vonkirschskommode 28.05.2020

Kirschs Kommode

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Das folgende Gedicht verdankt sich einem Satz oder Vers des österreichischen Komponisten Thomas Amann: „das sprechen dort treibt luftwurzeln“. Falls es ein Vers sein soll, dann einer von den schwer sprechbaren – „dorttreibtluft“ sagt sich hintereinander weg so gut und flüssig wie mein deutsches Lieblingswort Dampfdrucktopf. Mir ist es nicht gelungen, die Bedeutung des Satzes vollständig zu enträtseln. Vermutlich sah Amann so etwas wie Sprechblasen vor sich, die je nach Charakter der sie absondernden Sprecher oder Sprecherinnen verschiedene Formen annahmen. Und eine der Blasen, auf die er hinweisen wollte, war pflanzlich, wurzelig tenkakelnd. Auf einer Zeichnung würde ich die Luftwurzelsprechblase wahrscheinlich ganz gern betrachten. Als Satz gefällt mir der Satz nicht.

Sportlicher Ehrgeiz gab mir allerdings Anlass, mich eingehender mit ihm zu beschäftigen. Ein Lyrik-Wettbewerb. Amann hatte ihn im Vorjahr gewonnen und aus seiner siegreichen Geporöse (siehe Blogbeitrag vom 22.10.2019, Klappe zu, Affe tot) diese Merkwürdigkeit isoliert, damit sie als Motto für den nächsten Wettbewerb diene. So etwas ist für mich unwiderstehlich: Lässt sich nicht doch Sinnvolles aus dem sprachlichen Unfall machen?

Ganz zufrieden bin ich mit dem Ergebnis meines Versuches nicht. Mir ist die Würgefeige eingefallen, die, von weit oben herab, ihre Luftwurzeln zu Erdwurzeln machen kann. Was dann mit dem Baum passiert, auf dem die Feige zu wachsen begonnen hatte, es ist im Gedicht beschrieben und gibt dem Gewächs seinen sprechenden Namen. Und selbstverständlich kenne ich die Erfahrung, meinen eigenen Standpunkt nach und nach vollkommen zu verlieren, wenn ich, etwa aus Höflichkeit, einem anderen Recht gebe, wo ich ihm im Grunde nicht Recht geben kann. Doch wenn ich beides zusammenführe, entsteht eine Parabel, ein nicht aus sich heraus, sondern mittels eines anderen Geschehens Erklärtes. Wäre es nicht besser, eindrücklicher gewesen, ich hätte, entgegen der Aufgabenstellung aus dem Wettbewerb, schlicht nichts zum Reden und Gerede gesagt und mich ausschließlich an das gehalten, was der eine Baum da mit dem anderen macht? Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Mein Ausweg war, das Gedicht mit einer zweiten Überschrift zu retten. Mit der kann es nun als Warnung verstanden werden und sich immerhin nützlich machen.

Die Würgefeige (Mit Rechten reden)

Erst scheißt ein Vogel dir aufs werte Haupt:
Gerede. Aber etwas klebt. Und Fäden,
ganz unscheinbar und zart, umspinnen Schäden,
das Rissige der Haut. Du hast geglaubt,
es juckt dich kaum, hast dir noch Spott erlaubt.
Und gibst dich unbeirrt. Doch wird das Reden
Gestrüpp, das dicht und dichter wächst, dir jeden
Versuch zu widerstehn durch Reden raubt.

Flatternde Mittler: Federn und Gesänge.
Ein Schiss. Ein Kern. Der austreibt bis zum Grund.
Der Lichtmangel lässt dich recht bald erkranken.
Du faulst, höhlst langsam aus, gerätst ins Wanken.
Dann hält dich das Gestrüpp der Feige und
du nährst sie, hingestorben in der Enge.

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