Manchmal stolpere ich bei meinen Recherchen über Textfragmente, die mich dann sehr beschäftigen. Das folgende fand ich in zwei verschiedenen Übersetzungen aus dem klassischen Arabisch und es hieß in den Erläuterungen zu ihnen, es handele sich um Verse. Da der Reim im klassischen Arabisch eine herausragende Rolle spielt – selbst der Koran ist von Reimen durchzogen – waren die reimlosen Verse der Übersetzungen im Original sicherlich gereimt. Und gereimt, in einer (sehr freien und daher sicherlich in jeder Hinsicht vom Original wegführenden) Nachdichtung, gebe ich ihren ungefähren Inhalt hier wieder:
Durchgeknallt sind Christ wie Jude,
die Muslime dreh‘n am Rad,
Mumien aus der Magierbude,
lächerlich in höchstem Grad.
Zwei Kaliber Menschen leben
mithin auf der Erde, die
mit Gehirn, die Gott nichts geben,
und die ohne: Glaubensvieh.
Das ist auch heute noch gegenüber der Mehrheit der Weltbevölkerung nicht unbedingt freundlich. Allerdings ist das Original bereits rund tausend Jahre alt. Es stammt von Abu l-Ala al-Maarri, der von 973 bis 1057 in Syrien lebte, hauptsächlich in der Stadt, nach der er benannt ist, Maarra (Maarat an-Nunam), im Westen des heutigen Landes. Von seinem Werk ist nur sehr wenig übersetzt, ins Deutsche ein paar Zeilen seiner Lyrik und einige kürzere Auszüge aus seiner Prosa, geringfügig mehr ins Englische. Im arabischen Sprachraum ist er als Klassiker bekannt, wird vielleicht auch verlegt und gelesen; seine Skepsis gegenüber religiösen Dogmen ist jedenfalls unvergessen. Vor einigen Jahren hielt die islamistische Al-Nusra-Front es für geboten, ein Standbild des Dichters öffentlich köpfen zu lassen. Was auf jeden Fall eine starke Empfehlung für ihn ist.
Noch einen weiteren Grund gäbe es, Al Maarri neu zu entdecken. Er war Veganer. Normalerweise wäre ich für Verzicht nur ungern zu haben. Doch Al Maarris Motive, kein Fleisch zu essen, keinen Honig und kein Ei, keine Wolle zu tragen und kein Leder, beruhen weniger auf Verzicht als vielmehr auf grenzenloser Solidarität mit allem Lebenden. Keinen Tropfen Wasser möchte er empfangen, schreibt er, wenn es nicht auf der ganzen Erde regnete; Reichtum interessiert ihn nicht als individueller, sondern nur als kollektiver, und sein Kollektiv ist größer, umfassender als ein nur menschliches. Darüber würde ich gern mehr erfahren. Wer, bitte, übersetzt mir den Al Maarri?