vonkirschskommode 30.01.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

Mehr über diesen Blog

Was bisher geschah: Endlich weiß Wengath nun, woher die Gräber alter Nazis sprengende S.A.F die Informationen über ihre Anschlagziele herhat. Als Fernsehproduktionsfirma getarnt hatten sie im Bundespräsidialamt nach von der Bundesrepublik mit Verdienstorden Geehrten gefragt. Das erzählt der für Orden zuständige Beamte Wengath in einem schicken Café. Immer noch nicht wesentlich weiter ist der Kommissar mit seinen Ermittlungen im Fall des bei einer Grabsprengung zu Tode gekommenen Berliner Polizisten Dellmann, obwohl die Befragung von dessen Tochter einiges ergeben hat, unter anderem, dass Dellmann Mitglied eines Schießclubs war, der sich über Jahrzehnte immer dienstags getroffen hat. Aber bevor Wengath hier weiterbohren kann, muss er in aller Herrgottsfrühe in Begleitung von Staatsanwalt Nebelung nach Stuttgart reisen:

Staatsanwalt Nebelung sah er in Stuttgart wieder. Man muss ja nicht immer reden, hieß die alte weibliche Weisheit auf die Frage: Was reedstinn mit so eim überhaupt? Bloß war diese Weisheit im Augenblick genau die falsche Assoziation. Denn beim Reden konnte man immer noch so tun, als würde man telefonieren und säße einander nicht tatsächlich auf der Pelle. Doch jetzt, wo ihm partout nicht einfiel, was er Nebelung erzählen könnte, fing er den Kerl zu riechen an: Nachtschweiß und Aftershave, spaßig war das nicht. Sie schaukelten dicht an dicht auf der Rückbank eines schwarzen Mercedes über die Autobahn. Vom Stuttgarter Parkfriedhof zur Sitzung des Krisenstabs im Bundeskriminalamt in Karlsruhe nämlich. Um fünf Uhr früh hatten sie diesmal angerufen: Die S.A.F. hatte in der Nacht das Grab von Hanns-Martin Schleyer gesprengt.

Wengath hing seinen Blick in die braun verregneten Weinberge und versuchte an die Gerüche des Imbisses zu denken, den man ihnen Karlsruhe bestimmt anbieten würde: In Margarine gebratenes Omelett mit Schinkenstreifen und geschmolzenen Käse drin, Toastbrot und Kaffee, mit etwas mehr Glück sogar ein Mittagessen, panierte Scholle, Salzkartoffeln, Dillsoße und ein Glas Rheinriesling. Falls sie nicht alle völlig durchgeknallt waren und das Essen vergaßen. Wie freilich sehr zu befürchten stand. Nebelung hatte sofort beim Einsteigen in den Flieger allen Stewardessen erklärt, wie dringend er telefonieren müsse und sich, sobald er durfte, die ganze Zeit ernstesten Gesichts mit seinem Händi beraten. Auf dem Stuttgarter Flughafen empfing sie dann irgendein Chef vom Dienst und wieselte sie, ebenfalls auf das Allerernsteste – aber hallo, Herr Fahrig! – in eine VIP-Lounge hinein, wo sie auf einem immensen Bildschirm den Auftritt des Bundeskanzlers im Frühstücksfernsehen entgegennahmen: Hinterrücks geschändet! Noch einmal ermordet! Von heimtückischen Terroristen! Ein Angriff gegen uns alle! Das Ganze so ziemlich oberknapp vor Tränenfluss. Beim Bundeskanzler. Während Nebelung ihm bei jedem Satz des Regierungschefs die Augen in den Nacken hackte: Deine Schuld, Wengath!
Er zählte seine Trümpfe zusammen, kam auf drei, die wiedergefundene Affenspur, von Wielpütz Aussage und dass der Haftprüfungstermin für Bettina Mayer noch nicht stattgefunden hatte, bei dem der Richter sie bestimmt auf freien Fuß gesetzt hätte. Aber dass man ihm, einem Spezialisten für Brandfälle, Morde an Familienmitgliedern und anderen Kleinigkeiten, wie Nebelung betonte: uunmöglich! einen so politischen Fall zumuten könne, dagegen hätte er kaum noch ein Argument gewusst. Und machte dann doch keine schlechte Figur in der Sitzung des Krisenstabs (ohne Imbiss oder Mittagessen zuvor, sie waren wirklich alle samt und sonders in den siebten Himmel terroristenfahnderischer Wichtigkeit aufgefahren und konnten des Leiblichen gut entraten) mit folgenden Vorschlag:
Da uns mit der Aussage des Zeugen von Wielpütz endlich die Quelle der Saff bekannt ist, können wir zum ersten Mal über einen wirksamen Objektschutz nachdenken. Von Wielpütz sagt, er habe circa dreihundert Namen weitergegeben. Ich schätze, in dieser Liste sind auch die Namen von Prominenten wie Abs, Kiesinger, Globke enthalten, falls nicht, hätten wir statt dreihundert vielleicht fünfhundert Objekte zu beschützen. So wie die Gruppe arbeitet, ist es überflüssig, vor jedes Grab einen Polizisten zu stellen. Es reicht wahrscheinlich völlig, wenn die lokale Streife kurz vor Schließen der Friedhofstore kontrolliert, ob auf dem Grab in ihrer Obhut, neue Kränze oder neue Gebinde liegen und wenn das der Fall ist, Alarm gibt.
Das war so ganz nach dem Liebkindchenschema gestrickt, mit den unwiderstehlichen Schlüsselreizwörtern Kostengünstig und Polizeipräsenz unausgesprochen spielend, dass, was Wunder, angetan gemessenes Nicken um das innen leere Konferenztischviereck ging, wir danken für die sachliche und umsetzbare Anregung der Kollegen aus Berlin, und nur der Vertreter von Sachsen maulte:
Ich denke, die Bundesregierung hat zur Bildung von Lichterketten aufgerufen, um unsere Toten zu schützen. In Stuttgart versammeln sich schon einige Zehntausend.
Ist doch gar kein Widerspruch.
Fiel Wengath ihm ins Wort und, ja, es war wahr: Jeder konnte für einen Augenblick ein Star sein:
Das gibt uns Zeit, die Objektschutzliste vernünftig vorzubereiten, ohne dass die Gräber in der Zwischenzeit ganz ungeschützt sind.
Und es schürzten sich ringsum wieder anerkennend die Münder: Nicht unrecht hat der Mann. Ob, wenn man Botschaften per Zettel oder von Ohr zu Ohr weitergab, das Nicken wohl wie La Ola ums Konferenztischrund laufen würde? Wengath nickte sich selbst ein bisschen ein: Ja, ja, ja, ach ja. Er war ungeschoren davongekommen, was immer Nebelung gegen ihn haben konnte. Der Rest war uninteressant. In Hamburg sollte wohl eine Zeitschrift geschlossen worden sein, die über die Aktionen der Saff unter der Rubrik Kleine Freuden berichtet hatte. Und in Marburg hatte die Polizei ein Internet-Café auseinander genommen, von dem aus die Gruppe ihr Bekennerschreiben in die E-Mailboxen der Zeitungen geschoben hatte. Das würde er alles in den betreffenden Protokollen nachlesen können. Genau wie das Bekennerschreiben selbst. Zu Hause aber erst, mit mehr Ruhe, wenn heute Abend niemand mehr im Dienstgebäude war, bis auf die paar bedauernswerten Kollegen, die Bereitschaft hatten. Er hatte spät abends noch einen Termin bei den Sekur Services und bis dahin noch viel Zeit totzuschlagen.

Neun Bekennerschreiben waren es insgesamt, eines merkwürdiger als das andere. Im neuesten jetzt gab es einen kurzen Hinweis zu Dellmann, die Behauptung nämlich, ihn nicht zu kennen und für seinen Tod nicht verantwortlich zu sein. Ansonsten kreiste es hauptsächlich um die Frage, ob ein Schädel mit seinem zynischen Grinsen menschlicher aussehen könne, als das Gesicht, das ihn mal bedeckt habe. Im Fall von Schleyers Gesicht mit den von Schmissen zerhackten Schwabbelbacken sei die Frage sicherlich ungerecht, in aller Welt, außer in Deutschland vielleicht, wo Schleyer ein tragischer Heiliger oder gar der Inbegriff arischer Rassenschönheit sei, werde unbedingt immer sein nackter Schädel den freundlicheren Eindruck machen. Aber an und für sich sei das nicht so einfach. Und dann kamen seitenlange Exkurse: Hamlets Friedhofszene wurde angeführt, die Piratenflagge und die Totenkopfdivisionen der SS, das ¡viva la muerte! der spanischen Falange und der Tod als negative, wie die Autoren meinten: faschistische Gleichmacherei, ferner das berühmte Zitat, nach dem jeder ab einem bestimmten Alter für sein Gesicht selbst verantwortlich sei, und die Frage, ob das denn stimme, unter Verhältnissen, die den Leuten in die Gesichter schlügen, wie nur irgendein Autounfall. Und nachdem sie bis zum Schluss keine ihrer selbst aufgeworfenen Fragen befriedigend beantwortet hatten, listeten sie einige Vorschläge zur Güte auf: Wie es denn damit stünde, endlich allen Menschen unabhängig von ihren Fähigkeiten und Leistungen, Essen, Wohnung, Kleidung, Gesundheit, Bildung und ein paar Extras lebenslang zu garantieren, damit man mal sehen könne, wie das mit den Gesichtern und Schädeln sich tatsächlich verhalte, ob denn nach 200 Jahren allgemeiner Grundversorgung noch möglich wäre, ein Gesicht so viel hässlicher und unmenschlicher als der eigene Schädel zu haben wie eben Schleyer. Und dass man sie, die S.A.F. bittesehr nicht mit der RAF zu verwechseln habe, denn das wäre ihnen wahrhaftig nicht passiert, dass sie den ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten und noch früheren SS-Kommandanten von Prag handlich verschnürt im Kofferraum zu liegen gehabt hätten, nur um ihn später zu erschießen. Sie hätten selbstverständlich dafür gesorgt, dass der Mann in der damaligen Tschechoslowakei wieder aufgetaucht wäre, wo er bereits als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt gewesen sei und ein zumindest ein gutes Pfand abgegeben hätte, mit dem die Tschechoslowaken vielleicht sogar das Verbot der Sudetendeutschen und Böhmischen Landsmannschaften als revanchistisch und kriegstreiberisch hätten durchsetzen können.
Und in dem Stil alle neun. Eine am unsanft gelüfteten Toten festgemachte Ausgangsfrage, gefolgt von einer gelehrten, mit vielen Zitaten gespickten Abhandlung, und, weil diese Abhandlung stets mehr Fragen aufwarf als beantwortete, zum Schluss ein paar Vorschläge zur Güte. Die Nebelung wiederum juristische Taschentrickspielerei nannte, die Vorschläge seien selbstverständlich keine Vorschläge sondern Forderungen und die Bande habe vor, so lange Gräber in die Luft zu jagen und Polizisten zu ermorden, das vor allem!, bis diese Forderungen erfüllt seien: Sie täten nur so, formulierungsmäßig – das eben war der Taschenspielertrick, hatte Wengath zu verstehen – als seien sie keine Erpresser, seine Behörde wisse aber längst Bescheid. Wengath brummte natürlich Zustimmung, hmhm, wenn Nebelung auf das Thema zu sprechen kam, doch ohne viel innere Überzeugung. Ein Vorschlag zur Güte wie in einem der Bekennerbriefe, die deutsche Bevölkerung bitteschön über die ganze Welt zu zerstreuen, war aller Wahrscheinlichkeit nach dann doch nicht dazu da, befolgt zu werden. Es ging der Saff wohl eher darum, dass Goethe gegenüber Eckermann schon das Selbe gefordert habe: Weil einzig die ausgewanderten Deutschen noch erträgliche deutsche Zeitgenossen seien. Könne man doch mal ausprobieren, schrieben die Saffler dazu, wer sind wir, die Ratschläge eines Klassikers zu bekritteln. Und bekundeten dann doch ihre verdammten Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahme. Aber um wie viel mehr würden sie ins Zweifeln kommen, wenn aus irgendeinem Grund achtzig Millionen Deutsche auf den Vorschlag hin fröhlich ausriefen: Auja! Prima Idee! Um stante pede ihr Ränzlein zu schnüren und loszumarschieren. Der Gruppe bliebe dann wahrscheinlich nicht viel Anderes übrig, als sofort eine Bombe unter die Grabplatte des nächst greifbaren Joseph Neckermann mit Nazivergangenheit zu legen und ein absolutes Reiseverbot für ihre Landsleute zu fordern.
Und selbst, wenn es den einen oder anderen Vorschlag zur Güte gab, der sich nicht völlig abgedreht anhörte, wie den, aus dem der Spiegel seine große Story von der S.A.F. als Bande ausländerfreundlicher Terrorzombis gebastelt hatte – nämlich den weltweit freien Verkauf der Ware Arbeitskraft nicht mit Polizeimaßnahmen zu behindern, sondern statt dessen einfach solche Arbeitgeber strafrechtlich zu belangen, die Menschen ohne Sozialversicherung und für Stundenlöhne unter 20 Mark schuften ließen – selbst wenn es einen solchen Vorschlag gab, der mit ein paar Gesetzesänderungen schnell in die Praxis umgesetzt gewesen wäre, dann blieb er doch immer noch Lichtjahre von dem entfernt, was innerhalb der nächsten zwanzig Jahre durchsetzbar war. Und außerdem: Die Schreiben wurden ja nicht einmal abgedruckt. Sicher, die Gruppe beschwerte sich hin und wieder über diesen Punkt: Die Presse, schrieb sie, schweigt uns tot. Doch gemessen an dem Aufwand, den sie mit den Grabsprengungen betrieb, ließ es sie erstaunlich kalt. Es schien, als machten die Saffler das alles nur für ihren Herrgott. Oder zumindest im Gottvertrauen darauf, dass man sie in hundert Jahren besser verstünde.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/kirschskommode/keine-kunst-17/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert