vonkirschskommode 08.11.2022

Kirschs Kommode

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Der technische Fortschritt treibt manchmal seltsame Blüten. Wo er Platz dafür findet. Er verdrängt die Kinder von den Straßen und Plätzen, und auch dort, im Reichenviertel etwa, wo er das weniger radikal tut, verschafft er Eltern und Kindern kleine schicke Geräte, mittels derer sie sich über Distanzen verständigen können. Somit erschallt etwas nicht mehr, was ich als Kind noch oft gehört habe, der elterliche Ruf über die Straße, die Innenhöfe oder Plätze hinweg: Martin, Angela! Essen kommen!

Das hat die Fantasie der Eltern, ihre Neigung in Klängen zu schwelgen, wenn sie ihrem Nachwuchs einen Namen zu geben haben, außerordentlich beflügelt. Denn hätte man früher gewusst oder mindestens geahnt, dass die ganze Nachbarschaft jedesmal feixt, wenn Anton-Achilles oder Cosmea-Penelope lautstark heimbeordert werden, so ist diese Schamgrenze jetzt verschwunden, wodurch die klangvoll und assoziationsreich kombinierten Doppelnamen sich deutlich vermehrt haben; mein Kind als mein Gedicht und Ausweis meiner Kreativität. Öfter zu wenig als zu viel bedacht wird dabei der Familienname, mit dem das Klangereignis seinen ultimativen Abschluss findet: Cosmea-Penelope Klotz.

Was sich die Eltern von Lars-Arvid Brischke schon 1972 im relativ autoarmen und garantiert händifreien Dresden bei ihrer Namenswahl gedacht haben, kann ich nicht ergründen und es geht mich vermutlich einen Dreck an. Aber ich frage mich, ob ihr Kind, ohne diesen hochanmutenden Klang von sich selbst im Ohr, auch Lyriker geworden wäre. Oder ein anderer, Bert Brischke. Ich weiß, es ist ungebührlich, den Namen eines Menschen in die Kritik seiner Handlungen hineinzuziehen, und ich wüsste mir wirklich gern anders zu helfen. Von Lars-Arvid Brischke stammt das 2020er Motto für den Feldkircher Lyrikpreis. Es ließ sich nicht, auf Biegen und Brechen nicht, als sprachliches Material für neue Gedichte benutzen. Ich musste stattdessen Schmähgedichte auf Poröser schreiben, um überhaupt etwas einsenden zu können.

2020
„steht ihr auge in auge vor glück am ziel“ (Lars-Arvid Brischke)

poröserVERStehen

steht ihr auge in auge vor glück am ziel:
Steht ihr glücksgestoppt euch beäugend vorm Deal?
Oder seid ihr vielmehr an einer Endstation, sagen wir, Kiel,
aufgrund von Glück ineinander blickweis verkrallt, doch im Stand stabil?
Hier fehlen Hand und Fuß für klärendes Spiel:
Vor Dreck steht die Hose, vor Glück steht – nicht viel.

 

Der Poröser

Zögernd nähert dem Poröser
sich die Muse: Kommt da was?
Korn ist sein Blockadelöser.
(Auf sein Deutsch ist kein Verlass.)

Er beginnt, sich zu beschnapsen.
Langsam. Bis er Feuer fängt.
Bis durch sämtliche Synapsen
Einfall sich an Einfall drängt.

Rhythmus fühlt er, treibend hämmert,
dass sich Reim zum Wort gesellt;
er versteht kaum, was ihm dämmert,
als die Muse ihn erhellt.

Mein Poröser, spricht sie milde,
du bist der, der undicht baut,
immer wirds ein Sprachgebilde,
dem der Quark durch Löcher schaut.

Doch mit Schnaps, ich seh den Wandel,
Alkohol hat es geschafft.
Trunkner Kuss beschließ den Handel,
sei ein Dichter, hab die Kraft.

Kein Kuss half. Man sah verknöchern
den Poröser, musenbang.
Was kann Dichten gegen Löchern?
Er poröste. Lebenslang.

 

Poröserglück

Verzückt, ich weiß nicht mehr zu denken,
die Freude hüllt mir ein das Hirn,
die Lust, gespreizt mich zu verrenken,
zum Summen in der Stirn.

Im Schwung, ich weiß mich nicht zu retten,
der Fluss ergießt sich aufs Papier,
befreit von allen äußren Ketten
gehört die Sprache mir.

So tief. Ich weiß, es wird erschauern,
wer offen ist. Ein Meisterstück.
Wer nichts drin sieht, ist zu bedauern.
Das ist Poröserglück.

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