Jetzt bin ich durch, die Laden sind beschriftet und ausprobiert. Sie laufen gut, lassen sich ohne Ruckeln öffnen und schließen. Ab jetzt werde ich ihnen, ohne dabei auf eine feste Reihenfolge zu achten, Dinge entnehmen und sie hier zeigen. Die einzige Schublade, die ich regelmäßig und pünktlich bediene, wird die Krimi-Schublade sein. Ihr entnehme ich Donnerstag für Donnerstag ein Stück.
Eine Schublade zum Ausprobieren gibt es noch. Sie steht in der seitlichen Übersicht für den Blog als erste. Und genau da macht sich ihre Beschriftung gut: Kommodenfächer, wie eine Überschrift für alle folgenden Laden: Kurzwaren, Krimi, Kinder, Klasse, Küche, Kypris, Kirche, K-Wörter und Komfort, neun an der Zahl, jede mit ihrem besonderen Inhalt. Doch ich habe beim Räumen von Lade zu Lade bemerkt, dass ich auch den Stauraum der zehnten brauche. Für ein zehntes besonderes Thema, das Nachdenken über das, was ich und wie ich es schreibe. Meiner Ansicht nach gibt es keine unverträglicheren Menschen als Dichter und Dichterinnen unter anderen Dichtern und Dichterinnen – zu dieser Ansicht komme ich durch Selbstbeobachtung. Denn es gibt ein Richtig und ein Falsch in der Dichtung und es zu bestimmen, führt zu Streit, über den höflich hinwegzugehen, nicht immer möglich ist. Noch dann, wenn man ihn, so wie ich, meistens im stillen Kämmerlein und bloß für sich allein führt, hat er Ergebnisse. Und auch die gehören in eine Schublade:
Es war mal ein Gedicht,
dem war prägnant sein Pflicht:
Wärs vag, wärs nebulös,
Gedicht nicht, Geporös.
Geporös, das, auch: Geporöse, die, von porös im Gegensatz zu dicht: bezeichnet ursprünglich aus der Lyrik entstandene Literaturprodukte von meist geringerem Umfang, in der Wörter und Wortgruppen nach subjektiven Kriterien zusammengestellt und in Zeilen verschiedener Längen, meist untereinander, angeordnet werden. Überwältigt von der eigenen Feinfühligkeit las er eine geschlagene Stunde mit halb erstickter Stimme aus seinen Geporösen vor. Ich konnte nie besonders viel mit Geporösen anfangen. Die Abitursaufgabe bestand wahlweise in einer Erörterung zu einem Thema oder in einer Geporösen-Interpretation.
Aus dieser, erst in einer künftigen Dudenausgabe zu findenden Definition geht klar hervor, dass die meisten Wettbewerbe für zeitgenössische Lyrik Geporösenwettbewerbe sind. Bei in Buchform veröffentlichter Lyrik ist das Verhältnis von Geporösen zu Gedichten schwieriger einzuschätzen. Vernachlässigt werden können sicherlich die meisten Anthologien zeitgenössischer Lyrik, da ohnehin kaum jemand, abgesehen den Autorinnen und Autoren selbst, sie kauft. Bei Einzelbänden wäre auch die Auflage mit in Betracht zu ziehen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass von einer Dichterin wie Mascha Kaléko bis heute jährlich mehr Bücher abgesetzt werden als in der gleichen Zeit von zwanzig der namhaftesten, deutschsprachigen Poröserinnen zusammen.