vonkirschskommode 27.02.2020

Kirschs Kommode

Komplett K: Kommodenfächer & Kurzwaren, Krimi & Kinder, Klasse & Küche, Kypris & Kirche, K-Wörter & Komfort.

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Was bisher geschah: Kriminalkommissar Wengath macht innerliche Erfahrungen, seine ganzen Organe hängen durch, bis sie beginnen, sich zu verbeuscheln – am Ende  der letzten Folge habe ich ihn auf dem Klo im Justizgebäude sitzen lassen müssen. Wengaths Übelkeit ist die Folge eines monumentalen Katers: Irgendwer möchte, dass er in der Mordsache Dellmann nichts mehr unternimmt, und um das zu unterstreichen, hatten die Wachmänner Kolbe und Breker eine ganze Flasche Schnaps in Wengath hinein gegossen. Nach einem Filmriss findet der Kommissar sich vollgekotzt neben der Leiche von Monika Dellmanns Ehemann Nwgabe wieder – erst später sagt ihm der Polizeipsychologe, er habe mit dessen Tod nichs zu tun. Als er schließlich, wieder ein wenig erholt, von seinem Kollegen Schwittmann erfährt, dass auch der Staatsanwalt den Fall Dellmann ad acta legen möchte, beschließt er, dem Herren einen Besuch abzustatten. Er kommt nur bis in die Toilettenkabine, wo er jetzt gefangen sitzt und nach draußen lauscht:

Schritte, große Männer, die bedächtig die volle Blase gegen die Wand in Stellung brachten, die Füße auseinander, Hüfte vor, Kopf nach hinten mit Blick zur Decke. Dann einen Schluck Luft durch die Zähne einziehen (Pisse steigt), kurzer Erleichterungsseufzer (Strahl frei): Ah! Und erst wenn es im Urinal kräftig gurgelte, durfte einer wieder zum Heini hinunterschielen, ehernes Männergesetz. Dann Ihn in der hohlen Hand abtröpfeln lassen, bisschen schlackern, noch ein mal: kurz Ah! Und: Hüfte nach hinten, Heini in die Mitte des locker angeknickten Manns stopfen, die Stofflagen kurz nach vorn ziehen, Heinrich van Kloeten muss baumeln, ein drittes Mal: Ah! Und: Aufgerichtet, Brust raus, rausstolziert: Ja, Mädels, hättet ihr nur Ihn gesehen und seis beim Schiffen! Doch da blieb der eine der beiden, denn zwei waren es, wie Wengath in seiner Zelle aus 6x kurz Ah! erriet, vor der Klotür stehen, wartete auf den anderen, der wohl mehr Hosenlagen hatte, ausfaltbare Tätowierungen, Elefantenohren eichelabwärts, rüsselaufwärts, kugelsichere Weste ums Gemächt: Es dauerte! Und Wengath machte gegen seinen Willen die Augen auf: Nun, geht schonn, Kerls. Bitte.
Aber der Schuh! In der Lücke zwischen Kabinentür und Fußboden zeigte sich ein Schuh, schwarzer Herrenslipper, seitlicher Gummizug, Zierschnalle drauf, selbst den Wasserfleck erkannte Wengath augenblicklich wieder, schokoladenfettreifgrau am Hacken, verflucht! Er hatte sofort an zwei große Männer gedacht, als er sie hörte, Typ Leibwächter, Luxusklasse, muskelbepackt, sein unbewusstes Gedächtnis hatte ihm das nahegelegt, er hatte sie gehört, gerochen, auf die Pelle waren sie ihm gerückt, es gab keinen Zweifel, es gab sie doch: Er saß einen Moment regungslos, ich seh dich nicht, siehst du mich nicht, nur eine lökrige Pappscheibe von Tür trennte sie, da waren Kolbe und Breker, oder wie sie auch immer hießen, schon wieder draußen auf dem Flur.
Was aber jetzt? Denn was machten des Führers Bodybuilder, oder wie immer sie hießen, im Gebäude der Justizbehörden, Flügel Staatsanwaltschaft, solch Fußtritt- und Faustrechtvolk in heiligen Hallen? Das gehörte zu seinem Fall, dem musste er nachgehen, was sie hier suchten, bei wem, schnell hinter ihnen her! Wengath riss an der Rolle, drei Meter Papierschlange spulte sich, Gefühl und Wellenschlag, ins Klokabuff ab (aus das noch!). Der Kampf mit der Schlange war furchtbar, fünf Blatt Arschwisch rang er ihr ab, die Spülung betätigen, den Rest des Papiers stopfte er sich für alle Fälle in die Unterhose, Hosenbund packen, aufstehen, hochziehen:
Das Schwarz kam merkwürdigerweise ganz langsam. Wengath stand, auf den Spülkasten gestützt mit einer Hand, in der anderen die halb hochgezogenen Hosen und sah es auf sich zukommen, teils von oben herab, teils von unten, glockenförmig und zum Schluss, als zöge sich ein Diaphragma vor einer Fotolinse zu. Es war weich und angenehm, sein eigenes Aufstöhnen verschluckte es, das Krachen des auf die Brille fallenden Klodeckels. Er sank um, knickte nach und nach ein, Zentimeter um Zentimeter, und war schon völlig eingehüllt ins Schwarz, bevor er auf den Fußboden aufschlug.

Das erste, was ihm einfiel, als er erwachte, war die Geschichte einer dieser Filmstars, Typ Prachtjunge, Mammas Bester, leucht-blauäugig, der eines Abends aus irgendeinem Grund sich fürchterlich viel Wodka einfüllte, über einen seiner kostbaren Teppichläufer fiel, an einer Möbelkante sich den Kopf aufschlug und nur, weil er zu betrunken war, einen Arzt anzurufen, an seiner Wunde starb. Wengath tastete seinen Hinterkopf ab, zäher Blutbrei verklebte an einer Stelle sein Haar, nicht anfassen! Etwas Blut suppte bei der Berührung hervor, vielleicht war sein ganzer Kragen schon vollgesogen mit dem Eigensaft, nur seine Haut zu taub, die Feuchtigkeit zu spüren. Er fragte sich gleichzeitig, warum er so viel sehen konnte, der Mond schien durchs Fenster, aha, aber unnatürlich hell und wieso war der Himmel plötzlich wolkenlos, Frosteinbruch wahrscheinlich, wo er doch eben noch durch warmen Nebel gelaufen war, wieso war er überhaupt auf einem Klo? Er tastete auch Oberkörper und Beine ab, wattierte Jacke (richtig, den Mantel hatten sie in die Reinigung gebracht!) die Hose offen, das Klopapier, aber es tat nichts weh, es ging ihm besser. Er hatte nicht einmal Kopfschmerzen, nur ein Summen spürte er, Epizentrum: Nasenwurzel, Brauenbögen, aber von der Schädelinnenseite her, er hätte nicht sagen können, ob im unhörbaren Bass- oder unhörbaren Obertonbereich.

Auf dem Flur glimmte alle zwanzig Meter eine Notbeleuchtung und es war warm. Die Wärme verursachte ihm Schüttelfrost, er grübelte seine Uhr aus der Hosentasche, um nachzusehen, wie lange er in dem ungeheizten Toilettenraum gelegen hatte. Fünf nach halb zwölf war es, 23 Uhr 35 in Amtsdeutsch. Fast sechs Stunden. Er ging zur anderen Seite des Flurs, StA Nebelung stand auf dem Schild neben der Tür, wie er wusste, und eine Abteilungsnummer, die er sich nicht gemerkt hatte, seit sie letztes Jahr geändert worden war. Er fasste die Klinke, gute Nacht, Schwachsinnseinfall mit akuter Alkoholvergiftung hierher zu fahren, drückte, gib mir zum Abschied leis die Hand: Das Türblatt glitt sofort einige Millimeter ins Zimmerinnere. Er hielt die Tür erschrocken fest, hielt auch die Luft an, arbeitete sich mikromillimeterweise zurück und: Stille! Kein Geräusch gemacht! Ließ die Klinke wieder los: Es ging alles nicht mit rechten Dingen zu, keine Tür in keinem Amt der Welt stand über Nacht offen. Und außerdem, war er nicht beim Empfang registriert worden, Kriminalkommissar D. Wengath zu StA Nebelung, Zeitpunkt Betreten des Gebäudes: 17 Uhr 45, Zeitpunkt Verlassen des Gebäudes: kein Eintrag? Entweder wurde bei der Bewachung des Gebäudes gefährlich geschlampt. Oder?
Trafen sich zwei Killer, sagte der eine zum andern: Schieß los! Trafen sich zwei Schläger, sagte der eine zum andern: Hals- und Beinbruch! Trafen sich zwei Henker, sagte der eine zum andern: Hau ab! Und gleich hinter der Tür standen die zwei, Kolbe und Breker oder wie immer sie auch hießen. Würden aus dem Zimmer von Frau Leineweber kommen, mit überlegenem Schlenderschritt, wenn er eintrat. Oder bloß genüsslich grinsend an Nebelungs Schreibtisch sitzen, die Mündung ihrer Waffen auf ihn in der Tür gerichtet: Setzen Sie sich in den Sessel da, Herr Wengath, machen Sies sich bequem, wie angenehm, wieder mit Ihnen plaudern zu dürfen. Er trat etwas von der Tür zurück: Nee, meine Herren. Das konnten sie von ihm aus in den Filmen machen, die taffen Polizisten, die ihren verborgenen Feind nur ahnen mussten und damit hatten sie ihn schon halb überwältigt und Ahgh! Und Uhgh! Und gippiem! Und: Der Nächste, bitte! Für 53-jährige Telefonhelden, Aktenwälzer und Protokollschreiber wie ihn, zudem aus gutem Stall und mit dem entsprechenden Abscheu vor primitiveren Formen des Kräftemessens imprägniert, war es besser, sich die Schuhe auszuziehen und davon zu schleichen. Bertsch würde ihm helfen, etwas gegen Nebelung auf dem Amtsweg zu unternehmen, Beschwerde wegen Obstruktion der Ermittlungsarbeit, so was in der Art, mit Papieren schlug sich die wohlerzogene Welt statt mit Fäusten und es würde nichts nützen, aber Ärger machen und Rache ist süß.
Nur das Geräusch. Er hatte die Schuhe ausgezogen und in der Hand, stand und lauschte. Ein leises Rasseln hörte er, dann undeutlich raues Pfeifen, kaum wahrnehmbar, Schnaufen auch, dann wieder das Rasseln. Wie lange war das her, dass er sein Bett Nacht für Nacht mit einer Frau geteilt hatte? Mehr Jahre, als er mit ihr zusammengelebt hatte, wahrscheinlich. Denn nach sieben oder acht war Doris ausgezogen, Gründe, so weit deklariert, unverständlich, so weit nicht deklariert, ebenfalls, aber wegen solcher Kleinigkeiten gleich ausziehen, naja, waren sie nicht alle freie Menschen unter freiem Himmel, musste sie wissen. Doch genau so hatte das geklungen, Schlaf, mit dem sie die Luft zwischen den Decken wärmte, während er noch nebenan auf dem Sofa saß, las um abzuschalten. Er stand unentschlossen vor der Nebelungs Tür, jetzt eine Stunde schlafen und dann ins Bett, leises Rasseln, Pfeifen, Schnaufen. Doris hatte kurzes braunes Haar gehabt, aß nichts gern, aber von allem zu viel, jetzt, wenn sie ihn manchmal anrief, war sie ihm steinfremd mit ihrem Gerede von Zulassen, Rauslassen, Durchlassen, Sternzeichen, Dinkelsuppe und Weltuntergang. Aber unangenehm war sie ihm nicht, wenn er sie mal sah, ihren runden kleinen Körper mit den kurzen Beinen und den winzigen Brüsten. Er schob das Türblatt vorsichtig nach innen in Nebelungs Amtszimmer, ließ sie hinter sich halb offen stehen und schlich auf Strümpfen, die Schuhe in der Hand, näher an die Atemgeräusche heran. Die gegenüberliegende Hauswand reflektierte das Mondlicht, Schrankwände, Regale und Besuchersessel glänzten weißlich grau. Im dunkler grauen Schatten von Staatsanwalt Nebelungs repräsentativen Schreibtisch lagen sie, Löffelchen an Löffelchen, Kolbe in Brekers starken Arm, beider Hosen etwas herabgezogen – denn, ja, es war dies die Nacht der Sanscoulottes, der Männerpos und Mondenschein! – Kolbe ein Taschentuch in die Körpergrube geknautscht – denn, bitte, keine Flecken auf anderleuts Teppiche: Hatten ihre Heinis auf dem Klo gesehen und ihn bewusstlos, konnten dem Ruf der Natur während des langweiligen Wartens auf ihr unpässliches Opfer nicht widerstehen, ein Liebespaar waren die verschmusten Folterknechte, ganz Macker rauchzart, erst ineinander, dann nach und nach in Tiefschlaf gerutscht, Angehörige einer von Nazis verfolgten Minderheit und blonde Elite der Sekur-Services (Halunkenfirma, schon wegen ihrer Initialen): Frechheit, so was! Wollten sogar die noch ein Recht haben, widersprüchlich zu sein! Aber beim näheren Nachdenken: Hatten sie wohl. Und wäre ja auch zu schön, wenn Schwule nur durchs Schwulsein automatisch zu besseren Menschen würden, das blieb noch zu wünschen übrig bei der Guten Schwuchtelfee.
Ein schwarzes Stück Metall lag dicht neben Kolbes Hand, Wengath bückte sich vorsichtig, Grundgütiger, was für ein Kaliber! Er hielt die Waffe ins Mondlicht, 45er, wenn nicht 38, eine Sig Sauer war das wahrscheinlich. Er trat vorsichtig zurück, schlich um Nebelungs Schreibtisch herum, stellte sein Paar Schuhe auf der Schreibunterlage ab, näherte sich den Löffelchen a tergo. Und richtig, gleich neben Brekers mächtig muskulösem Gesäß lag die zweite Pistole dichtebie: Sie hatten ihn erwartet, in flagranti, Probe auf ihr Reaktionsvermögen, Spritzen, Hosen zu, Pistolen in die Höh innerhalb von drei Zehntelsekunden! Doch nun war er, Wengath, selbst der Herr vom Empfang, mit zwei Faustfeuerwaffen in seinen zwei Fäusten hatte er die Situation im Griff, war Weck- und Rollkommando, Rollwegkommando: ein Pfiff, ein Tritt, sie würden sich vor ihm mühsam halb in die Höhe wühlen, zitternd das Kleinjungengebamsel zwischen den knieweich gelagerten Oberschenkeln, die Lederjacken würden die Ärmchen knicken, Händchen unsicher aus ihren Enden winken: Gottesanbeterinnen Kolbe und Breker, oben drauf die klitzekleinen Wackelköpfchen, große große Augen: Ach, tu uns nichts, du lieber Mann, wir haben dir doch nichts getan! Doch er würde nur die Waffen entsichern, Klickklick, speits aus, ihr zwei, raus mit der Wahrheit.

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