vonkirschskommode 04.06.2024

Kirschs Kommode

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Ohrabkauer, 1

Trete ich aus dem Haus und blicke auf die umliegenden Hügel, die Mandelbäume, Pinien und Weinstöcke – manchmal, ob Sie es mir glauben oder nicht, überfällt mich Panik. Ich kenne sie alle, weiß, wer wo in welchem Haus hinter den Bäumen wohnt. Ich sehe sie die Wege die Hügel hinab ins Dorf fahren, ich weiß, was sie denken. Schweiß bricht mir aus. Warum ich?, frage ich anklagend. Warum bin ausgerechnet ich der letzte Glaubenslose in diesem Meer seelenvoller Hoffnungsträger?

Längst heißen die Hügel in meiner Privattopographie nach den Überzeugungen ihrer erleuchteten Bewohner. Hinter mir liegt die Hare-Krishna- Anhöhe, vor mir die Zeugen-Jehova-Senke. Der Buckel links ist die Ufo-Station, rechts dräut der Astrologenberg. Pendel fliegen mir um die Ohren, Wünschelrutengänger kommen mit schlagenden Beweisen, die Karten sind mir gelegt, der Stab über mich gebrochen, mein Schicksal, es steht in den Sternen.

Noch am wenigsten furchtbar sind die Ufologen. Ufologen haben ein Weltbild mit Knacks, aber es ist immerhin ein wissenschaftliches Weltbild. Sie sind meistens wohlerzogene Engländer und kommen besonders häufig in der Marina Alta vor; die Landzunge ins Meer zwischen Dénia und Calpe dient den Ufos, genau wie den Zugvögeln, zur Orientierung. Doch über Gartenbau, Autos, Trennungen in der Nachbarschaft und Ähnliches kann man sich mit ihnen ganz vernünftig unterhalten.

Aber dann eines Tages klemmt Ihnen plötzlich ein  Frauenarm unter der Nase, ein dürrer Finger zeigt auf die Altersflecken: Hier! Sie hinterlassen Botschaften! Und wenn die Dame, die Sie noch nie zuvor so aufgeregt gesehen haben, sich durch einen Blick in ihr fragendes Gesicht überzeugt, daß Sie nichts verstehen, dann weist sie in Himmel, raunt, die Augen weit aufgerissen: Strange things are going on out there!

Sie könnten jetzt natürlich ebenfalls die Augen zum Himmel drehen – den dazu nötigen Maria-hilf-Blick studieren Sie am besten auf  Heiligenbildchen des 19. Jahrhunderts – und flehend hervorstoßen: Quick, Scotty, beam me up! Aber die Dame hat Sie immer reizend behandelt, Ihnen von ihren Mispeln und Feigen geschenkt. Auf die müßten Sie dann wohl in Zukunft verzichten.

Argumentieren hilft jedoch auch nichts. Jeder Ufologe ist Ihnen da überlegen. Die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn ein High-Tech-Ei mit vielfacher Lichtgeschwindigkeit durch den Raum saust, buchstabiert er Ihnen mittels der Quantenmechanik weg, daß Ihnen Hören und Sehen vergehen. Bekommt die Astronomie hintereinander heraus, daß unser All rund und begrenzt, dann, daß es flach und unbegrenzt, schließlich, daß es wie ein Donut geformt sein muß, ein richtiger Ufologe ist auf dem Laufenden und ändert die Flugbahnen der Untertassen entsprechend ab. Und weiter fliegen die Raumgötter über die Marina Alta, rätselhafte Botschaften in die Haut ihrer Jünger schreibend. Kein Geheimdienst übrigens, der davon nicht Wind habe.

Am besten hilft vielleicht eine einfache Frage. Schauen Sie Ihren Gesprächspartner an, als hätte er Ihnen erzählt, der Unternehmerverband habe gestern beschlossen, ab jetzt die Hälfte aller Gewinne in die Armutsbekämpfung zu stecken. Und fragen Sie ihn in aller Unschuld: Aber, Sie glauben wirklich, irgendwo im All könnten intelligente Wesen leben? Ja, das ist doch völlig unmöglich! Warum in aller Welt sollten die es denn besser haben als wir?

November 2000

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