dinge. Einer Welt, die den verständnislosen Besucher*innen fremd geworden ist. Einer Welt, in der Menschen die Dinge, die sie umgeben, mit Bedeutung aufladen. Roland Albrecht erzählt, dass jedes Kind eine Phase durchläuft, in der es zu den Dingen eine magische Beziehung hat und mit den Dingen spricht. Diese Welt sei nicht nur schön und freundlich, sie sei auch düster und verstörend. Die Phase ende, doch ein Echo dieser Zeit bleibe den meisten erhalten. An diese Erfahrung docken die Kunst und die Literatur an. Sie verführen, entführen in diese andere Welt. 

Der Zauber des Museums der unerhörten Dinge liegt darin, dass Roland Albrecht in einem Arm einer Winkekatze mehr erkennt als ein Stück Abfall. Dem Akt der Beseelung der Dinge ist sein Museum gewidmet.

 

Das Museum der unerhörten Dinge
Crellestrasse 5-6
Berlin-Schöneberg

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